Querfront – die Totschlagzeile

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  • Januar 4, 2024
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Ein Kommentar von Diether Dehm

Seit einigen Jahren bewerfen woke Medien Oppositionelle mit dem Sudelwort „Querfront“.

shutterstock/Boris15

Besonders, wo Leute auf dem Boden des Grundgesetzes gemeinsam auf die Straße gehen. Für Meinungsfreiheit, Jobs und Löhne. Gegen Aufrüstung, Energie- und Lebensmittel-Verteuerung, Bauernsterben, Mittelstands-Pleiten und Corona-Lügen.

Kürzlich hat das Allensbach-Institut in Deutschland seit Beginn der Aufzeichnungen den statistisch höchsten Wert an „Einschüchterung“ gemessen. Erzielt wird diese mit Cancel-Culture-Wortpatronen wie „Verschwörungstheoretiker“, „Corona-Leugner“, „Homophober“ und „Kreml-Versteher“. Auch damit,  jeden als „Antisemiten“ zu diffamieren, der gerade den israelischen Bombenterror in Gaza kritisiert.

Querfront“, so behaupten antikommunistische Geschichtsklitterer, hätte es zum Schaden der Weimarer Demokratie von Ernst Thälmann bis Adolf Hitler gegeben. In Wahrheit hatte der letzte bürgerlich-demokratische Reichskanzler Kurt von Schleicher Ende 1932 zwar den „linken Flügel“ der NSDAP sowie Sozialdemokraten und Gewerkschafter eingeladen, aber nie KPD-Chef Ernst Thälmann. „Um Hitler zu verhindern“, schrieb der Historiker Georg Fülberth (Der Freitag 48/22):„Industrie und Banken jedoch wollten Hitler“.

Schleicher nannte sich, gewiss auch aus machtpolitischen Motiven, einen „sozialen General“, stellte mehr gemeinsame Manöver von Reichswehr mit der Sowjet-Armee als friedensbildende Maßnahme in Aussicht, bot den Gewerkschaften neue soziale Rechte und die Eindämmung des rechtsextremen Monopolkapitals um Krupp und Thyssen an. Goebbels verspottete ihn prompt als „roten General“.

Der von Schleicher eingeladene SA-Führer Gregor Strasser war zum innerparteilichen Gegner Hitlers geworden. Sein Bruder Otto war schon zwei Jahre zuvor aus der NSDAP ausgetreten. Zahlreiche prominente SA-Leute wie Bodo Use und der rechts hochgeachtete Offizier und Großbauer Richard Scheringer waren zuvor in die KPD übergetreten. Wer hier einwendet: „einmal Nazi – immer Nazi“, denn Überläufer von rechts hätten doch ein „geschlossenes, rechtsextremes Weltbild“ behalten, verabschiedet sich vom Prinzip der Aufklärung. Denn ein Weltbild ist nie „geschlossen“, immer brüchig. Sogar ein linkes.

Für woke Geschichtsdeuter blieb Schleichers „Querfront“ ein Sündenfall. Für sehr wenige hingegen war das der letzte Versuch, Ausschwitz und einen neuen Weltkrieg abzuwenden. 1934 ließ Hitler Schleicher und Strasser erschießen.

Die meisten Hitler-Gegner hatten dessen Faschismus unterschätzt. Die KPD bot bei der Wahl zum Reichspräsidenten 1932 nur ihren Vorsitzenden Thälmann gegen Hindenburg auf: kein sonderlich breites Personalangebot an Hitlergegner, nicht mal an weniger klassenbewusste Werktätige, aber auch nicht an pleitegehende Kleingewerbetreibende. „Kampflos, Genossen, habt ihr das Kleinbürgertum dem Faschismus überlassen!“ schimpfte Ernst Bloch später.

Die KPD hatte zwar 1927 die Notbremse gezogen und ihre Führung um die ultralinken Ruth Fischer und Arkadi Maslow durch ein weniger sektiererisches Zentralkommitee um Ernst Thälmann ersetzt. Dessen Programm-Erklärung von 1930 „Zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ wurde auch Grundlage für Wahlerfolge, etwa bei der Reichstagswahl am 6.11.1932, wo die Nazis 2 Mio Stimmen verloren, 700 000 davon an die KPD. Aber das ganz große (durch Finanzkrise und Arbeitslosigkeit überhöht-nationalorientierte) Protestpotenzial vermochte die KPD der Rechten da schon nicht mehr zu entwinden.

Mit ihrem „Proletarismus“ – einer religiösen Verklärung – war die KPD auch nie zu einer populären Kraft der Arbeiterbewegung geworden wie die von August Bebel und Lenin geführten Parteien. Ausgerechnet die KPD, deren Mitgliedschaft nur knapp aus knapp über 10% LohnarbeiterInnen bestand, verengte Kultur- und Agitationsarbeit aufs Industrieproletariat, vernachlässigte dabei Langzeitarbeitslose und Bauern. Zudem erleichterte sie ihren Gegnern die Propaganda, von Moskau ferngesteuert zu sein. Auch bei ihren Fehlentscheidungen der letzten 12 Jahre: zum Beispiel mit ihrer Namensgebung „Kommunistische Partei“ und ihrer Wahl-Verweigerung zur Nationalversammlung am 12.1.1919  (beides gegen den Rat von Rosa Luxemburg). Dann folgte der viel zu zögerlich unterstützte Generalstreik gegen den rechtsextremen „Kapp-Putsch“ 1920, ihre Schwärmerei von „Sowjetdeutschland“ und von der „Bolschewisierung der Partei“.

Dazu kam die jahrelange Abgrenzerei gegen „Nationales“, „Kleinbürgerliches“ und „Sozialdemokratisches“ im Kampf gegen die imperialistischen Diktate des Versailler „Friedens“-Vertrags von 1919. Vieles davon führte dazu, daß, trotz der Stimmenverluste der Nazis 1932, die Spaltung der Arbeiterklasse vertieft und so eine Volksfront unmöglich wurde. Dies festigte den Einfluß des profaschistischen Monopolkapitals. Welches zudem dann noch in seiner „Harzburger Front“ auch hitler-skeptische, petrochemische Konzernchefs neu begrüßen konnte. Die waren nach der Pleite ihrer Hausbank „DANAT“ 1931 ökonomisch in schwere Schlagseite geraten. „Hitler – jetzt oder nie mehr! Sonst würde Schleichers Querfront putschen“ – das teilte Freiherr von Schröder dem Hindenburg mit. Unmittelbar nach einem Treffen mit dem Wehrverband „Stahlhelm“ am 4.1.1933 in seinem Kölner Haus. Wo sich Hitler „wirtschaftlich als einen Liberalen“ eingeschleimt hatte.

Monopolkapitalisten verziehen Hitlers Faschisten gerne ihre drei Marketinglügen im Parteititel: „national„, „sozialistische“ „Arbeiter“-Partei“. Wenn aber Nachrichtensprecher bis heute deren demagogischen Namen „die Nationalsozialisten“ kolportieren, betätigen sie sich nachträglich als Helfershelfer der Faschisten. Wohl auch um vergessen zu machen, dass die „Nationalsozialisten“ die Nation in Schutt und Asche gelegt und Sozialisten hatten erschlagen lassen; und geil darauf, nationalstaatliche Pragmatik mit nationalistischem Chauvinismus gleichzusetzen und jetzt sogar Sahra Wagenknecht als „nationale Sozialistin“ zu bashen. 

Nation und Klassenkampf waren aber nie absolute Gegensätze. Was bereits Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ geschrieben hatten, nämlich, dass im werktätigen Alltagsverstand und „der Form nach der Kampf des Proleriats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler“ wäre. Russische, chinesische, jugoslawische, italienische und japanische Antiimperialisten hatten sich so auch immer als proletarische und nationale Kraft verstanden. Genau das will der „Querfront-Vorwurf“ heute unterbinden, gerade dort, wo sich kleineres Kapital regional aufstellt. Wohingegen transnational agierende Großkonzerne mit den „Bombengeschwadern des Kapitals“ (Brecht) „failed states“ in Serie produzieren und eingerissene Nationalstaatsgrenzen als Geschäftsmodell betreiben.

Mittlerweile pocht der deutsche Mittelstand auf ein Zurück zum russischen Gas, während der transnationale US-Großinvestor Blackrock seine Aktienpakete an den Mordmaschinenherstellern Rheinmetall sowie Lockheed und an US-Frackinggas-Firmen ausbaut. Lenin hatte bereits zur eingreifenden Beobachtung von solcherlei Widersprüchen auf der Gegenseite gemahnt: Wer für die feinsten Risse darin kein Auge habe, hätte „vom Marxismus keinen Deut verstanden“. Dies stammt aus seiner Schrift gegen „Linksradikalismus“, die er besonders deutschen Linken gewidmet hatte. Denn hierzulande war es stets besonders schwer, den Hauptfeind auszumachen und Volkskräfte dagegen von links zu bündeln.

Auch damals – viel zu spät, 1935 erst – wurde auf dem VII. Weltkongress der „Kommunistischen Internationale“ in Moskau von dem bulgarischen Kommunisten Dimitrow jene „Volksfront“ durchgesetzt, die Geschichtsklitterer meist meinen, wenn sie über „Querfront“ schimpfen. Demokraten von rechts bis links, Kommunisten und Sozialdemokraten (die sich wechselseitig als „rote Faschisten“ beschimpft hatten), Kulturschaffende und Wissenschaftler, Angehörige verschiedenster Konfessionen waren längst eng beieinander – aber in Zuchthauszellen und Baracken der KZs. Bis eine andere, sehr breite Front sie befreien half: die Alliierten. Und die reichte von der Luftwaffe des Antikommunisten Churchill bis zur Roten Armee Stalins und dessen „Großem Vaterländischen (!) Krieg“.

Der Führer der chinesischen Kommunisten Mao Zedong hatte Lenin und das „Kommunistische Manifest“ besser verstanden. Er knüpfte mit seinem Erzfeind Tschiang Kaitschek und dessen Koumintang-Partei ein Bündnis gegen die japanischen Nazi-Kriegspartner und mörderischen Besatzer Chinas. Mao appellierte öffentlich, „die Anstrengungen der Patrioten aller Parteien zur Rettung des Vaterlands zu vereinen“ (Mao, AS 4, Dietz 1956, S.186).

Palmiro Togliatti war als Vorsitzender der italienischen KP sogar in die Regierung des „faschistischen Großrats“ unter Marschall Badoglio eingetreten, als dieser am 25. Juli 1943 Mussolini abgesetzt hatte. Diese „Wende“ der Kommunisten brachte Togliatti zwar eine Menge innerparteilichen Ärger, aber den zänkischen Partisanen in den Bergen die entscheidende Verbreiterung(*).

Und dann hatte es noch das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ gegeben, von dem aus Walter Ulbricht und Erich Weinert deutsche Wehrmachtssoldaten vor Stalingrad mit patriotischen Parolen zum Desertieren aufriefen: Basis der späteren „Nationalen Front“ in der DDR, die auch gelegentlich mit „Querfront“ verwechselt wird.

Wenn Sahra Wagenknecht heute elitäre Fans von Baerbock & Pistorius als „Die Selbstgerechten kritisiert und die Grünen (nicht die AfD) als „die gefährlichste Partei im Bundestag“ benennt, wird auch ihr Wahl-Bündnis mit „Querfront“ eingeschüchtert, bis es bei Kundgebungen mit allerlei rethorisch-braven Verrenkungen alle „Nach-rechts-Offenen“ des Platzes zu verweisen sucht.

Dabei ist es hohe Zeit für neue Assoziationen auf der Strasse gegen einen neuen Weltkrieg. Wenn vom SPD-Fraktionssitzenden Rolf Mützenich („wieder friedenstüchtiger werden“) über den Konservativen Roland Tichy bis zum rechten Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen für ein besseres Verhältnis zu Russland geworben wird. Hatte nicht nach den Mordaktionen der CIA beim Chile-Pusch 1973 bereits der Vorsitzende der italienischen Kommunisten Enrico Berlinguer gerade konservative „Constitutionisten“ aufgerufen, ab jetzt gemeinsamer für die Verfassung einzutreten in einem „Historischen Kompromiss“? Und so könnte nun auch hierzulande gegen die Aufrüstungsorgien mehr Demokratie gewagt werden – und größere Breite. Ausserparlamentarisch, aber auch beim Wahlkampf ums Europäische Parlament in 2024.

Denn die Totschlagzeile „Querfront“ soll doch nur ein neues „Teile und herrsche!“ befördern. Und: wie unglaubwürdig die von rosagrünlichen Medien und Politiker*innen zur Show getragene Abscheu gegen „Querfront“ ist, zeigt sich nicht nur im historischen Rückblick. Sondern auch hochaktuell, wenn Selenskyjs Nazi-Milizen den ukrainischen Judenschlächter Bandera bejubeln und sich Netanyahus Finanzminister Smodrich selbst als „homophoben Faschisten“ anpreist. Und wenn dann die „Ampel“ beide ultrarechten Regimes „zum Dank“ noch mit Merkava- und Leopardpanzern beliefern lässt.

* (mehr dazu in meinem Roman „Bella Ciao„, Eulenspiegel-Verlag).

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