Einem Medienbericht zufolge sind die im Jahr 2022 beschlossenen 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr schon jetzt fast vollständig verplant. Bis zum Ende der vorgesehenen Laufzeit im Jahr 2027 stehen noch 309.000 Euro zur Verfügung. Im Zeichen der sogenannten Zeitenwende beschloss der Bundestag 2022 das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Bis 2027 soll dieses dazu dienen, deren Ausstattung zu verbessern und als notwendig angesehene Investitionen in Verteidigung und Bündnisfähigkeit zu ermöglichen. Schon jetzt ist es jedoch fast zur Gänze aufgebraucht – nur noch 309.000 Euro sollen für den Rest der Laufzeit zur Verfügung stehen. Staatsrechtler warnt vor Vermengung von Notlagenkrediten und allgemeinen Schulden.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) berichtet unter Berufung auf bislang geheime Dokumente zur Finanzplanung, dass derzeit bereits 99.999.691.000 der 100 Milliarden Euro verplant seien. In Anbetracht einiger bereits zuvor kolportierter Großvorhaben war die Entwicklung durchaus abzusehen. Ein erheblicher Teil davon war von vornherein für die Beschaffung von Großgeräten gedacht. Allein 33,4 Milliarden Euro sollten in die Kampfjet-Modelle Eurofighter ECR und F-35 fließen, die den Tornado ersetzen sollen.
Für den „Verteidigungsbereich Land“ waren 16,6 Milliarden Euro vorgesehen, die Marine konnte auf 8,8 Milliarden Euro für die Anschaffung von neuem Gerät zählen. Um „Führungsfähigkeit und Digitalisierung“ zu optimieren, sind 20,8 Milliarden vorgesehen. Mittlerweile fließen jedoch auch Mittel aus dem Sondervermögen in den regulären Verteidigungshaushalt – und sollen dazu beitragen, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erfüllen.
Ob es bei diesem bleiben wird, hatten zuletzt Politiker und Thinktank-Berater der CDU in Zweifel gezogen – insbesondere angesichts der verschlechterten militärischen Lage für die Ukraine. Von Szenarien einer Aufstockung des NATO-Ziels auf bis zu sieben Prozent des BIP, wie sie Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz in Aussicht gestellt hatte, ist zwar innerhalb der Ampel noch nicht die Rede. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat jedoch Anfang der Woche im ZDF von immensen Summen gesprochen, die in den Verteidigungsbereich fließen müssten. Diese könne man nicht mehr durch Einsparungen und Umschichtungen innerhalb des regulären Haushalts bewerkstelligen.
Der Minister warb deshalb dafür, die Schuldenbremse zu modifizieren. Diese solle nicht mehr für Schulden gelten, die der Finanzierung von Investitionen in Verteidigung, Katastrophen- und Zivilschutz dienten. Unterstützung bekam Pistorius dafür im Vorfeld des am Mittwoch, 10. April, stattfindenden Koalitionsausschusses aus den Reihen der Grünen.
Deren Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge erklärte, für „Investitionen in die europäische Sicherheit und Freiheit“ sei eine „Modernisierung der Schuldenbremse“ vonnöten. Dies sei eine Lösung, die „entsprechende Investitionen ermöglicht, statt sie auszubremsen“. Aus der FDP kommt hingegen nach wie vor eine kategorische Ablehnung jedweder Modifizierung der Schuldenbremse. Um die dazugehörige Regel des Artikels 109 Absatz 3 des Grundgesetzes zu ändern, wäre zudem eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Fraktionschef Christian Dürr äußerte gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ (PNP), dies sei „kein gangbarer Weg“. Stattdessen sei es entscheidend, jetzt solide zu wirtschaften. So werde man „in Zukunft auch ausreichend Geld für die Bundeswehr haben“. Eine prosperierende Wirtschaft eröffne zusätzliche Spielräume für die Finanzierung der Bundeswehr. Deshalb sei eine „Wirtschaftswende“ hin zu mehr Dynamik jetzt der entscheidende Faktor.
Dürr lobte in diesem Kontext ausdrücklich die jüngsten Überlegungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner. Dieser hatte jüngst die zügige Rückführung des Haushalts zu den Maastricht-Kriterien als Weg zur Finanzierung der Bundeswehr ins Spiel gebracht. Sollte diese gelingen, sei es möglich, das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels nach dem Ende des Sondervermögens aus dem laufenden Haushalt sicherzustellen. Die dadurch entstehende „Soliditätsdividende“ eröffne neue Spielräume in Milliardenhöhe, äußerte Lindner. Es wäre unter anderem möglich, die Bedingungen für die Tilgung der Corona-Kredite neu zu verhandeln. Am Ende wäre es sogar möglich, diese zu einem späteren Zeitpunkt beginnen zu lassen.
Gegenüber der FAZ äußert sich der Heidelberger Staatsrechtler Hanno Kube skeptisch. Er weist darauf hin, dass der Tilgungszeitraum ohnehin bereits lange bemessen sei und künftigen Generationen Lasten aufbürde. Notlagenkredite seien innerhalb eines „angemessenen“ Zeitraums zu tilgen, Maßstäbe dafür seien die Höhe der Kreditaufnahme und die konjunkturelle Lage.
Die Staatsschuldenquote eigne sich hingegen nicht als Referenz, so Kube. Auf diese Weise würden Notlagenverschuldung und allgemeine Staatsverschuldung vermengt. Für Letztgenannte gelten keine Sonderregeln bei der Rückführung. Der Jurist, der die Union 2021 bei ihrer erfolgreichen Klage gegen den damaligen Nachtragshaushalt vertreten hatte, betont: Ein schlichtes Hinausschieben der Rückführung ohne tragfähige eigenständige Begründung ist meines Erachtens nicht akzeptabel.“ Zudem hätten Notlagenkredite eine Überbrückungsfunktion. Diese sei nicht mit einem beliebigen Hinausschieben der Tilgung zu vereinbaren.