Vor vier Monaten wurden drei deutsche Journalisten von der Europäischen Union sanktioniert. Besonders ein Fall zeigt, dass nicht nur die Pressefreiheit angegriffen, sondern auch jedes rechtsstaatliche Prozedere ausgehebelt wurde.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Alina Lipp, Thomas Röper und Hüseyin Doğru – so lauteten die Namen der deutschen Journalisten, die Mitte Mai 2025 im Rahmen des 17. EU-Sanktionspaketes gegen Russland geahndet wurden. Alle drei hätten, so wurde recht oberflächlich begründet, prorussische Narrative im deutschsprachigen Raum verbreitet. Um weitere »destabilisierende Maßnahmen Russlands« zu unterbinden, wurden alle drei Journalisten mit einem EU-internen Berufsverbot belegt – das aber freilich nicht so genannt wurde. Schon wer einen der drei genannten Journalisten finanziell unterstützt, mache sich demnach strafbar.
Ein Fall scheint dabei besonders interessant zu sein: Denn während Röper und Lipp in Russland leben und auch dort ihrer Arbeit nachgehen, traf es Doğru auf deutschem Boden. Er lebt in Berlin, betreibt dort das Videomedienportal Red und stand plötzlich mittellos da. Denn ihm wurden die Konten gesperrt – ebenso seiner schwangeren Lebensgefährtin, deren Bank im vorauseilendem Gehorsam proaktiv das Konto gekündigt haben soll. Die ersten Vorwürfe schienen grotesk: Doğru hatte von propalästinensischen Demonstrationen in Berlin berichtet und damit destabilisierende Bilder geliefert, wie sie der Kreml gerne sieht -–oder besser: sähe. Denn der Journalist bestreitet vehement, irgendwas mit dem Kreml zu tun zu haben.
Keine Beweise, die auch noch verheimlicht werden sollen
Gemutmaßt wurde von Anfang an, dass Doğru (wie die beiden anderen Journalisten auch) auf Initiative der Bundesregierung sanktioniert wurden. Bei Doğru liegt der Verdacht besonders nahe, weil er mit seiner Berichterstattung der deutschen Staatsräson mitten im Herzen der politischen Macht, mitten in der Berliner Blase, nicht zupasskam.
Am 3. September legte Doğru die »Beweise« vor, die ihn für eine Sanktionierung »qualifizierten« und die ihm das Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union mitteilte: Er habe »Destabilisierung und Desinformation« verbreitet. Außerdem wird er verdächtigt, »enge finanzielle und organisatorische Verbindungen« zur russischen Staatspropaganda zu unterhalten. Doğru bestreitet das wie gesagt energisch. Außerdem biete er »antiisraelischen Randalierern« eine Plattform – genauer: »eine exklusive Medienplattform«. Es werden zusätzlich Tweets vorgewiesen, in denen Doğru scharfe Kritik an deutschen Medien, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen übt, die sich weigerten, die »außergerichtliche Bestrafung« Doğrus aufzugreifen und zu thematisieren.
Das Schreiben ist mit dem 1. September datiert. Doğru veröffentlichte die Begründung zwei Tage später, obgleich der EU-Rat eine Veröffentlichung untersagte. Er hatte zuvor beantragt, die Sanktionen gegen seine Person zu revidieren – schlimm genug, dass es so weit kommen muss in dieser EU, deren Werte angeblich in der Ukraine verteidigt werden. Ist der Umgang mit Doğru an diesen Werten ausgerichtet? Der EU-Rat hat eine Rücknahme der Sanktionen allerdings abgelehnt, sodass Doğru nur die Möglichkeit geboten schien, Transparenz herzustellen und die Öffentlichkeit mit der »Begründung« seiner Sanktionierung vertraut zu machen. Denn tatsächlich scheint es so, als habe der EU-Rat nichts in der Hand gegen ihn – hält aber trotzdem weiter an den Maßnahmen gegen seine Person fest.
Kafka voller Neid
Sicherlich ist das ein empfindlicher Schlag gegen kritischen Journalismus und damit gegen die Pressefreiheit – aber die Situation ist noch viel dramatischer: Denn da die Sanktionierung ohne gerichtliche Anweisung stattfand, ohne eine juristische Vertretung des Bestraften, ohne Konfrontation mit den Vorwürfen – die dann erst Monate später umständlich eingeholt werden mussten –, haben wir es hier mit einem dreisten Anschlag der EU auf die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu tun. Die Frage muss nochmal gestellt werden: War die Bundesregierung als Komplizin involviert und hat damit dabei geholfen, rechtsstaatliche Grundsätze zu unterwandern? Nicht, dass Deutschland sonst ein vorbildlicher Rechtsstaat wäre. Dennoch stellte eine Involvierung der Bundesregierung in einem solchen Fall schon ein gewisses Alleinstellungsmerkmal dar.
Kafka hätte sich das nicht eleganter ausmalen können. Sein Josef K. (aus »Der Process«) tappte ja schon im Dunkeln – er wusste nur, dass ihm was zur Last gelegt wird. Je mehr er bohrt, desto undurchdringlicher wurde für ihn das bürokratische Dickicht. Doğru geht es ähnlich – vermutlich ist seine Situation im Augenblick noch aussichtsloser. Josef K. hatte wenigstens die Möglichkeit eines Gerichtes, ein Staatsanwalt beschäftigte sich mit ihm, ein Advokat wurde ihm zur Seite gestellt. Auch wenn ihm keine Instanz etwas Substanzielles sagen konnte. An welches Gericht soll Doğru sich wenden? Noch nicht mal ein deutscher Staatsanwalt hat ihn auf dem Kieker. Denn das deutsche Rechtssystem wurde in Straßburg ausgehebelt – oder wenigstens übergangen. Staatsanwälte sind den Landesinnenministern unterstellt – und nicht irgendwelchen Städten im Elsass. Wir haben es also mit einem außerjuristischen Vorgang zu tun. Der EU-Rat zeigt damit, wie brandgefährlich er für die öffentlichen Ordnungen der EU-Mitgliedsstaaten sein kann, wenn es ihm beliebt.
Man merkt der Sanktionsbegründung an, dass der EU-Rat den Umweg über die Russland-Sanktionen nahm, um einen Journalisten zu bestrafen, der sich mit einem anderen leidigen Thema auseinandersetzte: Gaza. Für Straßburg stellt sich das also so dar: Eine kritische Haltung zu Gaza ist auch Putinversteherei. Wobei man Straßburg vielleicht insofern aus der Schusslinie nehmen muss, weil der Treiber im Hintergrund von deutschem Boden aus agierte. Dass die mauen Begründungen auch noch verheimlicht werden sollen: Da war selbst Kafkas Josef K. besser dran: Man sagte ihm gar nichts – ihn zum Schweigen über sein Schicksal zu verpflichten, schien selbst Kafka zu pervers. Lebte der Autor noch, würde er sich ziemlich sicher grämen, er würde sich sagen: Mensch, so ein Vorgehen, dem Angeklagten windige Gründe nennen und ihn dann auch noch zur Geheimhaltung zu verdonnern – diese perfide Idee hätte mir mal kommen sollen!
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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