Ein Beitrag von Norbert Häring
Die Verzweiflung bei den Regierenden und Militärs über die sehr guten Umfragewerte von BSW (und AfD und Sonstigen) vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland und der Bundestagswahl im nächsten Jahr scheint groß zu sein. Anders ist es kaum zu erklären, dass man den berüchtigten Faktenerfinder der ARD Pascal Siggelkow, einen unentwegten Regierungs- und Nato-Verteidiger, losschickt, um eine als Faktencheck getarnte Kampfschrift gegen das BSW zu verfassen.
Dass man mit einem derart offenkundig einseitigen Werk eine signifikante Anzahl von Menschen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg davon abhalten kann, BSW zu wählen, verspricht man sich davon sicherlich nicht. Dafür bräuchte es jemand, der in der Lage ist, seine Einseitigkeit besser zu verstecken. Die Funktion wird vielmehr sein, das Signal zum Angriff zu geben. Bisher hat man BSW eher mit Samthandschuhen angefasst, weil man hoffte, die neue Partei werde den Höhenflug der AfD beenden helfen. Stattdessen hat sie vor allem der Linken und den Parteien der extremen Mitte (Umfrage-)Stimmen abgenommen. Und zwar so viele, dass in Thüringen alle drei Bundesregierungsparteien unter die Fünfprozenthürde fallen könnten. Und kürzlich hat Sahra Wagenknecht auch noch die Koalitionsoption mit der CDU infrage gestellt, indem sie diese vom bundespolitischen Willen der Union abhängig machte, sich für eine Verhandlungslösung im Russland-Ukraine-Krieg stark zu machen.
Mit der Kampfschrift signalisiert die ARD allen Journalisten des Senders und darüber hinaus des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Das Themenfeld Russland-Ukraine-Nato und die Haltung des BSW dazu haben höchste Priorität. Ab jetzt gilt: auf sie mit Gebrüll.
Siggelkow pickt sich Aussagen von Wagenknecht der letzten zweieinhalb Jahre und beliebiger BSW-Politiker zum Thema Nato-Russland-Ukraine heraus und bezeichnet sie als falsch. Als Gegenbeweis reicht oft, dass das Gegenteil „als ziemlich sicher gilt“, oder dass bei der Behauptung angeblich Kontext fehlte oder man es auch anders sehen oder rechnen kann.
Die Zeugen der Anklage sind Julia Smirnova vom Nato-und geheimdienstnahen Insitute for Strategic Digalogue (ISD) und der seit Jahren sehr eifrig und stramm auf Nato-Linie kommunizierende Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte der Uni Tübingen, Klaus Gestwa. Dieser betreut seit 2013 als Vertrauensdozent der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung die von dieser geförderten sozialdemokratisch denkenden Studenten. Es gibt wenige in der Rest-SPD, die Sahra Wagenknecht und das BSW nicht hassen und verachten. Gestwa ist gern genommener „Experte“, wenn die ARD-Faktenerfinder einflussreiche Persönlichkeiten diskreditieren wollen, die nicht stramm auf Nato-Linie argumentieren.
Das ISD, eine „globale Organisation gegen Extremismus und Desinformation“, mit Büros außer in London auch in Washington DC, Berlin, Amman, Nairobi und Paris, bekommt seine Projekte von verschiedenen Bundesministerien, der Gates-Stiftung und der Bosch-Stiftung gefördert. Im Vorstand sitzt unter anderem der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theordor zu Guttenberg. Kein BSW-naher oder auch nur neutraler Experte darf als Gegenstimme zu Wort kommen.
Bei den eigenen Falschaussagen und Fehlleistungen, und denen ihrer Experten, sind die ARD-Faktenerfinder sehr viel gnädiger als beim BSW. Sie schauen seltenst zurück, um zu prüfen und nötigenfalls (das wäre oft) zu korrigieren. So hat der ARD-Faktenerfinder mit der „Expertise“ von Julia Smirnova von ISD im Juli 2023 Berichte über ein Scheitern der ukrainischen „Sommeroffensive“ als unglaubwürdig und inspiriert von russischer Propaganda dargestellt. Wenig später war klar, dass die Berichte zutrafen.
Ein Beitragsverweigerer aus Bayern argumentiert in seinem Gerichtsverfahren, es sei nicht zulässig, den Rundfunkbeitrag zu fordern, wenn die Sender ihren Auftrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt verfehlten. Den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof überzeugte das nicht, doch das Bundesverwaltungsgericht entschied im Juni eine Revision zuzulassen und sich der Sache anzunehmen. Ich habe zwar aufgrund eigener Erfahrungen mit den zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichts erhebliche Zweifel, dass dabei etwas anderes herauskommt als ein Persilschein für den Rundfunk. Aber, wenn ich mich täuschte, hätte das sehr weitreichende Konsequenzen.
Anfang April haben Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio ein Schreiben veröffentlicht, in dem sie die Einseitigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kritisieren. Sie sehen den Programmauftrag und die im Medienstaatsvertrag festgelegten Grundsätze verletzt und kritisieren eine „Eingrenzung des Debattenraums“, ein Verschwimmen von „Meinungsmache und Berichterstattung“ sowie zu wenig „inhaltliche Auseinandersetzungen mit konträren Meinungen“.
Nun kann der Kläger auch noch eine als Faktencheck getarnte Kampfschrift gegen eine (noch) nicht in den Rundfunkräten vertretene Partei zum Beleg der Einseitigkeit anführen. Bei dem angelegten Standard für Fehlerhaftigkeit könnte die ARD von jeder Partei eindrucksvolle Listen von falschen Aussagen und Einschätzungen erstellen und checken. Gerade hatte die Aussage, des früheren Umweltministers Jürgen Trittin zwanzigjähriges Jubiläum, wonach die Energiewende uns nicht mehr als den Gegenwert von einem Eis pro Monat kosten werde. Falschaussagen und Falschprognosen dieser Art von Grünenpolitikern sind Legion. Einen Faktencheck zu Falschaussagen von Grünenpolitikern in Sachen Energiewende gibt es jedoch nicht. Auch die vielen Falschbehauptungen der Außenministerin Annalena Baerbock wurden vom ARD-Faktenfinder noch nicht aufgespießt. Allenfalls die AfD wurde von der ARD mit Kampfschriften bedacht wie jetzt das BSW.
Von Timo Rieg gibt es eine Analyse mit Fallsammlung über Qualitätsdefizite im Corona-Journalismus, die vor allem auf Ausgewogenheit und Meinungsvielfalt hin untersucht. Auch auf diesem Blog findet man unter der Rubrik „Propaganda und Zensur“, indem man in die Suchmaske „FAktenfinder“, „ARD „, „ZDF“ oder „öffentlich-rechtlich“ eingibt, sehr viele Beispiele ausgeprägt einseitiger Berichterstattung an der Grenze oder jenseits der Grenze zur Propaganda.
Norbert Häring, Jahrgang 1963, arbeitet und lebt in Frankfurt am Main. Er wuchs auf einem Bauernhof in Baden-Württemberg auf. Bei einem dreimonatigen Schüleraustausch in Peru und Bolivien begegnete er grassierender Inflation, Ressourcenreichtum und Armut, was ihn dazu inspirierte, in Heidelberg und Saarbrücken Volkswirtschaftslehre zu studieren. In Saarbrücken erwarb er bei Professor Olaf Sievert mit einer Arbeit über die politische Ökonomie der Regionalförderung den Titel Dr. rer. pol.. Der Beitrag erschien in Erstveröffentlichung auf seinem Blog: https://norberthaering.de
Dieser Beitrag erschien in Erstveröffentlichung am 30.Juli 2024: https://norberthaering.de/propaganda-zensur/ard-kontra-bsw/
Er war drei Jahre für die Commerzbank tätig, zunächst in der Volkswirtschaftlichen Abteilung als Konjunkturanalyst, dann als Redenschreiber für den Vorstand und Managing Editor des Geschäftsberichts. 1997 wechselte er in den Wirtschaftsjournalismus. Er arbeitete bei der Börsen-Zeitung; zunächst als Redakteur, dann als Ressortleiter für Konjunktur und Wirtschaftspolitik. Er war bei der Gründung der Financial Times Deutschland dabei, wo er zunächst als Redakteur für Geldpolitik, dann als Stellvertretender Ressortleiter Finanzen arbeitete. 2002 wechselte er zum Handelsblatt, für das er seither schreibt. Er war von 2002 bis 2012 vor allem zuständig für Geldpolitik, seither liegt der Schwerpunkt auf Wirtschaftswissenschaften und Konjunktur. 2002 rief er den EZB-Schattenrat ins Leben, eine Gruppe von 15 prominenten Volkswirten aus Finanzinstituten, Universitäten und Forschungsinstituten, die geldpolitische Fragen diskutieren und Empfehlungen für die Geldpolitik der EZB verabschieden. Bis 2015 war er nicht-stimmberechtigter Vorsitzender des Gremiums.
Norbert Häring ist Autor (mit Olaf Storbeck) von „Ökonomie 2.0“, das mit dem Wirtschaftsbuchpreis 2007 von getAbstract ausgezeichnet wurde, und einer Reihe weiterer populärer Wirtschaftsbücher. Sein letztes Buch „Endspiel des Kapitalismus“ war ein Spiegel-Bestseller. Er wurde 2014 mit dem Preis der Keynes-Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2014 ausgezeichnet.
Norbert Häring war 2011 Mitgründer der World Economics Association (WEA). Der Ökonomenverband hat sich zum Ziel gesetzt, die Vielfalt in der Wirtschaftswissenschaft zu fördern, sowohl in regionaler Hinsicht, als auch hinsichtlich der verwendeten Methoden. Für die von der WEA herausgegebene Fachzeitschrift World Economic Review fungierte er von 2012 bis 2015 als Co-Editor.
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