Eine Analyse von Rüdiger Rauls
Die Stimmen, die eine Verhandlungslösung zwischen Russland und der Ukraine fordern, haben wenig Gewicht. Die Bewegung, die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Verlegerin des Frauen-Magazins Alice Schwarzer angestoßen haben, haben das gesellschaftliche Potenzial, das vorhanden war, nicht zu nutzen gewusst. Ihren großen Ankündigungen auf der Demonstration Ende Februar in Berlin ließen sie keine Taten folgen. Das liegt nicht zuletzt an der Widersprüchlichkeit der eigenen Argumentation und ihrem werteorientierten Ansatz. Sie wollen das Töten auf beiden Seiten beenden, was ehrenhaft ist. Aber auf die Mächtigen dieser Welt macht das wenig Eindruck. Die deutsche Friedensbewegung überlässt diesen allein die Initiative, eigenständige Handlungsmöglichkeiten entwickelt sie nicht.
Ihr „Manifest für den Frieden“ argumentiert ähnlich wie die Kriegsbefürworter im Westen. Sie beschuldigen Russland des Angriffskriegs und sprechen davon, dass „Frauen vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert wurde.“ (1) Deshalb fordern sie: „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität.“(2) Man will den Eindruck vermeiden, auf Russlands Seite zu stehen.
Dem Großteil der deutschen Bevölkerung ist der Krieg egal, solange er nicht auf Deutschland übergreift und nicht zu einem Atom- oder Dritten Weltkrieg führt. Und solange die USA keine weitreichenden Waffen schicken, dürfte diese Gefahr begrenzt sein. Die Bevölkerung ist nicht für den Krieg, weiß aber besser als die Werteorientierten um Wagenknecht, dass die Friedensappelle an der Situation nichts ändern werden. Außerdem: Wenn Russland der Angreifer ist, wieso sollte man sich dann als deutscher Bürger für Verhandlungen einsetzen. Die meisten ahnen, dass sie sich damit in Gefahr bringen, im eigenen Umfeld als Putinversteher gebrandmarkt zu werden oder gar ins Visier der Justiz zu gelangen. Das ist es ihnen nicht wert.
Interessenorientierung notwendig
Der größte Teil der Bevölkerung denkt nicht werteorientiert, für sie stehen die eigenen Interessen im Vordergrund. Wer diesen Teil der Bevölkerung erreichen will, muss die wirtschaftlichen Folgen des Krieges hervorheben. Ohne die aktive Unterstützung eines bedeutenden Teils der Menschen wird die deutsche Regierung nicht zum Umdenken gezwungen. Das gelingt aber nicht, wenn man die Bevölkerung in Konflikt mit der Regierungsmacht bringt in einer Frage, die die eigenen Interessen nicht berührt.
Das Interesse der „kleinen Leute“ im heutigen Konflikt lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: „Keinen Euro für den Krieg!“ Wir brauchen das Geld zur Linderung der Not im eigenen Land, zur Unterstützung der Menschen gegen die immer unerträglicheren Preissteigungen von Lebensmitteln und Energie: Zur Unterstützung der Tafeln, zur Förderung des Wohnungsbaus, zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung, wo mittlerweile sogar Medikamente knapp werden. Überall herrscht Mangel. Nur für den Krieg scheint Geld im Überfluss vorhanden zu sein.
Schwarzer und Wagenknecht sind abgetaucht. Sie haben kein politisches Konzept. Ihre Werteorientierung hat sie in eine Sackgasse geführt. Dabei haben sie die Schlüssel in der Hand. Ihre Petition hat 800.000 Unterstützer. Das sind nicht nur Unterschriften. Das sind auch Kontakte. Diese Kontakte haben sie bisher nicht genutzt. Sie böten die Möglichkeit, lokale Unterstützergruppen ins Leben zu rufen, die vor Ort für Bewegung sorgen könnten. Vor allem besteht auf diesem Wege die Möglichkeit, Veranstaltungen zu organisieren und den Protest auf die Straße zu bringen, vielleicht zuerst nur lokal, perspektivisch aber regional und bundesweit. Aber es muss klar sein, dass es nicht um allgemeine Friedensappelle dabei geht, sondern um den Protest der Menschen gegen die steigenden Preise und die Bedrohung ihrer Lebensgrundlagen. Über den Frieden in der Ukraine wird nicht bei uns entschieden, aber darüber ob unsere Steuergelder zur Linderung von Not oder Finanzierung von Krieg eingesetzt werden.
Quelle: https://www.sonnenseite.com/wp-content/uploads/2023/02/Manifest_fuer_Frieden.pdf