Die Ochsen sind eingespannt

  • MEINUNG
  • Juli 21, 2024
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Am 2. Juli 2024 stellte Generalleutnant André Johannes Bodemann (geboren im Jahr 1965) und seit 1. April 2023 Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, den ‚Operationsplan Deutschland‘ vor, dessen Erstellung er maßgeblich verantwortet. Im Gespräch mit NTV umreißt Bodemann, der auch gleichzeitig die Aufgaben des Nationalen Territorialen Befehlshabers der Bundeswehr wahrnimmt, worum es bei dem Operationsplan geht. Bei dem vom Grundsatz her geheimen 1.000seitigen Dokument, das in 100 Tagen hinter verschlossenen Türen konzipiert wurde, geht es darum, die ‚Drehscheibe Deutschland‘ zu bedienen. Im Gegensatz zu den „Rahmenrichtlinien der Gesamtverteidigung“ sei dieser Plan ein konkretes Papier, so Bodemann. Darin wird geregelt, was zu tun ist und wer welche Aufgaben übernimmt, um Deutschland in Frieden, Krise und Krieg zu schützen bzw. wie man dies umsetzt, wenn es erforderlich ist. „Der Plan betrifft alle! Die Verteidigung ist eine übergreifende Aufgabe, staatlich wie gesamtgesellschaftlich“ (1), so der Generalleutnant. 

Ein Beitrag von Wolfgang Effenberger

Shutterstock/ Tukaram.Karve

Als „Host Nation“ (Staat, der Hilfestellung gewährt) von alliierten Truppen, muss Deutschland in Frieden, Krise und Krieg für verbündete Streitkräfte und Organisationen der NATO/ EU, die sich auf deutschem Hoheitsgebiet oder im Transit durch Deutschland befinden, alle zivilen und militärischen Unterstützungsleistungen erbringen. Das geht beispielsweise von der Planung und Genehmigung von Durchfahrten über deutsche Straßen oder Gewässer bis hin zum Bereitstellen von Unterkünften oder Betankungsmöglichkeiten an Bundeswehr-Standorten. Grundsätzlich kann jede ausländische Streitkraft, die nach Deutschland kommen möchte, Host Nation Support beantragen. (2)

Diese Aufgabe erläuterte Bodemann am Beispiel der US-amerikanischen Truppen, die in Vlissingen (NL) anlandeten und den Befehl hatten, die Ostflanke der NATO zu verstärken. Dazu werden etwa Bodentruppen mittels Bahn, Straße Autobahn oder Lufttransport über Deutschland zum jeweiligen Einsatzraum verlegt. Bei den notwendigen Verlegungspausen müssen sie dann durch ein „Convoy-Support-Center“ mit Betriebsstoff, Verpflegung, Frischwasser und Sanitätsdienstlicher Betreuung versorgt werden. Bodemann geht davon aus, dass die wesentlichen Truppenteile der Bundeswehr für derartige Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie sich selbst schon im zugewiesenen Einsatzraum befinden. Deshalb wird nach dem „Prinzip der maximalen zivilen Leistungserbringung“ gehandelt. Das bedeutet: Truppen verbündeter Nationen werden in solchen Fällen nicht durch einen Betriebsstoff-LKW der Bundeswehr versorgt, sondern durch ein geeignetes ziviles Betriebsstoff-Unternehmen. 

Die Sanitätsdienstliche Versorgung erfolgt nicht durch die Bundeswehrsanitäter, sondern etwa durch die zivilen Hilfsdienste Malteser oder die Johanniter beziehungsweise durch die Einsatzorganisation Rotes Kreuz. Die Verpflegung übernimmt nicht die Truppenküche der Deutschen Bundeswehr, sondern ein geeigneter ziviler Caterer. (3)

Nach Bodemann befindet sich Deutschland dabei „formaljuristisch“ nicht im Krieg: „Wir befinden uns nach meiner Auffassung schon lange nicht mehr im Frieden, weil wir täglich angegriffen werden. Wir befinden uns in einer Phase dazwischen. Nennen sie es Grauzone oder Hybride Phase“. (4)

In diese „hybride“ Phase fallen vier Angriffsarten eines potenziellen Gegners: 

1. Desinformation und Fake-News, 2. Cyberangriffe auf die Bundesregierung und große Unternehmen, 3. Ausspähung und Spionage sowie 4. Sabotage 

„Wir haben Sabotage“, stellte Bodemann fest und fordert dazu auf: „… denken Sie an Nord-Stream 2“. (5) Doch sollten sich möglichst viele Menschen auch noch an den 27. März 2023 erinnern. Da scheiterte nämlich (mit Hilfe Deutschlands!) im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution für eine Untersuchung der Explosionen an den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2.

Bei einer Abstimmung des mächtigsten UN-Gremiums stimmten nur China, Russland und Brasilien für eine Untersuchung, die restlichen 12 Staaten, Die USA, Frankreich, Großbritannien, Japan, Schweiz, die Vereinigten Arabische Emirate, Albanien, Ecuador, Gabun, Ghana, Malta und Mosambique enthielten sich der Stimme. (6) 

Da der Krieg zurückgekommen ist, brauchen wir einen Friedensplan. Gern hätte Bodemann den Plan aus dem Ost-West-Konflikt der 70er Jahre wieder hervorgeholt. 

Im Jahr 2007 verbreitete der deutsche Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, er habe 1969 als Verteidigungsminister den „todbringenden Unfug“ sogenannter „atomarer Landminen“ (richtig: Atomic Demolition Munitions, abgekürzt ADM) verhindert. 

Der Verfasser dieses Artikels, 1964 als Offiziersanwärter in die Pioniertruppe der Bundeswehr eingetreten, erhielt in seiner aktiven Dienstzeit Einblick in das geplante atomare Gefechtsfeld. 

1973 – direkt nach dem Ingenieurstudium – musste er sich als junger Pionierhauptmann mit diesem „todbringenden Unfug“ beschäftigen. In der Funktion als Mobilmachungssachbearbeiter eines Korps-Pionierbataillons musste er den „General-Defense-Plan“ umsetzen, während er in seiner Zweitverwendung als Wirkungsberater gemäß Dienstanweisung unter anderem ADM-Sperrpunkte zu erkunden und vorzubereiten hatte. 

Anfang der achtziger Jahre erhielt die Pioniertruppe der Bundeswehr unter Kanzler Helmut Schmidt modernste Bohrtechnik, um verrohrbare Bohrungen bis auf 50 Meter Tiefe herzustellen. In dieses Bohrloch konnte die passende ADM abgesenkt werden. Bei der Explosion der Atomminen wären dann „über 200.000 Kubikmeter Erdreich“ in die Luft geschleudert worden. Diese Erdmassen wären dann – etwa eine Minute später – als verstrahlter Niederschlag auf Mensch und Tier heruntergefallen. Das potenzielle Schlachtfeld Deutschland war jedenfalls bestens präpariert für diese Art des Waffengangs mit dem Feind aus dem Osten. 

Im sogenannten Ernstfall hätte der Verfasser einen „Atomaren Sperrzug“  führen müssen – (Stärke cirka 35 Bundeswehrsoldaten und ein Trupp US-Amerikaner) – ausgestattet mit Atomsprengkörpern. 1973 hatten die damaligen Kriegsplanungen erschreckende Ausmaße angenommen. Die „Nukleare Planungsgruppe“ legte zwischen Weser und Weichsel an die 2100 Atomzielpunkte fest. Im Jahr 1973 trat auch die Heeresdienst-Vorschrift (HDv 100/100 VS-NfD „Führung im Gefecht“ (TF/G) in Kraft. Im Teil E „Angriff“ wird unter Randnummer 3033 befohlen: „Sind Atomsprengkörper freigegeben, so bestimmt ihre Wirkung maßgebend den Verlauf des Angriffs. Die Bewegungen gepanzerter Kampftruppen können dann schneller und weiträumiger verlaufen als sonst. Zunächst sind diejenigen Ziele zu bestimmen, die mit Atomsprengkörpern vernichtet werden sollen, um den feindlichen Widerstand, vor allem an seiner stärksten Stelle, schnell zu brechen und den Kampftruppen das rasche Eindringen in den Feind zu ermöglichen. 

Der Ansatz der Kräfte und ihre Bewegungen sind nach Ort und Zeit so auf das atomare Feuer abzustimmen, daß die Kampftruppen dessen Wirkung unmittelbar für ihr Vordringen ausnutzen können. Um eine Gefährdung der eigenen Truppen auszuschließen oder um zu verhindern, daß ein vorgesehener Einsatz von Atomsprengkörpern wegen zu schnellen Vorprellens eigener Kräfte nicht mehr auszulösen ist, sind Atomsicherheitslinien zu befehlen, die vor einer bestimmten Zeit nicht überschritten werden dürfen“. Und unter Randnummer 3035 ist zu lesen: „Je weiter das Angriffsziel gesteckt ist und je härter der Widerstand erwartet wird, desto sorgfältiger und umfangreicher ist die Logistik vorzubereiten“. Es ist schwer, hier eine reine Verteidigungsstrategie zu erkennen“.

Nun sei jedoch die Lage verändert, stellt Bodemann fest. „Damals sei Deutschland ein Frontstaat gewesen, das seien „…wir heute glücklicherweise nicht mehr“. (7) Deutschland ist also kein Frontstaat mehr? Das sind wohl Illusionen eines im Betrieb gefangenen Bundeswehrstrategen. Da die Bundeswehr zur Unterstützung der alliierten Truppen in Deutschland nicht fähig ist, braucht es das „Prinzip der maximalen zivilen Leistungserbringung.“ Dadurch werden Zivilisten und/ oder Angehörige des Zivilschutzes bei Übernahme der Aufgaben des „Convoy Supports“ zu legitimen militärischen Zielen, obwohl sie keinen Kombattantenstatus haben. Das ist absolut unverantwortlich. Es ist davon auszugehen, dass nach den ersten Ausfällen die zivile Unterstützung ausbleiben wird. 

Die Frontlinie war die Ostgrenze der BRD und heute ist es die Ostgrenze der Ukraine. Als „Drehscheibe des Krieges“ hätte nun Deutschland viele Marschbewegungen der Alliierten zu bewältigen. Da übersieht Bodemann wohl, dass die logistische Drehscheibe des Krieges vor allem Eines ist: die bevorzugte Zielscheibe des Gegners; damit mutiert Deutschland ebenso zum Schlachtfeld.

Die Folgen könnten noch verheerender sein als bei einem Frontstaat. vielleicht auch dann, wenn auch der nukleare Einsatz nicht mehr ausgeschlossen werden kann. „Wir rechnen damit“, so der studierte Pädagoge Bodemann, „…dass Russland in etwa 5-8 Jahren seine Streitkräfte so wiederhergestellt hat, dass sie in der Lage sind, mit klassischem Mitteln das NATO-Gebiet anzugreifen“.  

Kennen Sie, verehrte Leser, Generalleutnant Martin Schelleis (8)? Er war von 2015 bis 2024 Inspekteur der Streitkräftebasis der Bundeswehr und ab Herbst 2022 auch Nationaler Territorialer Befehlshaber.In dieser Position war er verantwortlich für die logistische Unterstützung, für den Schutz und die Sicherheit der Streitkräftebasis, die eine wichtige Rolle in der Landes- und Bündnisverteidigung (Host Nation Support) spielt. Die Streitkräftebasis stellt die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sicher.

General Schelleis warnte bereits Anfang Juni 2022 vor ernsten militärischen Gefahren für Deutschland. „Wir werden akut bedroht und auch angegriffen“, sagte Schelleis dem Kölner Stadt-Anzeiger (in der Freitagausgabe vom 10. Juni). „Im Grunde haben wir bereits einen Krieg: Krieg im Informationsraum, Cyber-Angriffe. Realistische Szenarien sind auch punktuelle Angriffe auf kritische Infrastruktur, etwa durch Spezialkräfte, mit Drohnen oder Speed-Booten, zur Störung unserer Lebensgrundlagen unter anderem mit militärischen Mitteln“. Schelleis warnte: „Dafür sind wir nicht gut aufgestellt – das muss man leider sagen“. (10) 

Hinzu kommt seiner Ansicht nach ein möglicher Beschuss mit ballistischen Raketen, die Russland im Raum Kaliningrad stationiert hatte. Schelleis erklärte: „Sie wurden jetzt wegen des Ukraine-Krieges abgezogen, werden aber sicherlich wieder dort hinkommen. Diese Raketen könnten ohne weiteres Berlin erreichen. Bei der Luftverteidigung gebe es ein echtes Defizit, denn ein Großteil der Systeme wurde in die Ukraine geliefert und dürfte bereits größtenteils zerstört oder schwer beschädigt sein, das dringend ausgeglichen werden müsse – etwa durch mehr Luftabwehrsysteme“. Der damalige Inspekteur forderte überdies ein integriertes Lagebild, in das zur besseren Vernetzung neben dem Bund und den Ländern auch die Landkreise und Kommunen einbezogen werden müssten. Das wurde nun anscheinend mit dem Operationsplan Deutschland umgesetzt. 

Positionen und Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion vom 2. Juli 2024 

In 10 Punkten will die SPD-Bundestagsfraktion die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa stärken (Leider wird im Text die „Sicherheitsindustrie“ nicht näher erläutert). Im Papier soll es darum gehen, dass die Bundeswehr und die Armeen unserer Partnerländer den gestiegenen sicherheits- und verteidigungspolitischen Anforderungen gerecht werden. Der NATO-Vertrag gibt vor, dass jedes Mitgliedsland verteidigungsfähig sein muss und im Sinne der Beistandspflicht darüber hinaus Fähigkeiten bereitstellt, um unseren Partnern gegebene Sicherheitsversprechen, zum Beispiel im Osten Europas, einlösen zu können. Nun, beim erwähnten „Sicherheitsversprechen im Osten Europas“ handelt es sich um das vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz vom deutschen Kanzler Olaf Scholz und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unterschriebene auf zunächst 10 Jahre befristete Sicherheitsabkommen samt Ankündigung eines milliardenschweren Militärhilfepakets. Eingangs verurteilen darin beide Länder „…auf das Schärfste den ungerechtfertigten, unprovozierten, illegalen und brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, durch den Russland in gravierender Weise gegen das Völkerrecht einschließlich der UN-Charta verstößt. Deutschland ist unerschütterlich in seiner Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine innerhalb der Grenzen, die seit 1991 [das heisst mit der Krim] international anerkannt sind“(11)

Dieses „Sicherheitsabkommen” wurde unmittelbar nach der Unterzeichnung wirksam. Warum hat die SPD-Bundestagsfraktion nicht auf eine Ratifizierung gedrängt? Nun ist Deutschland auf Gedeih und Verderb an das Schicksal der Ukraine gekettet. Der Eingangssatz lässt jedes diplomatische Geschick vermissen und wird nicht nur die Hardliner im Kreml gegenüber Deutschland unversöhnlich stimmen. Deutschland hat jetzt aus Russland keine Zurückhaltung mehr zu erwarten. Wie konnte der deutsche Kanzler Olaf Scholz einen für die BRD so existenzbedrohenden Pakt unterschreiben? Sollte die Ukraine auf dem Schlachtfeld in die Knie gezwungen werden, könnte sich der Krieg zu einem umfassenderen regionalen Konflikt ausweiten, in den auch andere europäische Verbündete der Vereinigten Staaten verwickelt werden.(12)

Die im März 2024 angesetzten Wahlen in der Ukraine wurden von Selenskyj kurzerhand wegen der derzeitigen “Umstände“ abgelehnt. Wann eine neue Wahl stattfindet, steht in den Sternen. Was passiert, wenn dann in der Ukraine ein russlandfreundlicher Nachfolger gewählt wird? Wahrscheinlicher ist wohl, dass die Ukraine den Krieg verliert und sich Millionen Ukrainer auf den Weg nach Westen machen. Die besondere Stellung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“, so die Verfasser des Papiers, „geht mit einer besonderen Verantwortung der Unternehmen gegenüber unserer demokratischen Gesellschaft, den eigenen Mitarbeitenden und den von Parlament und Regierung vorgegebenen Strategien und Leitlinien in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einher. Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst und positionieren uns mit folgenden zehn Punkten“:

1. Wir setzen uns für eine kooperative Steuerung der Industriepolitik ein, die sich an den auf NATO-Ebene definierten Fähigkeitsanforderungen orientiert und schnelle, verlässliche Entscheidungen ermöglicht.

2. Wir arbeiten mit einer kurz- und mit einer langfristigen Verteidigungsplanung, die legislaturübergreifend angelegt ist.

3. Wir stellen finanzielle Planungssicherheit her, setzen uns für eine auskömmliche Finanzierung der Gesamtverteidigung ein und sorgen dafür, dass innere, äußere und soziale Sicherheit nicht gegeneinander ausgespielt werden.

4.  Wir setzen uns für ein unbürokratisches und kosteneffizientes Beschaffungswesen ein, das die deutsche und europäische Souveränität stärkt und Kooperationen fördert.

5.  Rüstungsexporte, sowie Exporte von Kleinwaffen und „Dual-Use“-Gütern, regulieren wir streng, verlässlich und mit dem Ziel, unsere außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Prioritäten zu erreichen, Partnerschaften zu etablieren und unsere Werte und Normen zu stärken.

6.  Wir fördern fokussierte europäische Rüstungskooperationen, die Kosten reduzieren und Interoperabilität stärken.

7.  Schlüsseltechnologien müssen definiert, geschützt und gefördert werden.

8.  Wir stärken die Forschungs- und Innovationsförderung und wollen mit dem Ökosystem in Dialog treten, wie „Dual-Use“ Forschungs- und Innovationsförderung perspektivisch weiterentwickelt werden kann.

9.  Wir investieren in strategische, staatliche Beteiligungen, um unserer Verantwortung für Sicherheit gerecht zu werden und die heimische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu stärken.

10. Wir setzen uns für attraktive Beschäftigungsbedingungen in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ein und sichern über Chancen der Transformation ausreichend Fachkräfte als Grundlage für industriellen Erfolg und Wohlstand.

Fazit

Das Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion vom 2. Juli 2024 flankiert den „Operationsplan Deutschland“ und betreibt neben der militärischen auch die zivile Mobilmachung in Richtung Kriegswirtschaft. Dazu soll eine finanzielle Planungssicherheit hergestellt und die Finanzierung der Gesamtverteidigung so auskömmlich gestaltet werden, dass innere, äußere und soziale Sicherheit nicht gegeneinander ausgespielt werden. Angesicht der schwindenden Mittel ist das jedoch die „Quadratur des Kreises“.

Nach dem Terroranschlag auf Nord-Stream 2 können viele energieintensive Unternehmen in Deutschland nicht mehr kostendeckend produzieren und wandern in die USA oder nach China ab. Parallel verlassen immer mehr Deutsche mit guter Berufsausbildung – sogenannte Leistungsträger – das Land.

Im Jahr 2022 waren es knapp 270.000 Personen! Am häufigsten zieht es die Deutschen in die Schweiz, nach Österreich und in die USA. (13) Beide Phänomene reduzieren die Steuereinnahmen und das bei erhöhten Ausgaben. So stiegen die deutschen Staatsschulden 2023 um 62 Milliarden auf 2,62 Billionen Euro. Zugleich wird zur Beruhigung gemeldet, dass die Schuldenquote – das Verhältnis des Brutto-Inlands-Produkts (BIP) zur Verschuldung – von 66,1 auf 63,7 % fiel. 

Der deutliche Rückgang um 2,4 % geht jedoch auf das starke Wachstum des nominalen BIP zurück. Das BIP nahm insbesondere aufgrund der hohen Inflation um 6,3 % zu. Dies senkte für sich genommen die Schuldenquote um 4 %. (14) 

Nach den Marathon-Besprechungen der Ampel für den Haushalt 2025 wurde am 5. Juli 2024 das Ergebnis vorgelegt. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai begrüßte die Einigung mit den Worten: „Der Haushalt steht und die Wirtschaftswende kommt“. (15) Wirtschaftswende durch Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie?

Mit einem neuen Trick hat der Finanzminister und FDP-Vorsitzende Christian Lindner die Schuldenbremse formal verteidigt. Aber in Wahrheit hat er einen neuen Trick präsentiert, mit dem sich die Vorschrift im Grundgesetz auch in den kommenden Jahren wunderbar umgehen lässt: „Große Investitionen etwa in die Schiene oder den Ausbau der Autobahnen könnte der Bund künftig leichter auf Pump finanzieren, indem er Bahn und Autobahngesellschaft nicht mehr einfach das Geld überweist, sondern nur noch als vergünstigten Kredit zur Verfügung stellt. Weil solche Kredite ja irgendwann auch wieder zurückgezahlt werden, wären sie nach den Regeln der Schuldenbremse ‚neutral‘ – das bedeutet, sie zählen nicht in den nach dem Gesetz maximal erlaubten Kreditrahmen“(16) Schon leichte Zinserhöhungen werden diesen Haushalt sprengen. Die Pleite der Republik ist unabwendbar. 

Die SPD-Bundestagsfraktion will „mit dem Ökosystem in Dialog“ treten: Was für eine Phrase! Wer Waffen produzieren, das Land kriegstauglich machen und Kriege unterstützen will, trägt dazu bei, das Ökosystem nachhaltig zu zerstören. Das Militär mit seiner Rüstung, seinen Manövern und Kriegen ist der größte Umweltzerstörer auf diesem Planeten. So soll die heimische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zur Freude von Blackrocks und Aktionären weiter gestärkt werden. „Wir“, so die SPD-Bundestagsfraktion, „setzen uns für attraktive Beschäftigungsbedingungen in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ein“.

Der Verfasser dieses Artikels hat Ende Juni 2024 elf Tage im Krankenhaus gelegen und wurde von ausschließlich jungen ausländischen Pflegekräften professionell und liebevoll betreut. Wer glaubt denn wirklich, dass diese jungen und intelligenten Menschen in einem vom Krieg geschüttelten Deutschland bleiben? Die meisten werden kurzerhand gehen, und die medizinische Versorgung der noch verbliebenen Bevölkerung wäre nur noch rudimentär. Das gleiche gilt auch für die zivilen Sanitätstrupps im Rahmen des Host-Nation-Supports. 

Dann sollen noch über Chancen der Transformation ausreichend Fachkräfte als Grundlage für industriellen Erfolg und Wohlstand gesichert werden. Wie ist das zu verstehen – rekrutieren wir wieder Zwangsarbeiter? Was bedeutet der Satz: „Leitend dürfen dabei nicht Marktmechanismen sein, sondern Sicherheitsinteressen, Werte und Normen“?

Die hier arbeitenden Ausländer werden jedenfalls nicht warten, bis der Krieg über sie hinwegzieht. Schon jetzt hat die Anziehungskraft Deutschlands für ausländische Arbeitskräfte merklich nachgelassen, und nun muss die Bundesregierung mit Steueranreizen mehr Fachleute ins Land locken. (17) Zu diesem Thema veröffentlichte der ehemalige Vizefinanzminister von Ronald Reagan, Paul Craig Roberts, am Tag der Terrorangriffe auf Russland, am 23. Juni 2024, in seinem „Institute for Political Economy“ den nachdenklich machenden Artikel „Evil is now the dominant power in the Western World“ (Das Böse ist jetzt die dominierende Macht in der westlichen Welt).

Darin schreibt er, dass das Böse von der westlichen Welt ausgeht und in der Welt agiert. 

Die Menschen in Ost und West würden nicht in Betracht ziehen, dass die US-amerikanischen Geo-Strategen schon seit 30 Jahren auf eine große kriegerische Auseinandersetzung hinarbeiten und der Überzeugung sind, sie könnten sogar einen Atomkrieg gewinnen. Was das für Europa bedeuten würde, möchte man sich lieber nicht ausmalen.  

Damit die Menschen diesem Bösen nicht begegnen können, hätten die Liberalen, die Linken und die „Woken“ das kulturelle Wissen des Westens zerstört und damit den Menschen die Fähigkeit hierzu genommen. Für die linksliberalen Zerstörer der Zivilisation ist das geistige Böse unverständlich. Für sie sind die einzigen Übel Trump, weißer Rassismus und die vorgebliche Putins Aggression.

Der Westen, so Paul Craig Roberts, beruhe nicht mehr auf einer zivilisierten Kultur, sondern auf sexueller Perversion und der Förderung von Transgenderismus und kritischer Rassentheorie durch Regierungen, Unternehmen und Universitäten. Die westlichen Nationen seien durch „Sodom und Gomorra“ sowie durch „Türme von Babel“ ersetzt worden. Feinde sind dabei notwendig, um den massiven Haushalt und die Macht des US-Militär-/Sicherheitskomplexes zu rechtfertigen. Je mehr Feinde, desto größer der Etat und damit die Macht.

Die von Roberts angegebenen 30 Jahre treffen den Kern. Am 1. August 1994 trat das vom „Training and Command Center“ (ein eigener Befehlsbereich neben Heer, Luftwaffe, Marine und Weltall-Kommando) herausgegebene Langzeitstrategiepapier TRADOC 525-5 „US-Konzept für die strategische Armee des 21. Jahrhunderts“ in Kraft. In diesem Papier wird eine neue Dynamische Ära, eine Welt im Übergang (Transition) beschrieben.

Die Stufen dazu: Aufruhr, Krise, Konflikt und schließlich Krieg.

Diese Dynamik begann 1999 in Jugoslawien und endete vorerst 2014 mit dem vom Westen orchestrierten Putsch in der Ukraine. Das Enttäuschende am SPD-Papier ist die Tatsache, dass dem Frieden überhaupt kein Raum gegeben wurde. Deutschland kann und darf aus seiner Erfahrung des letzten Jahrhunderts keine Kriege führen, ansonsten könnte das eintreten, was Berthold Brecht 1951 als Warnung schrieb: Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten“. (18)

Dieses hochtechnisierte Deutschland kann nicht kriegstauglich gemacht werden. Die modernen Waffen würden Deutschland wie im „Ersten Dreißigjährigen Krieg“ weit zurückwerfen. Deshalb muss der Frieden höchste Priorität haben. Zudem leben in Deutschland Millionen von Menschen, die aus Kriegs- oder Bürgerkriegsregionen kommen und eine andere Weltsicht mitbringen als die der westlichen Wertegemeinschaft. Auch leben in Deutschland an die 3 Millionen Menschen aus Russland oder mit Verbindung zu Russland. Deutschland braucht als Erstes den Frieden im Innern!

Ein Deutschland im Kriegszustand dürfte dann auch von innen zerrissen werden.

Am 14. Juni 2023 stellte die Regierung in Berlin in einer Bundespressekonferenz die neue 74-seitige Nationale Sicherheitsstrategie der Öffentlichkeit vor: „Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig. Integrierte Sicherheit für Deutschland“. (19) Auf Seite 19 wird das in der Präambel des Grundgesetzes formulierte Ziel deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, definiert: „Auf dieser Grundlage wollen wir eine freie internationale Ordnung mitgestalten, die dem Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen, der souveränen Gleichheit der Staaten und der Gewaltfreiheit, dem Selbst-bestimmungsrecht der Völker und den universellen Menschenrechten verpflichtet ist – für ein nachhaltiges Leben in Sicherheit und Freiheit“ (20).

Das muss vielen Opfern und Kritikern westlicher Politik wie Hohn in den Ohren klingen. Deutschland hat im Gefolge der USA seit dem Jugoslawien-Krieg 1999 das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen mit Füßen getreten (zum Beispiel durch Teilnahme an Kriegen ohne UN-Resolution) und sich nicht gegen die Menschenrechtsverletzungen durch die USA erhoben (die Geheimgefängnisse, Folter in Abu Ghraib und Guantanamo betreffen, Freiheitsentzug ohne rechtliches Gehör oder Drohnenmorde etc.).

Mit der gewohnten Doppelzüngigkeit, allseitiger Propaganda und willfährigen Handlangern des Untergangs scheint es nun also tatsächlich direkt in den Krieg zu gehen. 

Zum Autor: Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, trat mit 18 Jahren als Zeitsoldat in die Bundeswehr ein. Als junger Pionieroffizier erhielt er Einblick in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr studierte er Politikwissenschaften sowie Höheres Lehramt mit den Fächern Bauwesen und Mathematik. Er lebt als freier Autor bei München. 

Wolfgang Effenberger publizierte eine Reihe von Sachbüchern. 2016 erschien „Deutsche und Juden vor 1939“, 2018 eine Buchreihe zum Thema „Europas Verhängnis 14/ 18, u.a. mit „Kritischen angloamerikanischen Stimmen zur Geschichte des 1. Weltkrieges“; (2019) „Die Herren des Geldes greifen zur Weltmacht“ sowie „Revolution, Rätewirren und Versailles“ (2019). Bei der Dresdner Studiengemeinschaft e.V. erschien im gleichen Jahr (2019) die Publikation „Der Aufstieg Chinas zur Weltmacht und die Chancen für eine globale Friedensordnung. 2020 veröffentlichte Wolfgang Effenberger gemeinsam mit Willy Wimmer,  Staatssekretär für Verteidigungspolitik a.D. (unter Helmut Kohl) das Buch „Wiederkehr der Hassadeure“, gefolgt (2020) vom „Schwarzbuch EU & NATO“ sowie (2022) “Die unterschätzte Macht“.

Quellen und Anmerkungen

1)ttps://www.youtube.com/watch?v=vstvRwdyGO0, Minute 1:20

2)ttps://www.bbk.bund.de/DE/Themen/Krisenmanagement/Zivil-Militaerische-Zusammenarbeit/national/host-nation-support/host-nation-support_node.html

3)Ebenda, 2:25

4)Ebenda, 4:15

5)Ebenda 7:24

6)https://www.zdf.de/nachrichten/politik/nord-stream-resolution-russland-un-100.html

7)https://www.youtube.com/watch?v=vstvRwdyGO0, 7:59

8)Abb. 1: Sicherheitspolitische Herausforderungen aus heutiger Sicht /Kdo SKB

9)From Wikimedia Commons, the free media repository

10)ttps://www.bundeswehr-journal.de/2022/general-schelleis-im-grunde-haben-wir-bereits-einen-krieg/#more-14609

11) www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/2260264/8efa1868839ede7609437b341d75c3c5/2024-02-16-ukraine-sicherheitsvereinbarung-deu-data.pdf?download=1

12)Ebenda

13) https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/migration-einwanderer-auswanderer-100.html

14)tps://www.bundesbank.de/de/presse/pressenotizen/deutsche-staatsschulden-928466

15)tps://www.bundesbank.de/de/presse/pressenotizen/deutsche-staatsschulden-928466

16)ttps://www.capital.de/wirtschaft-politik/bundeshaushalt-2025–lindners-neuster-trick-rettet-die-ampel-34857132.html

17)ttps://www.augsburger-allgemeine.de/politik/steueranreize-fuer-auslaendische-fachkraefte-ampel-in-der-kritik-102860031

18)ttps://www.deutschlandfunk.de/vor-70-jahren-als-bertolt-brecht-den-offenen-brief-an-die-100.html

19)https://dserver.bundestag.de/btd/20/072/2007220.pdf

20)Ebenda

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen. 

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