Wer nicht russlandkritisch ist und das auch noch öffentlich zeigt, kann in Deutschland leicht in die Mühlen der Justiz geraten. Diese Erfahrung machte kürzlich ein Deutschrusse, während er von München via Istanbul nach Moskau – seine derzeitige Heimat – fliegen wollte.
Ein Beitrag von Andrea Drescher
Erich Rath ist Anwalt in Moskau. Er hilft Ausländern – speziell Deutschen – in vielfacher Hinsicht. Das sind zum einen Privatpersonen, die Probleme mit der Einwanderung haben, aber auch zahlreiche Unternehmen. Bei Firmen geht es dann meist um die Bewältigung der EU-Sanktionen, was viele deutsche Geschäftsleute, die auf das Russlandgeschäft nicht verzichten können, vor massive Herausforderungen stellt. Dass er aufgrund einer anonymen Anzeige der geheimdienstlichen Agententätigkeit beschuldigt und temporär verhaftet werden würde, hätte er sich nie vorstellen können.
Ich lernte ihn durch Masha aus Donezk kennen und war nach dem Gespräch mit ihm erschrocken darüber, wie weit es mit dem Rechtsstaat in Deutschland bereits gekommen ist.
Kannst Du Dich bitte kurz vorstellen
Ich heiße Erich Rath, bin 29 Jahre alt, stamme aus Russland und bin Anwalt mit russischer Zulassung. Ich kam 1995 als Baby mit der ganzen Familie als Spätaussiedler nach Deutschland, bin bis zu meinem 15. Lebensjahr in Bayern aufgewachsen und zur Schule gegangen. Dann ist mein Vater aus beruflichen Gründen zurück nach Moskau gegangen und ich habe ihn begleitet.
Wie war für Dich denn die Rückkehr nach Moskau?
Das war sehr spannend. Alle Kinder haben sich sofort mit mir eingelassen, mit mir gespielt, obwohl ich schlecht Russisch sprach. Ich wurde nie als Deutscher behandelt, sondern war schnell integriert. In Deutschland war ich immer „der Russe“ und das bis heute. Der Unterschied ist schon krass.
Wie meinst Du das?
Gehe ich beispielsweise im Mai 2024 in Deutschland zum Bürgerbüro, schauen die auf meinen Personalausweis und sagen sofort: „Ach, Sie kommen aus Russland“. Überleg doch mal, ich habe einen deutschen Ausweis, einen wirklich deutschen Vor- und Nachnamen, aber trotzdem schauen die auf den Geburtsort. In Russland ist das nie ein Thema. die Leute sagen im Gegenteil: „Du hast aber einen interessanten Namen“. Man merkt, die Menschen in Russland haben einen ganz anderen Mindset.
Wie ging es bei Dir dann weiter?
Nachdem ich die Schule in Russland abgeschlossen hatte, habe ich meinen Bachelor in Jura in Russland gemacht und habe dann für mein Master-Studium nach Passau gewechselt. Mein Opa wohnt ja in Vilshofen.
Warum denn Deutschland?
Ich wollte als Anwalt für deutschsprachige Ausländer in Russland arbeiten, sah darin eine Marktlücke. Aber dafür musste ich auch juristisches Deutsch beherrschen und meine Sprachkenntnisse wieder aktivieren. Nach der Masterprüfung habe ich ein Jahr in Berlin gearbeitet, aber ich wusste, ich will wieder nach Moskau zurück. Als ich ein Angebot für einen Job in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei in Moskau bekommen habe, bin ich wieder zurück gegangen.
Hat Dir Deutschland nicht gefallen?
Ich liebe Deutschland, aber das Land entwickelt sich nicht, es stagniert, es steht alles still. Nimm das Thema Digitalisierung. In Deutschland wird viel darüber geredet, in Russland wird viel gemacht. Da ich beide Pässe habe, kann ich in beiden Welten leben. Aber in Russland ist das Leben ganz anders. Viele denken ja immer noch, dass es hier wie in Zeiten der Sowjetunion ist, dass hier Bären auf der Straße rumlaufen und alle Wodka trinken. Dabei ist alles so sauber, so entwickelt aber auch so dynamisch und zukunftsorientiert. Moskau ist für mich die Hauptstadt der Welt.
Wo liegen die Schwerpunkte Deiner Kanzlei?
Im Moment sind das viele Migrationsfragen, von Menschen, die ohne russische Wurzeln aus Deutschland oder Österreich nach Russland umziehen wollen. Und dann ganz viele Fälle mit ausländischen Firmen in Russland. Aktuell laufen 45 Prozesse der unterschiedlichsten Art, darunter Strafrechtliches ebenso wie Wirtschaftsthemen. Außerdem beraten wir im Moment zum Thema Sanktionen und russische Gegenmaßnahmen.
Ich habe keine Langeweile und mehr als genug Arbeit. Ich werde in der Liste der deutschen Botschaft als Kontakt aufgeführt, wenn jemand einen Anwalt in Russland sucht – ob das nach meinem Zusammenstoß mit der deutschen Polizei auf Dauer so bleibt, weiß ich nicht.
Was genau ist passiert?
Vor Monaten war ich geschäftlich in München, Stuttgart, Frankfurt, Berlin und in der Schweiz. Wir versuchen alles, um Firmen zu unterstützen, die im Rahmen des Legalen trotz der Russlandsanktionen mit Russland zusammenzuarbeiten.
Ich wollte von München aus via Istanbul nach Moskau fliegen, wurde aber, als ich bereits im Flugzeug saß, daran gehindert abzufliegen. Es kamen zwei Leute in die Maschine und haben mich abgeführt, mir mein Handy abgenommen und in ein Zimmer am Flughafen gebracht.
Dort wurde ich vom bayrischen LKA nach meinen Unternehmungen in Russland befragt. Man wollte wissen, ob ich den Krieg unterstütze, die Sanktionen unterlaufe oder für den russischen Geheimdienst arbeite. Man erklärte mir, es bestünde der Verdacht auf §99 StGB, also die Arbeit für einen ausländischen Geheimdienst.
Und: Ist da etwas dran?
Blödsinn. Nochmals: Ja, wir unterstützen Firmen, die Geschäfte mit Russland machen wollen. Es geht um die korrekte Abwicklung trotz Sanktionen, aber natürlich immer im Rahmen der Legalität. Alles andere wäre für mich als Anwalt indiskutabel.
Wie lange zog sich das hin?
Das waren erst mal rund acht Stunden, in denen sie mich immer wieder das Gleiche gefragt haben. Aber immer wieder von einer anderen Seite aus. Sehr interessiert hat es sie auch, ob ich in den neuen Republiken war. Meinen Flug habe ich natürlich verpasst und meine ganze Technik haben sie auch einkassiert. Man wollte auch wissen, ob ich die Standorte der Bundeswehr an den russischen Geheimdienst übermittle.
Während dieser acht Stunden sind dann auch noch 10 Polizeifahrzeuge bei meinem Opa vorgefahren und haben bei ihm eine Hausdurchsuchung gemacht. Auch sein gesamtes technisches Equipment wurde mitgenommen. Das muss man sich mal vorstellen. Der alte Mann ist 1945 geboren und hat schon viel mitgemacht. Es ist unfassbar.
Haben sie Dich dann entlassen?
Nein. Nach diesen acht Stunden kam eine weitere Person in den Vernehmungsraum, der sich als BND-Mitarbeiter vorgestellte. Er hat mir dann drei Stunden lang die gleichen Fragen nochmal gestellt. Erst dann haben sie aufgegeben.
Haben sie Dir wenigstens ein Ersatzticket besorgt?
Nein. Natürlich nicht. Das habe ich mir selbst gekauft. Aber ich wollte nach Hause, da ich am nächsten Tag einen Gerichtstermin in Moskau hatte. Und natürlich wollte ich auch weg aus Deutschland, da habe ich nicht lange diskutiert.
Weißt Du, warum es zu dieser Verhaftung kam?
Nein. Das Einzige, was sie mir mitgeteilt haben, war, dass diese Maßnahme aufgrund von einer anonymen Anzeige seitens des Oberbundesstaatsanwalt veranlasst wurde. Das finde ich wirklich schlimm. In was für einer schlimmen Zeit leben wir eigentlich?
Ich bin Russe, aber auch Deutscher und unterstütze Deutsche, die Probleme in Russland haben. D.h. ich helfe Deutschen und werde zum Dank vom deutschen Staat verhaftet.
Hast Du vor, wieder nach Deutschland zu fahren?
Jetzt bestimmt nicht mehr. Wenn man mal auf einer Liste steht, wird man immer wieder irgendwelche Probleme mit diesem System bekommen. Und es läuft ein Verfahren gegen mich, dessen Umfang ich aber nicht kenne.
Wieso nicht?
Ein befreundeter Anwalt aus Ostdeutschland hat direkt nach meiner Rückkehr vor zwei Monaten Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Wir haben aber bis jetzt keine Rückmeldung bekommen.
Wir leben wirklich in einer schrecklichen Zeit. Ich habe doch nichts Schlimmes gemacht und wurde behandelt wie ein Verbrecher. In Russland kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Mensch aufgrund einer anonymen Anzeige einfach verhaftet wird.
Du sagst, im „Unrechtsstaat Russland“ ist der Rechtsstaat besser?
Definitiv. Das Ganze wurde völlig ohne Beweise, nur aufgrund einer anonymen Anzeige in die Wege geleitet. Jetzt habe ich Angst nach Deutschland zu fahren.
Warum redest Du überhaupt mit mir, wenn Du Angst hast?
Ich fahre ja nicht mehr nach Deutschland, möchte aber, dass das bekannt wird. Die Menschen sollen doch wissen, was in ihrem Land passiert. Ich will, dass die Menschen aufwachen.
Wenn Du nicht mehr nach Deutschland fahren kannst, wie arbeitest Du dann für Deine Mandanten?
Wir treffen uns in der Türkei, in Dubai, an verschiedenen Orten außerhalb der EU eben. Ich möchte ja weiter dazu beitragen, dass deutsche Firmen mit Russland Geschäfte machen können. Ich betreibe keine Spionage, auch keine Wirtschaftsspionage und bewege mich im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten.
Mein Traum wäre es, eine Filiale in Deutschland aufzumachen und die juristische deutsch-russische Völkerverständigung voranzutreiben. Ich möchte den Menschen helfen und natürlich auch Geld verdienen – ein ganz normales Anwaltsleben eben.
Dann hoffe ich, dass Dein Traum möglichst bald in Erfüllung geht!
Zur Autorin: Andrea Drescher, Jahrgang 1961, lebt seit Jahren in Oberösterreich. Sie ist Unternehmensberaterin, Informatikerin, Selbstversorgerin, Friedensaktivistin, Schreiberling und Übersetzerin für alternative Medienprojekte sowie seit ihrer Jugend überzeugte Antifaschistin. Zuletzt erschien von ihr „Vor der Impfung waren sie gesund“, sie publizierte das Buch „Menschen mit Mut“, in dem mehrere Autoren Interviews mit Persönlichkeiten der Friedensbewegung führen sowie das Sachbuch „Selbstversorgertipps von Oma & Co.“
Erstveröffentlicht am 13. August 2024 auf TKP Der Blog für Science & Politik
https://tkp.at/2024/08/13/im-russischen-exil-vom-wirtschaftsanwalt-zum-auslaendischen-agenten/
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