Das Unwort des Jahres sollte „kriegstüchtig“ heißen!

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  • Januar 19, 2025
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Das Unwort des Jahres steht fest: Es lautet »biodeutsch«. Das tatsächliche Unwort des Jahres hat die Jury natürlich nicht prämiert.

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Bundeswehrsoldaten marschieren
U.S. Navy photo by Petty Officer 3rd Class Max Rector, Public domain, via Wikimedia Commons

Schon erstaunlich, dass das Unwort des Jahres jedes Jahr Anfang oder Mitte Januar so populär durch die Presse geht. Selbst die Tagesschau vermeldet Jahr für Jahr Vollzug. Dabei handelt es sich bei der Jury eigentlich nur um eine kleine Truppe, einem etwas besseren Kaffeekränzchen quasi – fünf ständige Mitglieder unter Einschluss eines oder zweier kooptierten Gastes sondieren die Einsendungen – und beschließen dann ein jährliches Unwort. Ein bisschen so, wie Weinköniginnen benannt werden. Nur, dass die es nicht in die Tagesschau schaffen. Nach welchen Kriterien die Jury beschließt? Teile der Wahrheit könnten vermutlich verunsichern …

Dieses Jahr, so gab die Jury heute bekannt, habe es das Wort »biodeutsch« zum Unwort gebracht: Weil der Wortgebrauch »gegen die Idee von demokratischer Gleichheit und Inklusion verstößt«. Das kann zutreffend sein – muss es aber nicht. Was die Jury dann auch gleich noch hinzufügt: Man wolle »nicht den ironisch-satirischen, sondern den diskriminierenden Wortgebrauch« kritisieren. Wenn man es genau nimmt, sagt die Jury damit letztlich: Nicht das Biodeutsche ist das Problem, sondern derjenige, der das Wort in einem bestimmten Zusammenhang gebraucht. Sonderbar das alles! Der zweite Platz ging übrigens an: »Heizverbot«. Denn ein solches gäbe es gar nicht. Aber auch Dinge und Umstände, die es nicht gibt, haben zuweilen Worte. Deswegen sind sie noch lange nicht als Unworte zu betrachten. Gibt es eine Seele? Falls nein, eignete sich »Seele« dann auch zum Unwort? Wirklich eine seltsame Vorstellung, die die Jury des Unwortes des Jahres da abliefert!

Das Wort der Stunde aber fand keinen Einzug in die Galerie der Unwörter. Das hätte nämlich Erklärungen nach sich gezogen und wäre nicht besonders wohlwollend aufgenommen worden.

Ein Wort, das sich aus Hölle und guter Eigenschaft zusammensetzt

Dabei war das Unwort, das eigentlich im Raum steht, sogar mehrfach vorgeschlagen. 58 Einsendungen gab es, die das Wort vorschlugen – zum Vergleich: »biodeutsch« hatte nur zehn Einsendungen, sogar weniger als »Dubaischokolade«, die immerhin 14 Nennungen aufweist. Das genannte und von der Jury verschmähte Unwort, von dem hier die Rede ist, lautet »kriegstüchtig«. Ein Wort, das geradezu dazu ersonnen wurde, zu einem Unwort erklärt zu werden. Ja, man sieht geradezu die Schöpfer dieses Attributes vor sich, wie sie bitterlich flehen, endlich mit dem Gewinn dieses Sprachpreises honoriert zu werden. Aber die Jury hatte anderes im Sinn. Bloß! Nicht! Anecken!

Kriegstüchtig – dieses Eigenschaftswort bringt die Hölle auf Erden, den unkontrollierbaren Tod unzähliger Menschen, die nicht mehr einzudämmende und zu bändigende Zerstörung von Häusern und Straßen, die Verrohung im Umgang, die Entmenschlichung im Fortgang, kurz gesagt, den Krieg, mit der biederen Tüchtigkeit zusammen. Der Duden definiert »tüchtig« wie folgt: »seine Aufgabe mit Können und Fleiß erfüllend« und »als Leistung von guter Qualität; im Hinblick auf etwas sehr brauchbar«. »Können«! »Fleiß«! »Leistung«! »Qualität«! Das klingt alles vielversprechend und gut. Wer tüchtig ist, der leistet offenbar etwas, zeigt großen Einsatz, Beflissenheit und Strebsamkeit. Tüchtigkeit wird daher so gut wie immer positiv konnotiert. Schon Grundschullehrerinnen lobten ihre ABC-Schützen, wenn sie tüchtig im Schwungheft ihre Linienführung üben und dann gibt es für ihre Tüchtigkeit sogar noch Sternchen und Sammelpunkte und manchmal Hausaufgabenerlass.

Kriegstüchtig sein zu wollen, schweißt also zwei sehr gegensätzliche Worte zusammen. Eines, das man nie und nimmer positiv aufladen kann, weil die menschliche Gattung und damit Historie zu viel Erfahrung mit ihm hatte: Krieg war noch immer eine Tragödie – und je länger er ging, desto katastrophaler wurden die Dynamiken, die schier nicht mehr aufzuhalten waren. Das zweite Wort ist fast ausnahmslos mit etwas Gutem verbunden – es sei denn, man sieht Fleiß als etwas an, was man ächten wollte. Die wenigsten tun das aber, außer vielleicht einige Punks in der Innenstadt. Wenn jemand einem Henker Tüchtigkeit unterstellt, will er damit den Fleiß des Unverantwortlichen betonen: Das Handwerk des Tötens als etwas zu umschreiben, wobei man tüchtig sein kann, bezieht seine bildliche Kraft aus dem grundsätzlichen Gegensatz der Begriffe. Selbst da schwingt also bei der Tüchtigkeit noch die positive Grundierung mit, die dem moralisch Verwerflichen spiegelbildlich gegenübergestellt wird.

Das schlimmste Unwort aller Zeiten, das kein Unwort werden durfte

Dieses prädestinierte Wort für einen Unpreis wie dem Unwort des Jahres, hat die Jury aber verschmäht. Sie hat diesen geradezu für sie und ihren Sendungsauftrag gemachten Begriff einfach ignoriert und sich für einen Nischenbegriff entschieden, der freilich gut in den Soundtrack von Ampeldeutschland passt – aber mit der Lebensrealität der meisten Menschen im Lande nun wirklich so gut wie gar nichts gemein hat. Ja, den etliche wohl nicht mal kennen.

Die Jury des Unwortes des Jahres möchte Sprachbewusstsein und Sprachsensibilität fördern und sucht sich Worte aus, die – so die Selbsterklärung –, »gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen«, »gegen Prinzipien der Demokratie verstoßen«, die »einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren, stigmatisieren und diffamieren« und die »euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind«. All diese vier Punkte würden von »kriegstüchtig« bedient werden, so man es sich ausgesucht hätte – und dies auf eine Weise, wie kaum ein anderer Begriff. Denn eine kriegstüchtige Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die – wie Marcus Klöckner in seinem aktuellen Buch beschreibt – sich darauf vorbereitet, im Krieg zu sein. Kriegstüchtigkeit ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Man rüstet nämlich nicht sachlich und nüchtern zum Krieg, sondern hat das Feindbild bereits im Kopf. Letzteres ist die Grundlage der Aufrüstung und Militarisierung. »Kriegstüchtig« ist insofern das Wort, das wie kein anderes geeignet ist, Demokratie und Menschenwürde aufzulösen – und dies euphemistisch wie kaum ein anderer Begriff, der der Jury jemals vorlag.

Sich nicht für »kriegstüchtig« zu entscheiden, mag freilich auch ein Akt der Kriegstüchtigkeit der Jury gewesen sein. Denn in einer kriegsertüchtigten Gesellschaft muss alles, wirklich alles, was dazu geeignet ist, den eingeschlagenen Kurs zu gefährden, abgeschmettert werden. Im Kriege darf es keine Zweifel geben. Defätismus kann man sich da einfach nicht mehr leisten. Die Jury des Unwort des Jahres: Sie ist ganz offensichtlich kriegstüchtig geworden.

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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