Es ist nicht überliefert, dass es in den befehlshabenden Reihen der Roten Armee lange Überlegungen oder Diskussionen darüber gegeben hätte, auf eine wundersame demokratisch-sozialistische Wandlung der deutschen, faschistischen Eliten zu hoffen, die einen verbrecherischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion geführt und Völkermord an über 27 Millionen Sowjetbürgern begangen hatten.
Ein Beitrag von Wilhelm Domke-Schulz
Bomben spuckenden Blockadering um Leningrad gezogen hatte, um in der belagerten Großstadt, einer Wiege der europäischen Zivilisation unter Zar Peter I., dem Großen, Millionen von Zivilisten jämmerlich erfrieren, elend verhungern oder durch massiven Beschuss bei lebendigem Leib zerfetzen zu lassen. Deutsche Soldaten und Offiziere begingen schlimmste Menschheitsverbrechen, was weite Teile der westdeutschen Gesellschaft bis heute leugnen, angeblich nichts davon wussten, es schlichtweg „vergessen“ haben oder sich noch nie dafür interessierten.
Ihre im Kampf gegen den „bolschewistischen Untermenschen“ gesammelten Erfahrungen durften zahllose SS- und Wehrmachtsangehörige dann später in den Aufbau der Bundeswehr der BRD einbringen. Selbstverständlich unter entsprechender Beibehaltung ihrer alten SS- und Wehrmachtsdienstränge und mit sehr guten Aufstiegschancen.
Das neue/alte Offizierskorps der späteren Bundeswehr verfügte damit auch über große Erfahrungen darin, wie man in einem Land, das Deutschland nichts getan hatte und von dem keinerlei Kriegsgefahr ausging, innerhalb weniger Monate total verbrannte Erde hinterlässt. Sie hatten auf dem Boden des europäischen Teils der Sowjetunion damit ihre hohe Kunst unter Beweis gestellt, wie man in kürzester Zeit unzählige Dörfer, Städte und Landstriche bis zur Unkenntlichkeit verwüstet.
Ebenfalls karrierefördernd war offenbar auch ihr umfangreiches Wissen darüber, wie man in besetzten Territorien Aufstände niederschlägt, Partisanen „ausräuchert“, kommunistische Kommissare standrechtlich erschießt, Kriegsgefangene zu Tode schindet oder Juden an Laternen aufknüpft. Sie hatten in ihrem Berufsalltag unschätzbare Kampferfahrungen gegen Zivilisten, Frauen, Kinder und Greise oder vereinfacht ausgedrückt, gegen „rassisch minderwertige Untermenschen“ gesammelt, die offensichtlich für die 1955 gegründete Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland unverzichtbar waren.
Auf solch weitreichende Berufserfahrungen wollte man beim Aufbau der Nachkriegsgesellschaft in der SBZ, der Sowjetischen Besatzungszone dann doch lieber weitgehend verzichten. Gleiches galt für die umfassenden Spezialkenntnisse von NSDAP-Parteigenossen in Kommunalverwaltungen, Polizei, Justiz und sonstigen Behörden.
Während man im Westen Deutschlands also nach der Devise verfuhr, „wir lassen die mal machen, die das können“, lautete das Motto in der SBZ, „was man nicht kann, das kann man erlernen.“ Bereits im Winter und Frühling 1945 folgte auf jedwede Befreiung deutscher Konzentrationslager und Kommunen durch die Rote Armee die umgehende Absetzung der meist vollständig NSDAP-durchsetzen Verwaltungen und Behörden, entweder durch aus KZ´s und Gefängnissen befreite Antifaschisten, durch antifaschistische, politische Emigranten aus der Sowjetunion und anderen Ländern oder durch ideologisch unbelastete Arbeiter.
Schon in den frühen Jahren der DDR erschienen zahlreiche Erlebnisberichte, Romane und Autobiographien über den antifaschistischen Umbruch direkt nach Kriegsende. Darunter Erzählungen von jungen Menschen aus unteren sozialen Schichten, im Frühjahr 1945 oft ohne Anstellung und mit leerem Magen, die von der Roten Armee oder überlebenden Antifaschisten von der Straße geholt worden waren, um Stadtverwaltungen, Polizeidienststellen, Redaktionen von Tageszeitungen oder den Rundfunk in der SBZ völlig neu aufzubauen.
Was ebenfalls sofort in Angriff genommen wurde, war der umfassende Personalaustausch im Bildungsbereich. Dazu wurde das „Neulehrerprogramm“ aus der Taufe gehoben. NSDAP-Genossen und anderweitig „NS“-belastete Lehrer und Dozenten wurden entlassen und zumeist „in die Produktion“ geschickt, wo sie nun mit ihrer Hände Arbeit einen ganz persönlichen Beitrag für den Wiederaufbau Nachkriegsdeutschlands leisten konnten.
Ihre Posten übernahmen innerhalb weniger Jahre junge Antifaschisten, die nach „Schnellbesohlungs-Lehrgängen“, auf die Schüler losgelassen wurden. Für manch einen von ihnen erwies sich das Lehrerdasein schließlich doch nicht als die eigentliche Berufung.
Der später sehr bekannte DDR-Schriftsteller Günter de Bruyn, der als Luftwaffenhelfer 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten war und nach seiner Entlassung 1946 in Potsdam zum Neulehrer ausgebildet worden ist, arbeitete zum Beispiel nur drei Jahre als Neulehrer in Garlitz, einem winzigen Dorf im Landkreis Havelland.
Andere, wahrscheinlich die absolute Mehrheit, blieb dagegen bis zur Pensionierung im Beruf, wie zum Beispiel Ludwig Paetow. 1946 übernahm er als Neulehrer eine vierte Klasse in Sukow, einem kleinen Dorf von nur ein paar hundert Seelen in der Nähe von Schwerin. Dort unterrichtete er Deutsch, Mathematik, Erdkunde und andere Fächer. Nur vier Jahre später wurde er zum Schuldirektor in Sukow ernannt und blieb es bis 19771. Ganz ähnlich erging es Ingeburg Faust aus Leipzig.
„Als am 8. Mai 1945 der Krieg zu Ende ging, war ich 19 Jahre. Wir wohnten in Wiederitzsch, einem kleinen Ort am nördlichen Stadtrand von Leipzig. Ich hatte die Carolaschule, eine Frauenfachschule, besucht. Von April 1943 bis Mai 1944 musste ich, wie die meisten Mädchen in dieser Zeit, zum Arbeitsdienst und zum Kriegshilfsdienst. Danach war ich von Juli 1944 bis Mai 1945 Erzieherin in einem Heim für schwer erziehbare Kinder. Meinen Wunsch, Lehrerin für Hauswirtschaft zu werden, konnte ich mir in dieser Zeit nicht erfüllen. Es gab keine Möglichkeit der Ausbildung.
Ende 1945 kam ich meinem Berufswunsch ein Stück näher. Ich bewarb mich als Neulehrerin und wurde an der Berufsschule für Hauswirtschaft eingesetzt. Neulehrer wurden in der sowjetischen Besatzungszone als Ersatz für entlassene Lehrer, die nationalsozialistisch belastet waren, eingestellt. Die Ausbildung erfolgte nach einem kurzen Einführungslehrgang neben der Lehrtätigkeit. Die Hälfte der Arbeitszeit wurde Unterricht erteilt, die andere Hälfte studiert.
Wie ging mein Leben weiter? Meine Lehrer-Ausbildung dauerte insgesamt 10 Jahre. Die Grundausbildung als Neulehrerin schloß ich mit der 1. und 2. Lehrerprüfung ab. Danach folgte ein fünfjähriges Fernstudium an der Pädagogischen Hochschule Potsdam. Es endete mit dem Staatsexamen als Lehrerin für Deutsch/Literatur. Bis zu meiner Pensionierung habe ich immer als Lehrerin gearbeitet. Meine Freude am Lernen hat sich bis heute erhalten.“2 1965 setzte das volkseigene DEFA-Studio für Spielfilme, der im Mai 1946 gegründeten Deutschen Film AG (DEFA), den Neulehrern ein filmisches Denkmal. „Die besten Jahre“, Regie Günther Rücker, in der Hauptrolle Horst Drinda, erzählt die Geschichte vom Tuchmacher Ernst Machner, der gerade mit Mitte zwanzig aus dem Krieg heimgekehrt, von seinen Genossen überredet wird, Neulehrer zu werden, obwohl er sich dafür überhaupt nicht geeignet hält.
Kaum hat er seinen Umschulungslehrgang begonnen, wird er als Dorfschullehrer aufs Land geschickt. Gerade dort gut eingelebt, versetzt man ihn Anfang der 50er Jahre als Direktor an ein sehr „traditionsbewußtes“ Gymnasium. Die hochnäsig-elitären Schüler und das stockkonservative Lehrerkollegium strafen den jungen, unerfahrenen Kommunisten mit Verachtung. Aber Machner lässt sich nicht entmutigen. Während er tagsüber unterrichtet, paukt er nach Feierabend in der Bibliothek. Das bringt ihm schließlich Respekt und Ansehen ein. Endlich ist er seiner Aufgabe gewachsen, da will ihn das Ministerium in Berlin haben.
„Das kann man doch mit Menschen nicht machen“, flucht er wieder und wieder, weil er sich immer aufs Neue vor Aufgaben gestellt sieht, deren Bewältigung er sich einfach nicht zutraut, um sich dann doch seinen neuen Herausforderungen zu stellen.3 Die KPD, die Kommunistische Partei Deutschlands hatte 1932/33 rund 360 Tausend eingetragene Mitglieder. Als entschiedenste Gegnerin des deutschen Faschismus wurde sie sofort nach der Machtergreifung 1933 verboten. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand machten Schlägerkommandos der SA, der paramilitärischen Terrortruppe der NSDAP Jagd auf Kommunisten. Denn die Kommunisten, so die offiziell in Umlauf gebrachte, faschistische Propagandalegende, hätten einen Umsturz geplant und als Fanal für den Aufstand angeblich das Reichstagsgebäude in Brand gesteckt. Was allerdings im umstrittenen Reichstagsbrandprozess Ende 1933 nicht bewiesen werden konnte.
Die Verfolgungs- und Verhaftungslisten der SA waren dagegen schon längst vorbereitet. Die SA-Kommandos wussten wen und wo sie suchen mussten. Wer nicht schon bei seiner Ergreifung tot geprügelt oder auf der „Flucht erschossen“ worden war, konnte froh sein, wenn er oder sie die Folterorgien in den berüchtigten SA-Kellern halbwegs lebend überstand. Danach wurden die Regimegegner in „Schutzhaft“ genommen, sie kamen in die ersten, eilends errichteten KL, später KZ (Konzentrationslager).
Einigen gelang die Flucht, wie zum Beispiel dem Gründungsmitglied der KPD, dem bayerischen Landtags- und Reichstagsabgeordneten Hans Beimler, der noch im Februar 1933 an der konspirativen Funktionärs-Tagung der KPD in Ziegenhals bei Königs Wusterhausen teilgenommen hatte.
Wenige Wochen später, wurde er im April 1933 verhaftet und nach schlimmsten Folterungen in das KZ Dachau nordwestlich von München verschleppt. Anfang Mai gelang ihm von dort die Flucht. Er emigrierte in die Schweiz, ging nach Frankreich und weiter in die Sowjetunion. Dort veröffentlichte Beimler sein Buch „Im Mörderlager Dachau – vier Wochen in den Händen der braunen Banditen“, das international für Aufsehen sorgte. Im August 1936 eilte Hans Beimler der spanischen Republik zu Hilfe, engagierte sich zunächst bei einem deutschsprachigen Sender in Barcelona und wurde schließlich Politischer Kommissar des „Thälmann-Bataillons“ der „XI. Internationalen Brigade“, von der später noch die Rede sein wird.
Am 1. Dezember 1936 ist er unter nicht vollständig geklärten Umständen bei Madrid gefallen. Unter beeindruckender Anteilnahme von Hunderttausenden Republikanern wurde er auf dem Friedhof Montjuïc in Barcelona bestattet, wo noch heute sein Grab zu finden ist. Tausende andere, wie der Arbeitersportler Werner Seelenbinder, fielen dem Mordterror der neuen Machhaber zum Opfer.
Seit Anfang 1933 arbeitete Seelenbinder illegal für die KPD. Im selben Jahr „gewinnt er den ersten von insgesamt sechs Titeln als Deutscher Meister im Ringen des Halbschwergewichts und qualifiziert sich für die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin, wo er den vierten Platz im olympischen Wettkampf belegt. 1939 wird er in den Rüstungsbetrieb Berlin-Marienfelde dienstverpflichtet. Hier gelingt es ihm, eine illegale Widerstandsgruppe zu organisieren, die auch Kontakt zu den Widerstandsgruppen um Robert Uhrig und Alfred Kowalke hat.
Am 4. Februar 1942 wird Werner Seelenbinder festgenommen, nach über zwei Jahren Haft in verschiedenen Konzentrationslagern und Zuchthäusern wird er am 5. September 1944 vom Volksgerichtshof in Potsdam zum Tode verurteilt und am 24. Oktober 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden ermordet.“4
Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass mehrere Zehntausend KPD-Mitglieder durch Folter, Hunger, Entkräftung, Krankheiten und oft bestialische Ermordung in deutschen Konzentrationslagern und Zuchthäusern ums Leben gekommen sind. Weitere Tausende bezahlten den aktiven Widerstandskampf gegen die faschistischen Franco-Putschisten im spanischen Bürgerkrieg, als Mitglieder der französischen Résistance und anderer Partisanenverbände in Italien, Jugoslawien oder Griechenland mit ihren Leben.
Auch von den etwa hunderttausend zur Wehrmacht eingezogenen KPD-Mitgliedern, von denen viele in der berüchtigten Strafdivision 999 landeten, überlebte nur etwa die Hälfte. Selbst denen, die die Flucht in die Sowjetunion gelungen war, konnten sich dort ihres Lebens nicht sicher sein. Tausende, darunter mehrere hundert Spitzenfunktionäre der KPD fielen den stalinistischen „Säuberungen“ Ende der Dreißiger Jahre zum Opfer.
Besonders perfide verhielt sich die Führung der Sowjetunion, indem sie 1939, nach Abschluss des Deutsch-Sowjetischen-Nichtangriffspaktes mehrere Tausend KPD-Mitglieder nach Deutschland abschob, wo sie schon von der Gestapo erwartet wurden. Fast alle wurden verhaftet und in KZs verschleppt. Trotzdem trug die KPD die Hauptlast des antifaschistischen Widerstandskampfes in Deutschland, ununterbrochen vom ersten bis zum letzten Tag, vom Tag der Machtergreifung bis zur Nacht der endgültigen militärischen Kapitulation zwölf Jahre später und musste dafür einen hohen Blutzoll zahlen.
Aber auch die vielen anderen antifaschistischen Widerstandsgruppen waren bei Kriegsende durch massive Verfolgung, Terror und Tod deutlich geschwächt. Ihnen gegenüber stand am 08. Mai 1945 ein gewaltiges Heer von weit über acht Millionen Mitgliedern der faschistischen NSDAP.
Für den Westen Deutschlands, in den westlichen Besatzungszonen stellte das, wie bereits geschildert, kein größeres Problem dar, man verfolgte dort ohnehin nicht die Absicht einen Elitenwechsel zu vollziehen. Weil man ja die „Fachleute“ weiter machen lassen wollte, „die das konnten.“ Die kaum spürbare Entnazifizierung im Westen Deutschlands, gegen die sich lediglich aus den Reihen der ohnehin schon stark dezimierten Antifaschisten Widerstand regte, war eine Folge geostrategischer Interessen der USA.
Der US-Präsident Harry S. Truman hatte 1947 seine Doktrin zur „Eindämmung der Sowjetunion“ vorgestellt, nach der Westdeutschland zu einem antisowjetischen Bollwerk ausgebaut werden sollte, mit einem eigenen Staat, eigener Währung und einem separaten Wirtschaftssystem, aufgepäppelt durch den „Marshall-Plan“ und militärisch wiederaufgerüstet als Mitglied der neugegründeten NATO.
Die Truman-Doktrin beendete damit nicht nur die alliierte Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, sie zementierte auch die Spaltung Deutschlands und eröffnete so den „Kalten Krieg“.
Verschiedene Definitionen gehen davon aus, dass Eliten aller Couleur aus allen Bereichen nur ca. 1 – 4 % einer Bevölkerung ausmachen. Bei einer Einwohnerzahl von über 50 Millionen in der BRD im Jahr 1950, ergibt sich danach ein Elitenanteil von rund 500.000 bis etwa 2 Millionen Menschen. Wobei es sich dabei um eine sehr großzügige Schätzung unter Einschluss weiter Teile des Mittelstandes und des Bildungsbürgertums handelt.
Wenn man dagegen vom engen Zirkel der Machteliten spricht, wird meist davon ausgegangen, dass es sich um einen Personenkreis von nicht mehr als maximal 4.000 Menschen handelt, dessen engster und mächtigster Kern dagegen sogar nur wenige hundert Personen umfasst.
Wenn man nun also berücksichtigt, dass im Westen Deutschlands nur ein winziger Bruchteil des engeren Elitenkreises des faschistischen „Dritten Reiches“ zur Verantwortung gezogen wurde und von den etwa 6-7 Millionen dort lebenden NSDAP-Parteigenossen so gut wie niemand Verfolgung, Bestrafung oder berufliche Nachteile befürchten musste, konnte der neugegründete Staat BRD natürlich auf allen Ebenen voll durchstarten. Weil praktisch weder die Elite, noch die Eigentumsverhältnisse angetastet worden sind. Ganz im Gegensatz zur SBZ und dann ab 1949 in der DDR.
Im Osten Deutschlands lebten 1950 rund 18 Millionen Menschen. Man kann also davon ausgehen, dass sich auf dem Territorium der DDR, in ihrer Gründungszeit etwa 1 – 2 Millionen ehemalige NSDAP-Genossen tummelten.
Ein Großteil der besonders schuldbeladenen „glühenden National-Sozialisten“ hatte sich gleich nach Kriegsende in den für sie „goldenen Westen“ abgesetzt oder verschwand nach und nach über die offene Grenze Richtung BRD, solange das noch möglich war.
In Gesamtdeutschland haben dagegen schätzungsweise nur wenige 100.000 Kommunisten und Antifaschisten den zwölf Jahre währenden Terror überlebt. Mal abgesehen davon, dass allein diese nicht sehr hohe Zahl ein sehr bezeichnendes Licht auf die deutsche Gesellschaft und ihre offensichtliche Affinität zu diktatorischen Systemen wirft, macht sie auf der anderen Seite sehr deutlich, vor welcher Mammutaufgabe man in der SBZ stand. Wenige hunderttausend überlebende Antifaschisten und heimkehrende Emigranten aus Europa und Übersee wollten hier zunächst einen antifaschistisch-demokratischen Staat aufbauen und standen dabei einer dutzendfach überlegenen Anzahl bis vor kurzem noch sehr begeisterter, sogenannter „National-Sozialisten“ und NSDAP-Genossen gegenüber.
Ein Elitentausch von etwa 180.000 bis knapp 800.000 Menschen, je nachdem, wie man den Elitenanteil berechnet, war damit über Nacht schon rein personell völlig unmöglich zu schaffen.
Deshalb musste man beim Aufbau der antifaschistischen Ordnung im Osten Deutschlands aus der Not eine Tugend machen und neben den zahlenmäßig weit unterlegenen Antifaschisten und politisch unbelasteten Arbeitern, auch auf ehemalige NSDAP-Genossen zurückgreifen. Ein Umstand auf den insbesondere westdeutsche Zöglinge der überwiegend altfaschistischen Gründungsgeneration der BRD bis heute gern mit erhobenen Zeigefinger deuten.
„Auch in der DDR hat es an allen Schaltstellen ehemalige NSDAP-Genossen gegeben“, lautet immer wieder deren zynischer Vorwurf.
Was man dabei aber völlig verschweigt, ist der grundsätzlich gegenteilige Charakter der DDR- zur BRD-Gesellschaft. Denn, obwohl es „auch“ in der Bundesrepublik Deutschland eine sehr, sehr überschaubare Anzahl bedeutender Politiker mit antifaschistischer Vergangenheit, wie Herbert Wehner oder Willy Brandt (Herbert Frahm) gab, änderten diese sehr wenigen Ausnahmen rein gar nichts am insgesamt ideologisch-postfaschistischen Charakter der Nachfolgerepublik des „Dritten Reiches“.
Und „auch“ wenn es in der DDR hin und wieder NSDAPler in hohen Ämtern gab, ändert das nun wiederum absolut nichts am generell antifaschistisch-sozialistischen Charakter der deutschen Volksrepublik.
Auf diesen ideologisch völlig konträren Grundlagen setzte unmittelbar nach Kriegsende in beiden Teilen Deutschlands eine genauso folgerichtige, wie vollkommen gegenläufige Entwicklung ein, indem man in der DDR nach und nach faschistisch vorbelastete Mitglieder der Eliten durch Antifaschisten, Kommunisten und SED-Mitglieder ersetzte, während man in den westlichen Besatzungszonen nach den beachtlichen, politischen Anfangserfolgen der KPD, sukzessive Kommunisten und Antifaschisten aus bereits errungenen Ämtern wieder verdrängte. Die KPD erlebte nach Kriegsende in den Westzonen zunächst großen Zulauf. Von anfangs 75.000, wuchs sie bis 1947 auf 324.000 Mitglieder an. Sie war in den meisten Landesregierungen vertreten und spielte auch in der Kommunalpolitik und den Arbeitervertretungen eine wichtige Rolle.
Während sie in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) innerhalb kürzester Zeit zur dominierenden politischen Kraft wurde, verlor sie im Westen Deutschlands dagegen recht schnell wieder an Einfluss. Das hatte verschiedene Ursachen. Einerseits bildeten sämtliche anderen politischen Parteien umgehend eine Art „ideologischen Block“ gegen die westdeutsche Sektion der KPD, indem man sie vor allem für die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der SBZ mitverantwortlich machte und ihr darüber hinaus vorwarf, im Westen eine Art Sowjetsozialismus errichten zu wollen.
Andererseits gerieten die Kommunisten immer öfter mit den westlichen Besatzungsmächten aneinander, weil sie wiederholt bedenkliche Versäumnisse der westdeutschen Nachkriegsentwicklung kritisierten. Außerdem taten die ideologischen Grabenkämpfe innerhalb der KPD und eine spürbare Abhängigkeit zur ostdeutschen SED und damit verbunden zur KPdSU der Sowjetunion, ein Übriges zu ihrem offenbar unvermeidlichen Untergang. So bot zum Beispiel die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation im Nachkriegs-Hamburg, wie in den westlichen Besatzungszonen insgesamt, keine guten Voraussetzungen für einen politischen Erfolg der KPD. Auf breites Wohlwollen konnten die Kommunisten, die mehrheitlich Illegalität, Verfolgung, Inhaftierung, Exil und Folter überstanden hatten, in der hanseatischen Bürgerschaft nicht hoffen.
Das lag ursächlich u.a. daran, dass sich die Zusammensetzung der über 50.000 Mitarbeiter umfassenden städtischen Verwaltung nach der militärischen Kapitulation Deutschlands nicht grundlegend verändert hatte. 81 % der leitenden Beamten waren ehemalige NSDAP-Mitglieder. Bei den leitenden Angestellten lag der Anteil 1948 noch bei 48%. Im Gegensatz dazu waren zunächst lediglich 200 Antifaschisten neu aufgenommen worden, die dann aber auch schon bald wieder aus der Verwaltung hinausgedrängt worden sind.
Ähnlich hohe Anteile von ehemaligen NSDAP-Genossen gab es auch in der Hamburger Justiz, im Ernährungsamt, im NWDR (Nord West Deutscher Rundfunk) und in der Hamburger Wirtschaft. Im gesamten Gebiet der westlichen Besatzungszonen sah es nicht wesentlich anders aus. Kräftiger Widerstand gegen den ideologisch neuen, alten Feind KPD war hier vorprogrammiert.
Dabei hatte die KPD-Führung bereits während des Faschismus Konzepte zur Errichtung einer „kämpferischen Demokratie“ in Deutschland erarbeitet, in der die Fehler der Weimarer Republik, in der alte Macht-, Finanz- und Wirtschaftsstrukturen des Kaiserreichs nicht zerschlagen worden waren, nicht wiederholt werden sollten. In der innerparteilichen Diskussion zur Nachkriegsordnung spielte dabei schon die Durchsetzbarkeit von politischen Zielen eine zentrale Rolle. In einem Nachkriegsdeutschland, dessen Mehrheitsbevölkerung außerstande oder nicht willens gewesen war, sich selbst vom Faschismus zu befreien, wollte die westdeutsche KPD-Führung aus taktischen Gründen zunächst nur solche Forderungen aufstellen, die in der Bevölkerung eine breite Massenbasis hätten gewinnen können.
Aber auch die verbliebenen Kernforderungen der KPD, wie die nach einer echten Entnazifizierung der Gesellschaft, der Schaffung einer Friedenswirtschaft durch Transformation der Rüstungsindustrie in eine entmilitarisierte Zivilwirtschaft, der Entprivatisierung und Vergesellschaftung der Wirtschaft durch Liquidierung von Monopolen und monopolistischer Gebilde, durch die Zerschlagung von Trusts und Konzernen, die Durchsetzung von Mitbestimmung von Werktätigen in den Unternehmen und die Schaffung einer multipolaren Presselandschaft basierend auf echter Meinungsvielfalt und Monopol-unabhängiger Meinungsfreiheit hatten im Grunde von Anfang an keine Chance. Denn all dies ist im Westen Deutschlands nicht realisiert worden. Die Fehler der Weimarer Republik wurden wiederholt.5
Wegen der, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung relativ geringen Anzahl überlebender Kommunisten und Antifaschisten, stand die DDR also in den ersten Jahren ihrer Existenz vor der schwer lösbaren Aufgabe, einen antifaschistischen Elitenwechsel in ihrer Gesellschaft zu vollziehen. Ein erster, wichtiger Schritt in diese Richtung, war das weiter oben bereits beschriebene „Neulehrerprogramm“.
Die nächste Etappe auf dem Weg eine bis dahin nicht existierende, neue antifaschistisch-demokratisch-sozialistische Elite aufzubauen, war die Gründung der ABF, der „Arbeiter- und Bauernfakultäten“ in der DDR. „Die Arbeiter- und Bauernfakultäten waren Vorstudieneinrichtungen zur Erlangung der Hochschulreife an den Universitäten und Hochschulen der DDR. Sie wurden 1949 gegründet und galten als eigenständige Fakultäten. Vor allem Kinder von Arbeitern und Bauern wurden an die ABF delegiert. Hier sollten sie das Abitur ablegen und später ein Fachstudium aufnehmen.
Mit der Gründung der ABF sollte das »kapitalistische Bildungsprivileg« durchbrochen und die sozialistische Umwandlung der Universitäten und Hochschulen unterstützt werden. Ziel war es eine neue aus der Arbeiterklasse und der Bauernschaft erwachsene Führungsschicht heranzuziehen. Arbeiter- und Bauernfakultäten gab es in Berlin, Dresden, Freiberg, Greifswald, Halle, Jena, Karl-Marx-Stadt, Leipzig, Rostock und Zwickau. Sie gliederten sich in gesellschaftswissenschaftliche, mathematisch-naturwissenschaftliche und medizinisch-landwirtschaftliche Fachrichtungen.
Nach 1961 war ein Weiterbestehen der ABF nicht mehr erforderlich, da durch entsprechende Festlegungen zur Aufnahme an die erweiterte Oberschule und Stipendienregelungen die Grundlage für einen höheren Anteil von Arbeiter- und Bauernkindern an den Universitäten und Hochschulen sorgte. Die meisten Arbeiter- und Bauernfakultäten wurden daher in den Jahren 1962 bis 1966 geschlossen, lediglich an der Martin-Luther-Universität in Halle/Saale und an der Bergakademie Freiberg blieben die ABF bis 1989 bestehen. An der Bergakademie Freiberg diente das Studium an der ABF insbesondere der Vorbereitung junger Facharbeiter auf ein Hochschulstudium in technischen, naturwissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen.
An der ABF in Halle/Saale erfolgte vor allem die Vorbereitung auf ein Auslandsstudium.“6 Die Aufgabe der ABFs war damit klar umrissen. Ihre Absolventen sollten in einem relativ kurzen Zeitraum die alten Eliten in Wissenschaft, Technik, Justiz, Diplomatie und allen anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen ablösen. Innerhalb der nach 1945 vorhandenen Fach- und Hochschulstruktur war das kaum zu bewältigen. Deshalb wurden einerseits besonders begabte und talentierte DDR-Studenten auf entsprechende Bildungseinrichtungen in die Sowjetunion geschickt, andererseits wurden in der DDR neue Hochschulen gegründet, wie zum Beispiel die im Oktober 1948 eröffnete „Deutsche Verwaltungsakademie“, später „Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften der DDR“, in der Mitarbeiter aus dem Staatsapparat, der Justiz und dem diplomatischen Dienst auch ohne Hochschulreife Studienabschlüsse erwerben konnten.
Am 1. November 1954 wurde in Potsdam-Babelsberg die „Deutsche Hochschule für Filmkunst“ gegründet, heute „Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF“, um hier an dieser Stelle nur einige wenige zu nennen. Die wichtigsten Führungspositionen in der DDR wurden zunächst soweit möglich mit bewährten Antifaschisten besetzt. Daraus ergaben sich im, von Beginn an äußerst spannungsgeladenen deutsch-deutschen Verhältnis, ebenfalls recht konfliktgeladene Konstellationen. Armeegeneral Heinz Hoffmann, seit 1960 Verteidigungsminister der DDR, vor und während des „Dritten Reiches“ Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands und der KPD, hatte nach seiner Offiziersausbildung in Rjasan (Sowjetunion) erste Kampferfahrungen im Spanischen Bürgerkrieg gesammelt.
Auf der Seite der Republikaner kämpfte er als Polit-Kommissar des Hans-Beimler-Bataillons in der XI. Internationalen Brigade gegen die vom „Deutschen Reich“ unterstützten, faschistischen Franco-Putschisten. Als Heinz Hoffmann zum Verteidigungsminister der DDR ernannt wurde, fungierte auf der „Gegenseite“ z.B. Generalleutnant Martin Harlinghausen als Befehlshaber der Luftwaffengruppe Nord der BRD.
Harlinghausen war ab 1933 zum Flugzeugführer ausgebildet worden und arbeitete anschließend als Hauptmann im Reichskriegsministerium. Seine ersten Kampfeinsätze flog er im Spanischen Bürgerkrieg. Allerdings nicht, wie Hoffman, um die Republik zu verteidigen, sondern als Freiwilliger der „Legion Condor“, der deutschen Kampfeinheit auf der Seite der Franco-Faschisten. Nachdem er als Kommandeur der faschistischen Seeflieger auf Mallorca alles in seinen Kräften stehende getan hatte, um in Spanien einer illegitimen, blutrünstigen Faschistendiktatur zum Sieg zu verhelfen und dafür zum Major befördert worden war, legte er anschließend im „Dritten Reich“ eine steile Militärkarriere hin. Vom „Fliegerführer Afrika“ avancierte er zum „Bevollmächtigten der Luft-Torpedowaffe“ und wurde danach zum „Fliegerführer Tunesien“ berufen. Für seine Verdienste im verbrecherischen Nazikrieg wurde er zuletzt zum Generalleutnant befördert und übernahm kurz vor Kriegsende noch den Posten des Befehlshabers Luftkommando West. Über irgendwelche antifaschistischen oder demokratischen Ambitionen von Harlinghausen ist dagegen nichts überliefert.
Dafür ist seine bundesdeutsche Nachkriegskarriere ebenfalls äußerst beeindruckend. Als Generalleutnant, der er ja nun einmal von Hitlers Gnaden war und als der er ganz selbstverständlich in die Bundeswehr übernommen wurde, baute er auf der Basis seiner umfangreichen Weltkriegserfahrungen ab 1957 die bundesdeutsche Luftwaffe mit auf, der er bis zu seinem „wohlverdienten“ Ruhestand als hochdekorierter Nazikriegsveteran angehörte.
Harlinghausen wurde unter anderem verliehen: Das Spanienkreuz in Gold mit Schwertern und Brillanten; das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub; das Flugzeugführer- und Beobachterabzeichen in Gold mit Brillanten. Und auch der Nachfolgestaat des „Großdeutschen Reiches“, die westdeutsche BRD ließ sich nicht lumpen und verlieh dem Nazigeneral noch das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Heinrich Rau, der in den Anfangsjahren der DDR in vielen verantwortlichen Positionen wesentliches für den Wiederaufbau der Wirtschaft leistete; er war u.a. ab 1948 Vorsitzender der Deutschen Wirtschaftskommission, ab 1950 Stellvertretender Ministerpräsident sowie ab 1953 Minister für Maschinenbau und schließlich ab 1955 Minister für Außen- und innerdeutschen Handel; hatte seine politische Laufbahn als hauptamtlicher KPD-Funktionär und Fachmann für Agrarpolitik begonnen.
Der Abgeordnete des Preußischen Landtages wurde 1933 verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Haftentlassung emigrierte er über die ČSR nach Moskau. Anfang 1937 ging er nach Spanien und kämpfte ab Januar 1938 als Kommandeur der XI. Internationalen Brigade auf der Seite der Republikaner gegen die faschistischen Franco-Putschisten. In Frankreich interniert, wurde er im Juni 1942 an die Gestapo ausgeliefert. Im KZ Mauthausen gehörte er bis zu seiner Befreiung im Mai 1945 zur illegalen Leitung des KPD-Lagerkomitees.7
Zur gleichen Zeit, als der Spanienkriegsveteran Heinrich Rau in der DDR Ministerämter übernahm, fungierte Prof. Theodor Oberländer, der „Henker von Lwow“ von 1953 bis 1960 als „Vertriebenenminister“ der BRD. Auf diesem Posten folgten ihm später bezeichnender Weise der Naziblutrichter Hans Krüger und danach der Nazispitzel und Goebbels-Propagandist Ernst Lemmer nach.
Vermutlich alles Politiker die das, was sie ideologisch und politisch vertraten, ganz besonders „gut konnten.“ Wie anders könnte man solch notorisch Faschisten afinen Minister-Ernennungen durch die Bonner Machteliten wohl sonst deuten? Noch dazu, nachdem sich der Fall Oberländer zu einem veritablen Skandal zwischen der DDR und der BRD ausgeweitet hatte, der auch international großes Aufsehen erregte.
Die dunkelbraune Vorgeschichte des Herrn BRD-Ministers Oberländer war dermaßen blutgetränkt, dass den Antifaschisten in der DDR, die Terror, Folter und Mord überlebt hatten, allein die bloße Vorstellung völlig unerträglich gewesen sein muss, womöglich auf diplomatischen Begegnungen zwischen Vertretern der beiden so dermaßen verschiedenen deutschen Staaten, einem solch skrupellosen Verbrecher die Hand schütteln zu müssen.
Im 1965 erschienenen „Braunbuch – Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin“ ist dem faschistischen BRD-Minister aus sehr gutem Grund ein ganzes Kapitel gewidmet, das ungeheuerliche Details entlarvt: „In einem öffentlichen Prozeß vor dem Obersten Gericht der DDR im Jahre 1960 wurde Oberländer wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Abwesenheit zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Oberländer mußte trotz heftigen Widerstandes der Bundesregierung und der Revanchistenorganisationen vier Tage nach dem Urteil als Minister entlassen werden. (Vgl. Die Wahrheit über Oberländer, Ausschuß für deutsche Einheit, Berlin 1960) Am 9. November 1923 nahm Oberländer – wie der Blutrichter und sein Nachfolger im „Vertriebenenministerium“, Krüger, – am Hitlerputsch gegen die Weimarer Republik teil. Die große Stunde Oberländers kam mit der faschistischen Machtergreifung. Er erklomm in rascher Folge die höchsten Parteiämter. Am 1. März 1933 wurde er Direktor des „Instituts für osteuropäische Wirtschaft“ in Königsberg (Kaliningrad) und 1934, mit 29 Jahren, Professor.
Er war Gau-Amtsleiter im Gaustab Ostpreußen, zunächst Landesgruppenleiter und schließlich auf persönlichen Wunsch des Kriegsverbrechers Heß Leiter des berüchtigten „Bundes Deutscher Osten“ (BDO), ferner SA-Hauptsturmführer und Leiter des Landesverbandes Ostpreußen des VDA. In seiner Tätigkeit als „Reichsleiter“ des BDO war Oberländer an führender Stelle an der theoretischen und praktischen Vorbereitung der Aggression gegen die östlichen Nachbarn Deutschlands beteiligt. Dabei widmete er sich besonders den deutschen Minderheiten im Ausland, denen er folgende Aufgabe stellte: „Der Deutsche war rassisch überlegen. . . Jede deutsche Volksgruppe kann draußen … ein drittes Reich im kleinen sein und. . . das Judentum bekämpfen.“ (Kampfblatt für Erzieher, 1939)
Das Ergebnis dieses „Volkstumskampfes“ sollte die Ausrottung der slawischen Völker sein: „Der Volkstumskampf ist unter dem Deckmantel des Friedens nichts anderes als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. … Ein Kampf, der sich auf Generationen hinzieht mit dem einzigen Ziel: Ausrottung!“ (Der Neue Weg, 1936) Als die Kriegsvorbereitungen in ihr entscheidendes Stadium traten, wurde Oberländer als Spionage-Offizier in die Abteilung II der „Abwehr“ beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW) geholt. Diese Abteilung war eine Spionage- und Diversionszentrale des deutschen Faschismus. Sie warb ihre Agenten vor allem unter den deutschen Minderheiten im Ausland.
Ab Mai 1939 stellte Oberländer seine Erfahrungen in den Dienst der Abwehrstelle des Wehrkreises VII in Breslau (Wroclaw). Mit Unterbrechungen blieb er dort bis zum 18. August 1939. Oberländer gehörte zum Kreis der Initiatoren und Organisatoren des fingierten Überfalls auf den Sender Gleiwitz (Gliwice), der den Faschisten als Anlaß für den militärischen Überfall auf Polen diente.
Nach der faschistischen Okkupation Polens stellte sich Oberländer an die Spitze der Ausrottungsfanatiker und forderte die restlose Vertreibung und Vernichtung des polnischen Volkes: „Die Eindeutschung in den Ostgebieten muß in jedem Falle eine restlose sein. Maßnahmen vollständiger Aus- und Umsiedlung mögen für die Betroffenen hart erscheinen – aber eine einmalige Härte ist besser als ein durch Generationen währender Kleinkampf. . . Aus diesem Grunde ist neben vielen anderen eine Assimilierung des Polentums abzulehnen.“ (Neues Bauerntum, April/Mai 1940)
Vor dem Überfall auf die Sowjetunion begann Oberländer mit der Aufstellung, Ausbildung und politischen Führung einer speziellen Sabotage- und Diversionseinheit für Sondereinsätze der Abteilung „Abwehr II“. Diese Sondereinheit war das Bataillon „Nachtigall“. Es bestand aus ukrainischen Nationalisten und Faschisten sowie aus asozialen und kriminellen Elementen. Die Gruppe war für „Sonderaufgaben“ – Sabotage, Diversion, Mordanschläge und Massenhinrichtungen in der Ukraine – vorgesehen. Sie sollte als erste Einheit in die Sowjetunion einfallen. Damit begann der fürchterlichste Abschnitt in Oberländers Laufbahn als „Ostexperte“ und „Abwehr“-Offizier.
Das Bataillon „Nachtigall“ erreichte als erste Einheit der faschistischen Wehrmacht am 30. Juni 1941 die sowjetische Stadt Lwow (Lemberg) und blieb dort bis zum 7. Juli 1941. Die Zahl der in den ersten sechs Tagen der faschistischen Besetzung durch das Bataillon „Nachtigall“ ermordeten Frauen, Kinder und Greise wird auf 3000 bis 5000 geschätzt.
In Lwow begann Oberländer, seinen alten Plan zur Vernichtung der polnischen und sowjetischen Intelligenz zu verwirklichen. Unter den 3000 bis 5000 ermordeten Menschen befanden sich auch 34 hervorragende Vertreter des Geisteslebens. Ihre Namen waren vom „Institut für Deutsche Ostarbeit“ in Krakau (Krakow) zusammen mit Oberländer bereits vor der Aggression gegen die Sowjetunion auf die Todesliste gesetzt worden. Doch nicht nur in Lwow beging die Einheit „Nachtigall“ Massaker unter der sowjetischen Bevölkerung. Das von Oberländer geführte Bataillon richtete auch in den Städten Solotschew, Tarnopol, Prokurow, Shitomir und Winnica furchtbare Blutbäder unter der Zivilbevölkerung an.
Nach kurzem Zwischenspiel als Leiter der Abteilung „Abwehr II“ beim Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd übernahm Oberländer im Herbst 1941 die Aufgabe, eine Sondereinheit zur Niederhaltung der sowjetischen Bevölkerung im okkupierten Gebiet und zur Bekämpfung der Partisanenbewegung aufzubauen. In diese Einheit preßte Oberländer kriegsgefangene Angehörige der kaukasischen Völker. Für diese Kriegsgefangenen gab es nur die eine Wahl: Hungertod im faschistischen Lager oder Eintritt in das Bataillon (später Regiment) „Bergmann“.
Die unter Oberländers Befehl stehende Sondertruppe „Bergmann“ war von der Wehrmachtsführung zu Diversionsakten im sowjetischen Hinterland vorgesehen. In den Jahren 1942/43 war sie jedoch hauptsächlich an Vernichtungsaktionen gegen die Zivilbevölkerung und die Partisanenbewegung beteiligt. Alle diese Aktionen wurden „mit äußerster Härte“ durchgeführt. Die Einsatzbefehle unterschrieb Oberländer. Wer sich von den Angehörigen dieses Regiments an den Verbrechen nicht beteiligen wollte, wurde erschossen.
So war es auch, als ein Teil des Regiments begann, sich zur Wehr zu setzen. Oberländer ließ sieben Angehörige der Einheit vor ein Kriegsgericht stellen und erschießen. Nach kurzem Einsatz auf dem Balkan „zeichnete“ sich das von Oberländer organisierte und politisch geformte Regiment im Jahre 1944 bei der grausamen Niederschlagung des „Warschauer Aufstandes“ aus.
Gegen Ende des Krieges wurde Oberländer noch zum Major befördert und zum Leiter des Schulungslagers „Ostprop.-Abt. z. b. V.“ in Dabendorf bei Berlin berufen. In diesem Lager wurde die Armee des Verräter-Generals Wlassow ideologisch ausgerichtet. Vor den anrückenden sowjetischen Truppen floh Oberländer in die Tschechoslowakei, wo er in eine SS-Kriegsberichter-Standarte eintrat. Am 23. April 1945 begab er sich dann in amerikanische Gefangenschaft.
Oberländer lebt heute nicht nur unbehelligt in Westdeutschland, sondern ist nach wie vor Abgeordneter der CDU im Bundestag und hat großen Einfluß auf die Politik der westdeutschen Revanchistenorganisationen, obwohl sogar die Bonner Justiz in einem vergeblichen Reinwaschungsversuch die Mordtaten des von ihm geführten Bataillons „Nachtigall“ in Lwow bestätigen mußte. Die Einsetzung der schwerbelasteten Nazi- und Kriegsverbrecher Oberländer, Krüger und Lemmer als Minister ist bezeichnend für den Geist und die Aufgaben des Bonner „Vertriebenenministeriums“.8“
Und nicht nur das. Dass gesuchte und verurteilte, faschistische Kriegsverbrecher und Terroristen, wie der SS-Mann Theodor Oberländer oder Erwin Albrecht, der spätere Vorsitzende des Rundfunkrats des Saarländischen Rundfunks, sowie weitere unzählige schwer vorbelastete „NS-Täter“ nicht nur in sämtlichen staatlichen und nichtstaatlichen Führungsebenen ungehindert Karriere machen konnten, sondern wie im Geheimdienst, im Bundestag, der Bundesregierung und den meisten Bundesministerien in der Gründungszeit der BRD sogar die Mehrheit der Führungskräfte stellten, ist ein bis heute nicht aufgearbeiteter, ungeheuerlicher Vorgang der unverblümten Refaschisierung der westdeutschen Gesellschaft. Denn hinter all den eben genannten Namen stehen nicht nur Einzelpersonen, die sich im sogenannten „Dritten Reich“ mitschuldig gemacht hatten, sondern auf der anderen Seite auch Millionen von Menschen, die den Verbrechen dieser Gründungseliten der BRD in der Zeit des Faschismus zum Opfer gefallen sind und deren Schicksal damit bis heute ungesühnt geblieben ist.
Das ist das Eine. Das Andere ist der postfaschistische Geist mit dem diese Alt-Nazis die bundesdeutsche Gesellschaft durchtränkt haben und der sich heute in der neuen Weltherrschaftsideologie der westlichen Welt, der sogenannten „Westlichen-Werte-Ordnung“ manifestiert, in deren Namen seit Jahrzehnten ein unerklärter „III. Weltkrieg“ auf medialer, diplomatischer, politischer, wirtschaftlicher und vor allem auch militärischer Ebene gegen den Rest der Welt tobt, der sich den sogenannten „westlichen Werten“ und seiner „regelbasierten Ordnung“ nicht unterwerfen will. Doch dazu noch später.
Unterm Strich lässt sich an dieser Stelle zusammenfassen, dass sich Deutschland nach Kriegsende in zwei ungleich große Teile spaltete, die ideologisch, politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich gegensätzlicher nicht hätten sein können.
Während sich in der einen Hälfte kaum etwas änderte, außer dass man der neuen/alten Gesellschaft das den tatsächlichen Inhalt vernebelnde Etikett „Demokratie“ verpasste, schlug der kleinere Ostteil des Landes einen völlig entgegengesetzten Weg ein. Hier übernahmen diejenigen das Ruder, die vorher in der Illegalität und unter großen Opfern gegen den deutschen Faschismus gekämpft hatten und fanden sich nun mit einem Nachbarstaat konfrontiert, in dem ihre einstigen Peiniger wieder das Sagen hatten.
Während also in der großen Hälfte des Landes die Täter von einst weiter ihr Ding machten, weil sie ja angeblich die einzigen waren, „die das konnten“, versuchten in der kleineren Hälfte Deutschlands deren frühere Opfer ein Staatswesen aufzubauen, in dem so etwas wie der deutsche Faschismus und ein dermaßen mörderischer Krieg, wie der vorhergehende Weltkrieg, nie wieder eine Chance bekommen sollten.
Eine solche Konstellation konnte von vornherein nicht anders gekennzeichnet sein, als durch permanente Konfrontation und einen erbarmungslosen Kampf um die alleinige Deutungshoheit über Geschichte und Gegenwart Deutschlands.
Für die westdeutsche Gesellschaft blieb die DDR, Zeit ihres Bestehens, folgerichtig nichts anderes als die „Soffjetzone“, eine „kommunistische Diktatur“ oder einfach nur die „Ostzone“. In der Endphase der DDR rang man sich widerwillig hin und wieder die Bezeichnung „sogenannte DDR“ ab.
Kurz gesagt erkannten die postfaschistischen Eliten im Westen weder die staatliche Existenz, noch das gesellschaftliche Gegenmodell hinter ihrer östlichen Grenze an und bekämpften es darüber hinaus mit allen ihnen zur Verfügung stehenden medialen, politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Mitteln. Und auch im Osten Deutschlands taten sich die antifaschistischen Eliten vierzig Jahre lang sehr schwer damit, den „westdeutschen Revanchistenstaat“ so zu nehmen, wie er leider nun einmal war, sondern sahen in der BRD hauptsächlich das scheindemokratische Nachfolgemodell des „Dritten Reiches“ und die Brutstätte eines drohenden Neofaschismus. Nicht grundlos, wie wir noch sehen werden.
Allerdings hatte diese lang anhaltende, „unverbrüchliche Feindschaft“ zwischen den beiden deutschen Nachkriegsordnungen nicht nur ideologische und personelle Gründe. Die eigentliche Hauptursache der permanenten zwischenstaatlichen Konfrontation war das bereits erwähnte völlig konträre Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell der DDR, das den westdeutschen Eliten, die bis zum Frühjahr 1945 auch über den Ostteil Deutschlands geherrscht hatten, bis zum letzten Tag der Existenz der ostdeutschen Staatlichkeit ganz übel aufstieß.
Quellen:
1 Quelle: https://www.svz.de/4610146 ©2021
https://www.svz.de/lokales/erinnerungen-an-die-schulzeit-id4610146.html
2 Quelle: https://research.uni-leipzig.de/fernstud/Zeitzeugen/zz105.htm
3 https://www.defa-stiftung.de/filme/filmsuche/die-besten-jahre/
Filmtext: Die besten Jahre. In: Die Verlobte. Texte zu sieben Spielfilmen von Günther Rücker. Berlin: Henschelverlag 1988
(Quelle: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-1992)
4 https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/werner-seelenbinder/?no_cache=1
5 Quelle: Ulrich Heyden, Wie Deutschland gespalten wurde – Die Politik der KPD 1945 bis 1951, Verlag Tredition 2020;
Vgl. auch: https://www.rubikon.news/artikel/das-entzweite-land
6 Quelle: https://tu-freiberg.de/universitaet/profil/geschichte/die-arbeiter-und-bauernfakultaeten-in-der-ddr
7 Amos, Heike, Rau, Heinrich“ in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 192 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118598554.html#ndbcontent
8 https://archive.org/stream/braunbuchBRD/braunbuch_djvu.txt
S. 380 ff.