„Die Kommunistin“? – Eine neue Wagenknecht-Biographie zwischen Mythos und Realität

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  • Juni 1, 2024
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Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wirbelt die deutsche Parteienlandschaft auf und scheint sich bei den anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland als mehr als nur das Zünglein an der Waage zu entpuppen. Klaus-Rüdiger Mai hat nun eine polarisierende Biographie über die Namensgeberin der neuen Partei vorgelegt – aus der man zwar viel lernt, aber nicht ganz schlau wird. 

Eine Rezension von Sven Brajer

shutterstock/Mo Photography Berlin

Es ist ein komplexes und mitunter etwas zu konzeptionell gewordenes Buch, das Klaus-Rüdiger Mai im Superwahljahr 2024 über Sahra Wagenknecht im Europa-Verlag, 288 Seiten, 24 €, veröffentlicht hat: „Die Kommunistin: Sahra Wagenknecht: Eine Frau zwischen Interessen und Mythen“. Das Wenige, was Autor und Protagonistin gemeinsam haben ist die ostdeutsche Herkunft, der hart erkämpfte Erfolg im Westen des Landes und die fundierte Kritik am irren Zeitgeist der Bundesrepublik der letzten Jahre. Gleich zu Beginn des Buches stellt der Dramaturg und Germanist klar: „Dass es nicht vernünftig ist, Politik gegen das eigene Volk zu treiben, Steuern und Abgaben immer weiter zu erhöhen und wie der […] Spielsüchtigste aller Spielsüchtigen für den Hasard der irrationalen Klimapolitik Schulden zu machen, als gäbe es kein Morgen.“ Oder auch: „Dass es nicht vernünftig ist, die innere Sicherheit zu vernachlässigen und die Infrastruktur von der Bahn über die Kommunikationsnetze, das Gesundheitswesen bis hin zu Straßen und Brücken zerfallen zu lassen, um in Peru Fahrradwege zu bauen und Millionen [Euro] nach Afrika und Asien zu transferieren, weiß auch jeder.“ (S. 15-16) Angeblich genau wie „Migranten in Millionenzahl in die deutschen Steuersysteme zu holen“ (S.16) ebenfalls wenig vernünftig sei. Das Wort „Vernunft“ findet sich – zusammen mit der „Gerechtigkeit“ auch prominent in der noch recht inhaltsleeren Programmatik des BSW – und zwar direkt hinter dem Namen der Parteigründerin: Die Kritik an der Klima-, Steuer- und Energiepolitik der Bundesregierung sowie der seit 2015 massiv ansteigenden Anzahl ankommender Migranten, die 2022 ein neues Allzeithoch erreicht hatte, teilt Wagenknecht an vielen Stellen, unvergessen ihre Rede über die „dümmste Regierung Europas“ der Mai wohl noch „und in der Geschichte der Bundesrepublik“ hinzufügen würde. 

Dann scheiden sich allerdings die Geister: Denn Mai versucht in einer orchestrierten Anlehnung an Faust I ein durchideologisches Lebensbild Sahra Wagenknechts, geprägt durch Johann Wolfgang von Goethe, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Karl Marx, der Optik, weniger der Weltanschauung Rosa Luxemburgs und ausgerechnet Walter Ulbrichts „Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung“ hin zum Kommunismus zu zeichnen, der angeblich bis zum heutigen Tag das Denken und Handeln der gebürtigen Thüringerin bestimme. In „Vorspiel auf dem Theater“ wird Wagenknecht als „Zauberin, die die Vergangenheit zur Zukunft verklärt“ stilisiert. Damit gewinne der „orthodoxe Marxismus wieder an Boden – und Sahra Wagenknecht ist seine Lichtgestalt“ (S.11.) Bereits an dieser Stelle dürfte den meisten Kritikern und erst recht den Sympathisanten der 54-jährigen die Frage in dem Sinn kommen: Wie kommt Mai zu so einer Aussage? Hat er ihre zum Teil ordoliberalen Bücher wie „Freiheit statt Kapitalismus“ (2011) nicht gelesen bzw. verstanden, auf der sie gar auf den ehemaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard und Apologeten der sogenannten Freiburger Schule wie Walther Eucken rekurriert? Oder „Reichtum ohne Gier“ (2016), wo Wagenknecht den nachneoliberalen „oligarchischen Kapitalismus“, durch nützliche Idioten wie führende Mitglieder der olivgrünen Partei befeuert, in die Mangel nimmt, der spätestens seit der Corona-Krise alles diktiert und besonders den Mittelstand in Deutschland gnadenlos rasiert? Offenbar nicht, denn nachdem man sich über 250 Seiten durch das Buch gekämpft hat, um eine Antwort darauf zu finden stellt man fest, dass sich Mai vor allem mit Wagenknechts Leben in der DDR und den 1990er Jahren intensiv befasst hat. Das 21. Jahrhundert – in denen sich Wagenknechts Weltbild von der ehemaligen Stalinistin hin zur „linkskonservatien“ Ordoliberalen verwandelt hat – wird bei Mai lediglich auf den Seiten 218 bis 240 mit dem Fokus auf ihr Buch „Die Selbstgerechten“ (2021) abgehandelt, wo der Autor zwar einerseits Wagenknechts „richtige[n] Beschreibungen woker Herrschaft“ (S. 239) lobt, ehe ein kurzer Exkurs über den von ihm verhassten „Postmodernismus“ sowie daraus resultierend andererseits heftige Kritik an Wagenknechts Wirtschaftsbild folgt. Konkret konstatiert er, dass die 54-jährige versuche: „kommunistische Ideen mit denen des Ordoliberalismus zu kombinieren“ (S.257) und versteift sich zur Aussage: „Es besteht kein Zweifel, dass Sahra Wagenknecht, was ihre Bewunderer sehen sollten, nichts anderes als die sozialistische Gesellschaft will, die diesmal kreativ zu sein hat.“ (S. 261) Doch letztendlich will sie die Unternehmerschaft stärken, Konzerne entmachten bzw. zum Teil verstaatlichen. Zum Teil hat das in der alten Bundesrepublik gut funktioniert, die Frage ist allerdings berechtigt, ob dieses vermeintlich Beste aus zwei Welten heute noch tragbar ist: Für das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, den kleinteiligen Mittelstand, dürfte es aber in jedem Fall besser sein, als die verheerende Wirtschaftspolitik der „Ampel“ in Berlin – oder aber auch eines knallharten Kapitalismus, bei dem der Markt vermeintlich alles regelt und der Mai vorschwebt. Es stellt sich die Frage wie der Luther-Biograph final zu folgender Diagnose kommt: „bei allen richtigen Problemstellungen, mit denen sie auch beim konservativen Publikum punktet, ist und bleibt sie eine Kommunistin“ (S. 272-273). Vielleicht ist und bleibt Mai auch ein „kalter Krieger“?

Unabhängig von diesen Zuschreibungen schildert Mai zuvor eindrücklich und zum Teil pedantisch das Umfeld in den Sahra Wagenknecht aufwächst. Vor allem die späten 1980er Jahre in Berlin und der intellektuelle Austausch mit dem DDR-Chef-Dramaturgen Peter Hacks stehen dabei im Mittelpunkt – viel zu viel, denn die Seiten 51 bis 220, etwa die Jahre 1987 bis 1995 nehmen einen Großteil dieser ungleichen Beziehung ein, die stellenweise einige „Aha-Erlebnisse“ an den Leser vermittelt, mit der Zeit aber erschöpfend wirkt und vielleicht auch damit zu erklären ist, dass Mai über Hacks Intimfeind Heiner Müller promoviert hat, und sich somit – ähnlich wie als vehementer DDR-Kritiker – als ideologischer Antipode zu Wagenknecht sieht. 

Am Ende bringt Mai noch das Kapitel „Epilog oder Prolog“: Die Geburt des BSW oder wie Mai es nennt: „Wagenknechts Krönungsmesse“. Ein minutiöses Schauspiel der BSW-Gründung am 11. Januar 2024 folgt. Wagenknechts meisterhafte Selbstdarstellung – die im Prinzip das ganze Buch durchweg betont wird – steht dabei im Mittelpunkt: „Ihre Rede hält sie hochemotional nach außen und dabei kalt und kontrolliert von innen, immer auf den Effekt achtend. Die Pointen sitzen, sie sind gesetzt und hören sich zuweilen nach KI an, künstlich, kalkuliert.“ (S. 268) Und in der Zusammensetzung der anderen Vorstandsmitglieder stellt er – leider – richtig fest: „Der Osten fehlt“ (S.269). 

Mittlerweile hat das BSW aber recht schlagkräftige Mitgliederverbände in Sachsen, Thüringen und Brandenburg geschaffen, die Umfrageergebnisse mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen sind dort überall zweistellig. Mais Biographie über Wagenknecht schafft es leider nur an manchen Stellen den medialen und politischen Erfolg der Protagonistin und ihrer (Ex-)Partei(en) zu erklären, zu sehr erschöpft sich der Autor in dramaturgisch überzeichneten Details, lässt dafür wichtige Ereignisse und Prozesse der letzten zehn Jahre – wie die (Selbst-)Zerstörung der deutschen Linken – zum großen Teil außen vor und begründet eben nicht nachvollziehbar warum Wagenknecht heute noch als „Kommunistin“ durchgehen sollte. Dennoch hat er ein interessantes Buch geschrieben, das seine Stärken vor allem in der Milieubeschreibung Ostberlins am Übergang der späten DDR zur Berliner Republik aufzeigt – die Zeit, die Wagenknecht maßgeblich geprägt hat. Für den provokanten Titel ist das allerdings zu wenig, um die damit verbundenen Erwartungen zu erfüllen. 

Zum Autor: Sven Brajer ist promovierter Historiker, freier Journalist sowie gelernter Einzelhandelskaufmann. Er stammt aus der Oberlausitz, hat in Göttingen und lange in Dresden gelebt, lebt derzeit in Berlin und Görlitz und betreibt den Blog www.imosten.org.  Er interessiert sich für die deutsche und europäische Sozial-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des 19.-21. Jahrhunderts, Revolutionsforschung, Geopolitik mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa, aber auch für aktuelle (finanz-)politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, insbesondere von Parteien und Bewegungen. 2023 erschien sein Buch: „Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken. Von der Kapitalismuskritik zum woken Establishment“ im Promedia Verlag.

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