Die Aufklärung ist nicht etwa nur ins Hintertreffen geraten. Nein, sie hat verloren! Und zwar in einem epischen Ausmaß.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Ein Skandal zeichnet sich vor unser allen Augen ab. Es kann gut sein, dass eine kleine, noch recht neue Partei in den Bundestag einzog. Inoffiziell jedenfalls. Offiziell ist es so, dass es diese Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), nicht geschafft hat. Nicht mal 14.000 Stimmen fehlten, um die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Aber auch diese Differenz schmilzt, denn es gab Anomalien – wie das BSW einige Ungereimtheiten in den Wahllokalen nannte. Bei der Auszählung haben sich Fehler summiert – ob bewusst oder nicht, darüber legen wir an dieser Stelle den Mantel des Schweigens. Denn ganz egal, welche Motivation dahintersteckt: Es ist ein Skandal, dass Union und Sozialdemokraten Koalitionsverhandlungen beginnen, während die Frage nach dem BSW im Bundestag noch offen ist. Denn solange es eine Chance darauf gibt, dass das BSW doch ins Parlament einzieht, ist eine solche Koalition gar nicht mehrheitsfähig.
Der Skandal ist nun, dass das kaum jemanden in dieser Republik dazu animiert, laut Einhalt zu gebieten. Keine empörten Nachrichten dazu. Keine Demonstrationen. Man wird eher den Eindruck nicht los, dass sich BSW-Politiker genieren müssen, wenn sie öffentlich über diese Wahlverfälschungen sprechen. Täter-Opfer-Umkehr: Dieses gern gebrauchte Kompositum im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik, wenn beispielsweise jemand die russische Sichtweise im Ukrainekrieg anbringt, findet hier aber keine Anwendung.
Demos für die Demokratie: Wo sind sie denn nun?
Nein, man schweigt bevorzugt, berichtet bestenfalls unterkühlt. Die Tagesschau ist mittlerweile darauf abgerichtet, Skandale zu generieren – hier lohnt ein Blick in das Buch »Inside Tagesschau« von Alexander Teschke –, aber dass da ein handfestes Versagen in der Matrix »unserer Demokratie« stattfand: Da ist man ganz kleinlaut und deeskaliert sprachlich, wo man sonst verbal gerne mal die Sau raushängen lässt. Dass der deutsche Bundestag ohne eine Partei stattfinden könnte, die unter Umständen nach korrekter Auszählung gute Chancen hätte, doch dort vertreten zu sein: Das ist doch eine Ohrfeige für alle, die sonst so tun, als seien sie aufrechte und lupenreine Demokraten. Die winden sich jedoch lieber, reden sich heraus: Zu wenig Zeit habe man gehabt, um die Bundestagswahl zu organisieren. Ein Witz! Das Grundgesetz sieht vor, dass innerhalb von 60 Tagen nach Auflösung des Bundestages gewählt werden muss – das heißt, es muss Strukturen geben, die diese Frist einhalten können. Wer so arglos mit der Zeitknappheit argumentiert, nimmt hin, dass der Gesetzgeber schludert und seinem verfassungsgemäßen Auftrag nicht folgt: Das sind vielleicht fahrlässige Demokraten!
Das ist doch alles keine Kleinigkeit! Keine Marginalie! Das ist verwegen, dass in diesem Land dauernd für die Demokratie protestiert wird, aber sich kein Aufschrei vernehmen lässt, wenn die demokratischen Verwaltungsprozesse so eklatant scheitern. Ja, das ist geradezu ehrenrührig – wenn es jemanden gäbe, an dessen Ehre das kratzte. Aber offenbar sind die Zeiten ehrlos genug, um darüber hinweg zu blicken. Es ist ja auch nicht der einzige Skandal, der sich dem Land aufdrängt. Etliche gab und gibt es. Konsequenzen hat das allerdings kaum. Ministerrücktritte sind selten – der Gesundheitsminister hat es tatsächlich durch die Legislaturperiode geschafft. Trotz dringenden Verdachtes der Verbreitung medizinischer Falschinformationen. Das ist einer der nächsten Skandale, der keiner sein soll. Was hat man in den Jahren dieser Pandemie nur angerichtet! Und was ist geschehen?
Das ist keine rhetorische Frage, die keiner Antwort bedarf. Sie war ernstgemeint, findet aber keine Antwort, weil die Antwort nur Leere wäre. Denn: Nichts ist geschehen. Sicher, nun berichtet auch das ZDF hier und da mal ein wenig über Impfnebenwirkungen – wenn Sie aber morgen bei Ihrem Hausarzt sitzen, kann es sein, dass dort ein Plakat hängt, dass für die Covid-19-Impfung wirbt. Und der Skandal, dass über Jahrzehnte kein Geld für Infrastruktur zur Verfügung stand, jetzt aber auf die Schnelle mal eben Milliarden und Abermilliarden für die Rüstung generiert werden können: Gibt es da große Aufregung? Friedensdemos bleiben Randnischenveranstaltungen. Kaum jemand traut sich auch nur diesen Irrweg zu monieren.
Das Kinderblut glücklicher Kinder
Dieses ganze Land, ja auch der europäische Überbau in Brüssel, Straßburg und so weiter, scheint nur noch aus skandalösen Umständen zu bestehen. Aber aus solchen, die kein Thema sein sollen. Und selbst wenn Versatzstücke an Kritik aufkommen, wenn dann doch mal beleuchtet wird, dass da was schiefläuft, heißt das gar nichts. Ich habe vor Jahren mal einen Artikel geschrieben, in dem ich die Frage aufwarf, was geschehen würde, wenn heute quellenfundiert und auf Wahrheit geprüft herauskäme, dass Facebook oder Meta seine Server mit Kinderblut kühlen würde. Meine Antwort, ganz meinem pessimistischen Naturell geschuldet: Der Aufschrei wird zwar riesig sein. Besonders bei Facebook werden die Empörten vom Leder ziehen und Meta den Tod an den Hals wünschen. Drei Tage lang vielleicht. Oder auch fünf. Aber dann verflacht es, denn die Politik kommt nicht in die Gänge, Facebook begründet währenddessen sachlich, warum es Kinderblut sein muss und kein Kind käme dabei zu Tode, im Gegenteil, Kinder könnten dort erste Karriereschritte machen. Und am Ende will man mit Marc Zuckerberg auch keinen Streit. Die Aufklärung hätte also ihren Dienst getan und dennoch nichts bewirkt.
Wer kennt sie nicht, die Gralshüter der Aufklärung? Zu sehen in so gut wie jedem Hollywood-Streifen. Dort nennen sie sich Journalisten. Und sie sind der Wahrheit auf der Spur. Nehmen die Fährte auf, gegen alle Hindernisse, die die Macht ihnen in den Weg stellt. Denn sie wollen nur eines: Mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Damit diese die Wahrheit erfährt und das eigene Handeln danach richten kann. Denn wenn das mit dem Kinderblut herauskommt, dann melden alle ihren Account bei Facebook ab und fordern Konsequenzen. Das Problem ist nur: Das ist Hollywood. Märchenfabrik. Journalisten sind so nicht. Speziell in Deutschland – und nur für Deutschland traue ich mir ein Urteil zu – sind Journalisten nicht die Handlanger der Aufklärung, sondern gehen fast geschlossen seit geraumer Zeit der Macht und ihrer Gegenaufklärung dienstbar zur Hand. Sie bringen kein Licht in die Dunkelheit, sondern sorgen für Vernebelung und Verschleierung. Und das Publikum, es sieht nichts mehr und schluckt jeden Skandal.
Als ich das mit dem Kinderblut ersonnen habe, ahnte ich nicht – naiv wie ich, naiv wie wir alle waren –, dass 2020 ein neues Zeitalter anbrechen würde. Kann man das heute noch leugnen? Danach war das Leben nicht mehr dasselbe. Denn Ungeheuerliches geschah. Und während es geschah, wartete man auf die Empörung, auf Gerichtsurteile, die einschreiten und die ministerkonferenzielle Gesetzlosigkeit beenden würden. Nichts! Es geschah nichts. Es wurde stattdessen immer ungeheuerlicher – das Undenkbare kam in unsere Mitte. Und seitdem ist es da. Beispiele, die so verwegen sind, dass man sie sich kaum vorstellen kann, gab es ab 2020 genug. Oder haben Sie vorausgesehen, dass dieses Land einen beträchtlichen Teil seiner Steuereinnahmen nach Osteuropa transferiert, um sich nochmal mit den Russen messen zu können? Und falls ja, ahnten Sie auch, dass es kaum Widerstand gegen die Abschiebung deutscher Steuermilliarden ins Ausland geben würde? Nein, heute bräuchte ich ein solches Beispiel wie jenes vom Kinderblut in den Servern von Meta nicht mehr. Die neue Realität schlägt die alte Phantasiefreude um Längen.
Die destruktiven Kräfte gewinnen gerade das Spiel
Wissen sei Macht: Auch so ein Spruch, der vom Geist der Aufklärung geküsst wurde. Und heute wissen wir viel, viel mehr als je zuvor. Und wo ist die Macht, die das verleiht? Das Land driftet ab, wird zu einem mit Regenbogen bepinselten Feldgrau, in dem der lebendigste Farbtupfer, der noch denkbar ist, das Camouflage in Braun- und Pastelltönen darstellt – damit sich die auf nackten Grund kriechenden Jungsoldaten nicht von der Scheiße und dem Schlamm unterscheiden, auf denen sie sich wie Würmer fortbewegen. Das alles, damit wir so weitermachen können wie bislang, ohne die Einflussnahme des russischen Teufels. Dieses Land war ohnehin die gelebte Tristesse, bevor es sich entschloss, auch dieses Trauerspiel nochmal zu steigern – oder zu senken? Deutschland geht offenbar nur radikal. Aus Tradition heraus. Und weil man damit immer gut an die Wand gefahren ist.
Das Spiel ist aus. Nichts geht mehr. Die Aufklärung ist tot. Sie funktioniert einfach nicht. Egal, was man auch aufdeckt, ganz gleich wie offenkundig die Belege sind, ja selbst, wenn diese Belege sogar Beweise sind: Verifiziert und über jedem Zweifel erhaben – es bewegt einfach nichts. Die Gegenaufklärung hat gesiegt. So trocken muss man das einordnen. Dennoch weiterzumachen, versuchen kritisch zu bleiben: Das ist nette Folklore und lässt an Sisyphos denken. Aber die Mächte der Gegenaufklärung haben alles im Griff. Die Maschine läuft gut geölt, noch besser geschmiert. Diese destruktiven Kräfte haben sich die Welt erobert.
Das ist es eigentlich, was dieser Tage immer offenbarer wird. In diesen Tagen zeigt sich, dass diese »unsere Demokratie« keinen nennenswerten Grund liefert, weswegen man für sie auf einem Schlachtfeld sterben soll. Denn dieses Land ist die zelebrierte Gegenaufklärung, ein Schattenreich der Verblendung und der Blendgranaten. Wir erleben den epischen Niedergang eines Anspruches, der alle Menschen erhöhen, sie zu selbstbestimmten Kreaturen machen sollte. Das Gegenteil tritt ein: Man degradiert die Menschen zum Mündeln, hält sie klein, macht sie klein: Zeigt ihnen den fremdverschuldeten Eingang in die Unmündigkeit. Dass die Aufklärung ein Vakuum hinterließ, weil sie der Sehnsucht nach Transzendenz die blanke Ratio entgegenstellte, las man seit vielen Jahren und Jahrzehnten immer wieder. Nun ist auch die Ratio weg und die Sehnsucht nach Transzendenz ist längst erstickt. Jetzt kommt das wirkliche Vakuum zum Vorschein. Es gibt nur noch wenig Sauerstoff. Flach atmen hilft – für eine Weile.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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