Der »zersetzenden Propaganda« muss der Garaus gemacht werden, findet ein taz-Journalist: Hat er »Wehrkraftzersetzung« gesagt?
Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente

Vor wenigen Tagen haben wir den Lesern unseres Magazins ein Interview mit Privatdozent Stefan Luft präsentiert. Darin ging es um sein aktuelles Buch namens »Mit Russland« – er hat es zusammen mit Jan Opielka und Jürgen Wendler geschrieben. Der Titel ist freilich Programm: Wie soll eine nachhaltige Friedensordnung entstehen, wenn man Russland zum ewigen Feind erklärt? Jene, die die Feindschaft mit Russland weiter forcieren, liefern keine Antworten auf diese Frage – sie haben auch keine, können keine haben. Denn eine Ordnung ohne den Nachbarn aus dem Osten kann nicht von Dauer sein, sie benötigt Russland als tragende Säule. Der Ausschluss Russlands ist gerade für die mitteleuropäischen Länder eine Katastrophe – auch wirtschaftlicher Natur.
taz-Journalist Benno Schirrmeister ist dieser Tage ganz verzückt. Er hat eine Story gefunden. Die geht so: Bei einer Buchvorstellung in Bremen – dort lebt und lehrt Stefan Luft – wollte SPD-Innensenator Ulrich Mäurer ein Grußwort sprechen. Nachdem die taz ganz aufgestachelt davon berichtete (einen Link zur taz dürfen Sie sich denken, wir sind nicht gewillt, jener postlinken Postille Traffic zu schenken), zog er seine Bereitschaft zurück. Luft wird an den Pranger gestellt. Und andere Medien sprangen flugs mit auf den Zug.
Wehrkraftzersetzung? Echt jetzt?
So auch das norddeutsche Nachrichtenformat Buten un binnen. Zu sehen dort Benno Schirrmeister. Er hackt auf seiner Tastatur herum, dann ein Statement. Erst stammelt er, dann lacht er deplatziert, um sogleich irgendwas zu erklären: vom Innensenator und dessen Verantwortung gegenüber »uns oder dem Rechtsstaat«, die vor der »zersetzenden Propaganda« zu bewahren habe. Hier können Sie das sehen, es ist einfach zu köstlich, um nicht verlinkt zu werden: Die anbrechende fünfte Minute offenbart die Zersetzungsrhetorik des Meisterjournalisten.
Zersetzende Propaganda? Ernsthaft? Sie können natürlich nochmal zurückspulen und abermals lauschen: Nein, Schirrmeister hat nicht »Wehrkraftzersetzung« gesagt! Auch wenn das der erste Impuls ist, der einen ereilt. Es klingt nur so ähnlich, ist aber auch in dem, was Schirrmeister damit konnotiert und was jene, die einst von dieser Art Zersetzung sprachen – und auch Unrecht sprachen – gar nicht mal so weit entfernt. Denn es geht um etwas, was diese unseligen Altvorderen als »Defätismus« bezeichneten. Der Duden definiert den Begriff wie folgt: »Durch die Überzeugung, keine Aussicht auf Sieg, auf Erfolg zu haben, und durch eine daraus resultierende starke Neigung zum Aufgeben gekennzeichnete Haltung.«
Dass das einst strafbar war, sogar standrechtliche Konsequenzen hatte, kann man sich denken – Nationen, die Kriege führen, haben grundsätzlich ein Problem mit Menschen, die den Sinn oder Unsinn des Waffenganges thematisieren. Denn jeder Zweifel ist dazu berufen, die Moral zu unterwandern – ja, zu zersetzen. Damals gab es das Wort der »Wehrkraftzersetzung«. Schirrmeister meint hingegen die »Wehrtüchtigkeitszersetzung« – vorerst.
Erbauungspropaganda ist okay?
Schirrmeisters Worte haben in der Tat ein Geschmäckle. Man denke sich nur, statt eines taz-Ermittlers hätte dergleichen irgendein AfD-Luftikus in die Welt gesetzt! Man hat schon für weniger Leute vor Gericht gezerrt – man denke nur an die richterliche Entscheidung, den Spruch »Alles für Deutschland!« als strafrelevant zu erachten. Benutzt hatten den vormals etliche Personen aus verschiedenen politischen Spektren. Eine Rolle hat es erst gespielt, als der Leibhaftige sie in den Mund nahm. Es ist diese Doppelmoral, die uns als Gesellschaft schadet. Warum genau, dazu bald mehr.
Eine Frage stellt sich noch, Herr Schirrmeister. Wenn es eine »zersetzende Propaganda« gibt, also eine, die abbaut, abträgt und atomisiert, so muss es doch auch eine Form davon geben, die errichtet, aufstellt und herstellt, sprich: Eine »erbauende Propaganda«. Diese Unterscheidung ist tatsächlich mehr als interessant. Und auch der Gedanke dahinter, dass diese erlaubt sein sollte – denn schließlich ruft Schirrmeister nicht den Innensenator dazu auf, »uns oder den Rechtsstaat« vor solcherlei Erbauung zu schützen. Schade eigentlich!
Ein Innensenator vertritt die Interessen der Bevölkerung. Er hat ein Mandat erhalten. Und viele Bürger, man munkelt die Hälfte, hätten sehr gerne einen Frieden »mit Russland«, ganz so wie der Buchtitel von Stefan Luft und Kollegen lautet. Muss ein Senator uns vor dem beschützen, was Menschen im Lande denken? Oder nicht besser vor Journalisten, die Stories ausgraben, die keine sind und die außerdem dazu geeignet sind, die Zukunft dieses Landes zu zersetzen?
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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