Scholz plötzlich für Friedensgespräche mit Russland

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  • Oktober 4, 2024
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Gefährliche Erinnerungslücken und Realitätsdefizite des Kanzlers?

Ein Standpunkt von Wolfgang Effenberger.

Quelle: Shutterstock

Bundeskanzler Olaf Scholz hält es für an der Zeit, einen “zügigen” Frieden in der Ukraine anzustreben.(1) Im Kanzleramt in Berlin sieht man die Zeit für intensivere diplomatische Bemühungen gekommen. In einem ZDF-Sommer-Interview sagte Scholz am 8. September 2024:

„Ich glaube, das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen als das gegenwärtig den Eindruck macht“.(2)

Konkrete Vorschläge dazu machte der Sozialdemokrat allerdings nicht. Nun sieht Scholz plötzlich die Zeit für mehr Diplomatie gekommen (3), diesmal unter Beteiligung Russlands. Wie kam es zu dieser plötzlichen Gesinnungswende?

Die nunmehrige Idee von Scholz, die Ukraine und Russland an den Verhandlungstisch zu bringen, scheint durch die herben Niederlagen der Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Thüringen beflügelt worden zu sein.

Auf diesen Vorschlag des deutschen Regierungschefs reagierte der außenpolitische Sprecher der FDP, Ulrich Lechte, zurückhaltend: für seine Partei könne es zwar „…sicherlich nie zu viel Diplomatie geben“. Er halte es jedoch für unwahrscheinlich, dass Putin bereit sei, sich mit der Ukraine an einen Tisch zu setzen und seine Truppen abzuziehen, denn ein erneuter

„Scheinfrieden, wie er letztlich mit dem Minsk-II-Abkommen (4) vereinbart wurde, ist aus meiner Sicht vollkommen inakzeptabel“.(5)

Scheinfriede? Ja! Am 7. Dezember 2022 erregte Ex-Kanzlerin Merkel vor der Weltöffentlichkeit mit einem kurzen Satz aus dem ZEIT-Interview (Nr. 51/22)(6) Aufsehen, Empörung und Wut: „Das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben. Sie hat diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht“.(7) Das war für Viele im Westen nur eine schlichte Bestätigung der Realität – in Moskau wird es immer noch als Verrat und Betrug an Russland ausgelegt.(8)

Noch im Jahr 2023 lehnte Olaf Scholz Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg strikt ab.(9) In seiner Regierungserklärung unter dem Titel “Ein Jahr Zeitenwende” sagte der Bundeskanzler im März 2023, es werde „…keinen Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainer/innen hinweg geben“(10). Es spreche nichts dafür, dass Russlands Präsident Wladimir Putin überhaupt bereit sei, über einen “gerechten Frieden” zu verhandeln. Hat es im 20. Jahrhundert jemals einen “gerechten Frieden” gegeben?

Am 7. Februar 2022 absolvierte der deutsche Kanzler Olaf Scholz seinen Antrittsbesuch bei US-Präsident Joe Biden.(11) Beide signalisierten in Washington Einigkeit, wobei im Vordergrund ihres Treffens die aktuellen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine standen. Im Hinblick auf die Gaspipeline Nord Stream 2 (12)sagte Biden, ein russischer Angriff würde ihr Ende bedeuten. Das verspreche er. Scholz hingegen machte keine konkreten Aussagen zur Pipeline. Er sagte lediglich, Deutschland und die USA würden in Bezug auf Sanktionen “komplett einvernehmlich agieren“.(13)

Eine Woche nach seinem Aufenthalt in den USA flog der deutsche Bundeskanzler am 14. Februar 2022 zunächst zum ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj, um tags darauf von Kiew nach Moskau weiterzufliegen.

Der russische Staatschef Wladimir Putin begrüßte Bundeskanzler Olaf Scholz freundlich und erinnerte an dessen Verdienste: „Als er als Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg regierte, hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass die Partnerschaft mit Sankt Petersburg nach vorn gebracht wurde. Diese Städtepartnerschaft jährt sich übrigens im laufenden Jahr zum 65. Mal“.(14) Putin gab sich überzeugt,

„…dass auch der Herr Bundeskanzler gewillt ist, weiter pragmatisch und gegenseitig vorteilhaft mit Russland zusammenzuarbeiten. Das bezieht sich vor allem auf Wirtschaftsverbindungen, die traditionell sehr intensiv sind“.(15)

Dann kam Putin auf die laufende Zertifizierung von Nord Stream 2 zu sprechen und betonte, dass diese Pipeline technisch gesehen seit Ende 2021 fertig ist: „Das ist eines der größten Infrastrukturprojekte in Europa. Mit diesem Projekt soll die Energiesicherheit auf dem Kontinent verbessert werden, und durch dieses Projekt soll dazu beigetragen werden, dass europäische, wirtschaftliche und umweltpolitische Aufgaben gelöst werden. Ich habe mehr als einmal gesagt, dass das ein rein privatwirtschaftliches Projekt ist. Es gibt hier keinerlei politische Schattierung.“(16)

Dann kam Putin auf die militärische Eindämmung Russlands zu sprechen,

„…die von uns als direkte und unmittelbare Sicherheitsstörung wahrgenommen wird. Dieser Bedrohung begegnen sollen juristisch verpflichtende Abkommen, deren Entwürfe wir eingereicht haben. Die Antworten, die wir von den USA und den NATO-Mitgliedsländern erhalten haben, entsprechen aus unserer Sicht nicht den wichtigsten Anforderungen Russlands.“(17)

Zusammenfassender Inhalt der von der Russischen Föderation Mitte Dezember 2021 an die USA und an die NATO adressiertes Grundlagenpapier(18)

Der Westen zog die Gespräche hinaus. Am 24. Februar 2022 befahl Putin den Einmarsch der russischen Truppen in die Ost-Ukraine. Alles hätte einen anderen Verlauf nehmen können! Am 21. Juli 2021 erklärten US-Präsident Joe Biden und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in einer gemeinsamen Erklärung der USA und Deutschlands u.a. ihre  “Unterstützung“ der Ukraine:

„Die Vereinigten Staaten versichern ihre Unterstützung für die Bemühungen Deutschlands und Frankreichs, Frieden in der Ost-Ukraine im Rahmen des Normandie-Formats zu erreichen. Deutschland wird seine Anstrengungen innerhalb des Normandie-Formats intensivieren, um die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu ermöglichen“.(19)

Am 8. Dezember 2021 wurde Olaf Scholz als Kanzler vereidigt. Er hatte also Zeit, um diesen eindeutigen Auftrag umzusetzen. Doch wie seine Vorgängerin Angela Merkel agierte auch Scholz nach dem Prinzip: Absolute Nichtbeachtung. Dieses bewusste Wegsehen bezog sich auch auf den Bundespräsidenten Steinmeier, alle anderen Parteien und auf die ÖR-Medien usw.

Zurück zum Antrittsbesuch, bei dem Olaf Scholz diese Zusammenhänge hätten bekannt sein müssen!

Putin ging auf diese Thematik ein – ohne Scholz jedoch an die deutsch-US-amerikanische Erklärung zu erinnern. Putin erinnerte dagegen an die fehlende Bewegung in Grundsatzfragen wie Verfassungsreform, Amnestie, Kommunalwahlen und rechtliche Aspekte des Sonderstatus des Donbass und betonte, dass die Formel des ehemaligen Bundesaußenministers und heutigen Bundespräsidenten Steinmeier nicht in das ukrainische Recht überführt worden sei: „Diese Steinmeier-Formel hatte er als Kompromiss zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen vorgeschlagen. Bedauerlicherweise ist es so, dass auch diese Formel nicht umgesetzt worden ist. Man ignoriert Möglichkeiten, die territoriale Integrität des Landes friedlich wiederherzustellen, indem man in einen direkten Dialog mit Donezk und Lugansk eintritt. Massenhaft werden Menschenrechtsverletzungen zugelassen. Gesetzlich verankert ist eine Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung.“(20)

Putin wies auf den “Petersburger Dialog”(21) hin, den er 2001 gemeinsam mit dem damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufen hatte:

„Er steht seit Jahren für die deutsch-russische Verständigung und ist gerade jetzt wichtiger denn je“, so Putin: „Ich habe daher meine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass bei weiteren hochrangigen Gesprächen in nächster Zeit eine Lösung für die aktuelle Blockade erreicht werden kann. Denn wir brauchen einen Raum für einen offenen und ehrlichen Dialog, in dem alle Themen besprochen werden können und in dem sich alle, die es wollen und die dazugehören, in diese Debatte einbringen können.“

Bundeskanzler Scholz lenkte das Gespräch auf den Truppenaufmarsch im Westen Russlands, den auch die europäischen Freunde als Bedrohung empfinden würden:

„In diesem Zusammenhang kann man gar nicht genug betonen, dass wir sehr besorgt darüber sind, was wohl aus den 100.000 Soldaten und ihren Aktivitäten in nächster Zeit werden wird. Wir können keinen vernünftigen Grund für diese Truppenzusammenstellung erkennen“.(22)

Seit Anfang März 2021 wurde die ukrainische Bevölkerung zielgerichtet auf einen Konflikt mit Russland eingestimmt. Am 14. März 2021 titelte die FAZ: “Klitschko trainiert bei Schießübung Panzerabwehr”. Der ehemalige Boxweltmeister Klitschko, Bürgermeister von Kiew, und 2014 Merkels Aspirant für das ukrainische Präsidentenamt, war mit seinen Mitarbeitern und den Stadtbezirksbürgermeistern ins Manöver gezogen, um sich öffentlichkeitswirksam in einem Erdloch von einem heranrollenden Panzer überrollen zu lassen, anschließend Handgranaten zu werfen und mit dem Maschinengewehr zu feuern. Eindrucksvoll waren auch die Bilder, die Klitschko an der sowjetischen Flugabwehrkanone SU-23 zeigen.

„Ich bin überzeugt“, so Klitschko, „dass wir gut vorbereitet sein müssen, um bei Bedarf unsere Stadt und ihre Einwohner und unseren Staat zu verteidigen“.(23)

Zehn Tage später trat die Verordnung des Präsidenten der Ukraine N2117 / 2021 “Über die Entscheidung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine vom 11. März 2021 zur Strategie der Entbesetzung und Wiedereingliederung des vorübergehend besetzten Gebiets der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol” in Kraft. Unter Punkt 1:

Umsetzung des Beschlusses des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine vom 11. März 2021 “Über die Strategie der Entbesetzung und Wiedereingliederung des vorübergehend besetzten Gebiets der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol”.(24)

Laut Präsidialamt beinhaltet das Dokument diplomatische, militärische, wirtschaftliche und humanitäre Maßnahmen zur Rückkehr der von Russland annektierten Halbinsel in die Ukraine (25)

Dieses Dekret kommt einer ukrainischen Kriegserklärung an Russland sehr nahe. Am 6./7. April 2021 trafen sich der ukrainische Präsident und sein Generalstabschef Chomtschak mit dem Vorsitzenden des NATO-Militärkomitees, dem Briten Stuart Perch, Chef der Royal Air Force, der anschließend erklärte:

„Die NATO-Mitglieder sind vereint, um die illegale Annexion der Krim durch Russland und seine aggressiven Aktionen in der Ostukraine zu verurteilen“.(26)

Kritik- und gedankenlos operiert ein hoher Offizier der NATO mit der Version “gewaltsame Annexion” der Krim. Wenn es so gewesen wäre, müsste der Westen in der Tat Zwangsmaßnahmen ergreifen – ähnlich dem Vorgehen bei der gewaltsamen Annexion Kuwaits durch den Irak. Doch die Verhältnisse auf der Krim sind anders. Hier hat am 16. März 2014 die auf der Krim lebende russische Bevölkerung in einem Referendum beschlossen, sich von der Ukraine zu lösen und nach Russland zurückzukehren. Die russischen Bewohner wollten, dass russisch weiterhin Amtssprache bleibt.

Als Oberbefehlshaber reiste nun am 8. April 2014 Selenskyj in Kampfmontur an die Frontlinie im Osten zur Motivation der regierungstreuen ukrainischen Soldaten.(27) Von seinem Wahlkampf-Versprechen, in erster Linie für Frieden im Donbass zu sorgen, ist anscheinend nichts übriggeblieben. Im Gegenteil, er strebt nun die “Befreiung” der Krim an. Will Präsident Selenskyj den gleichen Fehler machen wie 2008 der georgische Staatspräsident Saakaschwili? Die Vermutung liegt nahe, denn Selenskyj, der TV-Comedian ohne jede politische Erfahrung, hat Anfang Mai 2020 Saakaschwili zum Berater der ukrainischen Regierung gemacht.(28)  Wer zog hier die Fäden? Die seit den 90er Jahren kriegsaffine Finanzelite?

Können die Vorgänge in Russlands Nachbarschaft ohne Zustimmung der Finanziers des “Failed State” Ukraine erfolgt sein? Diejenigen, die Bidens über 40-jährige politische Laufbahn samt seinem Engagement für weltweite Kriegseinsätze verfolgt haben, fürchten, dass nach Bidens Regierungszeit die US-Aggressionen im Rahmen der Regime-Change-Politik des “Friedensfürsten” Obama wieder aufgenommen werden. Kann es sein, dass das Dekret 117/2021 die Grundlage für die Reaktion Moskaus ist? Was, wenn aus dem Ukraine-Konflikt ein größerer europäischer Konflikt wird? In der Folge könnte Europa zerstört werden und Weltwirtschaft und Finanzmärkte in ungeahnte Turbulenzen geraten. Bei der derzeitigen globalen Verschuldung könnte ein Krieg eine willkommene Ausrede für den Zusammenbruch abgeben. Was geht in den Köpfen der westlichen Geo-Strategen vor?

Es scheint jedenfalls alles so gewollt zu sein. Selenskyj befindet sich mit seinem Dekret im Einklang mit der am 4. Dezember 2014 im US-Kongress verabschiedeten Resolution H. Res. 758, die „…das Vorgehen der russischen Föderation unter Präsident Wladimir Putin als eine Politik der Aggression gegen Nachbarstaaten mit dem Ziel der politischen und wirtschaftlichen Dominanz scharf verurteilt“.(29)

Der US-Präsident wird aufgefordert, die Einsatzbereitschaft der US-Streitkräfte und der Streitkräfte der anderen NATO-Staaten zu überprüfen sowie die aus der Beistandsklausel (Art. 5)  erwachsene Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung ernst zu nehmen und dafür Sorge zu tragen, dass eventuelle Mängel abgestellt werden. Noch am Tag der Verabschiedung der Resolution bezeichnete das Kongress-Urgestein Ron Paul sie auf seiner Homepage in dem Artikel “Reckless Congress ‘Declares War’ on Russia” als „…eines der übelsten Gesetze.“ (30) Und der kanadische Ökonom Michel Chossudovsky sorgte sich um die weltweite Sicherheit. Für ihn hatte das Abgeordnetenhaus dem amerikanischen Präsidenten und Oberkommandierenden der Streitkräfte praktisch “grünes Licht” gegeben, ohne weitere Zustimmung des Kongresses in einen Prozess der militärischen Konfrontation mit Russland einzutreten.(31)

„Diese historische Abstimmung“, so Chossudovsky, „die möglicherweise das Leben von hunderten Millionen Menschen weltweit beeinflusst, wurde in den Medien praktisch völlig ausgeblendet“.(32)

Bis heute weiß die Öffentlichkeit kaum etwas davon! Der ehemalige stellvertretende Finanzminister der Regierung Reagan und Herausgeber des Wall Street Journal, Paul Craig Roberts, sah damals in der Resolution gegen Russland ein Paket von Lügen.(33)

„Ich hätte nie gedacht“, so Paul Craig Roberts weiter, „dass sich eine Regierung als so dumm erweisen würde wie die britische Regierung, die 1939 Polen eine Militärgarantie gab, was die polnische Militärdiktatur veranlasste, die Gespräche mit Deutschland über die Rückgabe der durch den Versailler Vertrag gestohlenen deutschen Gebiete und Menschen abzubrechen.“ Für Roberts steht fest: „Diese britische Garantie war die Ursache des Zweiten Weltkriegs“.(34)

Um diese Gesamt-Zusammenhänge musste Scholz bei seinem Antrittsbesuch gewusst haben!

Scholz forderte damals im weiteren Gespräch Putin auf, weitere Eskalationen jetzt mit aller Kraft und Entschlossenheit und mit aller Klugheit zu vermeiden:

„Die Suche nach diplomatischen Lösungen ist ein zentraler Grund meiner Reise nach Kiew gestern und nun nach Moskau. Präsident Putin und ich, wir sind uns darin einig, dass das Normandie-Format neben den Gesprächen zwischen den USA und Russland, im NATO-Russland-Rat und in der OSZE ein weiteres wichtiges Format zur Beilegung des Konflikts darstellt. Hier brauchen wir Bewegung und natürlich auch Fortschritt“.(35)

Putin ging auf den deutschen Kanzler ein, der sagte,

„…dass sich die Menschen seiner Generation – und ich gehöre nun einmal seiner Generation an – nur schwer vorstellen können, dass es in Europa einen Krieg geben wird“(36).

Er wies Scholz darauf hin, dass beide doch bereits Krieg in Europa erlebt haben. „Dieser Krieg wurde von der NATO gegen Jugoslawien entfesselt. Das war eine groß angelegte militärische Operation mit Raketen- und Bombenangriffen gegen eine der europäischen Hauptstädte, gegen Belgrad. Das gab es doch schon, und zwar, ohne dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das irgendwie genehmigt hat. Das ist ein sehr schlechtes Beispiel, aber dieses Beispiel hat es gegeben“.(37) Weiters erklärte Putin: „Das ist der Grund, aus dem ich berichtet habe, dass jetzt wichtige Voraussetzungen für den Minsker Prozess angekündigt sind, was die entsprechenden Gesetzesvorhaben betrifft. Aus meiner Sicht muss das auch dazu beitragen, dass jetzt die Gespräche in der Trilateralen Kontaktgruppe über diese Vorschläge aufgenommen werden können und das ist auch ein Ausgangspunkt für eine friedliche Lösung der Situation in der Ukraine mit dem Donbass und mit der ukrainischen Regierung. Für mich ist wichtig, dass die Gespräche dort in dieser Trilateralen Kontaktgruppe stattfinden. Das ist das, was in Minsk miteinander vereinbart worden ist. Wir arbeiten darauf hin, dass das möglich wird …Wir müssen davon ausgehen, dass die Möglichkeiten bei der Erfüllung der Minsker Vereinbarungen noch nicht ausgeschöpft sind.

Wir hoffen sehr, dass unsere Partner aus Übersee und in Europa, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, entsprechenden Einfluss auf die Kiewer Regierung von heute ausüben werden und Lösungen gefunden werden“.(38) Scholz wusste zu diesem Zeitpunkt ganz genau, dass der Westen kein Interesse daran hatte, den Friedensprozess von Minsk umzusetzen. Was für eine erbärmliche Farce!

Danach ging Putin auf die Gaslieferungen nach Deutschland ein. Deutschland bezog 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas: „Dieses Gas wird auf der Grundlage von langfristigen Verträgen geliefert, die – das habe ich schon gesagt – dreimal, viermal, fünfmal bzw. siebenmal so gering waren wie auf dem Spotmarkt. Der deutsche Verbraucher, der Industrieverbraucher, der Haushaltsverbraucher bekommt Gas, dessen Preis um den Faktor fünf günstiger ist. Der deutsche Bürger soll in seine Tasche gucken und sich die Frage beantworten, ob er bereit ist, dreimal so viel, fünfmal so viel für Gas, für Strom zu zahlen. Wenn er das nicht machen will, dann soll er Herrn Schröder danken. Denn er war mit Nord Stream 1 und mit Nord Stream 2 befasst. Er ist Vorstandsvorsitzender von Nord Stream 2. Ich möchte Sie daran erinnern, dass es dort fünf Firmen gibt, die an der Finanzierung beteiligt sind, einschließlich zweier deutscher Firmen. Die Pipeline Nord Stream 2 ist fertig und ist bereit, in Betrieb genommen zu werden“.(39)

Mit dem Satz „Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents“(40), begann Kanzler Scholz seine Regierungserklärung: „Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen – aus einem einzigen Grund: Die Freiheit der Ukrainer/innen stellt sein eigenes Unterdrückungsregime infrage. Das ist menschenverachtend. Das ist völkerrechtswidrig. Ich weiß genau, welche Fragen sich die Bürgerinnen und Bürger in diesen Tagen abends am Küchentisch stellen, welche Sorgen sie umtreiben angesichts der furchtbaren Nachrichten aus dem Krieg. Viele von uns haben noch die Erzählungen unserer Eltern oder Großeltern im Ohr vom Krieg, und für die Jüngeren ist es kaum fassbar: Krieg in Europa. Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen“.

Die von Scholz erklärte Zeitenwende hat bereits am 24. März 1999 stattgefunden. Hier hatte erstmals eine Vetomacht des UN-Sicherheitsrats ohne UN-Mandat ein anderes Land mit Krieg überzogen. Seither mandatieren sich die USA alle Kriege selbst – ohne das Völkerrecht oder die UN-Charta zu beachten. Das ist praktiziertes Faustrecht, das sich seither auf die von Washington und der restlichen Welt abgelehnten “regelbasierten Werte” beruft.

Ein Jahr nach seiner “Zeitenwende”-Rede sprach Bundeskanzler Scholz nicht mehr von den in seiner Regierungserklärung geforderten Friedensverhandlungen, sondern warnte China vor Waffenlieferungen an Russland. Es werde keinen Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben.(41) „Deshalb sprechen wir mit Kiew und weiteren Partnern auch über künftige Sicherheitszusagen für die Ukraine“.”(42) Solche Sicherheitszusagen setzten aber zwingend voraus, dass sich die Ukraine in diesem Krieg erfolgreich verteidigen könne.

Wenige Stunden vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz am 16. Februar 2024 unterschrieben in Berlin Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj das bilaterale Sicherheitsabkommen zwischen Deutschland und der Ukraine samt Ankündigung eines milliardenschweren Militärhilfepakets. In dem Abkommen verurteilen beide Länder

„…auf das Schärfste den ungerechtfertigten, unprovozierten, illegalen und brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, durch den Russland in gravierender Weise gegen das Völkerrecht einschließlich der UN-Charta verstößt. Deutschland ist unerschütterlich in seiner Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine innerhalb der Grenzen, die seit 1991 international anerkannt sind, einschließlich des Küstenmeers und der freien (maritimen) Wirtschaftszone“. (43)

Dieses “Sicherheitsabkommen” wurde unmittelbar nach der Unterzeichnung wirksam. Musste das Parlament nicht mehr gefragt werden?

Die Ukraine war 2022 kein Bündnispartner Deutschlands und ist es bis heute nicht. Im Unterschied zur Situation im Jahr 1914(44) steht heute weit mehr auf dem Spiel als damals. Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 versicherte der damalige Kanzler Gerhard Schröder den USA die “uneingeschränkte Solidarität” Deutschlands. Gemeinsam wurde dann 20 lange Jahre gegen Afghanistan ein unerklärter Krieg geführt, obwohl nachweislich bis heute kein einziger Attentäter aus diesem Land in den Terroranschlag involviert war. Deutschland könnte durch diese Form der Vasallentreue zu den heuchlerischen und imperialistisch-aggressiven USA sogar die Vernichtung bevorstehen.

Der Kreml reagierte unterdessen zurückhaltend auf den Vorschlag von Olaf Scholz, die diplomatischen Bemühungen zu verstärken. Laut Dmitrij Peskow, dem Sprecher des russischen Präsidenten, gibt es derzeit keine Voraussetzungen für den Beginn eines Friedensprozesses zwischen Russland und der Ukraine. Es fehlten Erklärungen “des Landes, das diesen ganzen Prozess und den kollektiven Westen dirigiert“(45), womit er die USA meinte.

Inzwischen wird sichtbar, dass der Ukraine-Krieg Deutschland und auch der EU schweren wirtschaftlichen Schaden zufügt. Bisher scheinen nur die USA und die internationalen Waffenproduzenten davon zu profitieren. Ein gutes halbes Jahr nach Kriegsbeginn – nur wenige Wochen vor der Sprengung beider Stränge von Nord Stream 1 und eines von zwei Strängen von Nord Stream 2 am 26. September 2022 – unterschrieb am 16. August 2022 US-Präsident Joe Biden den so genannten “Inflation Reduction Act of 2022” (IRA) – ein US-Bundesgesetz, das nach offiziellen Angaben die Inflation eindämmen, den Kampf gegen den Klimawandel fördern und das US-Defizit von 2022 bis 2031 um 300 Milliarden Dollar (2,2 Prozent) senken sollte. Mit einem Umfang von knapp 400 Milliarden US-Dollar ist das IRA das bislang größte durch Steuererhöhungen finanzierte Investitions- und Subventionsprogramm; mit ihm gehen milliardenschwere Ausgaben für die Infrastruktur und für den Sozialstaat einher und es soll das Schlüsselproblem von Wirtschaft und Gesellschaft lösen. Kritiker sehen in dem Inflationsbekämpfungsgesetz jedoch das Ziel der Revitalisierung der US-Industrie auf Kosten europäischer und vor allem deutscher Unternehmen, deren Auswanderung in die USA durch dieses Gesetz forciert wird. Der dadurch hervorgerufene Verlust von Produktionsstandorten in Europa beschleunigt die Gefahr der Deindustrialisierung in der EU. Ziel dieser aggressiven Industriepolitik scheinen Washingtons geopolitische Ambitionen zu sein, die große unipolare Weltmacht zu werden. Nach der Sprengung der Pipelines und dem dramatischen Anstieg der Energiepreise lockte Biden vor allem deutsche Unternehmer mit billiger Energie in die USA. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Scholz über die Sprengung informiert war.Immerhin hatte der damalige österreichische Bundeskanzler Christian Kern den Mut, diese US-Gesetze als einen “eklatanten Verstoß” gegen das Völkerrecht zu brandmarken. Ein mutiger deutscher Bundeskanzler hätte sich ähnlich geäußert und vor allem die Sprengung von Nord Stream 2 eine Kriegserklärung der USA an Deutschland genannt.

Der französische Historiker Emmanuel Todd, der 1976 den Zusammenbruch der Sowjetunion voraussagte und 2002 das Buch “Weltmacht USA: Ein Nachruf” schrieb, sagte in einem Interview mit der Weltwoche Anfang 2023:

„Der Ausbau der NATO in Osteuropa war nicht in erster Linie gegen Russland gerichtet, sondern gegen Deutschland.  Deutschland, das seine Sicherheit Amerika anvertraut hatte, wurde zur Zielscheibe der Amerikaner [. . .]; die Deutschen wissen nur zu genau, dass Nord Stream von den Amerikanern zerstört wurde [. . .] aber sie können es nicht sagen“.(46)

Am 28. März 2023 scheiterte die “UN-Resolution für eine Untersuchung der Explosionen an den Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2″ im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Während China und Brasilien mit Ja stimmten, enthielt sich Deutschland.(47)

Für Todd sind in Wahrheit die Deutschen von den Amerikanern angegriffen worden:

„Man wollte sie vom russischen Gas abkoppeln. Der Westen hat seine Werte verloren und befindet sich in einer Spirale der Selbstzerstörung, Europa gerät wieder unter die amerikanische Herrschaft“.(48)

Das hatte schon der ehemalige Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, in seinem Buch “Die einzige Weltmacht” 1997 so gesehen:

„Tatsache ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern“.(49)

 Am 27. Februar 2022 legte Scholz in seiner Zeitenwende-Rede einen Fahrplan vor, wie Deutschland zu einer echten Weltmacht aufsteigen kann – mit einem entsprechenden Militär: „Wir müssen stark genug sein. Nicht so stark, dass wir eine Gefahr für unsere Nachbarn darstellen“, sagt Scholz in einem Interview mit TIME am 22. April 2022, seinem ersten mit einer großen englischsprachigen Publikation seit Beginn des Krieges, „…aber stark genug“.(50)

Er sei vom deutschen Volk damit betraut worden, es auf der Grundlage dessen zu führen, was er für richtig hält – und nicht auf der Grundlage dessen, was Umfragen für das Land sagen.

„Wenn man eine gute Führungskraft ist“, sagte Scholz, „hört man den Leuten zu, aber man denkt nie, dass sie wirklich wollen, dass man genau das tut, was sie vorschlagen“.(51)

Für Scholz sei die erste Regel für einen Politiker,

„…man selbst zu sein, die Führung muss klar sein, einen Kurs haben, eine Vorstellung davon, wohin das Land gehen muss“.(52)

Die Vorstellung von Olaf Scholz, wohin sich die deutsche Nation entwickeln sollte, ist natürlich davon geprägt, wo sie war.

„Wenn man in Deutschland lebt, kann man nicht von den Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weggehen, die von Deutschland verursacht wurden. Es ist in all den Dingen, die wir politisch tun, und es ist auch in meinem Kopf, weil wir eine historische Verantwortung haben, zur Sicherung des Friedens beizutragen. Für Deutschland bedeutet das, zu lernen, über sich selbst hinaus zu denken und über das Kollektiv hinauszuschauen. Wir sollten die Nation sein, die bereit ist, die europäischen Lösungen zu finden, die für alle gut sind, nicht nur für unser Land“.(53)

Dieses im Ausland zur Schau gestellte Selbstbewusstsein ist nicht nur erschütternd, es kann sich – gepaart mit horrenden Geschichtsdefiziten – zu einer Katastrophe ausweiten. Wurden die Katastrophen des 20. Jahrhunderts von Deutschland verursacht? Für zwei große europäische Politiker – Charles de Gaulle und Winston Churchill – gibt es keinen Ersten bzw. Zweiten Weltkrieg, sondern nur einen Zweiten Dreißigjährigen Krieg (1914-1945).

Der Erste Weltkrieg kannte letztlich nur Verlierer: Deutschland sowieso, aber auch Russland, Frankreich, Österreich-Ungarn, ja selbst England. Einzig die USA blieben außen vor. Die Profiteure waren wie immer die Herren des Geldes – die „Händler des Todes“, wie sie die US-Amerikanerin Mabel Dwight 1935 skizziert hat.

Als 1934 im Kongress die Besorgnis über einen neuen Krieg zunahm, wurde ein Untersuchungsausschuss eingerichtet, der die Hintergründe für den Kriegseintritt der USA 1917 herausfinden sollte.

Die Leitung hatte Senator Gerald P. Nye. Nach 2 Jahren sorgfältiger Ermittlungen konnte das Nye-Komitee überzeugend darstellen, dass Banker und Rüstungsindustrielle neben Preisabsprachen vor und während des Krieges starken Einfluss auf die US-Außenpolitik genommen und so das Land in den Krieg “getrickst” hatten. Diese Profiteure nannte man “Merchants of Death” – also „Händler des Todes“.

Der Kriegseintritt der USA war notwendig geworden, da das Bankhaus J. P. Morgan und die Rüstungskonzerne sich soweit auf Seiten der Entente engagiert hatten, dass ein Sieg der Mittelmächte ihren finanziellen Ruin bedeutet hätte.(54) In Großbritannien schlug im Oktober 1906 der britische Historiker und liberale Politiker im Vereinigten Königreich, Reginald Baliol Brett (1852-1930), zweiter „Viscount Esher“ (ein erblicher britischer Adelstitel), einen neuen Ton an, als er an seinen Sohn Oliver Sylvain Baliol Brett, dritter Viscount Esher (1881-1963) schrieb:

„Es kann kein Zweifel bestehen, dass in absehbarer Zukunft ein Titanenkampf zwischen Deutschland und England um die Vorherrschaft bevorsteht. […] Die große Furcht ist, dass der Krieg ausbrechen würde, bevor wir bereit sind“.(55) In der konservativen britischen Presse mehrten sich Artikel, die forderten, dass man die deutsche Kriegs- und Handelsflotte präventiv zerstören müsse, was Sir John Fisher, Erster Seelord der Royal Navy, enthusiastisch begrüßte.(56) Edward Grey (1862-1933), Außenminister nach 1905, hatte selbst nicht gerade germanophile Neigungen. Er traf im Foreign Office zudem auf eine Gruppe von antideutsch eingestellten Staatsdienern wie Crowe, Mallet, Tyrell und Bertie, die ihn von ihrer Sicht zu überzeugen versuchten. Franz L. Bertie, Viscount Bertie of Thame (1844-1919), der das Vertrauen von Grey hatte, sah schon 1904 in Deutschland den “wahren kommerziellen and politischen Feind” (real enemy, commercially and politically).(57) Bertie war ab 1905 Botschafter in Paris und Louis Mallet, einer der stärksten Befürworter der anglo-russischen Annäherung, war 1905-1906 Greys Privatsekretär.

Von George Bernhard Shaw, ehemaliger Autor des US-amerikanischen Wochenmagazins Saturday Review“und einer der Urheber des Gründungsprogramms der britischen Labour Party, ist eine Notiz über eine Zusammenkunft Greys mit dem deutschen Gesandten Fürst Lichnowsky überliefert, in welcher der Fürst seiner Überzeugung Ausdruck verlieh, dass „Sir Edward Grey einer der größten lebenden Staatsmänner sei, überdies der aufrichtigste Freund Deutschlands“. Shaw fügte hinzu: „Ich konnte […] nicht meine Hände zum Himmel heben und mit [Jan] Hus ausrufen: Sancta simplicitas! [Oh heilige Einfalt!] […] Es war nicht meine Aufgabe, den Fürsten darüber aufzuklären, [dass] er geradewegs in eine Falle ging“.(58) Als bestimmende Haltung des Foreign Office glaubte Shaw zu erkennen: „Sie fühlten in dieser wichtigen Stunde, dass England verloren sei, wenn nur ein einziger Verräter in ihrer Mitte über irgendetwas in der Welt ein Körnchen Wahrheit verlauten ließe“.(59) Im Jahr 1914 zum scharfen Kritiker des Krieges und der Doppelbödigkeit der britischen Politik geworden, der sich dadurch entsprechend unbeliebt machte, gelangte Shaw zu der Überzeugung:

„Die gegenwärtige Zerstörung der deutschen Militärmacht ist […] eine durchaus reguläre Aktion der britischen Außenpolitik, die mit all der Entschlossenheit, Geduld, Verschlagenheit und Kraft, die wir an England gewohnt sind und mit überwältigendem Erfolg planmäßig durchgeführt wurde. Ebenso aber auch mit der ganz verblüffenden englischen Fähigkeit, vor sich selbst zu verschleiern, was man tut. Der Engländer weiß nie, was das Foreign Office im Schilde führt […]. Ein Instinkt sagt ihm, dass es besser für ihn ist, […] [es] nicht zu kennen. […] Grey stürzte nicht über seine Fehler; ihm wurde vielmehr die Tatsache zum Verhängnis, dass die Notwendigkeit, das britische Publikum mit einem Kindermärchen über Wesen und Ursachen des Krieges zu füttern, es ihm unmöglich machte, seinen eigenen Triumph zu unterstreichen; denn dieser war von der Art, die er selbst als machiavellistisch bezeichnet hatte“.(60)

Wenige Tage vor Beginn des Ersten Weltkriegs äußerte sich in Lourdes auf dem eucharistischen Weltkongress der Bischof von New York, Kardinal Murphy Farley, zum kommenden Krieg:

„Der Krieg, der in Vorbereitung ist, wird ein Kampf zwischen dem internationalen Kapital und den regierenden Dynastien sein. Das Kapital wünscht niemanden über sich zu haben, kennt keinen Gott oder Herrn und möchte alle Staaten als großes Bankgeschäft regieren lassen. Ihr Gewinn soll zur alleinigen Richtschnur der Regierenden werden. „Business einzig und allein“.(61)

Nur das Streben nach einer wahrhaftigen Geschichtsbetrachtung kann die Welt friedlicher machen – und natürlich der Verzicht auf jegliche Doppelbödigkeit. Das imperiale Denken gehört in die Mottenkiste der Geschichte. Heute müssen die Menschen im Vordergrund stehen. Dazu gehört die Achtung des in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Selbstbestimmungsrechts der Völker. Es wurde bisher von den USA nur dann ins Feld geführt (siehe Kosovo), wenn es den eigenen geopolitischen Zielen diente.

Bundeskanzler Helmut Kohl hat in einer Rede im Deutschen Bundestag 1995 folgenden Ausspruch zitiert:

„Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“.

Diese oder ähnliche Zitate werden gern benutzt, vermutlich weil sie so treffend und wahr sind. Hier scheint der aktuelle Kanzler aber große Defizite zu haben. Er scheint nicht zu wissen, woher er kommt, wo seine Wurzeln sind, um sich bewusst im Hier und Jetzt zu verorten. Stattdessen hängt er sein Fähnchen jeweils brav in den Wind der amerikanischen Flagge. Aber nur mit dem grundlegenden Verständnis der geschichtlichen Wahrheit lassen sich Vorhersagen für die Zukunft machen.

1) https://www.dw.com/de/warum-scholz-zügigen-frieden-in-der-ukraine-will/a-70188714

2) https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/experte-zum-friedensvorstoss-des-bundeskanzlers-scholz-ist-beim-thema-ukraine-unter-druck-li.2252458; https://www.dw.com/de/olaf-scholz/t-42830150

3) https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/ukraine-krieg-olaf-scholz-fordert-friedenskonferenz-unter-beteiligung-russlands-li.2252210

4) https://www.dw.com/de/der-gescheiterte-friedensplan-was-steht-im-minsker-abkommen/a-62137699

5) https://www.dw.com/de/warum-scholz-zügigen-frieden-in-der-ukraine-will/a-70188714

6) https://www.zeit.de/2022/51/angela-merkel-russland-fluechtlingskrise-bundeskanzler

7) https://www.zeit.de/2022/53/angela-merkel-russland-krieg-wladimir-putin

8) https://p.dw.com/p/4kVI2

9) https://www.berliner-zeitung.de/topics/olaf-scholz

10) https://www.berliner-zeitung.de/topics/wladimir-putin

11) https://www.zeit.de/thema/olaf-scholz

12) https://www.zeit.de/thema/nord-stream-2

13) https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/usa-olaf-scholz-joe-biden-pk-ukraine-krise

14) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-praesident-putin-zum-besuch-des-bundeskanzlers-in-der-russischen-foederation-am-15-februar-2022-2005530

15) Deutschland rangiert nach der chinesischen Volksrepublik unter den Außenhandelspartnern Russlands auf Rang zwei. Trotz der schwierigen Situation, die durch die Coronapandemie ausgelöst wurde, und trotz der Volatilität der globalen Märkte ist es so gewesen, dass wir 2021 den bilateralen Handel im Aufwärtstrend gesehen haben. Er hat um 36 Prozent zugenommen und liegt bei knapp 47 Milliarden US-Dollar. Die deutschen Investitionen in die russische Wirtschaft belaufen sich auf mehr als 21 Milliarden US-Dollar, und die Investitionen aus Russland belaufen sich auf 10 Milliarden US-Dollar.

16) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-praesident-putin-zum-besuch-des-bundeskanzlers-in-der-russischen-foederation-am-15-februar-2022-2005530

17) Ebda.

18) fi-nottuln.dfg-vk.de/wp-content/uploads/sites/27/2021/12/Entwurf-eines-Friedensvertrags-Russland-Westen-17-12-2021.pdf

19)  Pressemitteilung vom 21.7.21 unter https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/gemeinsame-erklaerung-usa-und-deutschland/2472074

20) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-praesident-putin-zum-besuch-des-bundeskanzlers-in-der-russischen-foederation-am-15-februar-2022-2005530

21) Die acht Arbeitsgruppen des Dialogs – „Politik“, „Wirtschaft“, „Zivilgesellschaft“, „Bildung und Wissenschaft“, „Kultur“, „Medien“, „Zukunftswerkstatt“, „Kirchen in Europa“ – trafen sich abwechselnd in Russland und Deutschland. Sie werden von politischen und privaten Stiftungen sowie von deutschen und russischen Unternehmen unterstützt.

22) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-praesident-putin-zum-besuch-des-bundeskanzlers-in-der-russischen-foederation-am-15-februar-2022-2005530

23) Klitschko trainiert bei Schießübung Panzerabwehr unter https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/bei-bedarf-kiew-verteidigen-klitschko-trainiert-bei-schiessuebung-panzerabwehr-17244659.html vom 14.3.2021

24) Link Original: https://www.president.gov.ua/documents/1172021-37533 keine englische Übersetzung auf offizieller Seite verfügbar

25) https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/332322/chronik-23-maerz-bis-25-april-2021/

26) https://www.voltairenet.org/article212706.html

27) https://www.kyivpost.com/multimedia/photo/zelensky-visits-front-line-amid-russian-escalation-in-donbas-photos

28) https://www.dw.com/de/selenskyj-ernennt-saakaschwili-zum-top-berater/a-53368635

29) https://www.congress.gov/bill/113th-congress/house-resolution/758/titles

30) https://www.ronpaulinstitute.org/archives/featured-articles/2014/december/04/reckless-congress-declares-war-on-russia/

Ronald Ernest „Ron“ Paul (*1935) ist US-amerikanischer Arzt und Politiker, Mitglied der Republikanischen Partei und war zwischen 1976 und 2013 (mit Unterbrechungen) Abgeordneter im Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten. Er war bei der US-Präsidentschaftswahl 1988 Kandidat der Libertarian Party und Bewerber um die republikanische Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2008 und 2012.

31) Michel Chossudovsky: Amerika auf dem »Kriegspfad«: Repräsentantenhaus ebnet Krieg mit Russland den Weg vom 6.112.2014 unter http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/prof-michel-chossudovsky/amerika-auf-demkriegspfad- repraesentantenhaus-ebnet-krieg-mit-russland-den-weg.html [16.12.2014]

32) Ebda.

33) Paul Craig Roberts: Russia Has Western Enemies, Not Partners vom 5. Dezember 2014, unter http://www.paulcraigroberts.org/2014/12/05/russia-western-enemies-partners-paul-craig-roberts/

34) https://www.paulcraigroberts.org/2021/04/14/one-question-before-us-is-will-we-be-destroyed-in-war-before-we-lose-our-civil-liberty-to-the-establishments-orchestrated-covid-pandemic/

https://www.theblogcat.de/uebersetzungen/werden-wir-in-einem-krieg-zerstoert-14-04-2021/

35) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-praesident-putin-zum-besuch-des-bundeskanzlers-in-der-russischen-foederation-am-15-februar-2022-2005530

36) Ebda.

37) Ebda.

38) Ebda.

39) Ebda.

40) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/regierungserklaerung-von-bundeskanzler-olaf-scholz-am-27-februar-2022-2008356

41) https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/regierungserklaerung-scholz-115.html

42) https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/newsletter-und-abos/bulletin/regierungserklaerung-von-bundeskanzler-olaf-scholz-2169350

43) www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/2260264/8efa1868839ede7609437b341d75c3c5/2024-02-16-ukraine-sicherheitsvereinbarung-deu-data.pdf?download=1

44) Da war die im Juli 1914 von Kaiser Wilhelm II. nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz-Ferdinand durch serbische Terroristen gegenüber dem Bündnispartner Österreich-Ungarn zugesagte Bündnistreue wesentlich nachvollziehbarer. Damals wurde der Bündnispartner Österreich-Ungarn angegriffen, und Deutschland war in der Pflicht. In der Ukraine hat 2013/2014 ein vom Westen unter deutscher Mithilfe orchestrierter Putsch stattgefunden; hier hat sich Deutschland zwar Schuld aufgeladen – jedoch kann aber kein der https://www.zeit.de/news/2024-09/09/selenskyj-hofft-auf-positive-signaleartiger Sicherheitspakt begründet werden.

45) https://www.zeit.de/news/2024-09/09/selenskyj-hofft-auf-positive-signale

46) Zitiert wie OSKAR LAFONTAINE Amerikas Krieg gegen Europa Weltwoche Nr. 03.24

47) https://www.deutschlandfunk.de/moskau-scheitert-im-uno-sicherheitsrat-mit-forderung-nach-untersuchung-der-nord-stream-explosionen-n-100.html

48) Zitiert wie OSKAR LAFONTAINE Amerikas Krieg gegen Europa Weltwoche Nr. 03.2

49)E bda.

50) https://time.com/6170974/olaf-scholz-germany-interview/

51) Ebda.

52) Ebda.

53) Ebda.

54) Vgl. dazu: John Edward Wiltz, In Search of Peace: ,The Senate Munitions Inquiry, 1934-36, Baton Rouge: Louisiana UP, 1963 sowie Matthew Ware Coulter, The Senate Munitions Inquiry of the 1930s: Beyond Merchants of Death, Westport, CT, 1997.

55)1 823 There is no doubt that within measurable distance there looms a titanic struggle between Germany and England for mastery. 1…] The great fear is that war may come before we are ready. – Journals and Letters of Reginald Viscount Esher. Hrsg. v. M. V. BRETT. London 1934, Bd. II, S. 179.

56) 1824 MCCULLOUGH: How the First World War Began, S. 161-163.

57) Zit. ebd., S. 161. Der <Antigermanismus> ergab sich allerdings weniger aus der Abneigung gegenüber allem Deutschen als vielmehr, weil Deutschland ein Hindernis für die uneingeschränkte, im Grunde rassistische (weil auf eine bestimmte Upper Class-Elite bezogene) <Anglomanie> darstellte, der Bertie und seine Kollegen anhingen. Wie Bertie selbst gegenüber Baron von Stumm im Dezember 1911 bekennen sollte: I am not Germanophobe, I am Anglomane. – Zit. nach Keith M. WILSON: The Question of Anti-Germanism at the Foreign Office Before the First World War. In: Canadian Journal of History / Annales canadiennes d’histoire 18/1 (1983), S. 23-42, hier S. 40.

58) G. B. SHAW: Winke zur Friedenskonferenz. Berlin 1919, S. 22.

59) Ebd., S. 5.

60) Ebd., S. 8f., 20

61) Michael von Taube: Der großen Katastrophe entgegen, Leipzig 1937, S.379

Dieser Artikel erschien erstmals bei apolut.

Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete “atomare Gefechtsfeld” in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie “Die unterschätzte Macht” (2022).

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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