Das Buch „Endlich Frieden“ verspricht Beiträge von „100 Persönlichkeiten“. Ich habe das Glück, in dieser Reihe zu stehen. Hier ist mein Text.
Ein Beitrag von Michael Meyen
Quelle: Archiv für Christlich-Demokratische Politik, CC BY-SA 3.0
Die Friedenstaube hat meine Kindheit begleitet und wahrscheinlich auch beschützt. Ich bin auf der Insel Rügen aufgewachsen und sehe immer noch, wie der Bürgermeister am 1. Mai 1975 die US-Niederlage in Vietnam verkündete. Vielleicht war es auch der Parteisekretär. Egal. Der Sprecher stand jedenfalls vor all den Fahnen, vor Sportlern, Pionieren und Erwachsenen, die mit ihren Kollegen durch das Dorf gegangen waren und jetzt auf den ersten Schnaps warteten. Ein Maiwässerchen am Kampf- und Feiertag der Werktätigen. Ich Knirps war trunken vor Glück. Wenn ich einst groß sein bin, daran konnte es keinen Zweifel mehr geben, dann würde der Imperialismus besiegt sein und mit ihm der Krieg.
Picassos Friedenstaube war überall. Bei solchen Demos, in der Presse und in der Schule sowieso. Der Sozialismus, darauf schworen die Lehrer genauso Stein und Bein wie alle Funktionäre, der Sozialismus führt keinen Krieg. Dann kam der Dezember 1979. Afghanistan. Ich war zwölf und konnte mir das schon deshalb nicht schönreden, weil es Olympia traf und damit zwei Fernsehwochen. Was sind Goldmedaillen wert, wenn die Besten fehlen? Wenig später ging es um U-Boote. Ein Nachbarsjunge hatte an das Parteiblatt geschrieben und gefragt, was die sowjetische Marine in schwedischen Gewässern mache und warum er sowas nur im Westradio höre. Als die Antwort kam, stand er damit auf der Straße. Seht her, liebe Leute: Sie nehmen mich ernst. Was ist jetzt mit diesem Sozialismus und seinem Frieden?
Ich weiß noch, dass ich den Brief lesen musste (in der Schule wusste jeder, dass ich Journalist werden wollte), aber nicht mehr, was dort stand. Wahrscheinlich hat sich die Redaktion mit einem Missverständnis herausgeredet, mit Fake News oder mit Wilhelm Busch. Der Friede muss bewaffnet sein. Die Geschichte mit Igel und Fuchs gefiel mir. Da waren diese Zähne und damit die Drohung von Raubtier und Kapitalismus. Und da war ein eher zartes Lebewesen, das auf den Verstand setzte.
Und also bald macht er sich rund, zeigt seinen dichten Stachelbund – und trotzt getrost der ganzen Welt, bewaffnet, doch als Friedensheld.
Im Alltag war das nicht ganz so einfach, selbst für Kinder. Ich mochte die Soldatenspiele nicht, die alle paar Wochen angesetzt wurden, und schon gar nicht die Lager, die am Ende der Schulzeit warteten. Ich hasste das Militär – und das nicht nur, weil ich nie sicher war, die Sturmwand beim ersten Anlauf zu nehmen und die Gasmaske schnell genug aus der Tasche zu haben. Ich überspringe die drei Jahre, die ich Uniform getragen habe. In meinem Gedächtnis ist dort eine Leerstelle. Ich bin mir aber sicher, dass es schrecklich gewesen sein muss, und höre noch all die Stimmen, die vorher auf mich eingeredet hatten. Wenn du an die Uni willst, Michael, dann musst du dafür bezahlen. Gib uns einen Fitzel deiner Lebenszeit. Ich habe diese Stimmen verflucht und dachte, dass ich ihnen nicht entkommen kann. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt. Ich wusste es schon im ersten Semester, weil neben mir Jungs saßen, die nur 18 Monate bei der Fahne waren und trotzdem einen Platz bekommen hatten. Dass die DDR kurz danach ohne einen Schuss zusammenbrach, habe ich nicht verstanden, aber trotzdem aufgeatmet. Du musst nicht mehr Reserveoffizier werden. Wenigstens das nicht.
Mein Sohn ist 1995 zur Welt gekommen. Ich habe gewettet, dass es keine Wehrpflicht mehr geben würde, wenn er 18 ist. Dass es dann dieser CSU-Mensch war? Was soll’s, dachte ich. Hauptsache, der Junge kann selbst entscheiden. Damals war ich mir sicher: Bertolt Brecht hat gewonnen. Endlich weiß Deutschland, dass es nicht Karthago sein will. Jetzt würde ich diesen Brecht lieber heute als morgen auferstehen lassen. So schwer kann das doch nicht zu verstehen sein mit den drei Kriegen.
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Prof. Michael Meyen: DIPLOMJOURNALIST (1992) – SEIT 2002 PROFESSOR AN DER LMU MÜNCHEN – VIELE JAHRE LEHRBEAUFTRAGTER AN DER LMU MÜNCHEN – ZAHLREICHE BÜCHER (DAS ELEND DER MEDIEN, BREAKING NEWS, DAS ERBE SIND WIR) PRÄSENZ IN NEUEN MEDIEN.
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