Ein vergoldetes Zeitalter aus Scheiße

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  • Februar 8, 2025
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Die Vereinigten Staaten sollen ein neues Gilded Age erleben. Wenn man sich die Unternehmer dieser Neuauflage des vergoldeten Zeitalters mal betrachtet, erahnt man vielleicht, dass es nur ein Bullshit Age wird.

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Gilded Age
Mark Twain and Charles Dudley Warner, Public domain, via Wikimedia Commons

Das sogenannte „Amerika“ (gemeint sind die USA, obwohl sich das tatsächliche Amerika von Kanada bis Patagonien erstreckt) soll wieder groß werden. Mächtig und selbstbewusst. Im Inneren einen neuen Aufschwung erleben. Der neue US-Präsident verspricht eine Ära des neuen Aufstieges – dass sein Land ein neues Gilded Age, ein neues vergoldetes Zeitalter erleben werde, hat er zwar nicht direkt gesagt. Aber gelegentlich nimmt er Bezug darauf, so wie im September 2024, als er bei einer Rede im Economic Club of New York erklärte, man sollte zurückblicken auf die 1880er- und 1890er-Jahre, als Präsident William McKinley (1897 – 1901) die Zölle anhob und es der Nation im internationalen Vergleich mehr als gut ging.

Viele seiner Anhänger, aber auch neutrale Beobachter, mutmaßten daraufhin, dass Trump ein solches Gilded Age neu auflegen wolle. Er deutet das immer wieder an. Wobei natürlich fragwürdig ist, ob es wirklich die Zollpolitik war, die die Vereinigten Staaten damals in ein aufstrebendes Land verwandelte. Vom Begriff des Gilded Age sollte man sich nicht aufs Glatteis führen lassen. Was heute wie eine glänzende Zeit klingt, war ursprünglich ganz anders gemeint. Zurück geht die Bezeichnung jener Ära auf Mark Twain. Und der dachte sich bei der Auswahl dieses Schlagwortes etwas.

Vergoldet und nicht golden

1873 schrieb er zusammen mit dem Autor Charles Dudley Warner einen satirischen Roman mit dem Titel »The Gilded Age: A Tale of Today« – ein Märchen von heute. Darin setzen sich die beiden Verfasser mit ihrer damaligen Gegenwart auseinander. Das Land prosperierte, überall schossen Hochhäuser in die Höhe, die Vereinigten Staaten wuchsen immer weiter in den Westen, rissen sich einige Jahre später sogar die Konkursmasse des spanischen Kolonialreiches unter den Nagel. Vor dem Bürgerkrieg erschlossen 48.000 Kilometer Gleisstrecken das Land – 1900 waren es bereits fast 310.000 Kilometer, die von der Eisenbahn befahren wurden. Überall gab es Fortschritt, neue Technologien erleichterten das Leben.

Twain und Warner monierten allerdings, dass dieser Aufschwung eine Schattenseite habe: Und zwar in Form der großen Armut im Lande. Immer noch darbten Millionen in schlechten Arbeitsbedingungen, während die Industriellen jener Zeit, die sogenannten Räuberbarone, in Saus und Braus lebten. Sie waren zudem maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Korruption in den Vereinigten Staaten ein beträchtliches Ausmaß annahm. Die politische Parteienlandschaft war verfilzt, die ersten Schiebungen bei Amtshandlungen wurden aktenkundig. Der Republikaner Rutherford B. Hayes wurde 1877 US-Präsident – und kam ähnlich wie 120 Jahre später George W. Bush ins Amt: Durch einen ihm nahestehenden Bundesrichter, der parteiisch entschied. Rutherfraud nannten ihn die Amerikaner damals beim Vornamen: Fraud bedeutet Betrug oder auch Betrüger – später entsandte er die Armee gegen streikende Bahnarbeiter.

Als die beiden Autoren ihren satirischen Roman schrieben, war die Präsidentschaft Hayes‘ noch Zukunftsmusik. Aber Korruption gab es in ihrer Zeit an allen Ecken und Enden, legendär wurde auch der Kopf des demokratischen Männerbundes Tammany Hall, ein Stadtpolitiker aus New York namens William Tweed, der illegale Geschäfte mit politischen Nominierungen betrieb und Wahlen fälschte. Tweed war Twain und Warner ein Begriff, so wie fast allen US-Amerikanern. Und sie erlebten als Zeitgenossen außerdem mit, wie die Politik den Viehbaronen und den Eisenbahnmagnaten jedes Recht zusprach, sich Ländereien untertan zu machen, egal wer darauf wohnte: Indianer hatten eh keine Lobby – aber auch weiße Siedler verloren ihr Land.

Besonders die Armut und die Korruption, die nicht selten eng verwoben sind, brachte die beiden Schriftsteller dazu, von einem vergoldeten statt von einem goldenen Zeitalter zu sprechen. Es war nur eine dünne Schicht, die man auf ein rostiges Stück Stahl gezogen hatte. Der Rost war aber immer noch da. Das Land feierte sich in seiner elitären Selbstwahrnehmung im Aufbruch, bemühte sich aber nicht, die Sorgen und Nöte von Millionen von Bürgern einzudämmen.

Unternehmer 1870 bis 1900

Der Stahl, der vergoldet wurde: Das ist ohnehin das richtige Stichwort. Denn es war der Stahl, der Amerika (gemeint sind die USA, die nur ein Staat von vielen auf dem amerikanischen Kontinent sind) in jenen Jahren groß machte. Er ließ die ersten Hochhäuser entstehen, milderte die Wohnungsnot und machte die US-Amerikaner mobil. Twain und Warner sprachen natürlich einen wichtigen Punkt an: Sie skizzierten, wie Fortschritt immer auch Verlierer entstehen ließ – und wie er selten alle ereilt. Das vermeintlich neue Gilded Age, das nun anbrechen soll, unterscheidet sich bei diesem Aspekt in nichts jener Originalausgabe des vergoldeten Zeitalters, das gewöhnlich zwischen 1870 bis 1900 verortet wird: also in den Jahren, da die Reconstruction, die Wiederherstellung nach der durch den Bürgerkrieg bedingten Trennung, langsam an ihr Ende fand – mit dem Jahrhundertwechsel endet in der historischen Rückschau die Zeit der Vergoldung.

Gleichwohl schufen die Unternehmer jener Jahre eine völlig neue Art des Alltaglebens. Sie verbesserten das Dasein vieler Menschen – und ließen sich das natürlich vergolden. So wandte Andrew Carnegie das neuartige Bessemer-Verfahren zur Stahlerzeugung an und lieferte die Grundsubstanz für den Aufstieg der USA zur Weltmacht: Den Stahl eben. John D. Rockefeller machte in Erdöl und Cornelius Vanderbilts Unternehmen produzierten Schiffe und Eisenbahngleise. Leland Stanfords Central Pacific Railroad kümmerte sich um die transkontinentale Anbindung. Thomas Edisons Electric Light Company elektrifizierte das Land. George Pullmann ließ Eisenbahnwaggons im großen Stil herstellen und Gustavus Swift versorgte das Land mit Proteinen – er führte gekühlte Eisenbahnwagen ein, die die Lieferung von Fleisch über weite Strecken ermöglichte.

Charles Pfizer – ein Name, der in den letzten Jahren die Alarmglocken schrillen ließ – stellte Pharmazeutika her. Alexander Graham Bell erfand das Telefon und gründete daraufhin ein Unternehmen. Isaac Merritt Singer ließ Nähmaschinen produzieren. Und mit John Wannamaker bekam das Land erstmals moderne Kaufhäuser zu sehen. J.P. Morgen hatte seine Finger in vielen Geschäften, speziell auch in der Elektrifizierung und Stahlerzeugung – und nebenher finanzierte er große Projekte, die natürlich – wie Twain und Warner anmerkten – reiche Männer und Familien entstehen ließen, die aber gleichzeitig auch die Lebenserwartung im Durchschnitt erhöhten. Langsam aber sicher rückte man Krankheiten auf den Pelz, die Kindersterblichkeit nahm ab und die Ernährungslage wurde besser. Noch im Jahr 1850 wurden nichtindigene US-Amerikaner im Schnitt 35 bis 40 Jahre alt. Um 1900 lag die Lebenserwartung bereits bei knapp 50 Jahren. Mit der Erfindung der Antibiose stieg diese um 1920 nochmals um einige Jahre an.

Die Unternehmer profitierten natürlich vom wissenschaftlichen Fortschritt jener Tage. Sie wussten, wie sie den anpacken und zu ihrem Vorteil einsetzen konnten. Sie waren insofern der Transformationsriemen für das Gilded Age, machten die Erkenntnisse massentauglich – bei aller Armut, die vorherrschte und an der auch sie, als Despoten in ihren eigenen Betrieben, ein Mitverschulden hatten. Ohne Wertung gesprochen: Die unternehmerischen Macher des Gilded Age brachten einen Mehrwert unter die Leute. Die konnten nun reisen, schneller kommunizieren, durften hoffen, einer Krankheit nicht erlegen zu müssen und fanden eine verbesserte Lebensmittelsituation vor. Der Stahl formte die neue Nation. Und in ihr lebte es sich leichter als im Land ihrer Väter und Mütter.

Unternehmer 2025

Der erzeugte Mehrwert ist der große Unterschied vom Gilded Age von einst, zu jenem, das jetzt in den Startlöchern stehen soll: Man erinnere sich an die acht Superreichen, die bei Donald Trumps Vereidigung auf der Bühne anwesend waren. Sie seien hier nochmals aufgezählt: Dort saßen Elon Musk (Tesla und SpaceX), Jeff Bezos (Amazon), Mark Zuckerberg (Meta), Sundar Pichai (Alphabet und Google), Tim Cook (Apple), Shou Zi Chew (TikTok), Sam Altman (OpenAI) und Dara Khosrowshahi (Uber). Das sind die Macher des New Gilded Age – jene die für einen neuen Aufbruch stehen sollen, der die USA in Kürze ereilen wird. Und welchen Geschäften gehen sie nach?

Im Wesentlichen hat keiner der Genannten etwas erschaffen, was unser aller Leben bereichert hat. Die Eigner gemeinschaftlicher Netzwerke machen aus Nonsens Reichtümer – aber die Lebenserwartung hat Facebook nie begünstigt. Während die Köpfe des klassischen Gilded Ages mit ihren Geschäftsmodellen Nöte zu lindern vermochten, erzeugen die zeitgenössischen Unternehmer aus Bullshit Geld. X rettet keine Leben und TikTok sorgt nicht für die Sanierung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs in den Vereinigten Staaten. Es ist im Grunde die pure Scheiße, aus der diese Könige Midas Gold werden lassen. Aus dem Geplauder gelangweilter Zeitgenossen, aus den Videos von Leuten mit ADHS und anderen Nichtigkeiten, machen sie Kohle – sehr viel Kohle.

Amazon schafft Bullshit-Jobs. Uber auch. Neues haben beide nicht erschaffen. Waren bis an die Haustüre zu liefern: Das gab es vorher schon – sich Essen kochen zu lassen und es nach Hause kommen zu lassen: das war auch nicht neu. Begründet ist der Reichtum dieser »Macher« auf den Einsatz von schlecht bezahlten Arbeitsgelegenheiten. Diese acht Figuren – mit Abstrichen jene von Apple, denn das Unternehmen hat ja durchaus die Computerrevolution mit angeschoben – haben bislang nichts geleistet, was das Leben der US-Amerikaner und aller anderen nachhaltig verbessert. Man darf bei einigen Diensten sogar annehmen, dass sie dafür gesorgt haben, dass die Situation mindestens angespannter wurde. Das sind keine Macher, sondern Schmarotzer, die aus Exkrementen ein Geschäft gemacht haben. Das kann man natürlich tun. Aber zu glauben, dass sie ein neues Gilded Age erzeugen, eine neue Ära des Aufschwunges und der Innovation begünstigen, scheint schon reichlich naiv zu sein und unterstreicht die Saturiertheit, an der westliche Gesellschaften zuweilen kranken und die jede Reflexionskraft träge werden lassen.

Natürlich passt es: Auch das hier ist ein vergoldetes Zeitalter. Und zwar jetzt schon, der neue US-Präsident braucht es nicht ausrufen, sein Amtsvorgänger hat diese Unternehmer schon nahe an sich herangelassen und so getan, als lebe sein Land den Traum ewiger Innovation. Anders als von 1870 bis 1900 ist jedoch, dass nicht verrosteter Stahl mit einer dünnen Goldschicht überzogen ist, sondern es ist Scheiße, die vergoldet wurde. Der Bullshit entfaltet seine Macht, die mächtigsten Unternehmen stellen nichts her, sondern greifen ab: Wie etwa die Plauderlaune von Social-Media-Wütigen oder die Gedanken von anderen, wie es die KI tut. Es ist die Scheiße, die dieses neue vergoldete Zeitalter anführt. Nicht der Stahl, nicht die Steigerung der Lebensqualität – wenn überhaupt ist es die Simulation gesteigerter Lebensqualität, keine realer Qualitätsschub. Die Macher von damals haben – bei aller Kritik an ihren Geschäftsgebaren – den Menschen die weite Welt eröffnet. Die heutigen Köpfe der Innovation schaffen Angebote, die einen auf dem Sofa hocken und die weite Welt überflüssig erscheinen lassen.

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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