„Or Riggo, mei Gudsor“: Influencerinnen wollen sächsischen Dialekt sympathisch machen

Bis vor einigen Jahren war es der gebürtigen Sächsin noch unangenehm, in der Öffentlichkeit Dialekt zu sprechen, wie sie sagt: „Es war einfach ein latentes Gefühl von peinlich berührt sein, von ‚Was würden die Leute denn von mir denken?‘“. Heute steht sie zu ihrem Sächsisch: „Dialekt hat für mich auch etwas mit Herzlichkeit und Wärme zu tun. Wenn man einfach mal schwatzen kann, verbindet das.“ In ihren Kurzvideos stellt Goldschmidt Situationen aus dem Alltag nach. Mal ist sie eine freundliche Flugbegleiterin: „Im Falle eines Druckvorlustes falln Sauorstoffmasken alleine von dor Degge“ („Von der Decke“, d. Red.). Mal eine Kindergärtnerin, die sich mit Kindern auf Augenhöhe unterhält: „Or Riggo, mei Gudsor, wasn los?“ („Oh Rico, mein Guter, was ist denn los?, d. Red.) Und ein andermal wird sie zur motivierten Fitness-Trainerin „Und rüber, nüber, nunnor, nuff!“ (Wir geben auf – d.Red. ….;-)) Auch fallen Begriffe wie „sabbeln“ und „Filou“. Ihr Ziel mit alldem: Den „Sächsisch-Gap“ der sozialen Medien abschaffen. Die 36-Jährige Tina Goldschmidt unterhält unter dem Namen „@schnappatmig“ Zigtausende Follower auf Instagram und Tic Tok mit Comedy-Videos auf Sächsisch. Von den negativen Reaktionen lässt sie sich nicht abschrecken: Goldschmidt will mit Vorurteilen gegen den sächsischen Dialekt aufräumen.

Screenshot/ Berlin 24/7 von Instagram @schnappatmig : Tina Goldschmidt stammt aus Chemnitz, hat in Leipzig-Grünau, Berlin, den USA, Schweden, England und Belgien gelebt – und ist nun wieder zurück im Osten. Mit ihrem Partner und zwei kleinen Kindern hat die promovierte Soziologin ihr Zuhause in Markkleeberg.

Goldschmidt studierte Sozialwissenschaften in Bremen, ihren Master absolvierte sie in Oxford und promovierte anschließend in Stockholm in Soziologie. „Nicht nach Osten klingen“ – das war Goldschmidt in ihrer universitären Karriere oft als etwas Positives, Erstrebenswertes widergespiegelt worden. Diese Wahrnehmung lässt sich auch bei anderen Menschen in Goldschmidts Kommentarspalten finden. „Leute schreiben: ‚Ich habe mich jahrelang bemüht, Hochdeutsch zu lernen, damit man das nicht mehr erkennt, dass ich eigentlich Sächsisch spreche‘“, erzählt sie. „Mein Eindruck ist, dass die Sorge über Generationen hinweg verteilt ist.“ Denn was in den Kommentaren ebenfalls immer wieder auftauche: „Die Angst davor, dumm zu klingen, wenn man Sächsisch spricht.“ 

Von seinem schlechten Image werde der obersächsische Dialekt schon seit dem späten 19. Jahrhundert verfolgt, erklärt der Linguist Beat Siebenhaar von der Universität Leipzig. Erklärungen gibt es dafür einige: Sie reichen von Goethe, der vom Sächsischen nicht viel hielt, über die Sachsen-Komiker bis hin zum Politiker Walter Ulbricht und den DDR-Grenzsoldaten. Goldschmidt merkt jedoch an, dass die überwiegende Mehrheit der Kommentare positiv sei. Menschen fänden den sächsischen Dialekt in ihren Videos sympathisch, planten zum ersten Mal in ihrem Leben eine Reise gen Osten. Dennoch sieht Goldschmidt eine klare Diskrepanz zu Content-Creatoren, die sich mit anderen, nicht-ostdeutschen Dialekten befassen. „“Dieses „Sächsisch klingt dumm“ kommt immer wieder. Ich habe jedoch  beispielsweise kein einziges Mal gelesen „Hessisch klingt dumm““.  Sächsisch ist für viele der einzig als „ostdeutsch“ erkennbare Dialekt. Der Sprachwissenschaftler Siebenhaar erklärt: „Da die Sachsen und Thüringer einen großen Teil der Bewohner der ehemaligen DDR ausgemacht haben, war es dieser Dialekt, der im Zusammenhang mit der DDR am häufigsten gehört wurde.“

Screenshot Berlin 24/7 : Kristina Zorniger (36) – besser bekannt als Kristina vom Dorf – ist eine begeisterte Botschafterin des sächsischen Zungenschlags.

Auch die Dialekt-Influencerin Kristina Zorniger (36) – besser bekannt als Kristina vom Dorf – ist eine begeisterte Botschafterin des sächsischen Zungenschlags. Für die Standortkampagne „So geht sächsisch“ startete sie mit der Sächsischen Staatskanzlei nun ein neues Format und erinnert an die Mundartdichterin Lene Voigt (1891-1962), die viele ihrer jungen Follower gar nicht mehr kennen dürften. Mundart als volkstümliche Kultur sei vielerorts im Rückgang, hieß es unlängst in Umfragen. Kristina Zorniger will das nicht gelten lassen. Die in Langenreinsdorf geborene Journalistin engagiert sich in ihrer Rolle als Kristina vom Dorf stolz und in herzhaftem Dialekt für ihre Herkunft, über die sie in ihrem dritten, im Oktober erschienen Buch „Made in Sachsen – Meine sächsischen Wurzeln, meine Landsleute und ich“ schrieb. Jetzt ist sie im Geiste der sächsischen Nationaldichterin Voigt unterwegs.

Es gibt nichts Ulkigeres als einen Sachsen 

Jene Leipzigerin bekam einst den Beinamen „Sächsische Nachtigall“, sie schrieb vor allem in den 1920er- und 30er-Jahren, bis die Nazis ihre „jiddischen Machwerke“ verboten. Voigt starb vergessen in der Psychiatrie, erst 1983 erschien ein erstes Buch mit ihren Mundarttexten in der DDR. Die Poetin wurde zum Vorbild der Figur Ilse Bähnert des Komödianten und Theaterbetreibers Tom Pauls (64), der ihr sein Buch „Für Lene“ schrieb. Kristina vom Dorf, die auf 80.000 Instagram-Follower und millionenfach geklickte Beiträge zählen kann, schlägt nun eine Brücke zwischen Voigt und ihrer eigenen, jungen und dialektbegeisterten Netzgemeinde. Zur Leipziger Buchmesse hat sie für die Landeskampagne in drei Clips Gedichte von Lene Voigt eingelesen: „Frühlingsgedicht“, „De Frösche“ und „De säk’sche Lorelei“. Zorniger verweist auf ein Zitat Lene Voigts: „Es gibt nichts Ulkigeres als einen Sachsen, der sich geniert, einer zu sein“, und erklärt: „Und genieren, zumal für meinen sächsischen Dialekt, liegt mir völlig fremd. Im Gegenteil: Lenes Humor ist mir sehr vertraut.“ Mit den Gedichte-Clips wolle sie einer jüngeren Generation ein wichtiges Stück Heimat und Identität vermitteln sowie Voigts Humor und den sächsischen Dialekt auch über die Landesgrenzen hinaustragen. Ihre Voigt-Filmserie sind auf den Kanälen von „So geht sächsisch“ oder unter dem Hashtag #diesachsenverstehen online verfügbar. 

Die „Sachsen-Muddi“ erklärt den Dialekt

Zorniger hat eine junge Fangemeinde, viele die ihre Videos sehen, kommen nicht aus Sachsen. So soll laut Schreiber Lene Voigt auch außerhalb von Sachsen bekannt werden. In ihrer Rolle als “Sachsen-Muddi“ erklärt Kristina Zorniger regelmäßig den sächsischen Dialekt, der für Nicht-Sachsen oft schwer verständlich ist. Die Ehefrau von Ex-RB-Couch Zorniger jongliert sportlich auf Instagram unter dem Kurznamen @KristinavomDorf mit Worten. Ihre Videos werden millionenfach geklickt. Das Buch über ihre sächsischen Wurzeln „Made in Sachsen“ beleuchtet ihre Herkunft, gibt spannende Informationen zu vielen Themen und Eigenheiten, die man mit Sachsen verbindet oder nie erwartet hätte. 

 (dpa/ Sächsische Zeitung/ Leipziger Volkszeitung/ Redaktion Berlin 24/7)

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