Was verstehen eigentlich die Apologeten, vor allem des politisch-medialen Komplexes hier in Deutschland, unter den massenhaft gebrauchten Sprachfloskeln „unsere Demokratie“ und „Diktatur“ eigentlich ganz konkret? In einer losen Folge von Artikeln möchte der Autor Wilhelm Domke-Schulz an konkreten Beispielen dieser und anderen Fragen auf den Grund gehen, um zu ergründen wie der Charakter dieser Gesellschaft tatsächlich beschaffen ist, die sich so gern selbst als das „beste Deutschland aller Zeiten“, als „unsere Demokratie“ oder als „unsere Werteordnung“ bezeichnet.
Eine polemische Essayreihe von Wilhelm Domke-Schulz
Machen staatliche Beschränkungen der individuellen Freiheitsrechte oder deren (eingeschränkte) Gewährung tatsächlich das einzig wahre, innere Wesen einer Gesellschaft aus oder sind sie vielleicht lediglich nur die oberflächliche Folgeerscheinung einer tieferen Ursache? Gehören bei der Beurteilung eines Staats- und Gesellschaftsmodells nicht noch ganz andere Aspekte dazu, wie zum Beispiel die Art und Weise der Nutzung seiner nationalen Ressourcen, wie und an wen die erwirtschafteten Erträge verteilt werden, wie es um die sozialen Verhältnisse im Lande steht, in welchem Verhältnis Eigentum und Reichtum verteilt sind, welche Aufstiegs- und Bildungschancen seine Bürger haben, ob unterschiedliche Geschlechter, Kulturen und Ethnien gleichberechtigt sind, ob das Land eine friedliche oder kriegerische Außenpolitik betreibt, usw., usf.?
Warum drücken sich ausgerechnet westlich sozialisierte Geschichtsschreiber und sogenannte „Qualitätsjournalisten“ so auffallend um diese äußerst interessanten Aspekte nicht nur der vergangenen DDR-Realität? Weil sie es nicht besser wissen? Nicht besser wissen können? Gibt es keine Unterlagen mehr, keine überlieferten Archivbestände, keine Zeitzeugen? Oder interessiert sie das alles im Grunde überhaupt nicht?
Ist es nicht vielmehr so, dass sich die offizielle westliche Geschichtsschreibung und Gegenwartsbetrachtung selbst auf einem vermeintlich himmelhohen „Feldherrenhügel“ verortet und von dort, von unerreichbar weit oben, auf den minderwertigen „Rest der Welt“, ganz tief unter sich herabblickt und damit die eigene Sichtweise und Weltinterpretation zur allein gültigen und einzig wahren erklärt?
Das selbst erschaffene Zerrbild, der „einzig wahren, guten, vollkommen fehlerfreien, ach-so demokratischen, westlichen Werte-Ordnung“ kann man eigentlich nur noch als wahnhaft anmutende Hybris bezeichnen. Und auf eine Hybris folgt bekanntlich die Nemesis, als gebührende Strafe auf dem Fuße.
Selbst Jahrzehnte nach der Zerschlagung der DDR ist die westlich geprägte Geschichtsbetrachtung, aufgrund der eigenen Überhöhung, noch immer völlig außerstande, wenigstens eine halbwegs objektive, ideologieferne, analytisch-wissenschaftliche Betrachtung der ostdeutschen Vergangenheit vorzunehmen und folgt damit völlig unbelehrbar ihrem vorbestimmten Irrweg.
Die systemimmanente westliche Anmaßung gegenüber allen anderen und damit auch gegenüber dem später vom „Westen“ systematisch vernichteten ostdeutschen Gesellschaftsmodell, begann schon unmittelbar nach Kriegsende.
Kaum hatten sie offiziell dem Faschismus abgeschworen, echauffierten sich ausgerechnet die altfaschistischen Gründungsväter und -mütter der BRD wutentbrannt über die sogenannte „Soffjett-Diktatur in der Ostzone“ hinterm „Eisernen Vorhang“.
Gerade hatten die westdeutschen Altfaschisten den Krieg verloren, verbreiteten sie schon wieder auf allen Kanälen ein ohrenbetäubend lautstarkes, ideologisches Propagandagetöse gegen das sozialistische Konkurrenzmodell, den ostdeutschen Staat.
Als wäre das nicht schon geschichtsvergessen genug, weigerten sich die postfaschistischen Eliten der BRD auch noch vehement, die staatliche Existenz der DDR überhaupt anzuerkennen und bestanden jahrzehntelang auf internationalem Parkett darauf, für ganz Deutschland zu sprechen und zu handeln.
Die Nichtanerkennung eines anderen souveränen Staates und seiner Regierung, als völkerrechtswidrige Schein-Legitimation, um ihm schließlich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln von außen, fremden Willen aufzuzwingen. Das hat bekanntlich Tradition. Nicht nur in der bundesdeutschen, sondern in der gesamten westlichen Außenpolitik. Bis heute.
Das fast schon cholerisch anmutende Feindbild „Ostzone“ wurde dabei im Laufe der Zeit übergangslos von den transatlantisch geprägten Zöglingen der altfaschistischen Eliten im Westen Deutschlands übernommen und bis in die Gegenwart, nun auf gesamtdeutschen Boden, zur unanfechtbaren „Staatsräson“ hochgepäppelt.
Stellt sich also weiter die Frage, warum sich damals im Westen ausgerechnet die altfaschistische Elite so sehr über die neue, diesmal allerdings angeblich „kommunistische Diktatur“ in der sogenannten Ostzone empörte. Ausgerechnet die Altfaschisten. Sie hatten es gerade nötig, sich auf ein dermaßen hohes, moralisches Ross zu schwingen.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die berufliche Vorgeschichte dieser Leute, an ihre zwölf Jahre lang praktizierte, mörderische Intoleranz gegenüber konkurrierenden politischen Anschauungen, anderen Gesellschaftsordnungen, Kulturen und Ethnien, an die von ihnen begeistert durchgesetzte, ideologische „Gleichschaltung“ von Presse, Rundfunk und Kunst. Ganz zu schweigen von ihrem Vernichtungsfeldzug und Völkermord an unzähligen Millionen Sowjetbürgern und europäischen Juden.
Gab es da etwa eine Traditionslinie, eine Konstante, eine ideologische Kontinuität in der Auseinandersetzung zwischen „Ost“ und „West“?
Der Vorgängerstaat von BRD und DDR, das sogenannte „Großdeutsche Reich“, wird von westlich sozialisierten Geschichtserklärern gern als „National-Sozialismus“ oder „NS-Staat“ bezeichnet. Ihre fadenscheinige Begründung der äußerst fragwürdigen Wortwahl: „…die National-Sozialisten haben sich ja schließlich selbst so genannt.“
Ja sicher. Das haben sie. Aber entspricht diese Wortverbindung deshalb dem Wesenskern des „III. Reiches“?
Hochstapler geben sich bekanntlich ebenfalls völlig unzutreffende Bezeichnungen. Sie nennen sich zum Beispiel „Rechtsanwalt“, „Baron“ oder „Schönheitschirurg“. Verwendet man deshalb in der Anklageschrift die gleiche Titulierung, „Herr Baron, sie haben sich unrechtmäßig als Baron ausgegeben“, weil sich der Angeklagte ja schließlich selbst „Baron“ genannt hat? Wohl kaum.
Interessanter Weise gilt gleiches Recht ganz offensichtlich nicht für konkurrierende Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme. Diese überzieht man konsequent mit völlig unkorrekten Begrifflichkeiten, die immer der eigenen, engen, polarisierenden Weltsicht entsprechen.
So wird im öffentlichen Diskurs die „Russische Föderation“ schlicht zu Russland herabgestuft, obwohl dort nicht nur Russen leben, sondern über hundertvierzig verschiedene Ethnien, oftmals in eigenen autonomen Regionen und Republiken, zusammen geschlossen eben in der Russischen Föderation. Allein die Verwendung des Begriffes „Russische Föderation“ könnte schon zu einem differenzierteren Nachdenken über den östlichen Nachbarn anregen. Aber das will man offenbar nicht.
Warum nennen (west-)deutsche Geschichtsdeuter den deutschen Faschismus also nicht beim Namen? Denn das Wesen des deutschen Faschismus war schließlich nicht national, sondern nationalchauvinistisch, stellte also die eigene Nation über alle anderen und war auch nicht sozialistisch, sondern radikal großkapitalistisch und damit das komplette Gegenteil von „national“ und „sozialistisch“. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus dem argumentativen Zusammenhang, den immer wieder (westliche) Ideologen und Geschichtsinterpreten herstellen.
Ihre haarsträubende These lautet: Weil die DDR ein sozialistischer Nationalstaat war, ergibt sich alleine aus dieser Wortwahl eine klare Parallele zur „nationalsozialistischen Diktatur“. Die Wortverbindung „sozialistische Gesellschaftsordnung“ würde also angeblich den totalitären, faschistischen Charakter der DDR-Gesellschaft „entlarven“.
So völlig krude verbogen können eigentlich nur ideologisch wahnhafte Fanatiker denken. Was für eine einschichtig-tendenziöse Sichtweise, die jeder Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit Hohn spricht! Plumpe ideologische Propaganda wäre wohl eher die zutreffende Bezeichnung für eine solche „Argumentationskette“.
Schließlich war die DDR gesellschaftlich, wirtschaftlich und ideologisch betrachtet das komplette Gegenteil des „Großdeutschen Reiches“, das ein expansiver großkapitalistischer Staat gewesen ist, der planwirtschaftlich geführt wurde, um mit militärischen Mitteln und repressiver, staatlicher Gewalt seine Konkurrenten in Europa und Nordafrika auszuschalten, sie zu unterwerfen und auszuplündern.
Seine Kriege gegen andere Völker, bis hin zu ihrer vollständigen Unterwerfung oder Vernichtung waren die radikalste, kapitalistische Variante zur Markterweiterung, bzw. vollständigen Marktbeherrschung fremder Territorien durch deutsche Eigentums- und Machteliten. Sie dienten darüber hinaus der Einverleibung fremder Rohstoffe und der Ausbeutung der unterworfenen Bevölkerungen als billige Arbeitssklaven.
Diese Herangehensweise versprach höchste Profite, da man die Früchte der Ausbeutung militärisch eroberter Rohstoffgebiete nicht mit fremden Eigentümern teilen musste, keine Zollschranken mehr den Warenhandel behinderten und keine zusätzlichen Steuern in anderen Staaten entrichtet werden brauchten. Der deutsche Faschismus diente also zu nichts anderem, als der ungehemmten, schrankenlosen Profitmaximierung des deutschen Wirtschafts- und Finanzadels.
Zur Kriegsfinanzierung griffen sich die deutschen Eliten dabei nicht einmal in die eigenen Taschen. Dafür hatten sie schließlich den deutschen Steuerzahler auf der einen und jüdisches Vermögen und Eigentum auf der anderen Seite.
Die deutschen Eliten und sehr große Teile der Bevölkerung waren im sogenannten „III. Reich“ ideologisch so unglaublich verblendet und entmenschlicht, dass sie die Enteignung und Plünderung jüdischen Vermögens zur Kriegsfinanzierung als völlig „rechtens“ empfanden und die millionenfache Ermordung ihrer jüdischen Mitbürger mehr wie eine großangelegte Aktion von Kammerjägern empfanden, denn als brutalen Völkermord. Das jahrelang massenmedial geprägte Bild des „jüdischen und slawischen Untermenschen“ hatte sich so erfolgreich in den Köpfen der „stolzen deutschen Nationalsozialisten“ festgesetzt, wie ein unheilbarer, eitriger Hirntumor.
Ein ganz ähnliches Weltbild prägt übrigens auch die von den postfaschistischen, transatlantischen BRD-Ideologen vehement unterstützten und praktisch in den „Heldenstatus“ erhobenen, faschistischen Massenmörder und Terroristen in der Ukraine, die dort seit 2014 ihre russischen Mitbürger und politischen Gegner als „Kartoffelkäfer“ jagen und am liebsten aus dem Land vertreiben oder gänzlich ausrotten möchten, ganz so wie es ihre historischen Vorbilder der deutschen Waffen-SS getan haben.
Unterm Strich handelte es sich also beim „III. Reich“ um ein expansionistisches, großkapitalistisches, staatsterroristisches Gebilde, das weder national, noch sozialistisch orientiert war, sondern zur Erzielung maximaler Profite ihrer Wirtschaftseliten Millionen von Toten in Kauf nahm.
Wesenskern dieses Gesellschaftssystems war das alles beherrschende, rücksichtslose Konkurrenzprinzip. Jeder Konkurrent wurde verfolgt, bekämpft und vernichtet, sein Eigentum und Vermögen privatwirtschaftlich eingezogen. Das galt sowohl in der Innen-, als auch in der Außenpolitik.
Eine solch steinzeitlich anmutende Raubtierpolitik konnte natürlich nur gegen den Willen des im Laufe der Jahrhunderte immer größer gewordenen, humanistisch gesinnten Teils der Bevölkerung geführt werden. Deshalb fungierten die deutschen Eliten als willige Steigbügelhalter für den deutschen Faschismus, denn er war in seiner maßlosen Skrupellosigkeit und Brutalität als einziger willens und in der Lage ihre Vorstellungen des „totalen Konkurrenzkampfes“ gegen allen und jeden, erfolgreich in die blutige Tat umzusetzen.
Das heißt der deutsche Faschismus, die faschistische Diktatur bildete damit nicht das grundlegende Wesensmerkmal des „Großdeutschen Reiches“, sondern war im Grunde eine zutiefst elitäre, von seinen Macht- und Eigentumseliten auserkorene, staatsterroristische Erscheinungsform, die ihnen so hohe Profite und totale Marktbeherrschung bescherte, die ihnen von keiner anderen, friedlicheren, demokratischen Staatsform garantiert werden konnte. Wie diese unglaubliche Hybris endete ist (noch) weithin bekannt.
Genauso Realitätsverbiegend wirft die westlich sozialisierte Geschichtsschreibung gern die sogenannte „NS-Diktatur“ mit der ebenfalls sogenannten „DDR-Diktatur“ in einen gemeinsamen Topf und spricht egalisierend von den „zwei deutschen Diktaturen“, die sich nicht wiederholen sollten. Sie suggerieren damit ein Gleichheitszeichen zwischen „Großdeutschem Reich“ und „Deutscher Demokratischer Republik“, das an geschichtsverzerrender Perfidie kaum zu überbieten ist.
Was soll denn das Gemeinsame an diesen beiden „Diktaturen“ gewesen sein? Dass es sich in beiden Fällen um diktatorische Staatsformen gehandelt hat und sie deshalb gleich zu behandeln sind? Ist das alles? Oder soll damit nicht vielmehr, propagandistisch äußerst wirkungsvoll, davon abgelenkt werden, dass die DDR im Grunde vor allem ein äußerst ernst zu nehmendes, konkurrierendes, nationalstaatlich-sozialistisches Gegenmodell zum expansiven BRD-Großkapitalismus darstellte, dem es mit allen Mitteln den Garaus zum machen galt?