Was wir aus der Arbeit der PR-Kommission in den USA für heute lernen können

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  • März 1, 2024
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Die Arbeit der Creel-Commission liegt zwar mehr als 100 Jahre zurück, dennoch ist ein Blick auf ihre Arbeit sehr lehrreich und aktuell, denn sie ist eines der ersten Beispiele für den gezielten Einsatz wissenschaftlicher Propaganda in Kriegszeiten. Eine Analyse der Kriegspropaganda aus dieser Zeit kann eine mögliche „Brille“ liefern, mit der man auch die heutige Berichterstattung zum Ukraine-Krieg betrachten kann.

Ein Beitrag von Jonas Tögel

Shutterstock/ wellphoto

Die Creel-Commission wurde im Jahr 1917 von US-Präsident Woodrow Wilson gegründet und hieß eigentlich „Committee on Public Information“ (Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit). Wilson war mit dem Motto „He kept us out of war“[1] („Er hat uns aus dem Krieg herausgehalten“) in den US-Wahlkampf 1916 eingetreten und hatte versprochen, auf keinen Fall Krieg mit dem deutschen Kaiserreich zu führen. Er änderte seine Meinung jedoch rasch, und nur wenige Monate nach seiner Wiederwahl erklärten die USA dem deutschen Kaiserreich den Krieg. Wilson tat nach der Wahl also genau das Gegenteil von dem, was er vor der Wahl versprochen hatte.

Es war folglich nicht leicht, der amerikanischen Bevölkerung diesen Krieg zu verkaufen. Um die Bevölkerung umstimmen zu können, griff die Regierung auf eine „psychologische Kriegsführung“ [2] zurück. Die Kommission unter Leitung des ehemaligen Zeitungsjournalisten George Creel bediente sich für ihre Propaganda der Erkenntnisse aus der Massenpsychologie (die Masse ist irrational und über Emotionen steuerbar), der Psychoanalyse (Menschen werden über ihr Unbewusstes und ihre tiefen Gefühle beeinflusst) sowie des Behaviorismus (durch ständige Wiederholung verknüpfen sich unbewusst Dinge in den Köpfen der Menschen).

Um die Menschen davon zu überzeugen, dass die Mehrheit der Amerikaner für den Krieg war, bezahlte die Regierung 75.000 Mitarbeiter, welche in tausenden Städten in ganz Amerika scheinbar spontane – aber einstudierte – kurze Reden hielten, in denen sie einen Kriegseintritt als wichtig und gerecht bezeichneten. Insgesamt gaben sie 750.000 Reden in Theatern, Kinos, bei öffentlichen Veranstaltungen usw. und versuchten so, eine kriegsmüde amerikanische Bevölkerung zu überzeugen [3].

Darüber hinaus griff man auf eine sogenannte „Gräuelpropaganda“ [4] zurück, indem man versuchte, durch eine ständige Wiederholung in den Köpfen der Menschen eine Verbindung zu schaffen, die deutsche Soldaten mit gefährlichen Bestien gleichsetzte. Dafür bediente man sich aller Medien, die es damals gab: Zeitungen, Spielfilme, Kampfschriften, Lieder, Flugzettel, Plakate, usw. Die deutschen Soldaten, so die (oft gelogene) Propaganda, begingen alle möglichen Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung und sie hätten Freude daran, wehrlose Frauen und Kinder zu quälen und zu töten.

Harold Lasswell fasste die Grundsätze für diese Kriegspropaganda so zusammen: „Der Feind ist in seiner Kriegsführung furchtbar grausam und degeneriert. Eine praktische Regel, um den Hass zu wecken, lautet: Wenn [die Bevölkerung] zuerst nicht wütend wird, dann verwenden Sie eine Gräueltat! Das wurde in jedem bekannten Konflikt immer wieder mit Erfolg angewandt. […] Um den Hass gegen den Gegner zu mobilisieren, stellen Sie ihn als bedrohlichen, mörderischen Angreifer dar.” [5] Die Geschichten waren oft frei erfunden, doch für die Gefühle der Menschen spielte das keine Rolle.

„Die Lüge ist in der Kriegsführung eine anerkannte und äußerst brauchbare Waffe; jedes Land wendet sie mit voller Überlegung an, um sein eigenes Volk zu täuschen, Neutrale anzuziehen und den Feind irrezuführen… Die Lüge gedeiht und blüht nur durch die Leichtgläubigkeit der Menschen…“ [6], kritisierte der britische Politiker Arthur Ponsonby später.

Der Zweck der Massenpropaganda, nämlich Hass und Mitleid hervorzurufen [7], funktionierte und so begann sich die Meinung der Bevölkerung nach und nach zu drehen. „Aus friedliebenden Menschen wurden auf einmal antideutsche Fanatiker. […] Die Creel-Commission war sehr erfolgreich“, erklärt Noam Chomsky [8]. Wilson konnte somit am 6. April 1917 den Kriegseintritt der USA in den 1. Weltkrieg verkünden. Er begründete dies mit der Forderung, man müsse „die Freiheit verteidigen und die Demokratie schützen“ [9]. Darin wurde er von den Zeitungen unterstützt, die kaum Kritik am Krieg veröffentlichten. „Wir dürfen jetzt keine Kritik haben“, zitierte die New York Times im Jahr 1917 den ehemaligen Kriegsminister, der meinte, man sollte Kritiker am besten wegen Hochverrats erschießen [10].

Die Arbeit der Creel-Commission ist ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie Kriegspropaganda funktioniert. Durch ständige Wiederholung von Kriegsverbrechen des Gegners auf allen Kanälen ist es möglich, ein Gefühl von Hass auf einen gemeinsamen Feind hervorzurufen, der nun bekämpft werden muss. Die Propaganda muss dabei möglichst einheitlich sein und gezielt tiefe menschliche Gefühle ansprechen. Außerdem wird der Gegner nicht mehr als Mensch, sondern als unmenschliche „Bestie“ dargestellt, den man am Ende ganz sicher besiegen wird. „Das Aufrechterhalten des Hasses beruht darauf, eine direkte Darstellung des bedrohlichen […] und satanischen Feindes zu geben und es durch die Gewissheit des endgültigen Sieges zu ergänzen“ [11], so Harold Lasswell.

Die Arbeit der Creel-Commission endete im Jahr 1919, doch der Einsatz (professioneller) Propaganda hatte gerade erst begonnen. Es ist daher immer möglich, die Berichterstattung von am Krieg beteiligten Nationen kritisch zu hinterfragen. Das trifft auf die vergangenen Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts zu, es trifft aber auch auf die aktuelle Situation und die Berichterstattung im Krieg Russlands und der Ukraine zu. Der Überfall Russlands auf die Ukraine erfolgte am 24. Februar 2022 und der Krieg dauert bis heute an. Sowohl Russland als auch die Ukraine bemühen sich nun, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass gerade ihr Kampf gerecht ist und mit militärischen Mitteln gewonnen werden kann.

Bei der Bewertung des Angriffs gibt es auch in westlichen Ländern zwei entgegengesetzte Positionen. Während die eine Seite betont, dass es ein illegaler Angriff war, der nicht zu rechtfertigen oder erklären ist, gibt es Stimmen, die wie John Mearsheimer darauf hinweisen, dass man auch die Vorgeschichte nicht außer Acht lassen sollte [12]. An dieser Stelle soll daher ein Blick auf die Berichterstattung in den deutschen Medien geworfen werden. Es wäre lohnend, auch einen Blick auf die russischen Medien zu werfen, das ist jedoch aufgrund der Sprachbarriere schwierig.

Die Deutsche Welle beobachtet, dass – ähnlich wie bei der Arbeit der Creel-Commission – während des derzeitigen Krieges eine Berichterstattung dominiert, welche sich auf Grausamkeiten konzentriert und somit die Gefühle der Menschen berührt. „Vergewaltigung, Verstümmelung, das Morden von Zivilisten – was wir jeden Tag über Gräueltaten aus der Ukraine hören, ist kaum zu ertragen“ [13], so die Deutsche Welle, und fährt mit einer Aufzählung von Verbrechen fort, die russische Soldaten begangen haben oder begangen haben sollen. Während es aufgrund der aktuellen Lage nicht möglich ist, zu prüfen, ob die Berichte stimmen oder nicht, ist es aus psychologischer Sicht wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Berichterstattung oft emotional geprägt ist. Es gibt jedoch auch Belege dafür, dass an manchen Stellen falsche Geschichten erzählt werden.

Ein Beispiel für eine solche emotionale und gleichzeitig in Teilen falsche Geschichte stammt aus der Sendung „Markus Lanz“ vom 2. Juni 2022. Die FDP-Politikerin Frau Strack-Zimmermann erklärte in der Talk-Show: „Seit 24. Februar wissen wir, dass er [Putin] einen mörderischen Krieg führt. […] Da sterben Menschen, Frauen, Massenvergewaltigungen, Kinderkliniken, Geburtskliniken, die gezielt angegriffen werden…“ [14]. Es stellte sich jedoch später heraus, dass die ehemalige ukrainische Menschenrechtsbeauftrage Lyudmila Denisova die von Frau Strack-Zimmermann angesprochenen Massenvergewaltigungen zu großen Teilen erfunden hatte, um mehr Unterstützung für die Ukraine zu erhalten. [15]

Abschließend kann man festhalten, dass die Geschichte gezeigt hat, dass es möglich ist, durch eine ständige Wiederholung von (wahren oder erfundenen) Gräueltaten und einer Verteufelung des Gegners eine Bevölkerung nicht nur auf Krieg einzustimmen, sondern auch das Gefühl zu zerstören, dass die Gegner auch Menschen sind. Die Zeitung The Atlantic sprach in diesem Zusammenhang beispielsweise von einem „Abstieg in die Unmenschlichkeit“ der russischen Soldaten. [16] Auch von russischer Seite wird dem Gegner immer wieder abgesprochen, ein Mensch zu sein. Die ukrainischen Soldaten seien durch Drogen zu ‚bösartigen und tödlichen Monstern‘ geworden [17], so die russische Politikerin Irina Yarovaya. Für eine abschließende Beurteilung der aktuellen Berichterstattung ist es – im Gegensatz zur Arbeit der Creel-Commission – noch zu früh. Dennoch ist es heute möglich, auf Emotionalisierung und Entmenschlichung aufgebaute Berichte kritisch zu hinterfragen. Das kann dazu führen, dass man nicht dem Hass und dem Wunsch nach Vergeltung folgt, der nicht zum Frieden führt. Für Frieden braucht es vielmehr als Basis das Grundverständnis, dass alle Beteiligten in diesem Krieg Menschen sind.

Quellen:

[«1] huffpost.com/entry/he-kept-us-out-of-war_b_3931495

[«2] Christopher Simpson (1994): Science of Coercion – Communication Research & Psychological Warfare 1945-1960, Oxford University Press, New York, S. 15

[«3] vgl. Howard Zinn (1980): A People’s History of the United States, Harper Colophon Books, London u.a.:, S. 355

[«4] Detlef R. Peters (1964): Das “US-Committee on Public Information” – Ein Beitrag zur Organisation und Methodik der geistigen Kriegsführung in den USA im Ersten Weltkrieg, Köhler Minden, Berlin, S. 95ff

[«5] Harold Lasswell (1921): Propaganda Techniques in the World War, New York, S. 195

[«6] Athur P. Ponsonby (1929/1941): Lügen im Kriege, London und Berlin, S. 11

[«7] Detlef R. Peters (1964): Das “US-Committee on Public Information” – Ein Beitrag zur Organisation und Methodik der geistigen Kriegsführung in den USA im Ersten Weltkrieg, Köhler Minden, Berlin, S. 95ff

[«8] Jimmy Leipold: Edward Bernays und die Wissenschaft der Meinungsmache, Frankreich 2017, arte

[«9] bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/245922/vor-100-jahren-usa-treten-in-den-ersten-weltkrieg-ein/

[«10] vgl. Howard Zinn (1980): A People’s History of the United States, Harper Colophon Books, London u.a.:, S. 359

[«11] Harold Lasswell (1921): Propaganda Techniques in the World War, New York, Seite 195

[«12] newyorker.com/news/q-and-a/why-john-mearsheimer-blames-the-us-for-the-crisis-in-ukraine

[«13] dw.com/de/ukraine-krieg-m%C3%BCssen-gr%C3%A4ueltaten-sein-gewalt-und-vergewaltigung-im-krieg-russland-gegen-ukraine/a-61479816

[«14] zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-2-juni-2022-100.html (Minute 16)

[«15] nachdenkseiten.de/?p=84712

[«16] theatlantic.com/ideas/archive/2022/04/bucha-ukraine-bodies-russian-military-crimes/629485/2476437/

[«17] rollingstone.de/russland-propaganda-fantasiert-von-ukrainischen-monster-soldaten-2476437/

Autor: Jonas Tögel ist Amerikanist und Propagandaforscher. Er hat zum Thema Soft Power promoviert und arbeitet derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Propaganda, Motivation, der Einsatz von Soft-Power-Techniken sowie epochale Herausforderungen des 20. und 21. Jahrhunderts.

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