Ein Kommentar von Sven Brajer
Viel Stückwerk, wenig Konstruktives und das Programm lässt immer noch auf sich warten: Am Montag gründete sich das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“. Die Namensgeberin und Fabio De Masi könnten jedoch zu wenig sein, um bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten zu punkten.
Die Szenerie ist bekannt. Bereits im Oktober war Sahra Wagenknecht bei der Bundespressekonferenz zu Gast und stellte ihren Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (kurz BSW) vor. Nun kommt noch „Vernunft und Gerechtigkeit“ dazu. Die größte Sorge der versammelten Presse war wie gewohnt – bis auf wenige Ausnahmen – ob sich die neue Partei ausreichend von der AfD unterscheide und natürlich distanziere, sowie den „Klimawandel“ ernst nehme. Neben der Namensgeberin wird die Partei – leider wenig überraschend – von der charismatisch wie auch fachlich blassen Amira Mohamed Ali geführt. Als Generalsekretär wurde der Bundestagsabgeordnete Christian Leye vorgestellt – wie die Bundestagsabgeordnete Mohamed Ali gehörte er zuvor der Partei Die Linke an. Stellvertretender Vorsitzender des BSW ist der Unternehmer und Hochschulprofessor Shervin Haghsheno – ein völlig unbeschriebenes Blatt. Bei der Europawahl am 9. Juni sollen der frühere Linkenpolitiker und Finanzfachmann Fabio De Masi und der frühere Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeister Thomas Geisel für das BSW antreten. Dieser hatte erst am vorigen Sonntag seinen Austritt aus der SPD beantragt. Im Herbst will die neue Partei bei den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland antreten.
Zuvor hatte sich die Partei offiziell gegründet. 44 Gründungsmitglieder waren dabei, sagte Wagenknecht in der Bundespressekonferenz – bis zum ersten Parteitag Ende Januar sollen es 450 werden. Zu Beginn des Gründungstreffens in einem Berliner Hotel hatte Wagenknecht betont, es sei „ein bisschen auch ein historischer Tag“, dass „wir den Grundstein für eine Partei legen, die das Potential hat, das bundesdeutsche Parteienspektrum grundlegend zu verändern und vor allem die Politik in unserem Land grundsätzlich zu verändern“. Die Gründung selbst fand hinter verschlossenen Türen statt – und das ausgerechnet an dem Tag, an dem Bauern und Spediteure ihren bundesweiten Streik begannen, der durchaus das Zeug hat, die „dümmste Regierung Europas“ (Sahra Wagenknecht) endlich aus dem Amt zu jagen. Zumindest ein Foto mit Traktoren und ein paar rüstigen Vorzeigebauern hätte der neuen Partei einige Sympathien im Mittelstand beschert, doch man war zu fokussiert auf sich selbst, anstatt auf zukünftige Wähler.
Auf der zweistündigen Pressekonferenz betonte Wagenknecht zunächst das breite Spektrum der Gründungsmitglieder. So stamme man aus Teilen der Linken und von anderen „demokratischen Parteien“. Sozialarbeiter, Unternehmer, Ärzte, Theologen und Professoren seien darunter. Die Volksnähe wirkt jedoch aufgesetzt, zu steif und professionell – vielleicht auch unterkühlt – wirken die Beteiligten und nur Fabio de Masi nimmt man hin und wieder die Rolle des Volkstribuns ab – nicht zuletzt auch aufgrund seines großen Egos.
Wagenknecht hob die Notwendigkeit der neuen Partei heraus: So werde die Demokratie gefährdet durch die Politik der Ampel, die so zum Erstarken der AfD beiträgt. Man solle Ursache und Wirkung also nicht verwechseln. Laut der 54-Jährigen habe die Regierung „keinen Plan“, außer dass sie den Bürgern das Geld aus der Tasche zieht. Erschwerend komme hinzu, dass „die Opposition zum großen Teil die Politik der Regierung mitträgt“. Ähnlich sah das auch der bislang weitgehend unbekannte Unternehmer Shervin Haghsheno, der mit im Vorstand der neuen Partei sitzt. Er betonte: „Die Mehrheit hat das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren. Leider auch in die Medien.“ Erst recht auch in den Bundeskanzler, den De Masi mit Blick auf die Umfrageergebnisse in Sachsen – die SPD steht dort zurzeit bei drei Prozent – als „Frühstücksdirektor“ abkanzelte.
Ganz neu sind diese Erkenntnisse jedoch nicht, viel interessanter wäre die Antwort auf die Frage was Wagenknecht und Co. dem Entgegenzusetzen haben: Eine „Minimalsteuer“ für Konzerne auf europäischer Ebene sowie „digitale europäische Infrastruktur“, um unabhängig von US-Konzernen zu werden, sind zwar begrüßenswert mit Blick auf die anstehenden Europa-Wahlen, für die drei ostdeutschen Landtagswahlen kam von der genuin westdeutschen Truppe jedoch zu wenig – genau genommen gar nichts, außer der Hinweis, dass man dafür noch geeignetes Personal aufstellen will. Dabei ist jedoch fraglich, wo das herkommen soll.
Hier zeigt sich: Deutlich weniger Ex-Linke als gedacht wechseln zum BSW. Auch aus anderen Parteien hält sich der Zuspruch (noch?) in Grenzen. Ob die Leute dort die „sozialdemokratischen Grundsätze“ der 1970er Jahre von Willy Brandt und Helmut Schmidt brauchen, die Thomas Geisel als Parteimerkmal herauskristallisierte, ist auch fraglich. Weniger Bürokratie, „starker Staat“ und weniger Steuern wären da sicher eher ein Modell, doch das wird es mit Wagenknecht und Co. kaum geben, zu sehr ist die Partei im 20. Jahrhundert zwischen „Sozialismus“ und „starken Staat“ verhaftet.
Ob Ukraine-Krieg samt ruinöser Sanktionen und Milliarden an Steuergeldern, „menschengemachter Klimawandel“ (und das damit verbundene Abwürgen der deutschen Wirtschaft) oder die Aufarbeitung der „Corona-Krise“ – Wagenknechts Antworten auf diese Herausforderungen klingen stets vernünftig – wie so oft bestätigt sie aber, dass sie den vom politischen und medialen Establishment vorgegeben Rahmen des Sagbaren gerade nicht zu sprengen gedenkt – schade, denn das hätte die neue Partei von fast allen anderen erfrischend unterschieden und ihr ein echtes Alleinstellungsmerkmal gesichert. So droht nun ein mühsamer Kampf im einstelligen Prozentbereich um enttäuschte SPD-, CDU und Linken-Wähler.
Zum Autor: Sven Brajer ist promovierter Historiker, freier Journalist sowie gelernter Einzelhandelskaufmann. Er stammt aus der Oberlausitz, hat in Göttingen und lange in Dresden gelebt, lebt derzeit in Berlin und betreibt den Blog www.imosten.org. Er interessiert sich für die deutsche und europäische Sozial-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des 19.-21. Jahrhunderts, Revolutionsforschung, Geopolitik mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa, aber auch für aktuelle (finanz-)politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, insbesondere von Parteien und Bewegungen. Seit dem 22. April 2023 ist Brajer Vizepräsident der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften eV .