Annalena heißt jetzt Jette

Die Grünen haben ein riesiges Glück namens Jette Nietzard. Denn durch diese junge Frau haben sie jetzt jemanden, den sie den parteilichen Niedergang, den andere zu verantworten haben, in die Schuhe schieben können.

Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente

Annalena Baerbock, 2021
Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-WestfalenCC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Göre! So riefen sie ihr in den Netzwerken wieder hinterher. So weit man dort eben rufen kann. Und was heißt wieder? Die letzte, die man so titulierte, sitzt ja nicht mehr im Bundestag. Emilia Fester – Shootingstar des 20. Bundestages – war für viele im Lande schon mal so eine Göre. Nun hat es eine andere Grüne erwischt, deren Jugendvorsitzende nämlich: Frau Jette Nietzard, 26 Jahre alt, aus Leverkusen stammend. Nachdem sie ein Bild von sich postete, auf dem sie ein Basecap mit dem Schriftzug »eat the rich« und ein Sweatshirt mit dem Schriftzug »A.C.A.B.« (Anm.: »All Cops are Bastards«) trug und kokett fragte, was denn wohl Julia Klöckner nun schlimmer finde, erntete sie die Wut vieler bei X und Konsorten.

Aber nicht nur die, die die Grünen eh nicht mögen, teilten gegen Nietzard aus. Auch in der eigenen Partei rauchte es. Parteivorsitzender Felix Banaszak gab sein Befremden zur Kenntnis. Ebenso Cem Özdemir. Winfried Kretschmann forderte sie gar zum Parteiaustritt auf. Bei Reichinneks Partei sei die junge Frau besser aufgehoben, glaubt er – der alte Stratege will die Linke offenbar von Innen heraus schwächen; wobei die Linken-Wähler Gören ja mögen, wie man annehmen muss. Hintergrund dieser Gegenwehr ist die Furcht der Grünen vor einem Umfragetief – man traut Nietzards offenbar Aktion zu, dass sie der Partei schadet. In der FAZ liest man gar, dass den Grünen der Totalschaden drohe. Ehrlich jetzt?

Die grüne Delegitimierung eines Staates, der sie gut ernährt

Natürlich ist Nietzards Aktion geschmacklos gewesen – für jemanden, der ein politisches Amt hat, war sie sogar im groben Maße dumm und verächtlich. Neu ist das aber nicht im grünen Milieu. Die junge Frau fällt schon seit einiger Zeit durch recht unqualifizierte Beiträge auf. So postete sie zu Silvester 2024 auf X: »Männer die ihre Hand beim Böllern verlieren, können zumindest keine Frauen mehr schlagen.« Und die Affäre um Stefan Gelbhaar beglückte sie, indem sie sich letztlich für eine Beweislastumkehr aussprach, weil die Grünen eine feministische Partei seien und per se immer Frauen glauben sollten. Jette Nietzard geht es bei ihren Debattenbeiträgen immer um Gerechtigkeit – um Selbstgerechtigkeit, genauer gesagt.

Aber so zu tun, als würde sie jetzt die Grünen voll an die Wand fahren, ist wirklich und tatsächlich vermessen. Man könnte den Eindruck erlangen, dass man hier jemanden sucht, den man das Ende der fetten Jahre ihrer Partei in die Schuhe schieben kann. Nietzard ist in Form und Ton jedoch letztlich nur Fleisch vom Fleische einer Partei, die schon längst jeden Stil und jede Contenance hinter sich gelassen hat – und die A.C.A.B. vielleicht nicht auf ihrem Shirt stehen hat, aber recht häufig eine solche Verachtung gegenüber arbeitenden Menschen – eben auch Polizisten, aber nicht nur! – an den Tag legt.

Wenn man es genau nimmt, könnte man die grundlegende Beleidigung und Ehrverletzung von Menschen, die als Polizisten Dienst an dieser Gesellschaft tun, auch als eine Form der Delegitimierung dieses Staates betrachten. Denn wer die Menschen, die Staatsdienst machen, derart ehrverletzt, kann mit diesem Staat ja nur auf Kriegsfuß stehen. Es wäre das Mindeste, dass der Verfassungsschutz diese Frau beobachtet – und mit ihr auch gleich ihre Partei, die diese Form der Delegitimierung gar nicht mal so selten an den Tag legt. Ziemliches Glück für Robert Habeck war vielleicht, dass sein Zitat mit der Vaterlandsliebe, die er persönlich zum Kotzen findet, noch vor der Einführung dieses neuen Straftatbestandes, in einem seiner Bücher zu lesen war. Denn alleine das könnte, denkt man das zu Ende, als Haltung gegen den Staat begriffen werden – und das ist mehr Delegitimierendes als die vielen von der Exekutive und später von der Judikative geahndeten Haltungen, die sich nur gegen Politiker richteten und genau als diese Form der Delegitimierung legitimiert wurde.

Nietzard ist eine stinknormale Grüne

Die gesamte Politik der Grünen in der letzten Legislatur war gegen die eigene Bevölkerung ausgerichtet. Die Außenministerin – die kürzlich erst von jener Reichinnek als »unfassbar intelligente Frau« bezeichnet wurde, die jetzt als neuer Stern deutscher Politikaster gefeiert ist – erklärte vor internationalem Publikum, dass sie ihre Wählerschaft nicht wirklich kümmere. Nach der Sprengung von Nord Stream haben die Grünen umgehend erklärt, dass das Projekt eh ein Fehler gewesen sei. Wer diese wichtige nationale Infrastruktur zerstört hat, hat die Grünen – fairerweise sei gesagt: auch die Protagonisten anderer Parteien – nicht für eine Sekunde gejuckt. Was ist das eigentlich, wenn vom Souverän gewählte Vertreter die Versorgungslage dieses Souveräns ignorieren und dessen Forderungen gar lächerlich machen? Steht so jemand nicht gegen die Gesellschaft und Öffentlichkeit und delegitimiert damit den Staat, der diese Leute viel zu gut versorgt?

Nietzard mag mit ihrem Basecap und dem Sweatshirt wirklich danebengegriffen haben – aber kann man nicht eine Spur runterfahren? Die Frau ist nur das unvermeidliche Produkt einer Partei, die schon seit Dekaden jeden Sinn für Realismus, Anstand und Benehmen verloren und all das durch postmaterialistische Wohlstandsverwahrlosung ersetzt hat. Was ist denn mit der aktiven Politik ihrer Partei, die jeden arbeitenden Bürger ohrfeigte und ihm einen Arschtritt verpasst hat, die die Kader verantworteten, die jetzt den Grünen den Rücken kehrten? Haben steigende Energiepreise und die ganz wesentlichen Folgen dieser Verteuerung nicht gezeigt, wie diese Partei tickt und zu welcher Verachtung sie fähig ist? Da muss Jette aber lange daran stricken, um dieses Maß an Gleichgültigkeit und Dünkel an den Tag zu legen.

Es ist wirklich erstaunlich, wie die Grünen und ihre Kampagneros von der Presse jetzt voller Sorge zu sein scheinen, weil die Junggrüne sich benimmt, wie sich diese Grünen halt mal benehmen: Unflätig, ungehobelt, ahnungslos und laut dabei. Und immer auch mit einer ordentlichen Prise »asozial«, wenn man mal wieder jene wie Unrat behandelt, die ihren Dienst an der Öffentlichkeit tun – und die, wie im Fall der von Jette Nietzard beleidigten Polizisten, sich für eben jene Dame in den Weg stellen, wenn mal wieder erboste Bürger ihr zu nahekommen wollen. Sich von Bastarden verteidigen lassen zu müssen: Es ist schon ein hartes Schicksal, das mancher widerfährt. Angenehm ist Jette sicher nicht – aber sie wird auch nicht für den Niedergang der Grünen verantwortlich sein, wie man jetzt liest. Dafür gibt es andere Verantwortliche – ehemalige Minister, die vorgelebt haben, dass asoziale Arroganz gegen die, die sie wählen sollen, ein regelrechter Lifestyle ist. Jette hat sich das wirklich gut abgeguckt.

Roberto De Lapuente

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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