Kind, sei so gut, verlass Deutschland baldmöglichst!

Deutschland arbeitet wie ein Uhrwerk auf die Kriegsbereitschaft hin und nimmt mehr und mehr die jungen Leute ins Visier. Die folgenden Zeilen sind persönlicher Natur – und treffen doch alle Eltern.

Ein Meinungsbeitrag von Roberto J. De Lapuente

shutterstock/Torsten Pursche

Kommenden Samstag sehen wir uns, mein Kind. Aber da ich weiß, dass du zuweilen hier liest, lass dir schon vorher gesagt sein: Es könnte ein anstrengendes Zusammenfinden werden. Denn ich will dir was ans Herz legen. Und zwar etwas, was mir das Herz bricht: Kind, sei so gut, verlasse dieses Land. Lieber früher als später. Nimm deine Liebste an die Hand und such das Weite. Versteh mich nicht falsch, ich fordere dich aus Liebe auf.

Krieg ist heute Frieden – und die Grünen werben für einen Freiheitsdienst für alle Menschen bis zum 65. Lebensjahr, der aber gar nicht frei, sondern als Zwang angelegt sein soll. Vor einigen Jahren hieß es passenderweise, dass Abstand Nähe sei und Gesicht zeigen Maske tragen. In diesen verdrehten Zeiten ist es dann auch keine Rabenvaterschaft, wenn man sein Kind nicht an sich drückt, sondern es fortschickt. Oder sich zumindest anschickt, ihm das Fortgehen einzureden.

Verteidigungsfähig? Kriegstüchtig? Kriegsbereit!

Klar, ich erinnere mich, dass ich das schon mal mit dir besprochen habe. Zögerlich damals – es gab ja irgendwie doch noch Hoffnungsfunken. Das Land lag am Boden, die Lebenshaltungskosten wuchsen einem über den Kopf, die Infrastruktur darbte – dazu die miserable Stimmung überall. Warum nicht als junger Mensch den Sprung ins Ausland wagen? Früher sprach für Deutschland nicht unbedingt die Lebensqualität, sondern der Umstand, dass das Land funktionierte: Das war der Trost der Vernunft, in einem Land wie diesem zu leben. Das kann man heute auch nicht mehr als Argument anführen. Kaum kommt man hier nach einem Auslandsbesuch wieder an, merkt man das sofort an der Dysfunktionalität der Strukturen. Wer am Weltflughafen Frankfurt am Main landet, seinen Koffer die defekte Rolltreppe runter wuchtet und dann eine halbe Stunde auf einen Zug in die Stadt warten muss, weiß wovon ich spreche.

Nun aber ist die Situation weitaus gravierender als es defekte Rolltreppen und Züge, die sehr verspätet, schlecht getaktet oder gar nicht kommen, je sein könnten. Das Land befindet sich in einer regelrechten Hasskampagne. Und die richtet sich gegen Russland, das angeblich demnächst vor den Toren Berlins stehen soll. Nichts deutet darauf hin, amerikanische Geheimdienste haben es schon vor einiger Zeit ausgeschlossen und das Ungleichgewicht der jeweiligen Armeen, spricht eine klare Sprache: Russland wäre suizidal veranlagt, wenn es das täte, was westliche und damit deutsche Politiker nun »prophezeien«. Denn die Schlagkraft der konventionellen Truppen der Westeuropäer dürfte – ohne die USA – viermal so hoch sein wie die Russlands.

Erst wollte man kriegstüchtig werden, aber darüber ist man auch schon hinaus – schon dieses Wort kriegstüchtig ging an dem vorbei, was Deutschlands Militär nach Vorgabe des Grundgesetzes leisten können sollte. Dort liest man, dass die Bundeswehr verteidigungsfähig sein muss. Aber nicht kriegstüchtig. Diese Kriegstüchtigkeit ging schon deutlich über den eigentlichen Verfassungsauftrag hinaus. Mittlerweile ist diese Formulierung aber auch verschwunden. Heute spricht man ungeniert von der Kriegsbereitschaft. Hierzu steckt man Milliardensummen in die Rüstung – Gelder, die mit großer Sicherheit aus den Sozialbudgets gezogen und damit in die Kriegsindustrie umgeleitet werden sollen.

Seine Kinder zu beerdigen ist widernatürlich

Und die Wehrpflicht wird besprochen – und das in einem Klima, in dem man deutlich macht, dass der große Krieg kommen wird. Der Historiker Sönke Neitzel – du kennst ihn vermutlich nicht; ihr jungen Leute solltet ihn allerdings kennen und ihn euch merken! – sprach im Fernsehen vom letzten Friedenssommer. Journalisten stellen in ihren Artikeln provokante Fragen, ob wir denn bereit dazu seien, unsere Kinder für das Land kämpfen zu lassen. Darunter sind sicher auch welche, die selbst Kinder haben – die Kinderlosen tun sich da vielleicht leichter? Man spürt, wohin das alles zielt. Ihr Jungen müsst es richten. Und es ist komisch, während man euch jungen Leuten immer wieder eure Opferrolle vor Augen führte, als es ums Klima ging – ob zurecht oder nicht, halte ich hier offen –, kommt keiner aus dieser Riege auf die Idee, dass es die Jugend ist, die man zu opfern bereit ist.

Ich will dich nicht opfern, mein Kind. Dich nicht – und auch die Kinder anderer Leute nicht. Und schon gar nicht ohne Not. Denn natürlich ließe sich die Situation mit Russland bereinigen – Die EU muss es bloß wollen und die russische Misere endlich verstehen. Ich will jetzt nicht die ganze Vorgeschichte zum Ukrainekrieg nochmal durchkauen. Dass es eine gibt, wie es immer und überall Vorgeschichten gibt, gab und geben wird, versteht sich hoffentlich von selbst. Die Weigerung, diese anzuerkennen, hat Westeuropa in eine regelrechte Hysterie steigern lassen – mit einiger Berechtigung könnte man auch sagen, es ist eine in großen Stücken deutsche Hysterie, die sich der Kontinent adaptiert hat. Dich für den Wahn einer sattgefressenen Elite zu opfern: Kind, das ertrage ich nicht! Ich habe dich – phasenweise alleinerziehend – nicht großgezogen, damit du für Belange blutest, die dich gar nichts angehen. Ich habe ein Kind erzogen, kein Kanonenfutter – ein menschliches Wesen, keine militärische Verfügungsmasse.

Wie Reinhard Mey würde ich ja rufen: Meine Kind gebe ich nicht. Aber du bist volljährig, ich kann das nicht entscheiden – ich kann dich nur auffordern, dich wachrütteln, dir die Flucht empfehlen. Hart genug, ich würde dich lieber wegsperren vor diesem Wahnsinn. Doch du bist jetzt Anfang Zwanzig, im besten Alter um zu leben – und in diesen Zeiten wohl leider auch: Um zu sterben! Eltern sollten niemals ihre Kinder begraben müssen. Das ist widernatürlich. Vielleicht übertreibe ich ja, kann sein. Aber wenn es nötig ist, um dir die Augen zu öffnen, dann sei es so. Ich möchte nicht am Grab meines Kindes stehen müssen. Tu mir das nicht an – ihr jungen Leute da draußen, ihr solltet so viel Respekt vor euren Eltern haben, ihnen das nicht antun zu wollen. Wählt mit den Füßen, haut ab, solange es noch geht – lasst die Alten, die für euch nicht aufstehen, doch alleine in dieser gottverdammten Wertegemeinschaft, die keinen Pfifferling mehr wert ist. Geht, haut ab, denn die Verrückten mit dem Speichel vor dem Mund, werden nicht einfach innehalten und umdenken. Die sind im Blutrausch. Und es ist nicht nur das Blut des vermeintlichen Feindes, das sie saufen wollen – es ist auch das Blut »ihrer eigenen« jungen Leute, das sie dem Irrsinn der Schlachtfelder kredenzen möchten.

Wo sind die wütenden Eltern?

Wir – deine Mutter und ich – haben dir das Gehen beigebracht, dich geführt, bis du endlich auf eigenen Beinen stehen konntest. Leichter wurde es für uns nicht, denn jetzt erkundetest du die ganze Wohnung, ohne Rücksicht auf Verluste. Du zwicktest dir Finger ein, weintest: Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass wir dich in eine Welt geboren haben, in der du den Wahn unserer Großväter zum Opfer fallen könntest. Auf deinen eigenen Beinen stehst du noch heute. Leicht hattest du es sicher nicht – Scheidungskind, wie so viele. Ob sich ein Vater dafür entschuldigen muss, bezweifle ich. Beziehungen sind schwierig, heute weißt du das natürlich. Das lernt man schnell, wenn man erwachsen wird. Dennoch stehst du heute gut da, machtest deinen Weg. Selbstständig und selbstbewusst. Wenn ich mir auch nur vorstelle, dass du diese Beine, auf denen du stehst, in einem Kriegsszenario verlieren könntest, überkommen mich Gefühle gegenüber den Verantwortlichen für diesen Irrsinn, die ich hier nicht schreiben kann, ohne mich strafbar zu machen. Wer mein Kind gefährdet, ich will so offen sein: den hasse ich.

Wo sind denn die besorgten Eltern, die man am Rande von Klimaprotesten sah? Dort gaben und geben sie sich noch immer extrem stolz auf ihren Nachwuchs und sorgen sich mit den Kindern um das, was kommen mag, um die Zukunft der Sprösslinge. Und nun? Wenn diese Leute wollen, dass ihre Kinder weiterhin auf eigenen Beinen stehen können, sollte doch jetzt der Aufschrei erfolgen! Und was heißt da Aufschrei? Das ist viel zu wenig, viel zu brav und bieder! Wenn jemand danach trachtet, das eigene Fleisch und Blut auf die Schlachtbank zu führen, dann droht nicht etwa Krieg: Dann ist das schon eine Kriegserklärung! Werden diese besorgten Eltern, die jetzt tunlichst schweigen, denn später mal bereuen? Wenn es zu spät ist, wenn sie widernatürlich beerdigen müssen? Oder geben sie sich stolz, weil ihr Nachwuchs den Heldentod starb? Mein Kind, du weißt das hoffentlich: Du musst kein Held sein, sei ruhig Feigling genug, um kein Schlachtfeld betreten zu wollen – don’t be a hero, don’t be a fool with your life. Nur Narren malen sich Heldisches in der Hölle aus. Und zu einem Narren habe ich dich nun wirklich nicht erzogen.

Fahren die schweigsamen Eltern dann ihren Nachwuchs hernach im Rollstuhl zur Klimademo? Du findest das jetzt zynisch von mir? Entschuldige mal, ich will Tatsachen ansprechen. Das Land wird danach nicht mehr derselbe Ort sein – ist es doch jetzt schon nicht mehr. Viele junge Menschen werden gezeichnet sein für ihr ganzes Leben. Körperlich entstellt. Seelisch ruiniert. Sie werden noch im Krieg stecken, wenn der längst vorbei ist – in schlaflosen Nächten und an ruhelosen Tagen. Mein Zynismus hat also Hand und Fuß – die Jugend nach dem Krieg nicht mehr unbedingt. Zynisch ist der Krieg, sind jene, die ihn wollen. Aber doch nicht Väter, die ihre Kinder nicht zu hilflosen Menschenbündeln zusammenschießen lassen wollen! Und ich bin es auch nicht, der dir Angst macht – das liest man ja häufig, dass diejenigen, die nicht mitziehen mit dem Wahnsinn, den Menschen nur Angst machen wollten.

Das vergebe ich euch nie!

Schon irre, dass das jemand glaubt. Denn Angst sollte man vor denen haben, die nun den Krieg in der Ukraine weiterführen, ja ihn zu einem großen Krieg auswachsen lassen möchten. Die geben den Planspielen europäischer Geostrategen den legitimierenden Anstrich, wenn sie in Artikeln oder Talkshows so tun, als sei das alles ein Akt grandioser Vernunft. Dabei klingen sie wie Leute, die keinen Schimmer davon haben, was das eigentlich alles bedeutet, was sie zu dem Thema abzulassen haben. Sie simulieren ein Kriegsszenario, das an sich nicht so schlimm wäre – sie glauben offenbar, der Krieg finde statt wie eine gut geplante Party. Sie folgen ja auch den Planspielen menschenverachtender Feldherren. Dabei ist dieses Wort Planspiele schon infam, denn nach Plan geht im Krieg wenig bis nichts. Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan. Geh’n tun sie beide nicht.

Dieser Satz stammt von Brecht. Aus der Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens. Jeder von uns kennt das doch – du mittlerweile auch: Da malt man sich aus, wie man es angehen will und dann … ja, dann kommt es doch ganz anders. Man muss umdenken, neue Strategien entwickeln, flexibel sein. Wem sage ich das? Jeder Mensch kennt das. Wie kann man also glauben, dass sich ausgerechnet der Krieg, dieser Koloss aus unkontrollierbaren Dynamiken, der das Überleben und das Vernichten gleichermaßen im Sinn hat, sich in eine vorgegebene Struktur bannen lassen könnte? Diese Vorstellung ist völlig absonderlich. Denn beide Seiten sind pausenlos damit beschäftigt, der Gegenseite größtmögliche Schäden zuzufügen – die Befürworter der Kriegsbereitschaft, die wir nun erleiden müssen, treten auf wie Offiziere im 17. Jahrhundert, als noch Gentlemen die Truppen wohlgeordnet ins Gemetzel führten. Gentlemen, die freilich fein raus waren und die ihren Nachwuchs aus dem Kriegsdienst herauskaufen konnten.

Sei bitte nicht so naiv zu glauben, dass diese Demokratie, wie sie sich nennt, wenigstens in dieser Frage Gleichheit herstellt. Das wird sie nicht. Vergiss es! Die Eliten werden ihre Kinder nicht schicken. Leute wie ich sollen es tun; sie sollen das Beste, was sie haben, an gottverlassene Orte zum Sterben schicken. Ich weigere mich – und alles was ich tun kann, ist dir nahezulegen, dich auch zu verweigern, dir raten, dieses Land im Stich zu lassen. Nichts ist es wert, dafür sterben zu müssen. Ich weiß nun natürlich nicht, was ich dir ganz konkret empfehlen soll, wohin du gehen sollst. Tatsache ist: Du musst raus hier. Aber wohin gehen? Und wie starten Leute wie wir, Leute, die kein Vermögen vererbt bekamen, die bloß mit dem Plastiklöffel im Mund geboren wurden, in ein neues Leben fern der ursprünglichen Heimat? Mein Gott ist das schwierig! Denen, die mich als Vater in so eine Situation bringen, vergebe ich das nie. Das verspreche ich! Darauf schwöre ich jeden Eid!

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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