Journalistische Anonymität: Ist es legitim, ohne Gesicht zu arbeiten?

Doxing ist keineswegs zu rechtfertigen – aber wer journalistisch arbeitet und Öffentlichkeit beansprucht, kann nicht gleichzeitig auf Anonymität pochen. Das ist unseriös.

Ein Meinungsbeitrag von Roberto J. De Lapuente

Bild: Screenshot des YouTube-Kanals Clownswelt
Bild: Screenshot des YouTube-Kanals Clownswelt

Ich möchte in der Tat nicht, dass man annehmen müsste, ich fände Jan Böhmermanns Doxing-Angriff auf jenen YouTuber, der seinen Kanal Clownswelt nennt, auch nur auf eine Art und Weise aufklärerisch oder gar gerechtfertigt. Auf keinen Fall trifft das zu. Böhmermann geht als Journalist nicht durch, alles, was er anfasst, lädt er mit seinen eigenen Anschauungen auf – die Identität von anderen Schattengewächsen, die er persönlich und politisch gut findet, würde er nie aufdecken. Ungleichbehandlung ist kein journalistischer Grundsatz – Doppelmoral ist der Tod des Journalistenethos. Aber genau auf diese Weise »arbeitet« dieser Mann. Wie könnte ich ihn und das, was er so treibt, auch nur im Ansatz für legitim halten?

Die Kritik ging in diesem Falle des sogenannten Doxings, wie heute der altdeutsche Begriff für den Identitätsverrat gegen den Willen des Betroffenen genannt wird, auch weiter als bis zu den üblichen Verdächtigen. Auch Protagonisten aus dem Mainstream äußerten sich besorgt – nicht zuletzt Richard David Precht und Markus Lanz. Precht dazu: »Wer macht sich hier zum Richter in einer solch komplizierten und sehr intimen Geschichte?« Eine Position wurde aber nicht beleuchtet, was schade ist – es geht um diese Frage: Soll jemand, der ein journalistisches Angebot serviert, ein Recht auf Anonymität haben?

Anonym aus Notwehr?

Nun könnte man darüber streiten, ob jener Betreiber von Clownswelt journalistisch arbeitet oder nicht. Hält er sich an die Maßgaben des Berufes? Lässt er Objektivität walten? Sind die Ausschnitte, die er aus Sendungen anderer Formate abgreift und dann kommentiert, so geschnitten, dass sie nicht anders wirken, als sie ursprünglich gemeint waren? All das könnte man fragen, um die journalistische Identifikation zu gewährleisten. So oder so trifft aber zu, dass dieser Kanalbetreiber informieren möchte und sein Publikum »aufklärt« – wie auch immer er das tut. Im Zweifelsfall ist er also jemand, der schlecht journalistisch arbeitet.

Ist es nun legitim, dass eine so tätige Person die Öffentlichkeit suchen kann, sie auch prägen möchte, ohne Gesicht zu zeigen? Mittlerweile steht sein bürgerlicher Name im Impressum des YouTube-Kanals – das ist die Folge der Böhmermann-Veröffentlichung, die verbunden war mit einer Konfrontation von Familienmitgliedern, Bekannten und beruflichen Kontakten, und die Marc-Philipp Längert – so heißt Clownie wirklich – viele Nachteile brachte.

Dieses Argument wird freilich auch angeführt, um der Anonymität eine Berechtigung zu erteilen. Längert musste demgemäß über Jahre namen- und gesichtslos seinen Kanal betreiben, weil ihm seine Arbeit sonst auf vielen Ebenen auf die Füße gefallen wäre – nicht zuletzt beruflich. Das mag richtig sein, stellt aber einen vor die Frage, ob jemand, journalistisch arbeitend, die Öffentlichkeit suchen sollte, ohne als Person greifbar zu sein. Anonymität aus Gründen der Notwehr? Clownswelt will – wie viele Kanäle da draußen – Gesicht zeigen in einer Gesellschaft, die ja in der Tat immer gleichförmiger und infantiler wird. Aber Gesicht zu zeigen, ohne das Gesicht zu zeigen: Das war als Losung ja schon während der Zeit, da alle Masken trugen, schon ziemlich albern. In dieser immer enger werdenden Öffentlichkeit, in der der Meinungskorridor immer mehr zu einer Meinungsschublade wird, zeigen etliche Medienschaffende ihr Gesicht und nehmen Ungemach in Kauf. Sie tun dies auch, weil es zu einem Grundprinzip der Seriosität gehört, die Rezipienten nicht im Ungewissen zu lassen. Darf man die »Anonymität aus Notwehr«…

Öffentlichkeit ohne Folgen? Gibt es nicht!

Anonymität ist in repressiven Staaten natürlich eine Überlebensstrategie – und repressiv, ich bin ja nicht doof, ist auch dieses Land. Da kann es noch so oft vor der offenen Gesellschaft schwadronieren. Aber jene, die im alternativen Sektor journalistische Arbeit machen, erklären ihre Motivation sehr oft damit, dass sie sich eine solche Gesellschaft mit mehr Transparenz wünschen – wenn man es dann nicht selbst erfüllt, erscheint mir das sehr problematisch. Wer mit journalistischem Anspruch Öffentlichkeit beansprucht, der muss sich auch einer Gegenöffentlichkeit stellen – inklusive der Verantwortung, die mit dem eigenen Namen einhergeht. Dies ist keine Prinzipienreiterei, sondern ein tragender Pfeiler professioneller Glaubwürdigkeit. Wer allerdings durch Tarnidentitäten operiert, entzieht sich nicht nur der rechtlichen Nachprüfbarkeit, sondern auch der Verortung im Diskurs. Die Unverbindlichkeit, die durch die Anonymität entsteht, rettet nicht den Journalismus, der durch große Medienhäuser und politische Geldtöpfe korrumpiert wurde, sondern macht Alternativangebote suspekt und noch angreifbarer.

Das Telemediengesetz und auch das Presserecht fordern klare Verantwortlichkeiten. Ein Impressum mit vollständigem Namen ist keine Schikane, sondern eine gesetzlich verankerte Mindestanforderung an jene, die Inhalte öffentlich verbreiten. Wer sich dem dauerhaft entzieht, kann nicht glaubwürdig beanspruchen, Teil einer öffentlichen Auseinandersetzung zu sein. Dass ein Jan Böhmermann diese Rechtslage auf spektakuläre Weise exekutiert, ist in der Form sicherlich nicht nur kritikwürdig, sondern geradezu untragbar – wie gesagt: Auch der ZDF-Clownie hält sich nicht an journalistische Standards – doch dass es ihm und seiner Crew überhaupt möglich wurde, auf diese Weise Medienangebote zu enttarnen, skizziert das Problem: Wieso findet jemand bereitwillig Akzeptanz, der als intransparenter Meinungsführer »in Erscheinung« tritt?

Was also bleibt von der Forderung nach Schutz durch Anonymität für die Betreiber solcher mehr oder weniger journalistischer Meinungsangebote? In Einzelfällen mag sie aus pragmatischen Gründen nachvollziehbar sein – aus Angst vor Kündigung oder gesellschaftlicher Ächtung etwa. Aber gehört es nicht zum Beruf des Berichterstatters, sich durch seine Berichte zu exponieren und damit anzuecken? Wer Öffentlichkeit will, aber sich vor den Folgen fürchtet, sollte überlegen, welchen Weg er gehen möchte. Seriosität beginnt dort, wo man bereit ist, für das eigene Wort einzustehen. Wer das nicht will oder nicht kann, sollte sich zumindest nicht der Illusion hingeben, er könne auf Augenhöhe mit jenen agieren, die mit offenem Visier arbeiten.

Roberto De Lapuente

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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