Nach den Wahlen im Osten sollte Farbe bekannt werden: Die Grünen sind eigentlich Betongraue.
Ein Kommentar von Roberto De Lapuente.
Ob Landtagswahl in Thüringen oder Sachsen: Die Grünen leiden an Landflucht. Die Partei der Ökologie, der Wald und Wiesen, der Natur und der Flora und der Fauna: Genau dort, wo man das alles findet, findet man die Grünen nicht. Am platten Land konnten sie keinen Zuspruch gewinnen. Dabei wäre das ja das ureigenste Umfeld, um sich für ein Mandat zu empfehlen. Denn das Land ist grün – nun ja, jedenfalls grüner als die Asphaltschluchten deutscher Städte, dort wo die Versiegelung als grandioser Akt urbanen Lifestyles bejubelt wird.
Dort aber haben die Grünen ihre recht miesen Wahlergebnisse kosmetisch aufgestylt. Denn in den Städten erzielten sie recht hohe Werte. Teilweise sogar zweistellig. Im Grauen, in von Brutalismus-Ungetümen ergrauten Bionaden-Paradiesen, so könnte man sagen, haben die Grünen sogar Rückhalt. Überraschend ist das aber nicht.
Denn die Grünen profitieren stark von ihrem Namen. Im Grunde ein klein wenig so wie der Masttierbetrieb Wiesenhof – alleine dieser Name! Man sieht lauter glückliches Federvieh vor dem geistigen Hühnerauge, fröhlich pickend über Wiesen stolzieren. Tierliebe Bauern rufen Puttputtputt und verstreuen satte Weizenkörner vor sich her. Das Logo von Wiesenhof unterstreicht diese Vorstellungen: Man sieht ein Bauernhaus, Blumen am Fenster, Bäume deuten sich hinter dem Gebäude an. Da kommen sie also her, unsere Chicken Nuggets. Die Hühner sind dort so zufrieden, sie gehen freiwillig zum Schlachter – aus Dank für ein derart wundervolles Leben.
Ganz so idyllisch geht es aber dort nicht zu. Wiesenhof ist – wie gesagt – ein Masttierbetrieb. Die Tiere leben auf engstem Raum. Die Fleischqualität ist dementsprechend. Für einen Hähnchenfleischbrei, der paniert und dann als Nuggets verkauft wird, reicht es aber allemal.
Bei den Grünen ist das nicht anders: Sie verkaufen sich als biologische Alternative, als Naturfreunde und –innen. Wenn sie etwas zu Wäldern oder Frösche erklären, tun sie so, als hätten sie alleine kraft ihres Parteinamens die Qualifikation, um darüber zu rezitieren. Und weil sie sich mit Natur auskennen, wissen sie beispielsweise auch sehr genau, dass Geschlechter nicht an zwei Fingern abzuzählen sind. Sie sind qua Namen Umweltexperten. Kennen die Biologie. Kennen Mutter Natur nicht nur. Sie sind Mutter Natur. Jedes Wort aus deren Mund versprüht reinsten Umweltschutz. Den nennt man heute allerdings Klimaschutz – und das ist auch Teil des Problems.
Denn die Umwelt ist nun wirklich schon lange nicht mehr das Betätigungsfeld dieser Partei. Die Grünen sind reinstes Greenwashing – ja, sie sind vermutlich das erste Greenwashing, das es je gab. Vor Jahren war noch wenigstens Flaschenpfand. Heute nicht mal mehr das. Man spricht über Klima, über Klimasteuern und Emissionsabgaben – als ob dadurch irgendwas auch nur im Ansatz für die Umwelt getan würde. Wo greifen die Grünen denn den ausufernden Konsum an? Die geplante Obsoleszenz? Beitrag der Grünen in dieser Bundesregierung zur Wegwerfkultur: Das Containern wurde straffrei gestellt – wer hinter dem Supermarkt in den Müllcontainer steigt, bekommt keinen Ärger mit der Justiz. So gehen die Grünen mit der Überproduktion von Müll um. Sie nehmen ihn hin und wollen das Erklimmen von Müllbergen straffrei sehen. Ist das Umweltschutz? Geht so Umweltpartei?
Nein, diese Partei folgt doch keiner Naturverbundenheit. Die Parteimitglieder wirken nicht so, als würden sie besonders viel Vertrautheit mit der Schöpfung aufweisen. Über Umwelt sprechen sie so wie über unbekannte Flugobjekte: Da gibt es wohl was – aber was es ist, keine Ahnung. Die Grünen haben den Bezug zu ihrer und zu der Umwelt verloren. Die Klientel, die sie wählt, kommt ja auch nicht vom Acker, nicht vom Waldesrand. Sie wohnt in den Kiezen großer deutscher Städte – je größer die Urbs, desto grüner ist sie. Nicht in Realität natürlich. Da ist sie überfüllt, laut, zugepflastert, voller Verkehrschaos. Kurz: Grau!
Die Grünen sind Betongraue, die Partei, die sich aus Versiegelungshotspots rekrutiert. Ihre Wählerschaft wählt grün, hat aber doch mit »draußen im Grünen« gar nichts am Hut. Man redet sich aber ein, dass man unglaublich grün und ganz nah am Puls der Natur sei – schließlich isst man im Frühjahr auch mal Bärlauch-Pesto, ganz regional und heimatverbunden. Das erzählt man sich mit lila gefärbten Haupthaar bei Mate und Fidschi-Wasser in der Soja-Braterei voll großkotzigem Stolz. Ein total von der chemischen Lebensmittelindustrie abhängiges Milieu imaginiert sich, die Welt mit ihrem Lebensstil zu retten, während diesem Lebensstil einen unglaublichen Ressourcenraub vorausgeht.
Wer echtes Fleisch isst, hat ja wenigstens noch in Nuancen die Chance, von seinem Bauern abhängig zu sein – wer sein Steak aus Tofu zusammenmanschen lässt, der gehört mit Haut und Haaren und allen Piercings der Industrie und ihren Zusatzstoffen. Dennoch setzt sich dieser Lebensstil in den Städten sukzessive durch. Und die Grünen sind die Partei solcher Leute – vielleicht auch noch die Linken, die wenigstens nicht vorgeben, besonders naturbezogen zu sein. Dabei hat man es mit einer Klientel zu tun, die glaubt, dass das städtische Leben im Grau-in-Grau der Wohnblöcke die Lebensrealität aller Menschen im Land widerspiegelt. Wenn sie auf eine Landpomeranze stoßen, starren sie irritiert vor sich hin und wissen nicht weiter. Warum tickt die so anders? Was, die isst Leberwurst? Der guten Ordnung halber schreien sie dann »Nazi!« und erzählen sich bei traurigen Grillfestchen, bei denen es Melone und stilles Wasser gibt, dass sie es wieder so einem Fascho gezeigt haben.
Dabei sind deutsche Städte selbstredend nicht die Wirklichkeit. Ja, je größer die Stadt, desto weniger ist das Deutschland, was man da sieht. Vor Jahrzehnten kamen Menschen in die Stadt, weil sie was arbeiten wollten – oder mussten. Man denke an die Stadtflucht von einst, Tausende trieb es vom Land in den Moloch; Stadtluft machte frei – und lohnabhängig. Heute treibt es Menschen in die Stadt, die unbedingt von der Wirklichkeit flüchten wollen. Eben auch von der Natur – und wie man sie bestellt und kultiviert, damit man von ihr und aus ihr leben kann. Die heutige Stadtflucht treibt die Realitätsverweigerer in die städtischen Massenunterkünfte. Sie nennen es alternatives Leben – aber es ist ein Eskapismus von Leuten, die weder alltagstauglich noch überlebensfähig wären, gäbe es diese versiegelten Plätze voller Anonymität nicht. Auf dem Land, da wären sie die Dorfdeppen.
Die Grünen sind wie ihre Wählerschaft so weit weg von der Natürlichkeit, dass ihr Name wirklich nur noch ein Marketingtrick ist. Und er funktioniert. Während die Sozialdemokraten und die Liberalen diese Ampel nicht überleben werden, werden die Grünen noch immer gewählt. Kleine Verluste gibt es, wird es auch bei der kommenden Bundestagswahl geben. Aber in den Städten leben genug Umwelt- und Landflüchtlinge, die dieser Partei noch immer auf den Leim gehen – für diese Leute stehen die Grünlinge für ein authentisches Leben. Das glauben sie nur, weil sie keine Ahnung von Authentizität haben. Kann man denn Ahnung von Leuten erwarten, die zusammengekleisterte Designerlebensmittel mit wirklichen Köstlichkeiten aus der Natur verwechseln?
Es ist nun wirklich an der Zeit, dass die Grünen ihren Namen ablegen. Marketing wäre ja in Ordnung – aber Etikettenschwindel? Sie ist die Partei der Metropolen. Auf dem Lande kennt man sie nicht mehr – können Sie sich etwa Emilia Fester als Bäuerin vorstellen? Irgendwo im Kuhstall Scheiße schippend? Ja, überhaupt auch nur an einem Bach sitzend? Nein, die Frau führt ein ganz anderes Doppelleben – in der Stadt und auf TikTok. Aus letzterem kennt sie vermutlich Bäume und Rehe. Weiß sie, dass Kühe kacken?
Schade wäre es freilich schon, wenn die Grünen nicht mehr »die Grünen« wären. Denn »olivgrün« ginge dann nicht mehr als Einordnung. Aber es gab Zeiten, da warfen sich Soldaten nicht in Camouflage ins Getümmel, trugen ihre biederen Uniformen auch beim Ausfall aus dem Graben. Die war in Grautönen gehalten – weswegen man im Ersten Weltkrieg häufig von »unseren Feldgrauen« sprach. Irgendwie tröstlich, dass diese Facette dieser Partei auch unter dem Namen Bündnis 90/Die Grauen erhalten bliebe.
Zum Autor: Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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