Als der englisch-amerikanische Botaniker Ernest Henry Wilson 1913 nach seinen Expeditionen durch das revolutionäre China bilanzierte, das Land werde wie der Phönix neu erstehen und eines Tages gemeinsam mit dem Westen das Schicksal der Welt bestimmen, konnte er nicht ahnen, mit welch überwältigender Kraft sich seine Prophezeiung erfüllen würde. Mehr als ein Jahrhundert später hat sich das Antlitz Chinas tiefgreifend gewandelt – und jede Reise durch das Land macht dies eindrucksvoll erfahrbar.
Ein Reisebericht von Wolfgang Effenberger

Im September 2025 begab ich mich auf eine 14-tägige Rundreise durch das gegenwärtige China, nicht zuletzt als Bauingenieur war ich gespannt darauf, Wilsons Vision mit eigenen Augen zu überprüfen. Mit China-Air ging es mit freundlichem Service von Frankfurt a. M. nach Peking.
Reiseverlauf
Mein chinesischer Nachbar im Flugzeug nach Peking, mit dem ich mich bis weit nach Mitternacht hervorragend über die jüngere Geschichte ab WK I austauschen konnte.
Peking, die pulsierende Hauptstadt Chinas, ist ein Schmelztiegel aus Geschichte und modernster Technologie. Mit über 21 Millionen Einwohnern gilt die Stadt 2025 als bedeutendes Zentrum für Wirtschaft, Kultur und Innovation, geprägt von einem dynamischen Umbruch – zwischen ehrwürdigen Kaiserpalästen und gläsernen Wolkenkratzern, Smart-City-Technologien und dichtem Verkehrsnetz. Chinas frühe Innovationen legten zentrale Grundlagen für viele asiatische und europäische Zivilisationen. In China wurde das Papier, der Buchdruck, das Schießpulver und der Kompass erfunden: alles technologische Durchbrüche mit globaler Wirkung. Medizin, Agrarwissenschaft, Mathematik (z.B. das Zahlensystem), Astronomie und Hydraulik wurden früh entwickelt und dokumentiert. Die Chinesische Schrift entstand vor über 3.000 Jahren und ist Grundlage für eine reichhaltige Literatur und Verwaltung. Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus prägten Ethik, Bildung und Gesellschaft tiefgreifend.
Quartier für drei Übernachtungen: The Kunlun mit Drehrestaurant im 29. Stockwerk
Abends im Drehrestaurant
Vom Hotel fußläufig zu erreichen: Eine Parklandschaft, die zum Erholen genutzt wird
Die Verbotene Stadt im Herzen Pekings war jahrhundertelang der kaiserliche Palast der Ming- und Qing-Dynastien und ist heute UNESCO-Weltkulturerbe sowie ein Symbol für kaiserliche Macht und chinesische Baukunst. Sie wurde zwischen 1406 und 1420 uner Kaiser Yongle, dem dritten Kaiser der Ming-Dynastie, errichtet. Der Bau entstand mit Hilfe von Hunderttausenden Arbeitern und Kunsthandwerkern. Die Verbotene Stadt diente bis 1911 als kaiserlicher Palast und war wegen ihres Zugangsverbots für das einfache Volk Namensgeberin.
In netter Begleitung vor dem Kaiserpalast
Direkt südlich der Verbotenen Stadt schließt sich der Platz des Himmlischen Friedens (Tian’anmen-Platz) an, einer der größten öffentlichen Plätze der Welt, der sowohl für nationale Zeremonien als auch als historischer Schauplatz politischer Ereignisse bekannt ist.
Platz des Himmlischen Friedens samt Aufbauten zur Siegesparade am 3. 9 2025
Von diesem geschichtsträchtigen Platz wollte ich eine Videobotschaft nach Deutschland schicken:
Nach den Grußworten machte ich einen 360Grad-Schwenk und schon standen zwei Polizisten neben mir, die die Aufnahme beendeten.
Die Polizei rief meinen Reiseleiter herbei, der meinen Handzettel übersetzte. Da es nichts zu beanstanden gab konnte ich mich weiter frei auf dem Platz bewegen und auch fotografieren. Eine Videobotschaft war jedoch ausgeschlossen.
Den Besuch der chinesischen Mauer empfand ich als einen der Höhepunkte auf der China-Rundreise. Die Chinesische Mauer wurde als militärische Verteidigungsanlage zum Schutz vor Einfällen nomadischer Reitervölker aus dem Norden – vor allem Mongolen und Mandschu – errichtet und über viele Dynastien hinweg ausgebaut. Ihr Bau diente auch dazu, Handels- und Grenzkontrollen zu sichern sowie ein symbolisches Zeichen für die Macht des Kaisers und die Abgrenzung zur „Barbarenwelt“ zu setzen.
Das imposanteste Bauwerk Chinas zieht sich auf über 21.000 Kilometern durch das Land, meist entlang schroffer Bergrücken im Norden. Sie wurde erstmals im 7. Jahrhundert v. Chr, begonnen, baulich zusammengeführt ab 221 v. Chr. unter Kaiser Qin Shihuangdi und über viele Dynastien hinweg immer wieder ausgebaut – besonders unter der Qin-, Han- und Ming-Dynastie. über Jahrhunderte hinweg erbaut und diente ursprünglich der Sicherung wichtiger Handelswege. Der Bau erstreckte sich somit über mehr als 2.000 Jahre.
Sogar Formziegel wurden verwendet.
Schon auf der ersten Etappe Peking-Xian blendete die technische Perfektion der Infrastruktur:
Der Hochgeschwindigkeitszug, Symbol und Stolz der chinesischen Ingenieurskunst (für 80 Millionen Euro haben die Chinesen von Siemens das Patent abgekauft), überwand die rund 1.300 Kilometer zwischen Peking und Xian in nur fünfeinhalb Stunden – pünktlich auf die Minute. Die Züge gleiten mit bis zu 350 Stundenkilometern durch die Landschaft und verbinden Megastädte und abgelegene Regionen so reibungslos, dass Fernreisen zum Alltag geworden sind. Die Eleganz der Bahnhöfe, die Automatisierung der Abläufe und die absolute Zuverlässigkeit der Züge beeindrucken selbst erfahrene Europäer.
Bahnhof Peking – jeder Fahrgast muss eine Sitzreservierung haben
Diese Leistungen sind nur durch ein Schienennetz auf höchstem Niveau samt vieler imponierender Brückenbauwerken möglich.
Am 28. September 2025 wurde in China die mit 625 Metern höchste Brücke der Welt nach einer rund dreijährigen Bauzeit offiziell eröffnet: die Huajiang-Schlucht-Brücke in der südwestchinesischen Provinz Guizhou. Sie überspannt in rekordverdächtiger Höhe den Beipan-Fluss und verkürzt die Fahrtzeit durch die tief eingeschnittene Schlucht von mehreren Stunden auf nur wenige Minuten. Das Bauwerk ist ein technisches Meisterstück des Hängebrückenbaus – die Hauptspannweite beträgt 1.420 Meter, die Gesamtlänge fast 2.900 Meter.
Huajiang Grand Canyon Bridge (Screenshot)
Die Konstruktion gilt als eine der spektakulärsten der Gegenwart und setzte neue Maßstäbe im internationalen Ingenieurwesen. Die Brücke ist ein Symbol der chinesischen Innovationskraft und Infrastrukturpolitik: 18 der 20 höchsten Brücken der Welt stehen inzwischen in China.
Sie kostete rund 3 Milliarden US-Dollar und wurde mit massiven staatlichen Mitteln finanziert.
Auch nach Abschluss der Bauarbeiten bleibt die Skepsis, ob sich der enorme wirtschaftliche Nutzen langfristig für die Region einstellen wird, oder ob vor allem nationale Prestige und Symbolkraft im Vordergrund stehen
In Xian erwartete mich Geschichte zum Anfassen: Die große Moschee aus dem 7. Jahrhundert, unversehrt zwischen leuchtenden Glasfassaden. In einer pulsierenden Einkaufsstraße, in der grell-laute Imbißbuden zum Verzehr auffordern, befindet sich die alte Koranschule (mit Pagodendach).
Eingang zur Moschee (7. Jahrhundert)
Am frühen Morgen des Folgetages ging es zur weltberühmten und vielbesuchten Ausgrabungsstätte der Terrakottaarmee – ein Zeugnis jahrtausendealter Hochkultur.
Die berühmte 1974 bei Brunnenarbeiten entdeckte „tönernde Armee“ besteht aus 8.000 lebensgroßen Tonkriegern – Fußsoldaten, Kavalleristen, Wagenlenker, Generäle und Offiziere – die zur Grabstäte des ersten chinesischen Kaisers Qin Shi Huangdi der Qin-Dynastie (221-206 v. Chr.) gehörten. Die von geschätzt 700.000 Arbeitern und Künstlern geschaffene Armee – keine zwei der zwischen 1,85 und knapp 2m großen Soldaten gleichen einander vollständig – diente symbolisch dazu, den Herrscher auch im Jenseits mit Soldaten und Waffen gegen Feinde zu schützen.
Unter dieser Dynastie wurde China erstmalig als Einheitsstaat vereint. Kaiser Qin begann auch den Bau der Großen Mauer.
Und während die Vergangenheit Ehrfurcht gebietend stillsteht, dreht sich außerhalb der Mauern das Zukunftsrad mit rasender Geschwindigkeit weiter.
Das nächste Etappenziel, die Yangtse-Schifffahrt, begann in Chinas Groß-Metropole Chongqing mit ihren 34 Millionen Einwohnern bei einer Flächengröße Österreichs, führte durch malerische Schluchten und endete am chinesischer Großprojekt, dem Drei Schluchtenstaudamm:
Zwischen Chongqing und YiChang auf dem Yangtse
Skyline von Chongqing – auch Magnet für junge Motorradfahrer
Auf dem Yangtse Einschiffung auf die „Victoria Cruises“
Li: Einfahrt in die drei Schluchten Qutan,-Wu- und Xiling-Schlucht
Mit kleinen Booten in die Minischluchten des Nebenflusses Shennong
Es folgen
Teil 2: Faszination und Beklommenheit angesichts atemberaubender Entwicklungen
Teil 3: China im Focus westlicher Geopolitik
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete “atomare Gefechtsfeld” in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie “Die unterschätzte Macht” (2022).
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