Ukraine – Doch nur ein ganz ordinärer Krieg?

Ging es im Ukrainekrieg am Ende gar um Rohstoffe und Märkte? Was? Nicht um Freiheit oder um Neonazis? Das ist ja … empörend? Wohl nur für Phantasten!

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Kriege sind immer ein Streben nach Rohstoffen.
Quelle: Dieses Bild wurde mittels KI entwickelt.

Puh, das ist ein Paukenschlag! Und wäre es, denn es ist so, wie es immer ist in diesem Deutschland: Keiner nimmt mehr Paukenschläge wahr. Dabei sind sie laut, dröhnend gar, hinterlassen ein lästiges Klingeln im Ohr. Gleichwohl … Dieser Tage liest man viel von der Ukraine – neu ist das freilich nicht, das tut man seit mindestens Februar 2022 in täglicher Routine. Nun aber häufen sich Berichte über Rohstoffe und Ressourcen. Diese Ukraine scheint also doch ein bisschen mehr zu bedeuten, als irgendwelche absonderliche Werte, die sie in unser aller Namen verteidigen soll.

Die Ukraine hat eine noch ganz andere Bedeutung, ja einen tieferen Sinn, wenn man das so ausdrücken darf: Es ist ein Land voller Bodenschätze. Und dass die so gut wie nie eine Rolle gespielt haben in der Betrachtung dieses Krieges, drückt alles über der Deutschen Beziehung zur Weltrealität aus. Wenn man dem Betreuungsangebot deutscher Medien eben alles glaubt, wenn man also irgendwann »weiß«, dass Strom aus der Steckdose kommt und Gelder aus politischen Töpfen nur so strömen, dann verkümmert eben auch der Sinn dafür, wie Volkswirtschaften funktionieren und wie die Weltwirtschaft ihre Finger nach Rohstoffen ausstreckt.

Der Materialismus des Krieges

Einen ehrlichen Makler gibt es freilich in diesem Land der unbegrenzten Verständnisschwierigkeiten Kurz vor Weihnachten 2023 erklärte Oberst Adé Roderich Kiesewetter im Fernsehen, dass es natürlich auch um Ressourcen ginge. Genauer sagte er: »Wenn Europa die Energiewende vollziehen will, braucht es eigene Lithium-Vorkommen. Die größten Lithium-Vorkommen in Europa liegen in Donezk-Luhansk-Gebiet. Deswegen will Russland diese auch, um uns abhängig zu machen von der Energiewende mit Blick auf Elektromotoren. Wir haben hier also auch andere Ziele im Hintergrund.«

Das war schon ein Paukenschlag – ein ungehörter, aber leider ein überhörter. Denn diese Einsichten passten nicht in die Folklore des Ukrainekrieges, die sich dieses Land hier ersonnen hat. Vom Sofa herunter Ukrainer anstacheln, zum Wehrdienst aufrufen, die Kampfeslust vorbeten: Das ist der Ukrainekrieg für Deutsche – dieser Kiesewetter störte die schöne Tradition deutscher Wehrfähigkeit im Hausschlappenmodus bloß. Lithium? Ressourcen? Was sollten denn die Bundesbürger, die von deutschen Medien in Dingen teutonischer Moralhegemonie geschult wurden, von diesen materialistischen Kriegsgründen und Kriegsmotivationen halten? Teile dieser Wahrheit verunsicherte sie doch nur unnötig. Wie kann man die Freiheit verteidigen – insbesondere die deutsche Freiheit! –, wenn man gleichzeitig auf seltene Erden und Mineralien schielt?

Danach war Stille, man vernahm nichts mehr von Ressourcen und Rohstoffen – der Ukrainekrieg war sofort wieder ein idealistischer Waffengang. Es ging gegen Despotie, für Demokratie, Bürgerrechte und Freiheit und gegen die Unterdrückung. Als die Vereinigten Staaten in Afghanistan und kurz danach im Irak einmarschierten, schimmerte es einigen noch, dass Kriege immer auch handfesten Interessen folgten – dass das mit den Frauenrechten in Afghanistan möglicherweise nicht ursächlich war, um eine gigantische Armee mitsamt Kriegsgerät zu entsenden: Irgendwie ahnten viele Menschen in Deutschland damals noch, dass das nicht ganz schlüssig sein könnte. Dieses Wissen scheint seit geraumer Zeit abhandengekommen zu sein – manche sagen auch, man habe es regelrecht aberzogen. Und einiges spricht dafür, denn der Medienbetrieb kümmerte sich bis neulich gar nicht um den »Materialismus des Krieges«.

Endlich über Ressourcen sprechen!

Dieser Tage liest man beim ZDF aber gar, dass es einen Kampf um ukrainische Rohstoffe gibt. Wenn das mal nicht die Freiheitskrieger aus den Schlappen kippen lässt? Zumal, wenn sie auch noch das RedaktionsNetzwerk Deutschland lesen. Dort erzählt man, wie das kriegsversehrte Land seine Ressourcen einsetzt, um den Wiederaufbau zu schaffen. Der Westen baut in Wirklichkeit die Ukraine wieder auf. Und er tut es für all die schönen Werte, die dort verteidigt wurden, für »Lithium, Graphit und Mangan« – er profitiert unmittelbar davon. Freiheit ist toll – aber man muss sie sich leisten können. Willkommen im entfesselten Finanzkapitalismus, liebe Ukrainer! Im freien Westen nichts Neues – Kleingedrucktes: Frei ist der, dem das Konto Freiheiten einräumt.

Immerhin berichtet RND, dass der Fortschritt der Ukraine durch das Handelsabkommen mit den USA eher nicht einzuplanen ist – was man auch so lesen könnte: Die EU wäre der bessere Handelspartner gewesen. Aber die westeuropäische Öffentlichkeit war für die Hardware möglicher Kriegsursachen gar nicht sensibilisiert. Wie hätte man im Freiheitsstaat Deutschland geguckt, wenn man plötzlich und aus dem Nichts verkündigt hätte, man beute jetzt die Ukraine aus, die uns doch so heldenhaft verteidigt habe?

Dass nun Rohstoffe in den Fokus gerückt werden, mag natürlich manchen widerlich erscheinen. Ein am Boden liegendes Land auch noch auszubeuten: Wie dreist, wie verwegen, ja wie innerlich tot muss man da sein? Aber das sind Fragen für einen vernunftbasierten Stammtisch, nicht für den Welthandel und seine Büttel. Dort werden Kriege als Chancen begriffen, als Ausverkaufsstrategien. Grundsätzlich ist es aber gut, dass die Rohstoffe nun auf den Tisch kommen. Denn das macht ganz deutlich, was Antrieb für Krieg ist: Das Geschäft – das wusste bereits Smedley Butler. Sein Büchlein bleibt empfehlenswert und beinhaltet wohl ewige Wahrheiten, solange Menschen Kriege führen. Und solange sie es tun, werden sie ihre Motivationen verschleiern hinter besonders edlen Motiven – mit niederträchtigen Ursachen bekommt man die Bevölkerung einfach nicht ausreichend mobilisiert.

Die Trennung von Materie und Idee

Nach Kiesewetters – wie sagen wir? – kurzen Exkurs, kam das Thema erst wieder mit Donald Trumps Ukraine-Deal aufs Tapet. Dass sich die Amerikaner schadlos halten wollten, kommentierte hierzulande das Gros der Journalisten mit einer exemplarisch zur Schau gestellten Ethik des Angewidertseins. Denn das ein westlicher Politiker die am Boden liegende Ukraine rohstofflich ausbeuten möchte, ging ihnen über ihre ideologische Interpretation des Ukrainekrieges als Freiheitskrieg. Dass möglicherweise »Stoffliches« immer die Keimzelle für Kriege ist: War ihnen das entfallen? Oder passte es ihnen einfach nicht in ihr Hurra-Feeling?

Den Russen sagte man Propaganda nach, weil sie wiederum den Krieg auch als Feldzug gegen Neonazis darstellten. Und was soll man sagen? Damit lagen und liegen die, die das als Propaganda abtun, auch richtig. Welche Nation beginnt einen Krieg, weil in einem anderen, einem Nachbarland Faschisten ihr Unwesen treiben? Die Amerikaner haben ihren Einsatz im Zweiten Weltkrieg erst später, als Akt der Pop-Kultur quasi, zu einem Beitrag des Antifaschismus umgewertet. In den Vierzigerjahren zog man aber nicht ins ferne Europa, weil man die Nazis nicht leiden konnte. Es ging um wirtschaftliche Interessen – um geopolitische Positionierungen. Der Russen Geschichte von den Neonazis in der Ukraine – die es gibt, für die man aus russischer Sicht dankbar sein muss, liefern sie so ein edles Motiv – und das deutsche Getöne um die Freiheit, die in der Ukraine auf dem Spiel steht für alle Welt: Alles derselbe Krampf!

Das sind allesamt Kriegsgründe für die Seele, die die Menschen erfüllen, ja zu Parteigängern des Krieges machen sollen. Wenn sie ein hehres Motiv kennen, eines das frei ist von materiellen Ursächlichkeiten, dann sind sie eher geneigt, den Krieger einen guten Mann sein zu lassen. Die Trennung von Materie und Idee, im Grunde dieses uralte Dilemma seit der Antike, seitdem man Menschsein in diese zwei Segmente zu teilen trachtete, findet sich auch hier wieder. Der Substanzdualismus als Waffengang – der älteste Kniff von denen, die ein dreckiges Geschäft für die Eliten ausführen.

Roberto De Lapuente

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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