Weder Hand noch Fuss

  • MEINUNG
  • Mai 24, 2024
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Die Bundesentwicklungsministerin weiht ein Prothesenzentrum in der Ukraine ein und lobt den Durchhaltewillen der Ukrainer – trotz zehntausender Amputierter. 

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Shutterstock/ Amorn Suriyan

Vor einer Woche reiste Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ins ukrainische Lwiw. Auf der Tagesordnung stand die Einweihung des Unbroken-Zentrums für Orthopädietechnik. Hinter diesem Namen verbirgt sich die Produktion für Prothesen für Kriegsversehrte. 1,8 Millionen Euro hat Deutschland in dieses Zentrum investiert.

Unbroken meint auf Deutsch: Ungebrochen, heil oder unbeschädigt. Ein Euphemismus für eine Einrichtung, die sich mit den physischen Folgen des Krieges befasst. Svenja Schulze bemüht sich in ihrer Ansprache, genau diesen Geist zu beschwören. »Viel zu viele Menschen haben durch Minen, Granaten oder eingestürzte Gebäude Beine, Arme oder sogar ihr Leben verloren. Aber die Ukrainerinnen und Ukrainer lassen sich davon nicht entmutigen«, lässt sich die Ministerin zitieren. Sie klang dabei wie jemand, der ein lästiges Naturgesetz kommentiert, als sei es nun mal nicht zu ändern, dass ukrainische Menschen Körperteile verlieren.

Ein Lob auf die Verlustbereitschaft

Das Wall Street Journal berichtete im letzten Sommer, dass es schätzungsweise zwischen 20.000 und 50.000 Ukrainer gäbe, die seit Kriegsbeginn Gliedmaßen verloren hätten – fast ein Jahr später dürfte diese Schätzung weitaus höher liegen. Als Aufmacher wählte die US-Gazette die traurige Geschichte einer 19-jährigen Ukrainerin. Die junge Frau blickt traurig in die Kamera, während sie ihren verbundenen Beinstumpf präsentiert. Das linke Bein wurde ihr von einem Schrapnell abgerissen. So viele Amputationen, erklärt das Wall Street Journal weiter, habe es in Kriegen vorher noch nicht gegeben. Der Artikel bemühte sich um Sachlichkeit. Nicht so ein anderes Stück, das drei Wochen vorher erschien.

Bei der New York Times las man damals nämlich, wie die Ukrainer sich nicht beirren ließen: Und dies trotz vielfacher Amputationen. Viele wollten weiterkämpfen – nach dem Motto: Jetzt erst recht! Journalist Nicholas Kristof wertete diese Kampfmoral frisch amputierter Soldaten als sicheres Zeichen für die ukrainische Entschlossenheit, den Krieg zu gewinnen – ja, mehr noch: Die Ukraine wird diesen Krieg sicher gewinnen, denn wer sich von der Kleinigkeit eines abgerissenen Beines nicht aufhalten ließe, dem gehört der Erfolg. Der Times-Journalist lässt gar die Frau eines Amputierten zu Wort kommen: »Er ist sehr sexy ohne Beine«, soll sie gesagt haben. Und noch so ein Zitat aus dieser Hymne auf die Beinabnahme: »Es ist magisch. Jemand kann alle seine Arme und Beine haben und trotzdem in der Liebe keinen Erfolg haben, aber ein Amputierter kann ein Herz gewinnen.«

Hier reiht sich die deutsche Bundesentwicklungsministerin ein. Sicher, so plump wie Kristof artikuliert sie sich ja nun nicht – eine letzte Schamgrenze scheint noch im Wege zu stehen. Dennoch instrumentalisiert sie das Leid vieler junger Menschen, indem sie sich als Ministerin des gönnerhaften Alliierten aus dem Westen einfindet und so tut, als habe die Bundesrepublik wirklich etwas Großartiges geleistet. Denn mal eben 1,8 Millionen Euro lockerzumachen, um Menschen zu unterstützen, die ihre Gliedmaßen eingebüßt haben, ist doch eine große, ja eine karitative Tat.

Prothesen für unsere Freiheit?

Natürlich muss man den Opfern helfen, die dieser Krieg produziert. An der Unterstützung Kriegsversehrter kann man nun wirklich keine Kritik üben. Was aber zu kritisieren ist, das ist die Symbolik, die diesem Ministerinnenbesuch innewohnt und die bewusst so gewählt scheint. Schulze tritt in Lwiw nicht als besorgte Repräsentantin auf, sondern lädt ihre Anwesenheit mit dem Marschbefehl auf, der Durchhalten! lautet. Die Ukrainer seien schließlich leidensfähig, die könnten das.

Dabei wird geflissentlich übergangen, dass die um ihre Gliedmaßen gebrachten Menschen keine zufällige Laune einer Naturgewalt sind, sondern dass deren Leid aus einer brutalen, ja mörderischen Logik keimt: Nämlich einen Krieg zu forcieren, der zwangsläufig solche Opfer generiert. Diese Masse an Prothesen sind nötig, weil sich speziell der Westen nicht dazu aufraffen kann, diesen Stellvertreterkrieg am Verhandlungstisch zu beenden. Die um Arme und Beine gebrachten Ukrainer dürfen stattdessen jetzt dankbar sein, dass die Bundesrepublik für Ersatzgliedmaßen sorgt – den Krieg führen sie indes weiter. Als unsere Stellvertreter, die die viel beschworene deutsche Freiheit in der Ukraine verteidigen. Koste es was es wolle – eben auch Extremitäten junger Menschen. Die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, dass sie die Ukraine bei der Fortführung ihres Kampfes unterstützen muss. Die Kollateralschäden dieser Politik statten wir dann mit Prothesen aus – deren technischen Reifegrad wir dann auch noch lobend erwähnen. Krieg, so könnte man glauben, ist gar nicht so schlimm, denn es gibt für alles eine Lösung. Auch für abgerissene Körperteile. Holzbein war gestern, heute gibt es Hightech-Kunstglieder.

Mit den psychischen Folgen eines Gliedverlustes bleiben die betroffenen Ukrainer jedoch alleine. Für das psychische Trauma gibt es keine Prothesen. Wenn sie dann nach der Amputation verkünden, sie würden gleich wieder an die Front und in den Kampf gehen, ist es häufig nur eine Trotzreaktion gegen diese neue Beeinträchtigung – und nicht etwa Heldenmut. Unbroken sind die Betroffenen also sicherlich nicht. Ihr seelisches Leiden macht man also letztlich zum Instrument einer menschenverachtenden Politik.

Wer Amputierte als Zeichen der Freiheit hinstellt, dessen Politik ist – zynisch gesagt – in einem Zustand, in dem auch Amputierte sich befinden: Sie hat nämlich ethisch betrachtet weder Hand noch Fuß.

Zum Autor: Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Seit 2017 ist er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen. 

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