Zukunftsszenarien – Ukraine und Russland: Endet der Krieg 2024?

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  • Januar 11, 2024
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Ein Beitrag von Prof. Alexander Rahr

Während der Krieg im Nahen Osten tobt, hat sich die Situation in der Ukraine fast aussichtslos und weiter blutig festgefahren. Westliche Waffenlieferungen haben nicht den erhofften Erfolg gebracht. Welche Zukunftsszenarien zeichnen sich ab? Und wie ist dieser Krieg im globalen Machtgefüge einzuordnen? 

Shutterstock/ Drop of light

Kann die Ukraine im gegenwärtigen Krieg Russland besiegen und die von der russischen Armee besetzten Gebiete in der Ostukraine zurückerobern? Wohl kaum. Immer mehr Politiker und Experten im Westen trennen sich von dieser Illusion. Die Ukraine blutet aus, Millionen ihrer Bürger haben das Land verlassen, der ukrainischen Armee fehlt es an Soldaten und Waffen, Wehrpflichtige werden gewaltsam rekrutiert, was wiederum die Kampfkraft und Moral der Truppen vermindert.

Kriegsmüdigkeit und leere Kassen

Ohne westliche Waffenlieferungen hätten die ukrainischen Streitkräfte vor der russischen Übermacht längst kapituliert. So aber können sie wenigstens als Erfolg verbuchen, die feindliche Armee aus Kiew, Charkiw und Cherson zurückgeworfen zu haben. Die territorialen Gewinne Russlands sind deshalb geschrumpft. Trotzdem ist die Gegenoffensive der Ukraine zur Rückeroberung der Krim und des Donbass gescheitert. Russische Truppen haben die mächtigste Wehrmauer der Kriegsgeschichte entlang der Front errichtet, Minenfelder gelegt, die ein Durchkommen der Ukraine unmöglich machen. Die Zerstörung einzelner Kriegsschiffe der Schwarzmeerflotte kann nicht als strategischer Kriegserfolg verbucht werden. Präsident Wolodymyr Selenskyjs Forderungen an den Westen, immer durchschlagskräftige Waffen zu liefern, verhallen. Die westlichen Militärausrüstungen erwiesen sich alles andere als erfolgreiche Wunderwaffen. Ein Großteil des westlichen Arsenals wurde von der russischen Streitmacht vernichtet. Weitere Waffenlieferungen gehen an die Substanz der westlichen Rüstungsindustrie. Und die Befürchtungen westlicher Regierungschefs, dass sich der regionale Konflikt in einen direkten Krieg der NATO mit Russland ausweiten könnte, sind schon deshalb nicht unbegründet, weil die Ukraine mit den gelieferten Raketen Ziele in Russland beschießt. Schließlich müssen westliche Regierungen der Kriegsmüdigkeit in der eigenen Bevölkerung Rechnung tragen. Hinzu kommt das Problem leerer Staatskassen. 

Auf allen Seiten wächst der Druck

Europa, allen voran Deutschland, schlittert in eine Rezession. Die Angst vor einem politischen Rechtsruck in der EU, der durch einen möglichen Wahlsieg Donald Trumps in den USA noch verstärkt werden könnte, ist real. Darüber hinaus liegt Selenskyj im Clinch mit seinen eigenen Leuten. Die Ukrainer bemängeln den diktatorischen Charakter seines Führungsstils. Der Druck seitens der ukrainischen Führung auf Selenskyj, den Krieg diplomatisch zu beenden, wird 2024 zunehmen. Diesen Druck wird auch der Westen erfahren, der sich weiterhin mit dem Mantra umgibt, die Ukraine dürfe unter keinen Umständen Territorien an Russland abgeben. Eine Niederlage der Ukraine im Krieg gegen Russland wäre auch eine Niederlage der NATO, die sich am Konflikt als gar nicht stille Kriegspartei beteiligte.

Beide Kriegsparteien stecken fest

Kann Russland den Krieg gewinnen und seine Ziele des Regierungswechsels und der Entmilitarisierung der Ukraine verwirklichen? Wohl kaum. Wladimir Putin hat durch die Ausschaltung des Putschisten Jewgeni Prigoschin seine Macht zementiert. Auch kämpfen russische Soldaten im Gegensatz zu den Ukrainern für ein sehr hohes Salär, weshalb der Krieg bei vielen Russen so attraktiv ist. Es stimmt auch, dass die russische Taktik, die ukrainische Armee monatelang gegen die Verteidigungsstellungen auflaufen zu lassen, um sie zu zerreiben, Früchte getragen hat. Putins Ziel ist es, die ukrainischen Truppen so zu dezimieren, dass die gegnerischen Streitkräfte kapitulieren – und danach die russischen Panzer bis an den Dnepr (Kiew) durchrollen und letztendlich die Ukraine komplett von der Schwarzmeerküste abschneiden können. Doch die Lage an der Front gleicht in Wirklichkeit einem Patt. Die russische Armee müsste aus der eingerichteten Defensive in den Angriffsmodus schalten und Millionenstädte vereinnahmen, inklusive Häuserkämpfen, um Kiew zu erreichen. 2022 hat Russland schon einmal Charkiw und Cherson erfolglos belagert. Außerdem darf Russland nicht ausschließen, dass im Falle einer russischen Großoffensive, die NATO, wenn auch partiell, auf ukrainischem Territorium aktiv werden wird. Der Westen wird eingreifen, um eine unkontrollierte Massenflucht von Ukrainern nach Europa zu verhindern, welche die EU-Sozialsysteme implodieren lassen würden. Eine weitere Eskalation des Krieges unter Einsatz schwerer Waffen und vielen Opfern könnte Russland die Rückendeckung Chinas und anderer BRICS-Staaten kosten, die es dringend braucht, um westlichen Sanktionen zu entgehen.

Geteiltes Land als Lösung?

Ein Einfrieren des Konflikts zum jetzigen Zeitpunkt könnte als Win-win-Situation gesehen werden. Hauptsache, der Krieg wäre vorbei, der wirtschaftliche Wiederaufbau der zerstörten Ukraine könnte beginnen, ein Rückzug der Truppen und Waffen von der Frontlinie würde Raum für diplomatische Verhandlungen schaffen. Politiker, nicht Militärs würden um die Zukunft der Ukraine ringen; Sanktionen könnten gelockert werden. Am Ende könnte eine Korea-Lösung (Teilung) stehen. Russland würde die Landbrücke zur Krim behalten, die Ukraine könnte dafür durch eine EU-Mitgliedschaft und Sicherheitsgarantien seitens der NATO kompensiert werden. Beobachter gehen davon aus, dass im Falle einer Rückkehr Trumps an die Macht alles genauso passieren wird. 

Ein Ende beider Präsidentschaften

Für Putin und Selenskyj, von denen das Ende der Kriegshandlungen abhängt, käme alles andere als ein eigener Sieg einer verheerenden Niederlage gleich. Ihre Machtstellung wäre gefährdet. Selenskyj bleibt nicht weiter Präsident, wenn er nach der Krim und dem Donbass noch weitere Territorien an Russland verliert. Und Putin kann seine fünfte Präsidentschaft nicht ohne ein Erreichen der proklamierten Kriegsziele antreten. Er benötigt einen verbrieften ukrainischen Neutralitätsstatus, den er als Sicherung russischer geopolitischer Interessen verkaufen kann. Er benötigt ebenfalls einen Regime-Change in Kiew, mit einer russlandfreundlicheren Regierung an der Spitze, die sich nicht mit der NATO und EU verbündet. Erreicht er beide Ziele nicht – ist seine Großmachtpolitik gegenüber dem Westen gescheitert. Ein Beitritt der Westukraine, Moldawiens und Georgiens in die NATO, was von den USA jetzt angestrebt wird, kann Putin kaum mit einem Gewinn von einem Fünftel des heutigen Territoriums der Ukraine kompensieren. Senkt sich als Folge des Ukraine-Krieges ein neuer Eiserner Vorhang über Europa? Jedenfalls bereiten sich die Anführer des Westens und Russlands auf eine lange Konfliktphase vor. Der Westen will die Ukraine nicht Moskau überlassen und damit Russlands Großmachtstatus zementieren. Genauso wenig möchte Russland die Ukraine ganz nach Westen ziehen lassen und das geopolitische Übergewicht der USA in Europa akzeptieren. Der europäische Kontinent steht vor einer neuerlichen Zerreißprobe, einer Militarisierung durch die Politik der Abschreckung.

Teil eines globalen Konflikts

Der Ukraine-Krieg ist derweil nur ein Teil eines viel größeren, gefährlicheren Konflikts, der sich auf globaler Ebene abspielt und der für den Westen nichts Gutes verspricht. Statt der einst gefeierten Globalisierung erfährt die Weltpolitik gerade eine Aufsplitterung in verschiedene Kraftzentren. Beobachter mögen den Prozess als Herausbildung einer multipolaren Welt begreifen. Tatsächlich aber sind die beobachteten Umwälzungen vielschichtiger und brandgefährlich. Sie passieren so schnell, dass die westliche Politik hinter den Ereignissen nicht hinterherkommt. Von der Entwicklung dieses Weltumbruchs wird letztendlich abhängen, wie der Ukraine-Konflikt endet. Der Nahe Osten brennt wie kaum jemals zuvor. Der Westen wird sich mit aller Kraft dem Schutze der Interessen Israels hingeben, doch einen hohen Preis in der islamischen Welt dafür bezahlen. Der westliche Einfluss in der arabischen Welt schwindet, denn die regionalen Mächte wechseln das Bündnis – weg von den USA, hin zu BRICS. Der Iran und Syrien sind alles andere als isoliert. Afrikanische Länder holen die „Anti-Kolonisierungskeule“ gegen Europa aus ihrem Arsenal. Im Kaukasus überzieht Aserbaidschan das Nachbarland Armenien mit Krieg und nimmt sich gewaltsam Bergkarabach. In Lateinamerika droht ein erbitterter Konkurrenzkampf zwischen China/Russland und den USA in Stellvertreter-Kriege auszuarten. Und die Taiwan-Frage wird die Weltgemeinschaft bald mehr beschäftigen als die Kriege in der Ukraine und in Gaza. Über allem schwebt die Drohung eines chinesisch-russischen Militärbündnisses, das der Westen unbedingt verhindern muss. Die BRICS machen den G7 die Rolle der Weltregierung streitig. Die Welt verteilt sich in neue wirtschaftliche Einflusssphären. Statt Europa beliefert die Energierohstoffmacht Russland jetzt Asien mit Öl, Gas und Kohle. Dem Westen droht der Verlust lebenswichtiger Rohstoffe und Lieferketten. Den westlichen Vorteil – den Technologievorsprung – haben die nichtwestlichen Industrienationen längst wettgemacht.

Wo bleibt die UNO?

Giuliano da Empoli, der Gründer von Volta, einem pro-europäischen Think Tank mit Sitz in Mailand, sagte kürzlich über den Krieg in der Ukraine: „Er [Putin] weiß, dass er einen strategischen Fehler gemacht hat [die Invasion]. Aber eine Regel der Macht besteht darin, niemals zurückzuweichen und niemals seinen Willen und seine Gewissheit aufzugeben. Er war nicht stark genug, der Ukraine seinen Willen aufzuzwingen. Aber er könnte stark genug sein, Chaos über die Ukraine zu verbreiten.“ Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten existenzieller Krisen und Ängste. Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen Planeten, der muss den Hass und den Krieg verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption. Diese Worte sind zu verstehen als Appell an die UNO, die handeln muss, um nicht obsolet zu werden. Das gilt als Allererstes für die Lösung des Krieges in der Ukraine. 

Zum Autor: Dr. Alexander Rahr ist einer der erfahrensten Osteuropa-Historiker und Politologen Deutschlands. Er ist unter anderem als Honorarprofessor und Publizist tätig.  

Berlin24/7 dankt der „Epoche Times“  zur freundlichen Genehmigung der Veröffentlichung!

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