Rüstungskleber – wo seid ihr?

Rheinmetall tut was – und schafft Arbeitsplätze. Die SPD und die Presse jubeln: Jobs, Jobs, Jobs – für ein Deutschland, in dem wir alle gut und gerne … nun ja, sterben? Und wo sind eigentlich die Rüstungskleber?

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

shutterstock/Flying Camera

Große Freude in Unterlüß, einem kleinen Ort mit 3.500 Einwohnern in der Lüneburger Heide: Denn das Jobwunder schaut vorbei. Rheinmetall eröffnet dort ein Werk für Artilleriemunition. 360.000 Geschosse jährlich sollen dort fabriziert werden. Und alle waren sie zur Eröffnung da, um der großen, der bombastischen Freude Ausdruck zu verleihen. Die Bundeswehr, der NATO-Generalsekretär und die Sozialdemokratie gaben sich die Ehre. Feierlaune in Niedersachsen: Der Aufschwung steht an.

350 Millionen lässt sich Rheinmetall das Werk kosten. Weitere 150 Millionen sollen für ein weiteres Werk in Unterlüß in die Hand genommen werden. Bis zu 500 Arbeitsplätze sollen entstehen. Sehr großzügig und nobel vom Rüstungskonzern, die insbesondere durch öffentliche Aufträge erzielten Umsätze – 2024 war Rekordjahr, der Umsatz lag bei 9,75 Milliarden Euro; zum Vergleich, 2021 notierte man 5,7 Milliarden – auch wieder an die Allgemeinheit zurückzugeben Hier wird Solidarpartnerschaft noch großgeschrieben, Rheinmetall erstattet den Bürgern und Steuerzahlern wieder etwas zurück – das Düsseldorfer Unternehmen denkt an Land und Leute. Zusammenzustehen: Das ist ja bekanntlich die Devise, die jetzt zählt.

Gruppenbild mit Waffe

Die Medien berichteten von der Bombenstimmung im Unterlüßer Werk. Sie betonten, wie leistungsstark die Rüstungsgüter sind, die von Rheinmetalldort hergestellt werden. Die Prominenz ließ sich vor Paletten mit Munition ablichten. Prächtige Laune auf einem Farbfoto: Die Rezipienten sollen die Chancen erkennen, die eine solche Produktionsstätte für die Zukunft dieses Landes bringt. Aufrüstung: Das ist nicht einfach nur todbringendes Gerät zu produzieren, sondern ein Wachstumsmarkt, an dem alle beteiligt werden können. Kriegswirtschaft ist eine Win-Win-Situation – ja, ein Wohlstandsgenerator. Im kleinen Unterlüß bricht eine neue Zeit an, eine regelrechte Zeitenwende.

Indes lobte Rheinmetall-Chef Armin Papperger, der neuerdings auch als geopolitischer Experte befragt wird, den Verteidigungsminister. Boris Pistorius, so sagte er pathetisch, sei »ein Mann des Wortes und der Tat«. Und er sei ihm außerdem sehr dankbar. Weiterhin plant das Unternehmen, in der Ukraine direkt ein Munitionswerk zu errichten. Denn auch die Ukrainer sollen etwas vom Kriegswirtschaftswunder haben.

Und selbst wenn der Krieg in der Ukraine endet: Längst hat man sich darauf verständigt, dass es weitergehen muss mit der Herstellung von tödlichem Gerät. Bekanntlich greifen die Russen nicht nur nach der Ukraine, sondern nach Polen, nach dem Baltikum und Deutschland – ja, die Russen seien ganz verrückt nach Berlin-Kreuzberg. Europa soll also sukzessive russifiziert werden. Dafür gibt es zwar keine Belege, nicht mal amerikanische Dienste können welche heranschaffen – aber es gibt Notwendigkeiten, eine solche Geschichte aufzutischen: Denn die Rüstung soll die Wirtschaft ankurbeln, die Politik braucht eine neue Aufbruchsstimmung, ein bisschen ökonomischen Erfolg und sie kennt nur noch das Konzept der Rüstungswirtschaft. Was dann mit den Lagerhallen voller Waffen geschieht, muss man noch klären. Dass man sie in ein Endlager weit unter der Erde steckt, scheint dabei eher nicht geplant zu sein. Wer Waffen hat, verkauft sie entweder – oder er setzt sie ein. Die »schöne neue Wirtschaftswelt« attestiert die Tagesschau jedoch einzig und alleine Donald Trump. Unsere Wirtschaft jedoch: Unantastbar.

Die Autoindustrie gefährdete unser aller Leben …

Herrliche Zeiten in Deutschland! Für die, die dem Hokuspokus der Berliner Medien- und Politikblase noch auf dem Leim gehen. Die anderen knirschen mit den Zähnen. Sie wähnen sich in einem Deutschland, dass nicht herrlich ist, sondern herrisch – und nebenher noch ein grotesker Platz auf Gottes weitem Rund. Hätte beispielsweise in Unterlüß ein neues Automobilwerk eröffnet, wären die Jungs und Mädels diverser Klimaschutz-NGOs in der Lüneburger Heide aufmarschiert und hätten den Kollaps und das Ende der uns bekannten Welt verkündigt – sie hätten den Zufahrtsweg zum Werk besetzt und sich auf den Asphalt gekleistert. Alles unter dem tosenden Beifall stolzgeschwellter Elternbrüste, die ihr Glück kaum fassen können, dass aus ihrem kleinen Scheißerle dann doch ein Weltenretter wurde.

Denn wir wissen: Autos töten! Hinterlistig und brutal! Wer heute noch Auto fährt und nicht lieber auf Züge wartet, die nie kommen, ist eine Umweltsau von Rang und Namen und gehört öffentlich an den Pranger gestellt. Aber müssen Autofahrer nicht ziemlich lange ums Karree fahren, damit sie so todbringend und zerstörerisch sind, wie es Deutschlands zeitgenössischer Wirtschaftswunder wohl bald sein wird? So eine Munition aus dem Werk von Rheinmetall dürfte doch schon etwas tödlicher sein, als eine Sonntagsfahrt in den Taunus – oder? Es gibt dazu freilich keine Studien, vielleicht kann man diese Frage daher nicht eindeutig beantworten. Es gibt nicht mal regierungsfinanzierte Nichtregierungsorganisationen, die solche Studien in Auftrag geben könnten. Vielleicht auch ein Grund, warum Friedrich Merz sich nicht mehr an jene 551 Fragen erinnern kann.

Ja, wo sind sie denn, die Rüstungskleber, die empört aufschreien, die Zeter und Mordio plärren und alles lahmlegen, weil sie fürchten, demnächst um ihr Leben kämpfen zu müssen? Wo die Journalisten, die solche Proteste wohlwollend flankieren, wie sie es bei jenen gemacht haben, die sich aus Klimagründen auf den Asphalt klebten? Die Stimmen, die damals argumentierten, dass die Automobilindustrie Hunderttausende in Lohn und Brot hält, wurden öffentlichkeitswirksam rundgemacht. Denn so kleinlich dürfe man echt nicht sein, nur wegen Arbeitsplätzen und wegen eines bisschen Wohlstandsversprechens, weiter Kraftfahrzeuge bauen zu wollen. Da gäbe es Wichtigeres. Klar, die Menschen, die dort arbeiten, haben Rechnungen zu bezahlen – aber können die Rechnungssteller nicht einfach mal ein wenig warten oder gar verzichten? Es geht doch um alles, um unser Leben, unsere Zukunft!

Der Kipppunkt ist längst überschritten

Der Kipppunkt – erinnern Sie sich? Den hat man angeführt, wenn teils hysterische Jugendliche freitags nicht zur Schule, sondern in die Innenstädte pilgerten – begleitet von den eben schon erwähnten Erziehungsberechtigten, die ihren Nachwuchs in der Hysterie bestätigten und so dafür Sorge trugen, dass es den jungen Leuten nicht allzu gut ging in ihrer Haut. Todesangst wurde da kultiviert. Und der Kipppunkt war das magische Wort, das man im Munde führte, wenn man diese Todesangst meinte. Denn der sei wahlweise längst überschritten oder stehe jedenfalls kurz bevor. Längst seien die Chancen, alles noch klima- und damit lebensverträglich zu regeln, gekippt und so gut wie nicht mehr realisierbar. Die Klimawissenschaften wussten das zu unterstreichen. Was ist eigentlich Klimawissenschaft? Was muss man da wissen, können, verstehen? Reicht die Interpreation von Modulationen aus, um von Wissenschaft zu sprechen? Man denkt unwillkürlich an Ludwik Fleck, der 1935 davon schrieb, dass Wissenschaft immer von gesellschaftlichen Prämissen und damit Menschen abhängig seiDenkkollektive nannte er das, was wir heute als wissenschaftliche Blase bezeichnen. Flecks Begriff scheint viel treffender.

Nun haben wir wieder einen Kipppunkt. Und der ist – erlauben Sie uns etwas Hysterie – längst überschritten und auch noch etwas gefährlicher als jener, der die Freitagsprozessionen so reizbar beschäftigte. Noch mehr Werke, die Munition herstellen – noch mehr Rheinmetall für Deutschland: Und wir werden unser Land nicht wiedererkennen. Jetzt schon noch, noch sieht alles hoffnungsfroh aus, denn neben der schönen Landschaft und den süßen Heidschnucken hat die Lüneburger Heide jetzt noch eine Sensation. Das ist ja das Dramatische, denn erst ist der Prozess schleichend, Arbeitsplätze entstehen, vielleicht sogar solche, die ein 13. Monatsgehalt und Urlaubsgeld kennen. Herrliche Zeiten! Und dann?

Mit Autos ist die Situation leichter, sie reißen Kilometer um Kilometer herunter und dann braucht es irgendwann ein neues Gefährt. Konsumspirale halt, auch nicht gerne gesehen und sicher problematisch. Aber im Vergleich zu Munition, zu Panzern, zu Marschflugkörpern konsumiert man Gebrauchsgegenstände bis sie nicht mehr gebraucht werden können. Bei Rüstungsgütern sieht das ein wenig anders aus. Das zuletzt aufgezählte Kriegsmaterial kann man nicht einfach mal so ein bisschen gebrauchen, ein wenig benutzen, um es dann wieder zu ersetzen. Ein Gebrauch bedeutet: Todesangst – von jetzt auf gleich. Wir sollten wieder mehr Autos bauen, mehr Flugzeugersatzteile und Maschinen für den zivilen Gebrauch. Dafür sollten die Rüstungskleber am kalten Stahl vor den Werkstoren von Rheinmetall haften bleiben. Damit der kalte Stahl sie nicht alsbald in Haft nimmt.

Roberto De Lapuente

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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