Kriegsmüde oder lebensmüde?

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  • November 8, 2024
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Wie kann es sein, dass ein Boris Pistorius (SPD) Deutschland Kriegsmüdigkeit vorwirft, ohne in hohem Bogen vom Hof zu fliegen? Es scheint sich um eine Art kollektive Lebensmüdigkeit zu handeln. Doch die Erklärung ist viel einfacher.

Ein Artikel von Tom J. Wellbrock

Foto: shutterstock/Efasein

Die Formen und Techniken der Manipulation sind heute zahlreich und weitreichend. Im Vergleich zu den Propagandamöglichkeiten vor dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg stehen wir heute einer Maschinerie gegenüber, die uns selbst die dümmsten Gedanken einpflanzt, ohne dass wir die Falle erkennen, in die wir geführt werden. Die Erzählungen unterscheiden sich dagegen kaum von denen von früher: Der „Feind“ wird zunächst konstruiert, dann als Angreifer auf uns als Persönlichkeiten und unsere funktionierende Gesellschaftsform hochstilisiert, um als Krönung der Kriegseinleitung verunmenschlicht, als Tier oder Monster dargestellt zu werden, das uns mit Haut und Haaren fressen will. So weit, so schlecht.

Sich auf moralischer Ebene mit den Profiteuren des Krieges zu befassen, ist immer eine sinnvolle Angelegenheit, um ihren Antrieb zu verstehen. Die Motivation der Kriegshetzer ist zwar leicht einzuordnen, da sie am Tod anderer verdienen und mehr Tote mehr Profit bedeuten. Doch der Profit ist ungleich verteilt. Während die Rüstungsunternehmen den Krieg als reine Umsatzmaschine verstehen, ist die Rolle der politischen Entscheider nicht so einfach zu erfassen.

Geld und Krieg

Durch Kriege wird Geld verdient, das ist nichts Neues. Doch verdient ein Politiker daran, dass er Waffenlieferungen in die Ukraine oder nach Israel bewilligt? Auf den ersten Blick nicht, und da er argumentiert, es gehe ohnehin nur um das Selbstverteidigungsrecht eines wie auch immer angegriffenen Staates, kann persönliche Bereicherung eigentlich keine Rolle spielen. Und tatsächlich wird man bei der Auflistung von Nebentätigkeiten bei Politikern keinen Posten entdecken, der „Panzer“ oder „Waffenlieferungen“ enthält.

Besser stehen die Chancen, wenn man in Augenschein nimmt, wie die Rüstungsindustrie den Wahlkampf von Politikern und Parteien unterstützt, etwa durch die Organisation von Wahlkampagnen oder Konferenzen und Zuwendungen für Parteiveranstaltungen. In solchen Fällen steht zwar nicht „Krieg“ auf der Quittung, der Zweck der Unterstützung ist aber oft genug das Auffüllen der Kriegskasse mit Hilfe von Politikern und Parteien.

Wobei es tatsächlich gewisse Grenzen von einzelnen Abgeordneten gibt. Unternehmen dürfen nur bis zu festgelegten Grenzen Politiker mit Spenden unterstützen, insbesondere vor Wahlen. Doch die verordneten Höchstgrenzen können bei Einzelpersonen durch kleinere Einzelspenden überschritten werden, sodass unterm Strich üppige Summen herauskommen können. Das Problem weitet sich aus, wenn man bedenkt, dass es für Unternehmen keine Obergrenzen für ganze Parteien gibt. Zwar gibt es sowieso nur wenig Kontrolle und Überwachung, was Zuwendungen von Unternehmen an die Politik angeht, ein Rüstungsunternehmen, das sich statt eines einzelnen Politikers gleich eine ganze Partei für seine Unterstützung sucht, kann aber noch entspannter agieren.

Denken und Krieg

Man kennt den sogenannten „Drehtüreffekt“, der besagt, dass Politiker, die aus ihrem Amt ausscheiden, zu schnell in die Privatwirtschaft wechseln und dort als Lobbyisten fungieren. Sie bringen nicht nur wertvolle Informationen aus der Politik mit in den Privatsektor, sondern arbeiten meist schon in ihrer politischen Tätigkeit an der Zeit danach. Das führt zwangsläufig dazu, dass viele gewählte politische Vertreter von Beginn an nicht im Interesse ihrer Wähler arbeiten, sondern die Bedürfnisse derer befriedigen, bei denen für sie später ein bequemer Sessel bereitgehalten wird. Doch dieser Drehtüreffekt funktioniert auch in die andere Richtung.

Insbesondere die Bundeswehr wurde bekanntlich über Jahrzehnte vernachlässigt, Ausrüstung, Technik, Personal, Infrastruktur – all diese Bereiche befinden sich auf einem erschreckenden Niveau. Das soll anders werden, seit Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert ist. Ignorieren wir an dieser Stelle die Frage, ob die Bundeswehr in Zukunft eine reine Verteidigungsarmee oder eher offensiv aufgestellt sein soll. Sie ist für die strategische Ausrichtung und die grundlegende militärische Grundhaltung zwar von Belang, für die Rüstungsindustrie ist es aber unerheblich, ob vermeintliche Defensiv- oder Offensivwaffen geliefert werden sollen, solange die Kasse klingelt.

Bei der Neuaufstellung der Bundeswehr gibt es jedoch erhebliche Kompetenzprobleme. Die reine Ankündigung großzügiger Geldmittel behebt das strukturelle Problem der Bundeswehr nicht, wie man seit 2022 deutlich sehen kann. Also müssen Berater her, Experten mit Erfahrungen, Strategen und Ökonomen, die wissen, wie man die Bundeswehr besser aufstellen kann. Die wiederum kommen häufig direkt aus dem Umfeld der Bundeswehr, aber auch durch die Bundesregierung geförderte Forschungseinrichtungen oder Denkfabriken werden mit ihren Diensten gern in Anspruch genommen. Die üblichen Verdächtigen sitzen regelmäßig in Talkshows oder werden von Medien als „Sicherheitsexperten“ oder „Osteuropa-Experten“ vorgestellt.

Je bedeutender die Bundeswehr für die Gesellschaft wird, desto größer wird die Anzahl derer, die sich einmischen und profitieren. Die Bedarfe sind groß: Digitalisierung, Umstrukturierung, komplexe Beschaffungsprojekte, Anwerbung von Fachkräften und ein zielführender Einsatz der Mittel, die durch den höheren Verteidigungsetat freigesetzt werden, überfordern die Politiker in Berlin eklatant. Man schaue sich nur den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) an, ein Obergefreiter, der bis zu seiner Ernennung – abgesehen von seinem Wehrdienst – faktisch nichts mit der Bundeswehr zu tun hatte. Der Mann ist Kaufmann für den Groß- und Außenhandel und war Minister für Inneres und Sport in Niedersachsen.

Personal und Krieg

Pistorius ist nicht der einzige Politiker, der fachlich eine Fehlbesetzung darstellt. Es scheint sogar, als seien fachliche Expertise und Erfahrungen in der heutigen politischen Landschaft unerwünscht. Ein Kaufmann ist Verteidigungsminister, ein Kinderbuchautor Wirtschaftsminister und eine Trampolinspringerin Außenministerin – was im Netz oft für Lacher sorgt, ist ernster als man denkt. Unter Habeck ist Deutschlands Wirtschaft zu einem kümmerlichen Rest verzweifelter Unternehmen geworden, die entweder den Standort verlassen oder – wenn das finanziell nicht möglich ist – Insolvenz anmelden müssen. Die Außenministerin ist auf der internationalen Bühne isoliert, wird nicht ernst genommen und heizt global jeden Konflikt an, den sie in Augenschein nimmt. Und der Verteidigungsminister beklagt in einer größenwahnsinnigen Form der Lebensmüdigkeit die Kriegsmüdigkeit des Landes.

Erschwerend hinzu kommen enge zwischenmenschliche Beziehungen zwischen der Rüstungsindustrie und politischem Personal. Da werden tiefe Freundschaften geschlossen, die dann unweigerlich Einfluss auf die Arbeit und die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen haben. Politiker gehen in die Rüstungsfirmen, Fachleute der Rüstungsfirmen beraten die Politik, man kennt und schätzt sich.

Outsourcing ist in den letzten Jahren ein geflügeltes Wort geworden, und es ist wohl kein Zufall, dass das Auslagern bestimmter Aufgaben mit einem englischen Wort beschrieben wird. Während in der Wirtschaft das Prinzip der Sub-Unternehmer und der Freiberufler zu erheblichen Abhängigkeiten auf Seiten der Auftragnehmer und Mini-Jobber führen, hat sich eine ähnliche Abhängigkeit in der Politik ausgebreitet. Vertreter aus der Industrie (und der Rüstungsindustrie) werden zunehmend in die Entscheidungen der größten Streitkräfte der Welt einbezogen, Regierungs- und Unternehmensaufträge lassen sich kaum noch trennen, Lobbyisten pendeln zwischen Politik und Wirtschaft hin und her.

Und so werden Strategiepapiere, Gesetze und Rüstungsverträge oft gleich von denen mitgeschrieben oder eigenständig verfasst, die später davon profitieren.

Den gegenseitigen Profit nehmen alle Beteiligten gern mit, doch selbst wenn die politische Ebene es anders wollen würde, wäre es oft überhaupt nicht mehr möglich. Vergleicht man die fachlichen Fähigkeiten eines erfahrenen Managers in der Rüstungsindustrie mit denen der deutschen Außenministerin, wünscht man sich schon fast jemanden, der weiß, was er denkt, sagt und tut. Das Ergebnis ist jedoch in den seltensten Fällen im Sinne der Bevölkerung und dient auch nicht dem Friedenserhalt.

„Egal, was meine Wähler denken …“

Die Lobbyisten der Rüstungsindustrie sind kein Übel, an dem man nichts ändern könnte, im Gegenteil. Sowohl der Drehtüreffekt als auch die direkte Einflussnahme auf die Politik könnten verhindert werden, doch das ist nicht vorgesehen, weil die gegenseitigen Vorteile zu offenkundig sind. Als Annalena Baerbock zu Beginn des Ukraine-Kriegs sagte, Deutschland werde die Ukraine weiter unterstützen, egal, was ihre Wähler denken, war das ein für sie typisches Eingeständnis dessen, was tatsächlich wichtig für sie ist.

Und hier geht es nicht nur um die deutsche Rüstungsindustrie, sondern auch und vor allem um die amerikanische. Das politische Anbiedern an die USA findet in zahlreichen Bereichen Anwendung, inklusive der Anschlussverwertung deutscher Politiker nach ihren Karrieren. Die Besetzung deutscher Ämter durch ausgewählte Politiker ist nichts Neues, sie wird schon seit Jahrzehnten praktiziert. Der Unterschied scheint die etwas neuere Priorität zu sein, deutsche politische Ämter mit besonders inkompetenten Schlüsselfiguren zu besetzen.

Um auf die Bundeswehr zurückzukommen: Die offensive und aggressive neue deutsche Haltung zu Krieg und Frieden ist kein Zeichen von Lebensmüdigkeit des Verteidigungsministers oder der Außenministerin, sie spiegelt die Unfähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, wider. Brav das US-amerikanische Narrativ wiederkäuend richtet sich die deutsche Politik nach der Vorgabe, einen Keil zwischen Russland und Deutschland zu treiben, ganz so, wie es sich seinerzeit schon Zbigniew Brzeziński gewünscht hatte. Bis zur Realisierung der Feindschaft zwischen Russland und Deutschland sollten noch Jahre vergehen, aber die „Gefahr“, dass sich deutsche Technologie und russische Rohstoffe, zusammen genutzt und strategisch eingesetzt, zu einer gemeinsamen Macht entwickeln können, scheint nun endlich bis auf Weiteres gebannt zu sein.

Das wirklich Tragische an dieser Entwicklung ist die Trägheit der deutschen Bevölkerung. Wie schon eingangs geschildert, sind die Möglichkeiten der Manipulation heute um ein Vielfaches größer geworden als zu Zeiten der ersten beiden Weltkriege. Doch im Prinzip hat sich nichts geändert, der Feindbildaufbau funktioniert ähnlich wie damals, die Darstellung des „Feindes“ als „Monster“ ist ebenfalls nicht neu, und die Argumentation, es gehe den politischen Entscheidungsträgern um Dinge wie Demokratie, Menschenrechte oder Meinungsfreiheit, ist genauso hohl wie vor 80 oder 100 Jahren. Immer behaupten die Mächtigen, durch Kriege etwas Edles, Nobles verteidigen zu müssen, immer kann die Verteidigung nur durch einen eigenen Angriff gelingen, immer müssen die Menschen Einschränkungen und Abstriche hinnehmen, für die Freiheit frieren oder aus Solidarität die eigenen Interessen in den Hintergrund rücken.

Die Deutschen sind tatsächlich kriegsmüde, sogar die, die selbst keinen Krieg erlebt haben. Sie wollen in Frieden leben, das zeigt sich in Umfragen und sonstigen Meinungsbildern sehr deutlich. Aber die Deutschen scheinen in der Tat gleichzeitig ein wenig lebensmüde zu sein, weil sie dem Treiben in Berlin weitgehend widerstandslos zusehen. Sie lassen sich in die Falle der Feindbilder locken, lassen sich blenden von Politikern, die vor lauter Rhetorik kaum stehen können und glauben denen, die in der Drehtür zu Hause sind. Auf diese Weise kann das Geschäft mit dem Krieg weitergehen und während in den sozialen Medien das Hauen und Stechen um die richtigen Positionen mit viel Gift und Galle geführt wird, treffen sich in Berlin die Politiker und die Lobbyisten und machen mit dem weiter, was sie am besten können: den Willen des Volkes mit ihren Füßen treten, bis das Blut spritzt, zu Hause und überall auf der Welt.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er ist Gründungsmitglied und Mitherausgeber der neulandrebellen.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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