Das allgemeine Klagen ist groß. Die Baukosten explodieren ebenso, wie die überbürokratisierten Bauvorschriften. Sozialer Wohnungsbau ist so unrentabel wie noch nie. Während z.B. in Leipzig in den letzten Jahren Luxuswohnungen wie Pilze aus dem Boden schossen, haben nach
statistischen Erhebungen 38% der Leipziger Einwohner Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, weitere rund 12% stehen kurz davor. Tendenz steigend. Rund 50% der in Leipzig wohnenden Bevölkerung lebt also in oder benötigt Sozialwohnungen. Eine Trendwende im Wohnungsbau ist deshalb dringend notwendig.
Ein Beitrag von Wilhelm Domke-Schulz
Während man im restlichen Sachsen, wie überwiegend auch im gesamten Osten Deutschlands, mit Bevölkerungsschwund, als Langzeitfolge der unmittelbar nach Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD einsetzenden brachialen Deindustrialisierung zu kämpfen hat, wächst Leipzig nach wie vor. Wenn auch etwas langsamer als in den Vorjahren.
Die sächsische Großstadt gibt sich woke, Radfahrerfreundlich und multi-kulti-bunt. Sie ist beliebt bei Studenten aus den westlichen Landesteilen, der um den Osten erweiterten BRD, deren Eltern geringere Studiengebühren als in Altbundesdeutschland locken und sie ein Umfeld erleben lassen, dass sie an einheimische Gefilde erinnert.
Denn die allermeisten Immobilien, restlich verbliebenen Arbeitsplatzanbieter und so ziemlich alle Führungsebenen in Verwaltung, Bildung und sonstigen Einflussbereichen, einschließlich des Postens des Oberbürgermeisters, sind fest in altbundesdeutscher Hand. Das verbindet. Die Leipziger Besitz- und Machteliten untereinander, die überwiegend aus den Altländern zugezogen sind.
Und die allermeisten derjenigen, die sich von weiter westwärts kommend in der sächsischen Großstadt ansiedelten, haben das nicht etwa getan, um neugierig und aufgeschlossen in ostdeutsche Welten einzutauchen, sondern, ganz westlich, um sich im Osten eine goldene Nase zu verdienen. Entweder mit einem wohldotierten Posten oder z.B., mit einer einst billig erworbenen Immobilie, die jetzt so viel wie möglich Profit abwerfen soll.
Schon klar, das nennt sich Kapitalismus. Bleibt aber eben nicht folgenlos.
Die Auswirkungen kann man schon längere Zeit auf dem Leipziger Wohnungsmarkt beobachten. Die Zustände sind zwar zum Glück noch lange nicht so extrem, wie in Berlin, haben es aber trotzdem in sich. Im Zentrum und in lukrativen Randgebieten, wie dem Lindenauer Hafen, sind peu a´ peu exklusive Wohnanlagen entstanden, überwiegend von weiter westwärts, meist südwestdeutsch ansässigen Investoren hochgezogen, die ihre im Osten neu erworbenen Eigentumswohnungen natürlich nicht selbst bewohnen wollen, da bleiben sie doch lieber in ihren angestammten Regionen, als in die ehemalige „Ostzone“ zu ziehen, sondern am liebsten meistbietend vermieten wollen.
Allerdings fragt sich, an wen? Wer soll denn da einziehen?
Leipzig war bis 1989/90 eine historisch gewachsene, brummende Industriemetropole, auch Zentrum des Buchdrucks, der Textilindustrie und vieler anderer Wirtschaftszweige. Arbeitsplätze ohne Ende, Vollbeschäftigung, keine Arbeitslosen. Davon sind nur noch kaum sichtbare Rudimente geblieben.
Die westdeutsche Wirtschaft hat mit Hilfe ihres östlichen Interessenvertreters, der sogenannten „Treuhand“ ganze Arbeit geleistet. Der Markt wurde radikal bereinigt, die ostdeutsche Konkurrenz existiert praktisch nicht mehr.
Nach der Zeit der industriell geprägten Vollbeschäftigung entstand ab 1990 eine explosionsartig ansteigende Arbeitslosigkeit, mehr schlecht als recht abgefedert durch ABMs (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) und einer sinnlosen Umschulung nach der anderen. Denn wo keine Arbeit ist, nutzt auch die beste Umschulung nichts, außer vielleicht den Inhabern von Umschulungsfirmen, die sich wiederum auch überwiegend aus den westlichen Landesteilen in Leipzig angesiedelt hatten.
Für zig Tausende einheimische Leipziger war ab 1990 das „Berufsleben“ von Arbeitslosigkeit, ABM und Umschulung geprägt, um schließlich in der Altersarmutsrente zu landen.
Und die sollen jetzt in die leerstehenden westdeutschen Luxusimmobilien ziehen, um westdeutsche Steuersparer mit unbezahlbaren Mieten zu beglücken? Wohl kaum.
Der verheerende Mix aus massivem Industrieabbau, massenhafter Überleitung ehemaligen DDR-Volkseigentums an Immobilien in westliche Spekulantenhände und dem bewussten Festhalten der neuen, fast ausschließlich altbundesdeutschen, sogenannten „Arbeitgeber“ am Billiglohnniveau im Osten, erzeugen nun einmal keine riesige Nachfrage an luxuriösen Teuerwohnungen unter der einheimischen Bevölkerung. Das ließe sich eigentlich leicht ausrechnen, auch wenn man nur ein Bologna-Abitur hat und nicht über eine solide DDR-Schulbildung verfügt.
Statistische Erhebungen durch Prof. Dr. Rink vom Departement Stadt- und Umweltsoziologie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung – UFZ in Leipzig haben ergeben, dass aktuell 38% der Leipziger Bevölkerung über ein dermaßen geringes monatliches Einkommen verfügt, dass sie einen Wohnberechtigungsschein beanspruchen könnten. 38% der Leipziger Bevölkerung hätten also derzeit einen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Weitere rund 12% liegen nur ganz knapp über einem solchen Monatseinkommen. Dass heißt, dass aktuell rund 50% der in Leipzig wohnenden Bevölkerung in Sozialwohnungen, d.h. in gefördertem Wohnraum wohnen müssten.
Wie hoch der Anteil der zugezogenen Altbundesdeutschen an den Geringverdienern in Leipzig ist, verrät diese Statistik nicht, aber er dürfte kaum messbar sein.
Mindestens 50% der in Leipzig sesshaften, einheimischen Bewohner kommen also als Mieter für die Luxusimmobilien westlicher Wohnungsanbieter nicht infrage. Aber auch unter den Zugezogenen scheint dieser Markt gesättigt.
Wer von den Neuleipzigern mit gut dotiertem Chefposten und gut laufenden Geschäften etwas auf sich hält, zieht natürlich nicht in eine teure Mietwohnung, sondern kauft sich selbst eine oder besser noch, gleich ein standesgemäßes Haus im Umland.
Wenn also Leipzig dem steigenden Bedarf an sozialem Wohnungsbau Rechnung tragen will, kann es auf Dauer nicht weiter auf westdeutsche Immobilienhaie und Spekulanten setzen.
Sicher die Rahmenbedingungen sind schwierig. Durch eine völlig aus dem Ruder laufende Sanktionspolitik auf Bundesebene explodieren in Folge die Baukosten immer mehr und der Zuwachs an hochbürokratischen Verwaltungsvorschriften tut ein Übriges, um einen gewinnorientierten sozialen Wohnungsbau völlig unmöglich zu machen. Aber muss er wirklich, ganz radikalkapitalistisch, unbedingt immer große Gewinne abwerfen? Könnte ein kostendeckender Bau nicht auch reichen? Im Interesse der Menschen?
Sicher ist das möglich und auch realisierbar, wenn wie gesagt nicht der Maximalprofit, sondern der bedürftige Mensch im Mittelpunkt steht. Also ein völlig unkapitalistischer Ansatz. Reine Utopie? Mitnichten. So etwas gibt es durchaus. Auch in Leipzig. Wenn zwar nicht im Großmaßstab, aber immerhin.
Lesen Sie dazu auch unseren Artikel Richtfest zum Bauvorhaben Sozialer Wohnungsbau in Leipzig-Wiederitzsch. Ein Gastbeitrag von Dipl.-Ing. Architektin Christiane Domke.