Sie sind Autor und möchten demnächst einen Literaturpreis abstauben? Vielleicht sogar den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels? Wenn ja, dann müssen Sie einiges beachten.
Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente
Bitte lassen Sie sich nicht täuschen – der Preis nennt sich zwar Friedenspreis. Aber mit einer friedlichen Botschaft muss das von Ihnen geschaffene Werk nicht unbedingt zu tun haben. Es ist vielleicht sogar anders, noch viel schlimmer: Eine friedliche Botschaft hat eher gar keine Chancen prämiert zu werden. Brücken bauen, für Verständigung werben, aufeinander zugehen, die andere Seite verstehen, die politischen Ranküne zugunsten der Lebenswirklichkeit betroffener Menschen zurückstellen: Vergessen Sie das alles!
Wenn Sie nicht prämiert werden wollen, dann machen Sie ruhig weiter mit diesem menschlichen, allzumenschlichen Schmonzes. In der pazifistischen Bedeutungslosigkeit liest man dergleichen gerne – da mag man den zu Papier gebrachten Hass nicht. Nur werden Sie dann die Preisverleiher der Bewusstseinsindustrie nicht wahrnehmen wollen. Denn denen steht der Sinn schon lange nach Friedenspreisen, die mit Kampfesreden begründet, mit Hass unterstrichen, mit Menschenverachtung belobigt werden.
Die weißen Tauben sind müde
Wir blicken mal auf jemanden, der es richtig angestellt hat: Des polnischen Außenministers Gattin – Frau Anne Applebaum. Sie ist die aktuelle Preisträgerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Endlich wurde ihr Werk gewürdigt – und zwar im Namen des Friedens. Zu dem äußerte sie sich selten – der Krieg ist ihr Thema. Pazifismus hält sie für »objektiv prorussisch« – die NATO-Osterweiterung verteidigt sie ausdrücklich – und es käme nun darauf an, dass der Westen einen Regime Change in Moskau bewirke. Nord Stream war ihrer Ansicht nach nie nötig und nur die Gier im Westen habe dieses Projekt begünstigt – ihr Herr Gemahl twitterte 2022 nach dem Anschlag auf die Pipelines nur: »Danke Amerika«.
Sehen Sie, so macht man das! Wer einen Friedenspreis will, der muss die Brücken abbrechen in seinem textlichen Bestreben. Der sollte seinem Werk einen Tarnfleckenanstrich geben. Bloß keine weiße Taube aufsteigen lassen. Denn die weißen Tauben sind müde. Sie fliegen lange schon nicht mehr. Insbesondere in Gremien und Jurys, die Preisträger küren sollen. Außerdem hat es gute Tradition im globalen Westen, Krieg mit Frieden zu labeln.
Nehmen wir den Friedensnobelpreis. Wer den schon alles erhalten hat! Henry Kissinger zum Beispiel – immerhin hat er den Krieg, den auch er verursacht und den vor allem er ausgeweitet hat, auch wieder beendet. Muss man einen solchen Friedensbringer nicht hochleben lassen? Die Europäische Union wurde vor zwölf Jahren ausgezeichnet. Und wo steht sie jetzt? Wo stand sie damals, als sie den Griechen und Spaniern das Sparen beibrachte und deren staatliche Autonomie drastisch beschnitt? Einige Jahre vor der EU-Auszeichnung sprach sich das Komitee des norwegischen Parlamentes, die den Friedensnobelpreis verleiht, für den noch recht frischen US-Präsidenten Barack Obama aus. Geleistet hatte er damals noch nichts, aber der Preis sollte ihn ermutigen, seinen in Wahlkampfreden in Aussicht gestellten Friedensgeist auch umzusetzen. Jede Drohne, die dann über Afghanistan flog, um dort auch Zivilisten zu töten, war ein Hohn auf jenen Osloer Preis.
Brücken sind Unrat
Davon kann man wirklich was lernen. Oder von dem hier: Vor zwei Jahren hat ein gewisser Serhij Schadan den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Schauen Sie nochmal genau hin, so lernen Sie etwas darüber, wie Sie es schaffen können, ein prämierter Friedensschreiber zu werden. Der ukrainische Schriftsteller weiß nämlich, wie er Russen titulieren muss. »Horde« oder »Barbaren« sind zum Beispiel die netteren Titel, man muss als Preiswürdiger aber aufdrehen: »Schweine« und »Abschaum« berühren so eine Jury schon eher. »Unrat« übrigens auch.
In der taz schrieb Jens Uthoff damals, dass man Verständnis dafür haben könnte. Wer das Töten der russischen Armee aus nächster Nähe erlebt habe, könne nun mal nicht anders. Mag ja sein, wer den Krieg gesehen hat, dem fällt eine gewisse Objektivität, die notwendig wäre, um ein Autor sein zu können, der für den Frieden wirbt, vermutlich nicht ganz so leicht. Aber gleichzeitig taugte ja ein solcher Schriftsteller nicht zum Friedensbotschafter. Außerdem gibt es eine Reihe von Schriftstellern, die den Krieg kennen und dennoch versöhnlicher klingen als Schadan. Man denke nur an den palästinensischen Autor Raja Shehadeh – der hegt keinen Groll, würdigt Israelis nicht herab, macht aus ihnen keinen Unrat oder vergleicht sie mit Hitler. Bevor die ersten jetzt aufmerken und empört schreien: Wenn Uthoff das Schadan zuerkennt, dann könnte man das auch palästinensischen Menschen mit Schreibbegabung zugestehen. Auch sie erleben Tod, Zerstörung und Vernichtung. Shehadeh tut aber all das, wie gesagt, nicht – aber der wird eben auch niemals einen Friedenspreis erhalten.
Sollten Sie einen Friedenspreis ins Auge fassen, liebe Autorin, lieber Autor, so dürfen Sie auf keinen Fall die ursprüngliche Idee solcher Auszeichnungen für bare Münze nehmen. Als der Friedenspreis 1950 erstmals vergeben wurde, kam man frisch aus einem Krieg. Alte Losung jener Tage: »Nie wieder!« Das war ein Anliegen. Kunst und Kultur könnten dazu etwas beitragen. Brücken schlagen – immer wieder die Metapher von der Brücke und den Errichtern solch überführender Werke menschlicher Baukunst. Über Gräben sollten diese Brücken führen, damit man zueinanderfinden kann. Wenn Sie Brücken mögen, haben Sie ein Problem – sie erschweren den Erhalt des Friedenspreises heutzutage ungemein.
Die Waffen nieder? Sind Sie verrückt?
Das Äußerste zu verhindern, das galt der Kunst und der Kultur. Das Kulturelle hat das Zeug dazu, Menschen zum Nachdenken zu bringen – auch zum Überdenken. Abseits des Politischen kann es auf Feinde zugehen, sie erfassen und begreifen wollen. Ohne politische Rücksichtnahmen sind andere Ansätze erlaubt und auch möglich. Bei Erich Maria Remarque spürt man etwa, dass Paul Bäumer, der deutsche Soldat und jener französische Soldat im Krater, den er im Nahkampf ersticht, und dessen Sterben er im Niemandsland begleitet, allesamt dieselben armen Schweine sind, die Getriebenen einer menschenverachtenden Politik – sie wollen nur, dass das aufhört. Oder dass sie selbst aufhören, damit es aufhört. Der Feind, diese Ausgeburt aus den teuflischen Tiefen der Hölle: Hier begreift man, dass alle dieselben Nöte und Ängste haben, den selben verkrusteten Dreck im Gesicht tragen – und so wird der Feind zum Menschen und im Krieg, den Remarque beschreibt, erblüht die Hoffnung, die Aussicht auf ein kleines bisschen Frieden.
Nun aber, liebe Autorinnen und Autoren, die traurige Nachricht: Remarque würde mit seiner Literatur heute keinen Friedenspreis erhalten. Egal, wie grauenhaft er den Krieg, wie erstrebenswert er den Frieden skizzieren würde: Keine Chance! Wenn Sie sich einen Friedenspreis erschreiben wollen, machen Sie es bloß nicht so wie der Osnabrücker Schriftsteller. Wenn Sie jetzt einwerfen wollen, dass das ja ungeheuerlich sei, weil Remarque ja schon mal geächtet und seine Bücher verbrannt wurden, weswegen es skandalös sei, Derartiges zu behaupten, so kann man nur erwidern: Ja, ist so! Und dabei mit den Schultern zucken.
Bertha von Suttner? Ihr Aufruf »Die Waffen nieder!« Sie erhielt 1901 den Friedensnobelpreis. 2024 erhielte sie aber mit so einem Text kein noch so kleines Friedenspreislein mehr. Waffen nieder? Wo wir doch wissen, dass nur Waffenlieferungen Frieden bringen? Dergleichen kann man doch nicht prämieren. Das wäre eine ganz falsche Botschaft an unsere Freunde in der Ukraine. Und an die Russen! Oder den Abschaum, wie manche sagen. Das gäbe einen Shitstorm, dann müsste sich die Jury mit wütenden Menschen auseinandersetzen, mit empörten Kriegern. Dann doch lieber jemanden auszeichnen, der nichts zur Sache eines Friedenspreises zu sagen hat, aber dennoch was geschrieben hat. Nun wissen Sie, was Sie wissen müssen, liebe Autorin, lieber Autor. Holen Sie sich den Friedenspreis 2025! Viel Glück!
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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