Russland im Verteidigungsmodus

Nicht nur, dass die westliche Ukraine-Erzählung mit dem Amtsantritt Donald Trumps in die Brüche gegangen ist. Sie war ohnehin widersprüchlich und voller logischer Fehler. Putin könnte die NATO oder NATO-Länder gar nicht angreifen, selbst, wenn er es wollte. 

Ein Beitrag von Tom J. Wellbrock

shutterstock/fortton

Russland ist schwach. Wir lesen seit drei Jahren, dass die Ukraine militärisch zu stark ist, um besiegt zu werden, dass die Kriegswirtschaft Russland jeden Tag mehr in ökonomische Schieflage bringt und die russische Bevölkerung eigentlich kurz davorsteht, vor lauter Unzufriedenheit ihren Präsidenten zu stürzen. Auf der anderen Seite sei Russland eine Gefahr für „unsere Demokratie“, Putin plane bereits, erste Länder des Westens zu überfallen, um sich in seinem imperialistischen Herrschaftsfieber immer weiter auszubreiten. 

Was stimmt denn nun? Der Widerspruch ist schließlich offenkundig. Und doch lässt er sich relativ leicht auflösen, wenn man sich der Sache ein wenig nähert.

Zu schwach für einen Krieg? 

Fakt ist: Russland konnte die (gesamte) Ukraine seit dem 24. Februar 2022 militärisch nicht besiegen. Das scheint auf den ersten Blick tatsächlich ein Zeichen von Schwäche zu sein. Allerdings muss man sich anschauen, wo die Gründe für diese Schwäche liegen. Geht man ihnen nach, stößt man auf interessante Aspekte, die die westliche Erzählung einmal mehr als Dampfplauderei entlarven. 

Zum einen wird bewusst und gezielt verschwiegen, dass es sich bei der Bevölkerung in der Ost-Ukraine überwiegend um russischsprachige Menschen handelt. Es war von Anfang an also nicht Putins Ziel – und es ist schon fast grotesk, überhaupt darauf hinweisen zu müssen -, großflächig den Osten der Ukraine zu bombardieren. Im Westen hat sich zwar die Behauptung durchgesetzt, Russland habe die Ost-Ukraine angegriffen (gern auch schon 2014, was endgültig ins Absurde abgedriftet), doch dem ist nun einmal faktisch nicht so. Es war Kiew, das nach dem durch die USA finanzierten Putsch seit 2014 den Osten des Landes angegriffen und stetig bombardiert hat. 

Zum anderen wurde die Ukraine vom Westen von 2014 an massiv aufgerüstet. Es ist längst allgemein bekannt, dass die Zeit bis 2022 genutzt wurde, um die Ukraine so auszurüsten, dass sie militärisch Russland die Stirn bieten kann. 

Und: Als Putin am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschieren ließ, setzte er dafür gerade einmal 150.000 bis 190.000 (je nach Quelle) Soldaten ein. Das reicht nie und nimmer, um ein Land der Größe der Ukraine einzunehmen. Rätselhaft bleibt in diesem Zusammenhang der Versuch von damals, nach Kiew vorzudringen. Das Vorhaben wurde dann ja auch recht schnell aufgegeben, und man fragt sich, welcher Strategie Putin damals gefolgt sein mag. Entweder wurde er schlecht beraten oder sein Kriegsziel war noch nicht bis ins Detail ausbuchstabiert.

Schwacher Putin, starker Putin 

Selbst Talkshow-Plauderer Markus Lanz hat mittlerweile begriffen, dass es in der westlichen Erzählung einen gravierenden Widerspruch gibt. Einerseits wird über Russland hergezogen, weil es bisher nicht in der Lage war (nicht willens trifft es wohl besser), die Ukraine militärisch zu besiegen. Andererseits wolle Putin sein „Russisches Reich“ in Richtung Westen ausdehnen. Ein Land, das also die Ukraine nicht besiegen kann, soll es mit Polen, Finnland, Frankreich oder Deutschland können? 

Selbst, wenn man die oben genannten Faktoren die Ukraine betreffend nicht berücksichtigt, hat die Erzählung ein weiteres Loch, das sich nicht wegdiskutieren lässt. Denn die übersichtliche Anzahl an Soldaten, die Putin 2022 für den Einmarsch in die Ukraine eingesetzt hat, liegt, wie beschrieben, unter anderem in der Tatsache begründet, dass speziell die Bewohner der Ost-Ukraine in der Summe mehrfach russisch oder zumindest russischsprachig sind. Es wäre also schizophren, in der Ost-Ukraine das Maximum an russischen Soldaten einzusetzen, denn dadurch stiege die Gefahr russischsprachiger Opfer des Krieges an. Dieses psychologische Problem hatten seit 2014 auch schon die ukrainischen Soldaten. Immer wieder gab es Situationen, in denen Soldaten aus der West-Ukraine nicht auf die „Brüder und Schwestern“ der Ost-Ukraine schießen wollten. Schon damals gab es nicht wenige Fälle der Weigerung des Angriffs auf die Ost-Ukraine. Es ist halt schwieriger, wenn der Gegner eigentlich als Partner oder Freund, womöglich sogar Familie wahrgenommen wird. 

Übrigens ist auch die russische Erzählung, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ werden, nur bedingt schlüssig und eher als Beruhigung fürs russische Volk zu betrachten. Zum einen reichten die von Russland in die Ukraine geschickten Soldaten, wie geschildert, nicht aus, um solch eine „Entnazifizierung“ zu realisieren. Zum anderen gibt es das Faschisten-Problem vorrangig in der West-Ukraine. Für eine erfolgreiche „Entnazifizierung“ wäre also die Präsenz im Westen des Landes unverzichtbar. Doch dort sind die Russen ja faktisch gar nicht zu finden. 

Zu wenig Soldaten für Imperialismus 

Kommen wir zum eigentlichen Punkt: der Demografie. Zwar hat sich unter Putin in Russland einiges zum Positiven verändert. War unter Jelzin etwa der Alkoholismus in Russland sehr hoch, sank er stetig, seit Putin an die Macht kam. Sinkende Werte gab und gibt es auch bei der Kindersterblichkeit, die Lebenserwartung in Russland stieg dagegen kontinuierlich an. Doch bei der Geburtenrate hapert es. 

Unter Putin wird jede Familie massiv gefördert, zum Beispiel beim Erwerb von Eigenheimen. Mit jedem Kind gibt es auch ganz direkte finanzielle Förderungen, die weit über kleine Gesten hinausgehen. Trotzdem ist die Geburtenrate in Russland nicht hoch genug, sie liegt bei deutlich unter zwei Kindern im Durchschnitt und somit nicht sehr viel höher als die in der Ukraine. Man könnte sich vortrefflich darüber streiten, ob die fehlende Lust am Kinderkriegen das Ergebnis der westlichen Prägung ist. Immerhin hat sich Russland nach 1989/90 in vielerlei Hinsicht dem Westen zugewandt, was sich auch auf das traditionelle Familienbild ausgewirkt hat. Mögliche andere Gründe sind wirtschaftliche Ängste oder allgemeine Zukunftssorgen. 

Doch wie man es dreht und wendet, damit Russland auch in Zukunft noch genügend Menschen hat, müssen mehr Kinder her. Da die Gebärfreudigkeit sich aber in Grenzen hält, wird auch in Russland eine Diskussion über die Notwendigkeit der Zuwanderung geführt. Das passiert durchaus kontrovers, denn allein bei der illegalen Arbeitsmigration hat die russische Regierung alle Hände voll zu tun. Wer einmal mit dem Auto durch Moskau fährt, erlebt alle paar Kilometer Fahrzeugkontrollen, die nicht nur auf Waffenhandel oder sonstige kriminelle Aktivitäten zurückzuführen, sondern auch mit der ständigen Suche nach illegalen Arbeitsmigranten zu begründen sind. Das Zuwanderungsthema wird also in Russland aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, was die Sache nicht vereinfacht. 

Losgelöst von diesen inneren Debatten um die Migration steht das Verhältnis der Größe des Landes und der Bevölkerungszahl in krassem Widerspruch. Die Bevölkerungsdichte reicht schon nicht aus, um die vielen noch unerschlossenen Gebiete Russlands zu erschließen und entsprechend zu besiedeln. An irgendwelche im Westen herbeifantasierte Einmarschfantasien ist dabei schon gar nicht zu denken. Der eher sparsame Einsatz von Soldaten im Ukraine-Krieg hängt mit dem demografischen Problem durchaus zusammen, denn je mehr Verluste die Russen hinnehmen müssen, desto schwieriger wird die demografische Lage im Land. Russland braucht also nicht nur möglichst viele Soldaten zur Landesverteidigung, die nicht in der Ukraine oder sonst wo im Kampf fallen, sondern darüber hinaus gebärfreudige Familien, die die Matratzen quietschen lassen.

Im Angesicht dieser demografischen Fakten sind die Erzählungen aus dem Westen, dass Russland Überfälle auf alle möglichen Länder plane, geradezu grotesk. 

Vermutete Dankbarkeit gegenüber Trump 

Wie gesagt: Der Ukraine-Konflikt war und ist nicht im Sinne Russlands, daran ändert das ganze Gerede des NATO-Westens überhaupt nichts. Die Tatsache, dass Donald Trump nun offenbar den Ukraine-Krieg beenden will, ist eine gute Nachricht, auch und gerade für die Russen, denn der Konflikt bindet Kräfte und führt zu schmerzhaften Verlusten. Insofern dürfte die russische Führung Trump durchaus dankbar für die Optionen sein, die sich nun bieten. 

Trotzdem ist es zu früh, um in Jubelgesänge auszubrechen. Denn Trump tut alles, was er macht, für sich und seine Interessen. Es bleibt also abzuwarten, ob sich der Konflikt auf eine Art lösen lässt, die im Sinne aller Beteiligten ist (wobei die EU zu diesen Beteiligten nicht gehört, sie befindet sich in einer eigenen Blase, deren Zerplatzen sie womöglich in ihre Bestandteile auflöst). 

Es ist nicht auszuschließen, dass die USA unter der neuen Führung ein gewisses Verständnis dafür entwickeln, dass es sinnvoll und besser ist, ein Teil der neuen Weltordnung zu werden, die von Russland, China und den BRICS-Staaten angeführt wird. Das wäre sozusagen der Trumpsche „Deal-Ansatz“, der dem Prinzip gegenseitiger Profite folgt, die besser sind als kriegerische Auseinandersetzungen mit Ländern, die längst zu den geopolitischen Global-Playern gehören. 

Andererseits führt Trump schon jetzt die ersten drastischen Handelskriege, sichtbar an seiner aggressiven Zollpolitik. Um wirklich zu verstehen, was Trump und seine Leute vorhaben, muss man die Lage noch eine Weile beobachten. Zudem klar sein muss, dass Trump auch nur Teil eines mächtigen US-amerikanischen Systems ist, in dem der Präsident nur übersichtlichen Einfluss hat.

Es kann also in die eine oder andere Richtung gehen, doch feststeht: Wenn der Ukraine-Konflikt mithilfe der USA unter Donald Trump beendet werden kann, wären das für Russland und seine demografische Situation gute Nachrichten. Um nach Brüssel, Berlin oder Paris einzumarschieren, würde es aber nicht reichen. Das spielt allerdings ohnehin keine Rolle, denn derartige Pläne gab es ja nur in den rauchenden Coltköpfen westlicher Kriegstreiber. 

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Oskar Lafontaine, Max Otte, Andrej Hunko, Patrick Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«. Gründungsmitglied und Mitherausgeber der neulandrebellen.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen. 

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