Schlafwandeln wir in den Dritten Weltkrieg? Ist es so, wie der Historiker Christopher Clark über die Entstehung des Ersten Weltkriegs geschrieben hat: keiner wollte wirklich einen blutigen Waffengang. Aber irgendwie waren alle etwas verpeilt, und dann hat der böse serbische Geheimdienst die gutwilligen Großmächte aufeinander gehetzt? (1) Also, um es gleich klar zu sagen: es gibt bei jedem Weltkrieg Kräfte, die ein massives finanzielles Interesse haben, dass ein Waffengang tatsächlich stattfindet (2).
Ein Beitrag von Hermann Ploppa
Und, ja, der Krieg der da auf uns zurast, ist gewollt. Das sieht man schon ganz klar an der Planmäßigkeit, wie wir Scheibchen für Scheibchen mit dem Endziel vertraut gemacht werden. Oft wird für diese mehr oder weniger subtile Annäherung an den gewünschten großen Knall der Frosch oder Hummer zitiert, der in kaltes Wasser gelegt wird. Die Temperatur im Kochtopf steigt in kleinen Schritten. Wenn die tödliche Temperatur erreicht ist, dann ist es auch für den Frosch oder für den Hummer zu spät. Der Mensch tickt aber etwas komplizierter. Es findet beim modernen Menschen eine seltsame Abspaltung statt. Einerseits nehmen bekanntlich psychosomatische Beschwerden zu. Der Schlaf ist nicht mehr erholsam. Das Zähneknirschen in der Nacht nimmt in der Bevölkerung dramatisch zu. Essstörungen sind nicht mehr zu übersehen.
Und andererseits geht aber das Leben ganz normal weiter. Solange die Routine funktioniert, kommt der menschliche Apparat nicht zum Stocken. Auch wenn man sich immer weniger leisten kann: das was man sich leisten kann, wird umso feiner zelebriert. Was will man denn? Die Sonne scheint, wenngleich auch etwas verschleiert-verschnupft. Jaja, der stark anschwellende Flugverkehr ist schuld, dass der Himmel nicht mehr so blau ist wie früher Die Parks füllen sich, das viel zu teure Eis wird geschleckt. Was will man denn? Die Tagesschau sendet seit siebzig Jahren, und die Wettervorhersage kommt immer noch am Schluss. Heinz Hönig kriegt die Speiseröhre raus. Wie schrecklich. Aber ich kann noch eine weitere Kugel Eis vertragen.
Ja, und da ist immer noch diese Glasscheibe, die uns vom Grauen der Welt trennt. Früher war es die verfettete Glasscheibe des Röhren-Fernsehers. Auf der anderen Seite der Glasscheibe stand Peter Scholl-Latour und berichtete von dem neuesten Massaker in Vietnam oder im Kongo. Gottseidank. Das war verdammt weit weg und wir konnten den AEG-Fernseher ja auch abschalten wenn es uns zu viel wurde. Auch die nachwachsende Generation kann noch gewiss sein, dass der heutzutage viel stärkere Horror hinter der Glasscheibe des Handys bleibt und nicht ins eigene Wohnzimmer überquillt. Und wer heute zwanzig Jahre alt ist, der hat seine Prägungen nicht in der Schule erhalten, sondern im Internet, oder gar im Darknet. Und wer da Tag für Tag und Nacht für Nacht unterwegs ist, der hat bereits zigtausende von bestialischen Morden gesehen. Wer das hinter sich gebracht hat, kommt zu dem Schluss, dass in unserer Gesellschaft die Steinzeit-Logik herrscht. An dem so gebrieften Individuum ziehen vierhundert Jahre Aufklärung und Gewaltreduzierung spurlos vorbei. Wenn die Handy-Scheibe platzt, und der echte Blutkrieg quillt in die gute Stube – vielleicht ist das ja nur noch die Erlösung aus der alltäglichen Leere und Langeweile? So hatten es jedenfalls die Jugendlichen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges nach annähernd hundert Jahren ohne größeren Krieg erlebt. Um dann schnell im Fleischwolf von Nordfrankreich schwerstens traumatisiert zu werden.
Die Menschen, die die Gräuel des letzten Krieges noch miterlebt haben, sind entweder schon verstorben oder sie kämpfen mit Altersschwäche. Es würde ihnen sowieso keiner mehr zuhören wollen. Diese Erfahrung kann man allerorten in Deutschland machen. Die Friedensbewegung besteht zum großen Teil aus Aktivisten im Alter zwischen siebzig und neunzig Jahren. Immer noch wie vor fünfzig Jahren stehen sie tapfer mit Flugblättern in Fußgängerzonen und wollen ihre Mitmenschen warnen vor dem rasch heran galoppierenden Krieg. Dumm grinsend gehen die Normalbürger vorbei. Nein. Sie wollen nicht einmal ein Flugblatt geschenkt bekommen. Sie lachen nur über die besorgten Senioren.
Ja, es besteht anscheinend kein Handlungsbedarf. Im Einzelgespräch ist dagegen immer noch klar: niemand will den Krieg. Aber wie soll man denn diesen unberechenbaren Despoten Putin in die Schranken weisen? Dabei gibt es durchaus in der deutschen Bevölkerung ein nicht unerhebliches Segment an Bürgern, die Putin sehr schätzen. Aber die Schweigespirale bewirkt, dass solche Ansichten nicht mehr gefahrlos in der Öffentlichkeit ausdiskutiert werden können. Aus dem Zoon Politicon ist ein Homo Consumens geworden, der nur noch die eine klare Selbstvergewisserung hat: „Ich konsumiere also bin ich!“
Und so zieht sich die Schlinge um Deutschland immer enger. Überdruss über das bürgerliche Leben, Schweigespirale und real existierender Konsumismus machen das möglich. Die Temperatur im Boiler steigt an. Die Gewöhnung an das Undenkbare spielt sich ganz dummfrech ab. Ja, wir müssen den armen Ukrainern Ferngläser mit Nachtsichtfunktion schenken. Dann sind es schon Helme, dann Munition; dann der Super-Panzer Leopard Zwei. Ja, und dann schenken wir den Ukrainern noch ein paar F-16-Bomber? Ja, das reicht noch nicht, wenn die Ukrainer mit Scalp-Marschflugkörpern 250 Kilometer weit schießen können. Wir Deutschen müssen ihnen unbedingt Taurus-Marschflugkörper überlassen. Mit den Taurus-Marschflugkörpern können die Ukrainer dann sogar Moskau atomar in Schutt und Asche legen. Ein Frosch würde bei dieser Boiler-Temperatur spätestens merken, dass was nicht stimmt. Der Homo Sapiens dagegen ist ja zerebral. Der spaltet diese Empfindung irgendwo weiter unten im Gehirn ab.
Und so schluckt der Normalverbraucher auch diese Zumutungen noch. Irgendwo weiß er, dass das nicht gut ist. Aber er muss ja funktionieren. Also kommen schon die nächsten Verlautbarungen. Frankreichs Präsident Macron will jetzt Fremdenlegionäre mitten in die Kampfgebiete der Ostukraine schicken <3>. Na, da können wir ja noch ruhig sein. Denn die französische Fremdenlegion besteht ja aus lauter fragwürdigen Menschen, die was angestellt haben und die jetzt einen neuen Namen und einen neuen Ausweis bekommen. Eine Art von Stahlgewitter-Resozialisierung? Geht uns ja nichts an, oder? Nun ja, die Fremdenlegion gehört nicht zur NATO-Struktur dazu. Es kann also wegen der Fremdenlegionäre kein Bündnisfall nach Paragraph 5 der NATO-Charta ausgerufen werden. Da können wir doch beruhigt sein, oder?
Denkste. Da kommt schon die Regierungschefin des kleinen Balten-Staates Litauen aus dem Busch hervor und verkündet, sie wolle litauische Kampfverbände direkt in die Ukraine entsenden. Angeblich nur zu „Übungszwecken“ <4>. Wie bitte? Machen die litauischen Soldaten im Takt der russischen FAB-Bombeneinschläge Liegestütz im Donbass? Die litauischen Streitkräfte sind definitiv Teil der NATO-Infrastruktur. Wenn den litauischen Recken an der ukrainischen Ostfront auch nur ein Haar gekrümmt wird, kann der NATO-Bündnisfall ausgerufen werden. Noch murren ein paar NATO-Staaten wie Ungarn oder die Slowakei. Doch die litauische Regierungschefin Šimonytė zeigt sich ganz unbekümmert und entgegnet ihren Kritikern:
„Wenn wir nur an die russische Reaktion denken würden, könnten wir nichts schicken. Jede zweite Woche hört man, dass jemand atomar abgeschossen wird.” <5>
Und amerikanische Politiker im Washingtoner Kongress lassen alle Hüllen fallen. Die Europäer müssen jetzt für die Ukraine bluten. Denn sonst müssten womöglich noch amerikanische Soldaten ran, meint der Vorsitzende der Demokraten im US-Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries:
„Wir können die Ukraine nicht fallen lassen, denn wenn das passiert, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Vereinigten Staaten in den Konflikt einsteigen müssen – nicht nur mit unserem Geld, sondern auch mit unseren Soldatinnen und Soldaten.” <6>
Politischer Widerstand gegen die Kriegswalze ist schwieriger denn je. Wir hatten jetzt nacheinander drei Baustellen: erst war da der Kampf gegen das Corona-Regime. Es gab eine neue Bewegung, die zuletzt einige Millionen Menschen umfasste. In diese Situation hinein schachtelte sich der Ukraine-Krieg, der auch wieder eine klare Positionierung verlangte. Und nun noch der Krieg gegen die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen und in der so genannten West Bank, also dem Westjordanland. Auch hier ist eine klare Positionierung erforderlich. Jedoch sehen wir jetzt aufgrund dieser drei Baustellen eine katastrophale Spaltung. So manch einer, der gegen das Corona-Regime gekämpft hat, sieht sich jetzt im Ukraine-Krieg auf der Seite der NATO, und gegen Putin. So manch einer, der das Corona-Regime mit unterstützt hat, findet sich jetzt unter den mutigsten Kämpfern gegen den Genozid in Nahost wieder. Der Anblick von maskierten jungen Studenten auf dem Campus amerikanischer Elite-Universitäten irritiert <7>. Doch sollte man jetzt mal über den Tellerrand hinaus blicken und in allen drei Fragen den größtmöglichen Nenner finden. Es geht um die Substanz der Menschlichkeit. Es geht um unser aller Überleben.
Merken wir noch, wie es im Kochtopf zu blubbern anfängt?
Quellen:
(1) Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. München 2013
(2) H.C. Engelbrecht; F.C. Hanighen: Merchants of Death. 1934. https://cdn.mises.org/The%20Merchants%20of%20Death_2.pdf
(3) https://asiatimes.com/2024/05/france-sends-combat-troops-to-ukraine-battlefront/
(7) https://www.youtube.com/watch?v=syJL5JpVU6M
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