Das Interview mit dem ukrainischen Flüchtling Eugen Yachmenzeff zeitigte einige Reaktionen. Viele deuten darauf hin, dass in Deutschland das absolut Böse salonfähig gemacht wurde.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Wir trafen uns vor einigen Wochen in Berlin. Eugen Yachmenzeff erzählte mir, dass er nun einen Job habe. Nichts von Bedeutung, aber er könne etwas verdienen und Leute kennenlernen. Außerdem übe er sich in der deutschen Sprache. Yachmenzeff wirkte bescheiden, er sprach ruhig und ausgeglichen. Man spürte, dass es eine Kraft gibt, die ihm Stärke verleiht. Im Interview erfuhr ich dann, dass es sein Glaube an Gott ist, der ihn so geordnet auftreten lässt. Denn der habe ihn in schweren Stunden in seiner Heimat Odessa stets Zuversicht geschenkt.
Natürlich hatte er auch eine eigene Meinung zum Ukrainekrieg: Das Geld des Westens lasse den Krieg nicht enden, sagte er, während die Kamera auf ihn gerichtet war. Seine Worte blieben ausgewählt, er beleidigte niemanden, wahrte die Contenance. Viele Kommentatoren bei YouTube hätten sich eine Scheibe abschneiden können.
Kommentare des Bösen
Nun ist es wohlfeil, über die Niedertracht des Kommentariats zu berichten. Jeder von uns kennt ehrabschneidende, verletzende Kommentare. Der Mainstream nennt dies Hasskriminalität – ich nicht. Hass ist kein Verbrechen, es ist eine menschliche Regung. Für mich ist das, was mancher Eugen Yachmenzeff wünschte und nachsagte, nicht die billige menschliche Regung verirrter Individuen, es ist das Böse, das man diesen Leuten in ihre schwarze Seele mittels Propaganda hineinimpfte.
Das, was sie dem aus der Ukraine geflüchteten Mann mitteilten, würde vom Mainstream dementsprechend noch nicht mal als Hassrede oder Hasskriminalität eingestuft werden. Denn es passt in dessen kriegsertüchtigendes Konzept. Gleich einige unselige Beispiele (mit Rechtschreibfehlern wie im Original), auch wenn man noch festhalten muss, dass es viele wohlwollende und freundliche Reaktionen auf das Gespräch gab. Ein gewisser @Marcel-ei2dl schrieb: »So ein Blödsinn was der erzählt, so soll einfach Stimmung gemacht…! Der Stichpunkt ist Kriegsrecht, die meisten Ukrainer wollen sich nicht von Russland unterwerfen lassen SO IST ES RICHTIG.« Oder @robertbleimuth9305: »Zuerst der Pandora Papers Hollywood wählen und jetzt feige kneifen.« Noch ein Beispiel, @frankschmidt5932: »Über 200.000 im wehrfähigen Alter liegen uns hier auf der Tasche.«
Zweifel meldet @Lukas-B-z6h an: »Eine spannende Einzel-Geschichte. Die könnte aber auch russisch bezahlt worden sein.« @Sirius-s6h gibt zum Besten: »Ich wundere mich immer wieder das die aus der Ukraine flüchten nie ukrainisch sprechen können oder nicht wollen. Natürlich würden sie nicht für die Ukraine kämpfen wenn man das ruhig in der EU das Ende des Krieges abwarten kann.« @Benni-w6u: »Russland hat schon die halbe Armee verloren. Danke an die tapferen Ukrainern.« Oder aber @SusanneBaumgardt: »frage: Suchst Du eine Ausrede dafür, daß Du es vermiede hast, Deinen Menschen in der Ukraine beizustehen? Eine sehr traurige Geschichte. Grüße an eine ukrainischen Helden.«
Opferbereitschaft fordern und selbst Chips mampfen
Zugegeben: Manches ist schlimmer als anderes, was man ihm mittels Kommentar mitteilte. Alle sind sie aber getrieben von einem ziemlichen Paradoxon. Denn die, die Herrn Yachmenzeff nun an die Front wünschen und ihn als Feigling brandmarken wollen, gehören denen an, die das Gute in der Welt darstellen wollen. Sie möchten den Krieg gegen die Russen nötigenfalls ausweiten, weil man werteorientiert und wertebasiert sei – und demgemäß die deutsche Außenpolitik gestaltet sein sollte. Sie fühlen sich als die Guten – sprechen aber synchron dazu dem Bösen das Wort.
Denn sie wünschen einen Mann, der nicht an der Front töten, der nicht sein nacktes Leben in die Waagschale werfen wollte, menschliches Versagen vor. Sie fordern von ihm Kampfgeist, Gewalt- und letztlich auch Opferbereitschaft. Sein Einsatz: Alles was er hat, alles was ihm bleibt. Anders gesagt: Er ist der Einsatz – der Atem in seiner Lunge, das Klopfen in seiner Brust: Das soll er geben. Und das wird mit einer Selbstverständlichkeit und mit einer arroganten Normalität eingefordert, während man auf dem Sofa sitzt und Chips futtert. Diese Niedertracht ist freilich – ich wiederhole mich – nicht neu. Aber es macht einen Unterschied, ob man jemanden einen Schwachkopf nennt oder an die Front und damit mit einem Bein ins Grab wünscht. Hausdurchsuchungen zeitigen jedoch die Herrschaften, die schroffe Politikerkritik üben – nicht jene, die Menschen in Scharen über die Klippe springen lassen wollen.
Es gehört schon etwas dazu, sich dankbar zu zeigen, weil junge Männer in Scharen sterben – und anderen jungen Männern, auf der anderen Seite der Front, weiter die Tollkühnheit abringen zu wollen, wie die Lemminge in eine tödliche Falle zu geraten. Was dazu gehört, um sich so zu artikulieren? Boshaftigkeit! Und der blanke Zivilisationsbruch, sich eindeutig und unwiederbringlich dem Böse zu verschreiben. Einige spotteten übrigens auch über Herrn Yachmenzeffs Glauben, über sein Vertrauen in Gott. Jeder darf es so halten, wie er mag. Aber jemanden religiöses Streben lächerlich machen, während man überhaupt keine ethischen Grundansprüche im Umgang mit Menschen an den Tag legt, ist in der Tat so lachhaft wie besorgniserregend. Dem interviewten Ukrainer, so viel ist sicher, würde das nicht passieren – sein Glauben verwehrt ihm Irrwege wie diese.
Die BRD: Eine schwarze Messe
Auch müßig, nochmal über das Böse zu sprechen – da ist man schnell im Manichäischen, bei zwei widerstreitende Entitäten, die um die Macht ringen. Licht und Dunkel, weiß und schwarz, das Gute und das Böse. Und schnell ist man drauf und dran, jemand ins Lager des Bösen zu werfen, wenn einen die Ansicht nicht gefällt. Hier liegen die Dinge aber anders, hier haben wir es nicht mit Leuten zu tun, die man als böse deklariert – nein, sie sind Einflussagenten des tatsächlich Bösen. Sie wissen es vielleicht nicht, man hat sie dazu »erzogen«, hat sie »hinmanipuliert«. Sie machen Werbung für die Hölle. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn sie wünschen Herrn Yachmenzeff, stellvertretend für alle ukrainischen Männer in Deutschland, genau dorthin: Zur Hölle mit den Ukrainern! Dort sollen sie unsere Werte im Krieg verteidigen!
Das Böse hat die deutsche Gesellschaft im Griff – gläubige Menschen könnten hier auch einwenden: Das Teuflische. Letzte Woche sah ich bei X folgende Aussage – sie ist exemplarisch für viele Statements, die jetzt »völlig normal« sind und als salonfähig gelten: »Beim Tod des Diktators Ceauşescu haben wir damals eine Flasche Champagner getrunken. Die nächste sollte eigentlich bei Putins Ableben fällig sein. Sollte es den Todesfürsten Khamenei vorher treffen, wird die nächste Flasche zur Feier dieses Ereignisses geköpft.« Dieser Satz stammt von einem gewissen Christian Eymery, Sprecher der Geschäftsführung der Deutschen Factoring Bank, die der Deutschen Leasing Gruppe untergeordnet ist. Eine Nachfrage bei der Deutschen Leasing blieb übrigens unbeantwortet. Privat in der AfD sein: Das geht in Deutschland für viele Arbeitgeber und Geschäftspartner nicht. Den Tod von Menschen zur Party machen: Das schon. Dergleichen kann man sich ja denken – aber muss man seine teuflischen Abgründe vor aller Welt ungeniert kundtun?
Deutschland steht, ich möchte dieses Bild wirklich benutzen, im Pakt mit dem Teufel. Diese Gesellschaft legt dauernd und im immer schnelleren Takt Bekenntnisse ab, die der Hölle Tür und Tor öffnen. Diese Bundesrepublik ist wie eine schwarze Messe, in der das Böse um sich greift – und das dann auch noch so tut, als sei es das Gute, dem es zu folgen gilt. Dieses Land im Herzen Europas ist die reinste Teufelsanbetung. Wenn es sich weiter auf diesem Abweg hält, wird es diese Gesellschaft nicht spalten – es wird sie zerreißen. Denn da ist kein Stück Menschlichkeit mehr, kein bisschen Humanität – man hat sie sich aberzogen, damit man als Guter erkannt wird. Alles Menschliche wird uns in dieser Gesellschaft fremd – man verlangt vom Mitmenschen schlimmste Opfer, rückt ihn näher an den Tod heran. Pfui Teufel!
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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