Vor einigen Tagen aus Russland: Hansjörg Müller zum Compact-Verbot

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  • August 14, 2024
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Über die (Un)Rechtmässigkeit des Verbots von Compact gibt es wenig Zweifel. Selbst Politiker der Ampel-Koalition stellen sie in Frage. Über die Gründe bzw. den Zeitpunkt wird spekuliert. Häufig wird es mit dem Interview mit Maria Sacharowa, der Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, in Verbindung gebracht.

Ein Beitrag von Andrea Drescher 

Screenshot Berlin 24/7: Compact-Interview (Video) – Maria Sacharowa und Hansjörg Müller

Auf dem Telegram-Kanal der Russischen Botschaft äußerte sich Maria Sacharowa selbst dazu.

„Am vergangenen Samstag ist mein Interview mit CompactTV veröffentlicht worden. Die deutschen Journalisten hatten es angefragt und ich hatte zugesagt, ein offenes und direktes Gespräch zu führen. Genau so ist es auch geworden. Am Montag hat man sich das Interview offenbar im Bundesinnenministerium angeschaut. Am Dienstag wurden mehrere Räumlichkeiten des Compact-Magazins durchsucht und das Magazin selbst wurde verboten.

Ich bin der Meinung, dass das Verbot vor allem darauf zurückzuführen ist, dass in unserem Gespräch die Wahrheit ausgesprochen wurde, die den Deutschen so sorgfältig vorenthalten wird. Hier einige meiner Zitate aus dem Interview:

«Deutschland bekommt nur deshalb kein Gas aus Russland, weil die USA den Deutschen verboten haben, Gas aus Russland zu beziehen.»

«Russland und die UdSSR haben zu keinem Zeitpunkt aus eigener Initiative heraus Gaslieferungen in die EU eingestellt. »

«Eine technische Wiederaufnahme der Gaslieferungen über den intakt bleibenden Nord-Stream-Strang ist eine Frage von wenigen Wochen.»

Hansjörg Müller nimmt in folgendem Interview (das vor einigen Tagen stattfand) selbst zu dieser Vermutung und seiner Sicht auf das Verbot von Compact Stellung.

Andrea Drescher: Wir kennen uns aus dem Interview „Im russischen Exil“ – in dem ich Dich aus persönlichen Gründen gebeten hatte, Compact nicht erwähnen zu müssen. Ich bin seit Jahren kein Freund dieses Mediums – um es positiv auszudrücken. Jetzt sprechen wir genau darüber, da das Verbot von Compact in meinen Augen indiskutabel ist. In einer funktionierenden Demokratie müssen alle Meinungen ausgesprochen und niedergeschrieben werden dürfen, solange sie nicht zu Gewalt aufrufen. Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst.

Hansjörg Müller: Gerne!

Andrea Drescher: Du bist Mitarbeiter von Compact in Moskau – was sind bzw. waren Deine Aufgaben?

Hansjörg Müller: Ich war nie Mitarbeiter von Compact. Beruflich bin ich selbständiger Interim Manager in der Restrukturierung international tätiger Unternehmen und habe die Moskauer Korrespondententätigkeit für Compact als zivilgesellschaftliches Engagement nur in meiner Freizeit betrieben. Mein Zuständigkeitsbereich waren ungefilterte Informationen aus Russland für Zuschauer im Westen. Aber damit ist jetzt Schluss, Compact gibt es nicht mehr.

Andrea Drescher: Was haben die Razzia und das Verbot bei Dir ausgelöst? Bist Du jetzt besonders froh, in Moskau zu leben?

Hansjörg Müller: Natürlich löste die Razzia bei mir einen Schock aus. Nicht einmal Franz-Josef-Strauß ging 1962 bei der Durchsuchung der Spiegelredaktion so weit, das Journal Spiegel insgesamt zu verbieten. Meines Wissens ist das Compactverbot das erste Verbot eines Medienhauses mit Reichweite in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die Regierung entschied das willkürlich, ohne ein vorheriges Gerichtsverfahren oder Gewährung rechtlichen Gehörs für den Beschuldigten. Dreister geht es nicht, im Stile von Bücherverbrennungen aus den letzten Jahrhunderten, als die Machthaber ähnlich vorgingen, wenn ihnen die Meinungen der Bürger nicht gefielen. Ich lebe nicht ständig in Moskau, sondern pendle aus familiären und beruflichen Gründen zwischen Europa und Russland. Selbstverständlich war es gut, dass ich am Tag des Compactverbotes in Russland war und nicht behelligt wurde. Ich bin gespannt, welche Schikanen mich erwarten, wenn ich das nächste Mal in die EU einreisen werde.

Andrea Drescher: Du hast bei unserem ersten Kontakt noch am Tag der Razzia angedeutet, dass Dein Interview mit Maria Sacharova der Auslöser gewesen sein könnte? Wie kamst Du darauf?

Hansjörg Müller: Das war mein erster Verdacht aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens gewesen. Erst ging unser bahnbrechendes Sacharova-Interview online und 2,5 Tage später wurde Compact hopsgenommen. Im Nachgang stellte ich aber fest, dass der Verbotsbeschluss der Innenministerin vom 5. Juni datierte, also ca. 6 Wochen vor der Durchsetzung am 16. Juli. Somit war es ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen, wobei nicht auszuschließen ist, dass eine eventuell für später geplante Durchsetzung durch das Interview beschleunigt worden sein könnte.

Andrea Drescher: Maria Sacharova hat verschiedene Themen genannt, die aus Sicht der deutschen Regierung viel zu klar, deutlich und kritisch sind. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht angenehm ist, so etwas direkt von verantwortlichen russischen Politikern anhören zu müssen. Da das Video in Deutschland ja nicht mehr erreichbar ist: Gab es noch andere wichtige Aussagen von ihr, die aus deutscher Sicht „unerwünscht“ sein könnten?

Hansjörg Müller: Das Video wurde inzwischen von so vielen Leuten neu hochgeladen, dass man es sehr wohl wieder im Internet findet. Maria Sacharova lieferte den Zuschauern und mir knallharte Aussagen, die in ihrer Klarheit und Neuigkeit sehr viel Nachrichtenwert über die russischen Sichtweisen bieten.

Dennoch besteht aus meiner Sicht das Problem des Sacharova-Interviews für die deutsche Regierung weniger in einzelnen Aussagen, sondern in der Existenz des Interviews an sich. Ich machte mit Maria Sacharova das gleiche, was vorher Tucker Carlson mit Vladimir Putin gemacht hatte: Wir boten dem Gegenüber eine Plattform, seine bzw. ihre Sichtweisen zu erklären und die Antworten ungekürzt und ungefiltert zu den Zuschauern im Westen zu transportieren, damit sich dort jeder selbst eine eigene Meinung bilden konnte; frei von Denkvorgaben oder „Einordnungen durch Journalisten, wie die Zensur heute heißt. So etwas passt den EU-Staaten natürlich überhaupt nicht, die russische Medien genau deshalb verboten haben, damit niemand die andere Seite auch nur anhören kann, wenn Meinungen per ordre de mufti durch die EU-Medien vorgegeben werden.

Andrea Drescher: Die Aktion wurde – lt. offiziellen Quellen – ja bereits seit Anfang Juni vorbereitet. Gibt es – außer dem Interview aus Deiner Sicht noch andere Gründe, dass es so lange gedauert hat? Oder hat man einfach „den passenden Zeitpunkt“ abgewartet und jetzt gefunden.

Hansjörg Müller: Der Anlauf des deutschen Staates zum Verbot von Compact geht schon über Jahre. Der Zeitpunkt seiner Durchsetzung am 16. Juli – und damit 2,5 Tage nach der Veröffentlichung des Sacharova-Interviews – wendet sich gegen seine Urheber: Erst durch das Verbot des Mediums wurde das darüber ausgestrahlte Interview so richtig interessant! Hiermit möchte ich mich bei der Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf das herzlichste für die erwiesene, kostenlose Werbung bedanken.

Andrea Drescher: Wo ist Compact aus Deiner Sicht politisch angesiedelt?

Hansjörg Müller: Für eine Einschätzung muss man die Historie von Compact und seines Gründers Jürgen Elsässer kennen. Jürgen Elsässer ist im Grunde seines Herzens ein Linker geblieben und hat bis über sein 50. Lebensjahr hinaus entsprechend Stellung bezogen. Schon aus dieser Sicht ist das Verbot von Compact als angeblich rechts in meinen Augen typisch deutscher Polit-Bullshit, um das Volk zu täuschen. Aber Jürgen Elsässer ist ein nationalbewusster Linker, womit er in der Tradition von Herbert Wehner und Willy Brandt in der früheren BRD bzw. in der Tradition von Walter Ulbricht und Erich Honecker in der früheren DDR steht. Im Laufe seiner politischen Entwicklung ist Jürgen womöglich zu der Erkenntnis gekommen, dass es vor allem übergriffige staatliche Organe sind, welche die Bürger auf totalitäre Weise ihrer Freiheit berauben und deshalb zum Schutz der Demokratie bekämpft werden müssen. Ich sehe es ähnlich und vielleicht haben wir deshalb zueinander gefunden.

Andrea Drescher: Die AfD-Nähe von Compact ist bzw. war in der Vergangenheit eindeutig. Jetzt wurde Compact zum letzten AfD-Bundesparteitag nicht mehr eingeladen und sollte keine Wahlwerbung für die Partei machen. Hast Du dafür eine Erklärung?

Hansjörg Müller: Die Erklärung liegt auf der Hand. Die AfD ist inzwischen vom politischen System derart eingenordet worden, dass sie primär nur noch Opposition nach den Vorgaben des Systems spielen darf. Dazu wurde über Jahre hinweg das dafür notwendige Personal an die Spitze der AfD gehievt, das sich entsprechend willfährig verhält. Echte Oppositionelle wie Doris Fürstin v. Sayn-Wittgenstein, Andre Poggenburg, Andreas Kalbitz oder ich wurden kaltgestellt. Wer das nicht glauben will, kann es gerne in meinem Buch „Scheindemokratie“ nachlesen, mit welchen Methoden das von wem wie durchgesetzt wurde. Ich nenne Ross und Reiter aus eigenem persönlichen Erleben im Zentrum der AfD-Macht.

Insofern passte ein echtes, oppositionelles Medium wie Compact nicht mehr in die Strategie der inzwischen vorwiegend scheinoppositionellen AfD und wurde ebenfalls von der Partei kaltgestellt.

Andrea Drescher: Was hältst Du von der Reaktion von Frau Weidel „Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Weltweit und insbesondere in Deutschland haben wir die Erfahrung gemacht, dass es grundsätzlich ein ungutes Zeichen ist, wenn der Staat einzelne Presseorgane verbieten lässt. Noch ist die juristische Sachlage nicht komplett einsehbar, deswegen ist es noch schwer einzelne Kritikpunkte hervorzuheben. Die „AfD wird das kommende Verfahren deshalb kritisch begleiten und beobachten.“ „Compact auf X/Twitter?

Hansjörg Müller: Typisches Weidel-Wischi-Waschi, bloß keine Stellung beziehen, solange nicht klar ist, wie die Geschichte ausgeht. An diesem Beispiel ist wunderbar zu sehen, dass Alice Weidel null Überzeugungen hat, sondern rein opportunistisch unterwegs ist. Im Vorstand der AfD-Bundestagsfraktion lernte ich sie damals in- und auswendig kennen. Angela Merkel könnte ihre politische Ziehmutter gewesen sein: opportunistisch, inhaltsleer aber machtbewusst.

Andrea Drescher: Nach der kompletten Übernahme sämtlicher Verlagswerte, glaubst Du, dass Deine Rechnung irgendwann noch bezahlt wird? Oder direkt gefragt: wie hoch schätzt Du die Chance ein, dass Compact vor Gericht Recht bekommt.

Hansjörg Müller: Ich hatte Glück und erhielt mein letztes kleines Taschengeld, für das ich tätig war, einen Tag vor dem Verbot überwiesen. Richtig böse hat es die Compact-Gründer um Jürgen Elsässer, Kai Homilius und die Compact-Mitarbeiter um Paul Klemm und weitere Streiter für die Bürgerrechte erwischt. Die Vermögenswerte der Inhaber wurden eingezogen und die Mitarbeiter auf die Straße gesetzt, womit sie gemeinsam vor dem Nichts stehen. Wenn irgendwann einmal ein Gericht feststellen sollte, dass die Innenministerin mit ihrem Compactverbot gegen alle Rechtsgrundsätze inkl. der grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit verstoßen hat, wird es den Betroffenen nichts mehr nützen: Sie wurden ein paar Jahre vorher ökonomisch fertig gemacht und ihrer Existenz beraubt. So schafft sich der Staat seine ihm genehmen Fake-Fakten, wie in jeder anderen Bananenrepublik auch, weshalb ich inzwischen verstehe, wofür das Kürzel „BRD“ steht: Bananen Republik Deutschland.

Andrea Drescher: Nochmals Danke, dass Du das Interview so kurzfristig möglich gemacht hast.

Andrea Drescher, Jahrgang 1961, lebt seit Jahren in Oberösterreich. Sie ist Unternehmensberaterin, Informatikerin, Selbstversorgerin, Friedensaktivistin, Schreiberling und Übersetzerin für alternative Medienprojekte sowie seit ihrer Jugend überzeugte Antifaschistin. Zuletzt erschien von ihr „Vor der Impfung waren sie gesund“, sie publizierte das Buch „Menschen mit Mut“, in dem mehrere Autoren Interviews mit Persönlichkeiten der Friedensbewegung führen sowie das Sachbuch „Selbstversorgertipps von Oma & Co.“ 

Der Beitrag erschien in Erstveröffentlichung auf tkp am 19.Juli 2024, Link: https://tkp.at/2024/07/19/aus-russland-hansjoerg-mueller-zum-compact-verbot/

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.



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