Brauchen freie Gesellschaften eigentlich rechte Parteien? Sind sie Teil der Demokratie – oder das Ende der Demokratie?
Ein Beitrag von Roberto De Lapuente
Die Europawahl habe den Kontinent nach rechts getrieben, las man in den letzten Tagen häufig. Den Rechten wäre es besser als den Demokraten gelungen, die Gunst der Wähler zu erlangen. Immer wieder wird das gegenübergestellt: Die Rechten und die Demokraten. Als seien das unversöhnliche Entitäten, die nur voneinander getrennt zu denken seien. Wer genau diese Rechten sind, spezifiziert man selten – wenn, dann ausschließlich anhand irgendwelcher Parteizugehörigkeiten, die das Rechte unterstreichen sollen.
Außerdem setzt man den Begriff des Rechten stets mit dem des Rechtsradikalen oder Rechtsextremen gleich. Ja, die beiden letzten Begriffe sind fast völlig aus der öffentlichen Debatte verschwunden. Der Rechte beinhaltet diese beiden massiven Formen praktischerweise gleich mit. Das politisch Rechte war bis vor einigen Jahrzehnten noch mit dem Konservatismus konnotiert – und nicht bindend damit, ein Hitler-Anhänger, NSU-Sympathisant oder Faschismusfan zu sein. Heute wird alles unter dem Begriff subsummiert. Man erkennt das recht deutlich in jenem Kampf gegen rechts, der seit Wochen und Monaten die deutsche Öffentlichkeit bestimmt.
Rechte gegen eigene Gewissensbisse
Auf diesen Kundgebungen und Demonstrationen geht es nicht per se gegen Menschen, die ein neues autoritäres Reich auferstehen lassen wollen – plötzlich macht man massiv Stimmung gegen Leute, die beispielsweise davon überzeugt sind, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Man mag das ja als Einschätzung nicht teilen – so überzeugte Menschen jedoch in die rechte und damit rechtsextreme Ecke zu rücken, ist nicht nur falsch und dreist, es ist auch eine Verharmlosung der deutschen Geschichte. Dass die bei den Protesten gegen rechts immer wieder mitschwingt, versteht sich von selbst.
Gegen alles, was man als rechts entziffert hat, formiert sich also Zeitenwende und Zeitgeist. Der Rechte soll vom Angesicht der Erde verschwinden. Er gilt als überholt, als jemand, der die Zukunft nicht mehr erblicken soll. Wie gesagt, das trifft dann auch Konservative, manchmal Christen und Leute, die noch nach mit den Werten der Nachkriegszeit erzogen wurden. Schlicht also einen ziemlich großen Teil der Gesellschaft. Eine Frage traut man sich in diesem Klima gegen alles, was rechts ist, jedoch nicht mehr zu stellen: Braucht man die Rechten eigentlich? Sind rechte Parteien notwendig?
Umso spannender war es, dass Robert Willacker dieser Frage auf den diesjährigen Wiener Festwochen nachging. Willacker ist ein deutscher Politikberater – und er identifiziert sich als konservativ und damit rechts.
Sein Redebeitrag, nicht ganz unfrei von spitzbübischem Humor, befasst sich genau mit der Frage – oder sagen wir lieber: Will sich damit befassen. Brauchen wir also rechte Parteien? Ganz klar kann man das nicht beantworten, wenn man Willacker folgt. Denn er geht der Frage eher psychoanalytisch auf den Grund – und damit nicht sehr ergiebig. Die Liberalen, die ihr wokes Weltbild pflegen und die eben kein der Moral gefälligeres Leben führen, als all jene, die sie als Rechte stigmatisieren, benötigen seiner Meinung nach eben »die Rechten«, damit es jemand gibt, der schlechter ist als sie selbst. Sie benötigen rechte Parteien, damit sie ihr eigenes Gewissen beruhigen könnten. Ein interessanter Ansatz, der in der sich mehrenden antiwoken Literatur immer wieder hervortritt, zuletzt auch in Alexander Wendts »Verachtung nach unten«.
Verschiedene Charaktere und Temperamente
Aber rein politisch betrachtet: Braucht es rechte Parteien? Sind sie wirklich nur für die Psychohygiene gut? Kann man nicht nach handfesten Motiven suchen, die sie zu ihrer Existenz berechtigen? Das wäre eine an sich wichtige Frage. Eine konsequente in diesem Klima zumal.
Der Praxis, alles was rechts ist – im vorher genannten Sinne, also Antiquiertheit, Festhalten in religiösen Vorstellungen oder einfaches Beharren auf alte Werte usw. –, mit strikter Verdammung zu begegnen, wohnt ein Impuls inne, der mit der demokratischen Grundidee gar nicht vereinbar ist. Demokratie bedeutet nämlich nicht, dass sich alle innerhalb eines Gemeinwesens auf eine oder eine Handvoll Betrachtungen zu einigen haben: Alles kann nebeneinander, gewissermaßen synchron stattfinden. Da Menschen verschieden sind, bot die romantische Vorstellung des demokratischen Miteinanders die Perspektive, dass Verschiedenartigkeit auch in der Organisation des Gemeinweisens existieren kann – es sei nun die Aufgabe dieses Systems, ein Ringen verschiedener Weltbilder zuzulassen. Ob sich die beste Idee final durchsetzt, ist dabei nicht zwangsläufig sichergestellt. Aber eben auch nicht ausgeschlossen.
Selbstverständlich ist diese Abhandlung der Demokratie theoretischer Art – längst ist sie von Lobbyisten und Meinungsmacher unterwandert. Sie steuern diesen Kampf um Positionen. Und das nicht mal erfolglos. Dennoch lohnt es sich, einen Moment in dieser romantischen Theorie zu verharren. Die demokratische Grundidee beruht ja darauf, dass man in einer Gesellschaft verschiedenste Charaktere und Temperamente zu ihrem Recht verhelfen muss. Im besten Fall steht am Ende ein Kompromiss zwischen den Sichtweisen. Zu aller Zufriedenheit? Oft nicht – aber nicht selten in einer Form, in der alle ihr Gesicht wahren können.
Vermittlung macht auch solche Parteien nötig
Diese Grundidee wurde in den letzten Jahren von denen ausgehebelt, die paradoxerweise vorgeben, die Demokratie vor ihrem Verfall retten zu wollen. Der Kampf gegen rechts, der eigentlich ein Kampf gegen alles ist, was eine Moralelite in Politik, Medien, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen als nicht (mehr) angebracht ablehnt, ist so eine Aktion der vorgeblichen Rettung. Und sie versucht, bestimmte Anschauungen auszumerzen und sozial zu ächten. Dieser Kampf ist indessen aussichtslos, denn Menschen bleiben auch in Zukunft unterschiedliche Wesen, die verschieden denken – es wird, anders gesagt, immer konservativere Menschen geben.
Da diese Leute auch eine politische Vertretung benötigen, liegt es auf der Hand, dass rechten Parteien nicht etwa der Kampf anzusagen ist. Im Gegenteil, sie sind als Teil der Organisation gesellschaftlichen Zusammenlebens unentbehrlich. Sie vertreten eine Gegenposition zu allzu progressiven Geistern, die durch ihr wirken nicht minder Schaden anrichten können. Im Ringen von Thesen und Antithesen entsteht – plump hegelianisch eingeordnet – das synthetische Produkt dieses Systems, das wir Demokratie nennen. In der Praxis ist die freilich längst pervertiert und von den Mächtigen organisiert, dass sie so gut wie immer zu ihrem Recht kommen.
Die Frage der Stunde, die da lautet, ob wir rechte Parteien brauchen, kann man auch ganz ohne psychologische Erklärungsversuche beantworten. Muss man sogar. Sie als legitim zu beschreiben, weil sie als Sündenbock fungieren, greift tatsächlich viel zu kurz. Sie sind nötig, weil Menschen unterschiedlich sind. Und ein konservatives Weltbild eine Spielart von menschlicher Perzeption sind. Dass Menschen vielfältig sind und unterschiedlich denken, betonen die, die das Rechte am liebsten verbieten wollten, zwar immer wieder – Stichwort: Celebrate Diversity. Aber im Kontext zur Frage, ob rechts eine Berechtigung hat, blenden sie es aus und sprechen jeder rechten Partei die Existenz ab – konservative Menschen sollen nach ihrem Dafürhalten also keine politische Vertretung haben.
Zum Autor: Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Seit 2017 ist er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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