Journalismus im ZDF in der Kritik

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  • Februar 2, 2024
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Öffentlich-rechtlicher Sender berichtet aus Mariupol in der Ostukraine. Kritiker monieren Darstellung zugunsten Russlands.

Bild: Screenshot ZDF heute in Mariupol

Eine Vor-Ort-Recherche des ZDF in Mariupol sorgt bei anderen Medien für Widerspruch. Auf der Website des Magazins Focus ist beispielsweise von „heftiger Kritik nach ZDF-Beitrag aus besetztem Mariupol“ zu lesen und die Frankfurter Rundschau spricht von einer „problematischen Reportage“. Die Website watson.de, die zur Stroer-Gruppe gehört, zitiert Kritik an der ZDF-Berichterstattung aus dem Netzwerk X, die Schwäbische Zeitung hingegen versammelt auf ihrer Website Stimmen für und gegen die Arbeit des ZDF-Studioleiters in Moskau, Armin Coerper. Der Artikel zitiert zudem die kompletten Schilderungen des Reporters, die Fragen der Moderatorin sowie die der Zuschauer im Wortlaut.

Patrik Baab, der als Reporter ebenfalls vor Ort in Mariupol war, verweist auf Nachfrage von Hintergrund darauf, dass Coerper dem Grundsatz folge, auch die andere Seite zu hören. „Mit der Realitätsprobe vor Ort unterscheidet er sich von jenen Sitzredakteuren, die in der journalistischen Behaglichkeitszone ihre Weisheiten aus Agenturen abschreiben und damit der Scheinrealität westlicher Propaganda folgen“, sagt Baab.

Das ZDF selbst hat nach der Kritik an der Berichterstattung den Beitrag um eine schriftliche Stellungnahme ergänzt. Dort heißt es, dass der Sender die Kritik ernst nehme. Allerdings verteidigt die Redaktion die Sendung, in der zudem eine Kollegin von Coerper aus der Ukraine über die Lage der ukrainischen Binnenflüchtlinge berichtet hat. Coerper selbst hatte in der Liveschaltung von der Zerstörung der Stadt gesprochen und gleich zu Anfang festgestellt, dass er kein vollständiges Bild liefere, sondern nur eine Momentaufnahme.

„Mariupol ist kein Ort für einfache und klare Antworten“, sagte der Reporter. Er und sein Team könnten sich unabhängig und frei bewegen, er werde nicht überwacht. Wer offen mit ihm und seinem Team spreche, der sei pro-russisch. Es werde viel gebaut, das Geld komme aus Russland. Besonders viel Kritik hat die Aussage hervorgerufen, dass die Schauspieler vor der Besatzung nicht auf Russisch spielen durften. Das sei Propaganda, zitiert der Focus den einstigen Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, Sergej Sumlenny. Viel Kritik gab es auch an der Aussage „die Stadt funktioniert“ von Armin Coerper. Diese sei aus dem Zusammenhang gerissen, schreibt das ZDF in seiner Reaktion auf die Kritik. Man habe in der Berichterstattung über den Krieg zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran gelassen, wer Angreifer und wer Opfer sei.

Die Reise von Coerper nach Mariupol zeige, dass es sehr wohl möglich ist, ins Kriegsgebiet zu reisen, ohne den russischen Einmarsch in die Ukraine zu legitimieren, sagt Patrik Baab gegenüber Hintergrund. Ihm selbst war vorgeworfen worden, mit seiner Reise in die Ostukraine die russische Besatzung zu legitimieren. „Die NDR-Pressestelle hatte im September 2022 anlässlich meiner Recherchen im Donbass noch auf Anfrage eines Zuschauers behauptet, dies sei nur möglich gewesen, weil ich als Wahlbeobachter aufgetreten sei“, sagt Baab, der bestreitet, als Wahlbeobachter unterwegs gewesen zu sein, was mit einem einzigen Telefonanruf in Moskau hätte geklärt werden können. Mittlerweile ist Baabs Buch „Auf beiden Seiten der Front“ erschienen (FiftyFifty Verlag, 255 Seiten, 24 Euro), es war der Grund für seine Reise in die Ukraine. „In wesentlichen Punkten decken sich die Einschätzungen von Armin Coerber mit meinen Beobachtungen“, fasst Baab zusammen.

Der frühere NDR-Redakteur, der sich mittlerweile im Ruhestand befindet, verlor aufgrund seiner Reise in die Ukraine unter anderem seinen Lehrauftrag für Journalismus an der Christian Albrecht Universität Kiel, einen Prozess gegen die Universität gewann er allerdings im vergangenen Jahr (Hintergrund berichtete). Seiner Ansicht nach setzt die Kritik der Medien an der Reise ins Kriegsgebiet den ZDF-Korrespondenten zusätzlichen Gefahren aus. „Die Kritik führt dazu, dass er ständig telefonieren und mailen muss, um sich vor Vorgesetzten zu rechtfertigen und um Schriftsätze vorzubereiten“, so Baab. Der Datenverkehr könne von Richtschützen angepeilt werden und Coerper werde zum Ziel durch erhöhtes Datenaufkommen. Coerper selbst hat nach der Sendung am vergangenen Montag keine öffentliche Stellungnahme abgegeben.  (hb)

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