„Abgesang auf die alte Zeit“ – Interview mit dem Berliner Chansonsänger Boris Steinberg

Chanson wird ohne G geschrieben. Boris Steinberg präsentiert ganz bewusst seine „ChanGsonGs“ nur noch „ohne Gs“ – eine folge dessen, was er in der Corna-Zeit erlebt hat. Das ist auch auf seiner neuen CD „Peep-O-Rama“zu hören. Er tritt jetzt mit den neuen Liedern auf Kleinbühnen in Berlin und anderswo auf. Im Interview wirft er einen kritischen Blick auf Kunst und Kultur in der Corona-Krise, erzählt, warum er nach vier Jahren neue Lieder gemacht hat, was ihn dabei bewegt hat. Er schildert, welche Lehren er aus der Corona-Krise zieht.

Das Interview mit Boris Steinberg führte Éva Péli.

©scottiberlin Boris Steinberg beim Konzert im Berliner Al Hamra

Mein letztes CD-Baby erschien 2015. Sie entstand in einer Zeit, in der ich nur noch so etwas wie „Unterhaltung“ bot. Als Kleinkünstler unterwegs zu sein, ist oftmals kein Zuckerschlecken und so landete ich in dieser Zeit aus Not bei einer Agentur, die Galaauftritte vermittelte. Ich trat auf Galas auf, was sich wie Tod anfühlte … Rasch stieg ich aus diesem Zug aus.

„Peep-O-Rama“ steht für jene arroganten, übergriffigen Kräfte, die wir gerade weltweit miterleben. Der große Umbau, oder sagen wir Wandel unserer Welt geht einher mit Schamlosigkeit, Verdrehungen, Ausgrenzungen, Lügen und Machenschaften. Die Peep Show dieser Tage hat zudem kaum noch etwas mit Erotik zu tun. Sie ist der Abgesang auf die alte Zeit.

Der Zustand, in dem sich unsere Welt und somit unsere Gesellschaft befindet, war der Auslöser, „Peep-O- Rama“ aufzunehmen. Diese CD ist sozusagen der Soundtrack meiner letzten vier Jahre.

Kunst lebt vom Austausch mit dem Publikum. Das war wegen der Corona-Maßnahmen fast drei Jahre lang nicht möglich. Auch nach der offiziellen Beendigung der Pandemie wurden Veranstaltungen von Künstlern, die sich kritisch geäußert hatten, oftmals abgelehnt. Wie haben Sie das als Künstler erlebt?

Genau ab da, mit der Einführung dieser ätzenden G-Regeln, begann mein neuer künstlerischer Weg. Die durchweg ausgrenzende bis feindselige Stimmung überall war und ist wohl das Schädlichste, was ich an Mobbing jemals erlebt habe. Und ich könnte von so vielen Mobbingsvorfällen berichten, die mir widerfahren sind. Ich denke, jede Person, die Fragen stellte und skeptisch war, hat Ausgrenzung erlebt, da bin ich kein Einzelfall. Die Einschränkungen waren auch für Clubs, DJs, Schausteller und andere eine Katastrophe.

Ich hätte niemals gedacht, dass so etwas in diesem Land möglich ist – von allerhöchster Ebene ausgehend. Immer noch unfassbar das Ganze … Und es ist ja noch nicht vorbei.

Oh ja, der große Maskenball … viele Eltern tanzten ganz vehement bis zum Schluss mit, agierten wie jene Eltern aus dem Märchen von Hänsel und Gretel von den Gebrüdern Grimm. Haben wir deren Märchen vergessen? Den vergifteten Apfel, in den das naive Schneewittchen beißt, der Lockdown-Turm von Rapunzel und viele andere?

Ereignisse und Erlebtes flossen in meine neuen Chansons ein. Die G-Regelungen habe ich abgelehnt und so trat ich nicht auf. Ein „Masked Singer“ bin ich nicht geworden, obwohl ich diesem Maulkorb auch nicht durchweg entgehen konnte – das war ja auch nahezu unmöglich, wenn man im öffentlichen Leben zu tun hatte.

Und nun, im April 2024, wo diese unsäglichen Maßnahmen von den Mainstream-Medien endlich aus dem Off übernommen – und für alle aufgedeckt werden – erwartete ich einen großen Entsetzensschrei wegen der geschwärzten RKI-Protokolle. Hören Sie ihn? Ich höre ihn nicht. Oder noch nicht? Für viele ist dieses Thema ganz einfach abgehakt und vorbei. Aber es ist nicht vorbei.

Mir wurde für meinen künstlerischen Weg sehr schnell bewusst: Du musst zu deinen Wurzeln zurückkehren, erinnere dich, wie du einst als Chansonsänger begonnen hast. So singe ich nun wieder öfter ohne Mikro, wenn es die Räumlichkeit zulässt, meine Band sitzt zudem in meinem Ghettoblaster. Ich bin nun noch näher am Publikum als früher und das Publikum ist noch näher an mich herangerückt … wunderbar …

Und was für „scharfe“ neue Bühnen entstanden sind … alles wie zu Beginn meiner Laufbahn, damals im wilden neuen Berlin der 90er. Da spielten wir auch auf Bühnen, die eigentlich keine waren. Ich würde sagen, es ging in den letzten vier Jahren auf den nicht subventionierten Bühnen wieder mehr um die Kunst und es fand sich rasch ein interessiertes Publikum. Doch das kann ich erst jetzt im Rückblick so sehen und auswerten. Eine harte Zeit war das, mit negativen Auswirkungen für so viele Kleinkunstbühnen und Theater. Nicht wenige mussten aufgeben.

Die unvergessliche Nina Simone sagte einst sinngemäß: Jeder Künstler hat die Verpflichtung, sich dem Geschehen und Ereignissen der Zeit zu widmen, egal, um welche Kunstform es sich handelt. Wozu ist man sonst Künstlerin oder Künstler? Und ich folgte Ninas Aussage.

Es wird von Menschen vor einem Publikum erwartet, dass sie sich positionieren. Doch seit der Corona-Zeit, so auch im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg droht Künstler Zensur, wenn sie nicht regierungskonform Haltung zeigen. Wie gehen Sie damit um?

Wissen Sie, ich arbeite in meinen Chansons mit Poesie, mit Gefühlen, auf einem hohen emotionalen Niveau. Ich möchte auf diesem Weg berühren. Aber eben so, dass das Publikum auch noch seinen eigenen Bildern, Erfahrungen und Emotionen folgen kann – in diesen eiskalten, unempathischen Zeiten etwas Notwendiges. Ich unterstütze zudem kein Parteiprogramm, keine Ideologie von wem auch immer, ich schaue nur nach rechts und nach links und bilde mir meine Meinung.

Oh ja, dieses Interview bei „#allesaufdentisch“ war mein Startschuss in diese Zeit. Und ich bin immer noch so erfüllt, ein Teil dieser Aktion gewesen zu sein. Ebenso war ich bei den friedlichsten Demos dieser Tage, bei „Friedlich Zusammen“. Meine Motivation: Trau dich, zeig dein Gesicht – äußere deine Meinung!

Heute gibt es Druck durch den Ukraine-Krieg, wo jede und jeder anscheinend dafür sein soll. Wer anders denkt, wird erneut ausgegrenzt. Was können uns die vergangenen drei, vier Jahre zum Thema Spaltung lehren?

Ist das nicht alles zum Würgen, Speien, Kotzen? Wir haben das Jahr 2024 … Wir haben so viele gefährliche Kriegsschauplätze und wir haben anscheinend nichts gelernt. Selbst die einstigen Friedensparteien sind nun zu Kriegsbefürwortern mutiert. Es wird Zeit für „Friedensminister“. Und nein, es gibt keinen „falschen Pazifismus“, denn im Sinne der Menschheit muss es immer nur um Frieden gehen, alles andere mündet in Selbstzerstörung.

Ich will nicht mehr zurück in die alte Zeit … Nein, die alte Zeit ist tot, sie kommt nicht zurück. Mich interessiert vieles nicht mehr, was mir da noch wichtig war. Wie ich in „Peep -O-Rama“ singe, ich habe die alte Zeit, die alte Haut weitestgehend abgestreift. Das war meine Metamorphose der letzten Jahre. Durchaus ein spiritueller Prozess, ein sehr einsamer und persönlicher obendrein. Nun schau ich mal, was noch so passiert.

Eine wahre Entschuldigung ist nur glaubhaft, wenn Erkenntnis und ein Bewusstsein entstanden sind, nämlich dafür, dass man etwas Schändliches, Unsägliches getan hat. Sehen Sie eine solche Entwicklung irgendwo? Also ich noch nicht.

Bei mir hat sich bisher niemand gemeldet und gesagt, du, ich sehe jetzt auch vieles kritisch, lass uns treffen und reden … und verzeih, ich war so voller Angst.

Natürlich geht es um Versöhnung. Doch die vier Jahre haben bei mir und vielen ein neues Bewusstsein geprägt, die neuen Erfahrungen führten zu neuen Entscheidungen. Auf der anderen Seite aber wurde nichts in Frage gestellt, das Leben, der Alltag sollte weiterlaufen.

Diese unterschiedlichen Erfahrungen nun zu vereinen und sich wieder miteinander verbunden zu fühlen, wird wohl kein Leichtes. Zuviel ist kaputt gegangen. Vor allem ist Vertrauen auf der Strecke geblieben. Zu vertrauen ist aber die Wurzel für eine gemeinsame Schwingung. Zudem gibt es einige Leute aus meiner alten Zeit, mit denen ich wohl nichts mehr zu tun haben möchte.

Dass sich vieles verändern musste, war ja schon lange vor Corona klar. Das ist auch gut so. Aber auf so einem Wege? Mir fehlt bei allem, was nun umgebaut wird, die Liebe, die Tiefe, die Spiritualität, die menschliche Intelligenz und das Know-how. Zudem scheint die Politik nicht zu interessieren, was die Gesellschaft möchte und dies ist auch ein weltweites Phänomen. Es ist letztlich so einfach, einen miesen, fiesen, unangenehmen Zustand zu beenden, man muss nur Nein sagen oder die Stopptaste drücken, auf die Bremse treten. Ich bin noch zuversichtlich, dass das passiert.

(lacht) Nein … Ich bin kein Therapeut, ich bin nur ein altes Zirkuspferd, welches in der Kunstform Chanson, nun schon seit über 30 Jahre lang, wachsen konnte. Man kann in diesem Genre altern, da wird man sogar noch besser mit den Jahren.

Aber irgendwie haben Sie schon auch Recht, denn ein berührender, musikalischer Abend, ist heilend. Singen aktiviert jede Zelle im Körper und wirkt sich positiv auf den ganzen Organismus aus. Und Poesie ist eh Balsam für unsere Seelen. Und wenn man aus nur einem meiner Chansons ein wenig Frieden, ein sich Verstanden-fühlen-Gefühl mitnimmt, dann ist es mir gelungen, weshalb ich auf die Bühne gehe und singe.

Mich hat der Zustand 2021 wahrlich krank gemacht – so wie wir alle krank geworden sind, aus vielerlei Gründen. Doch ans Weggehen dachte ich nie. Berlin ist meine Stadt … ick bin ein oller Weddinger. Außerdem liebe ich meine Muttersprache, spreche zudem keine andere Sprache so fließend, dass ich mir zutrauen würde woanders zu leben – und das wäre erstmal die Grundvoraussetzung. Denn man muss ja überall auf der Welt kommunizieren, in der heutigen Zeit sich womöglich abgrenzen oder verteidigen. Das kann ich nur auf Deutsch.

Also ick bleibe hier …und wenn’s noch schlümmer wird, werf ick mir eine Federboa um, torkle zur Spree, trinke ´ne Flasche Champus und gehe´ne Runde baden …

Sie fragten mich eben, ob ich aus diesem Zustand, in dem wir uns befinden, etwas Positives ziehen kann. Und ich sage: Ja. Es gibt in mir sogar ein Gefühl von Dankbarkeit. Denn ohne diese vier Jahre wäre ich weiterhin in meinem Dornröschenschlaf verweilt – auch wenn es bitter war aufzuwachen. Die vielen neuen Erkenntnisse führten für mich zu einem neuen Bewusstsein, und so eine Erfahrung zu erleben, ist auch etwas Großartiges.

So krass und abgeschmackt auch vieles ist gerade, es ist eine spannende und interessante Zeit. Sie hat Sprengkraft und ein so hohes Potenzial für einen wirklich großen spirituellen Schritt nach vorne. Wir werden wohl miterleben, wohin dieser olle Kutter mit uns hinschippert.

Ich werde wohl noch ein Weilchen singen, würde gerne mit Nena eine Tasse Kaffee trinken gehen … Ansonsten, mache ich nur noch wenige Pläne, probiere im Moment zu leben. Und ich sage Danke für die Möglichkeit dieses Interviews.

Das Interview ist zuerst auf den NachDenkSeiten erschienen.

Die CD ist hier erhätlich: https://timezone-records.com/en

Disclaimer: Berlin 24/ 7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7  widerspiegeln.

  • Related Posts

    Lauterbach für rasches Lachgas-Verbot für junge Leute

    Lachgas hat sich zur Partydroge entwickelt. Experten warnen vor Risiken für die Gesundheit – besonders bei Jugendlichen. Kommen jetzt zügig strengere Vorgaben? Berlin (dpa) – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will den Umgang mit Lachgas…

    Buchautor Patrik Baab über die Eindrücke seiner neuen Reise in das Kriegsgebiet Donbass

    Patrik Baab reiste mit seinem Kameramann Artur Leier zweieinhalb Wochen durch Städte und Orte in dem Teil des Donbass, über den Russland die Kontrolle ausübt. Vor dem Rückflug nach Deutschland führte Ulrich…

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

    You Missed

    Wird die Ukraine und der „zivilisierte“ Westen von einer „Gelben Gefahr“ bedroht? – Teil II

    • November 16, 2024
    • 6 views
    Wird die Ukraine und der „zivilisierte“ Westen von einer „Gelben Gefahr“ bedroht? – Teil II

    Wir brauchen Frieden in Europa

    • November 15, 2024
    • 11 views
    Wir brauchen Frieden in Europa

    So ist die Lage, und sie sieht nicht gut aus

    • November 14, 2024
    • 14 views
    So ist die Lage, und sie sieht nicht gut aus

    Der Wahltermin steht – das sind die nächsten Schritte

    • November 14, 2024
    • 10 views
    Der Wahltermin steht – das sind die nächsten Schritte

    So funktioniert die Vertrauensfrage im Bundestag

    • November 14, 2024
    • 11 views
    So funktioniert die Vertrauensfrage im Bundestag

    Bundesverfassungsgericht prüft Solidaritätszuschlag

    • November 14, 2024
    • 10 views
    Bundesverfassungsgericht prüft Solidaritätszuschlag