Politik-Fasten

In seiner Dezemberkolumne hat es Hans der Kleingärtner nicht so mit Zeitung und TV. Er liest Buch, geht feiern und findet Antworten bei Orwell.

Ein Beitrag von Hans dem Kleingärtner

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Symbolbild

Mein liebstes Weihnachten habe ich jährlich in der Laube eines Gartenkollegen. Die Laube konnte er dank Lockdown im Jahr 2020 errichten. Ab 2021 waren dann so viele von uns für Weihnachten aus ihren Familien rausgereinigt, dass wir eine Runde vollbekamen. Wir hatten keinen tagesaktuellen Test, waren ungeimpft, hatten gesagt, dass wir die Maßnahmen ablehnen, und später, dass wir gegen deutsche Beteiligung an Ost- und Nahostkrieg sind. Ein konstantes Grüppchen gesellschaftlich oder auch familiär Ausgekotzter fand sich weihnachtsselig zum Feiern. Dieses Jahr wieder. Denn ich konnte meinen Kollegen überreden, auf seiner Parzelle zu bleiben und nicht wegen Atomkriegsfurcht die BRD zu verlassen.

Weihnachten also, Fest der Familie und Fest der Familientrennerei. Hatte ich schon erzählt, dass meine Frau und ich 2014 uns vereinbarten, dass wir wegen was Politischem von uns aus keine Familientrennung unterstützen werden? Da hatte es wegen sowas wie Pegida oder AfD oder Krim geknirscht. 2020 ergänzte ich mein Gelübde, mich an mitmenschlicher Spaltung nicht zu beteiligen. Mit einem verbalen Erstschlagsverbot. Das ging so: Sind Gäste da, fange ich nicht an, politisches Zeug zu erzählen. Wenn doch, zahle ich einen Euro Strafe in mein rotes Sparschwein. Mein rotes Sparschwein habe ich zu dem Zweck selber gemacht. Aus einer Büchse russischer Kondensmilch. Es steht aufmerksam im Wohnzimmer. Etwas angefüllt mit Euronen. 

Bildbeschreibung

Jesus

Was wird mit Weihnachten eigentlich gefeiert? Dass der liebe Gott das kleine Würmchen Jesus im gottverlassenen Bethlehem in einer Viehraufe abwarf? Und dass konsequent danach, so die Legende, der Kindermord über die Gegend hereinbrach? Die Jesusverfolger und die Christen selbst haben von der Szenerie keinen Stein auf dem anderen gelassen. Es ist an der Stelle besagten Stalles mit Krippe ein mörderisch tiefes Loch entstanden, das jetzt als Geburtsgrotte verherrlicht wird. 

BildbeschreibungFoto: Bethlehem, Zugang zur Geburtsgrotte

Wo Jesus auch sein mag, dort ist er nicht. Ehrenwort. Für jeden ist Jesus aber ein Anderer. Ihn freizubekommen von jahrtausendealtem Kitsch, Missbrauch und Verkehrung, von Marienkult und Auferstehungsgläubigkeit, stürzt mich ins Grübeln. Wer ist mir Jesus? Das ist doch der, über den noch heute alle Welt lacht, weil er ernstlich verbreitet: 

So dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar.

Verstehen tue ich das, und ob ich das in entsprechender Situation umsetze, keine Ahnung. Aber dann steigert sich Jesus der Überlieferung nach da weiter rein:

Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.

Und der überlieferte Jesus schiebt ja auch noch Begründungen nach, wovon eine lautet: 

Und so ihr euch nur zu euren Brüdern freundlich tut, was tut ihr Sonderliches? Tun nicht die Zöllner auch also? Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist. 

Ich möchte dem gedanklich folgen. Aber umsetzen, wenn es Not tut? Ich weiß nicht. Andere fühlen sich von dem sogar genervt.

Bildbeschreibung

Foto: Ernst Barlach: Lehrender Christus. 1931. Zur Zeit in Wandlitz. Etwa einen Meter groß.

So war er also, Jesus in seiner Wunderlichkeit und Göttlichkeit. Kirche und christliches Abendland haben einen Teufel getan, damit was anzufangen. Und ich schaffe das auch nur, wenn ich fein brav den Horizont meines Kleingartens nicht übertrete. Ich glaube, Feindesliebe im Sinne von „den Gegner als Mensch sehen zu wollen“, das kann ich. Aber ihn für den Gegner selbst überzeugend lieben, ihn auf seine Aggression hin zurückzulieben, das kann ich nicht. Das Vaterunser zu beherzigen, das gelingt mir eher, bilde ich mir ein. Und dann hätte ich für mich noch das Gelassenheitsgebet:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Mein Politik-Fasten

Von da aus kam ich geradewegs zu meinem Politik-Fasten. Im März diesen Jahres. Nach den Machenschaften mit den Ergebnissen der Bundestagswahl, bei der staatlichen Corona-Aufarbeitung durch Maßnahmen-Bestätigung und bei der Kriegsbeteiligung fielen bei mir die Groschen. Die, die mich offenbar politisch hassen, beleidigen und verfolgen, können mich mal. Ich will nichts mit ihnen zu tun haben. Ja, ich glaube, wenn ich sie als völlig nichtzugehörig zu mir abtue, als gleich gültig, ist das von mir aus angemessen gegenüber ihrer Zudringlichkeit (Wahlbetrug, Preistreiberei kombiniert mit Kriegstreiberei, Denkverbot, Denunziantenstadl und Vertreibungs-Politik). 

Politik-Fasten heißt bei mir: im Zweifel ohne Politik. Schön unpolitisch leben. Fressdurchbrüche sind erlaubt. Und Politik-Fasten bekommt mir gut. Mit der Zeitung bin ich schneller durch und schneide kaum noch was aus. Vor Veranstaltungsbesuchen in unserer Szene drücke ich mich, wenn es geht. Ich gehe lieber nur aus kulturellem Interesse hin. Will sehen, wen von denen ich da mag. Ich versuche, es mir gut gehen zu lassen. Ich brülle nicht mehr so oft dazwischen, wenn uns in den Staatsnachrichten was voll Verdrehtes übergeholfen wird. 

Mein Coming out mit der Bereitschaft zu politischer Abstinenz teilte ich großspurig gleich bei meinem Montagsspaziergang mit. Ich glaube, das passte. Ein bundesweit auffälliger kluger Kopf aus dem Maßnahmen- und Anti-Kriegs-Protest fand mich mit meiner Politik-Fasten-Ansage aber völlig daneben. Quasi geistesgestört. Er meinte, beim Kleingärtnerhans sind damit die Pforten zur Psychiatrie weit geöffnet.

Kritik von Freunden übergehe ich nicht. Ich dachte nach. Und kramte dabei in meiner Erinnerung an das Leseerlebnis von 1984. Da war doch was. In Richtung „Politik-Fasten“. Wie ging das gleich? …

Bildbeschreibung

Foto: Mein Exemplar aus dem Jahre 1981.

Für jeden ist 1984 ja was Anderes. Ich fand 1984 erstmal überraschend gut geschrieben. Es hatte dann aber für mich als gelernten Zoni hintenraus auch heftige Längen. 

Verlässliche Mehrheit: Proles

Ach ja. So ging das: Die Proles in 1984. Für mich leistet Orwell neben allem Gesagten und Bekannten soziologisch was Erstaunliches. Er beschreibt diese Gesinnungsdiktatur haarklein, um dann zu bekennen, dass die übergroße Mehrheit der Diktaturinsassen eigentlich frei von Behämmerung und Verfolgung lebt! Ausgenommen ist. Die 85 Prozent Bevölkerungsanteil Proles. Die Masse Prolls. Völlig zutreffend kommen die Proles in dem Roman gar nicht vor, soweit ich sah. Sie bleiben gesichtslos, sind aber da. Die Proles machen das Bizarre von innerer und äußerer Partei in dem Roman überhaupt erst möglich. Die Proles könnten, weiß der Leser, allein ob ihrer Zahl die Herrschaft des Großen Bruders abwerfen. Aber sie wollen nicht. Unsere Demokratie wäre wie für sie gemacht, aber sie würden sich nicht wirklich interessieren. 

Nur wer in die Nähe der politischen Klasse strebt, ist den Gesetzen des Großen Bruders unterworfen. Die Proles sind definitiv außen vor. Frei davon. Niemand kann ihnen was. 

Sich selbst überlassen, werden sie von Generation zu Generation und von Jahrhundert zu Jahrhundert fortfahren zu arbeiten, Kinder in die Welt zu setzen und zu sterben, nicht nur ohne Antrieb, zu rebellieren, sondern ohne sich auch nur vorstellen zu können, daß die Welt anders sein könnte, als sie ist. 

Deshalb braucht man sie auch nicht politisch zu bearbeiten: 

Welche Ansichten die Massen vertreten oder nicht vertreten, wird als belanglos angesehen. Man darf getrost geistige Freiheiten einräumen, denn sie haben keinen Geist. Andererseits kann bei einem Parteimitglied auch nicht die kleinste Meinungsabweichung in der unbedeutendsten Frage geduldet werden. (beide S. 194) 

Das ist es!, ANDERERSEITS. Wer sich intellektuell an die politische Klasse anschmieren möchte, muss mitspielen, um dazuzugehören. Zum Beispiel Genderschluckauf machen. Ein Proll bekommt andererseits seinen Schulpflichtabschluss auch ohne  innen-verquaste Sprachverhunzung und darf gerne auch ohne Abschluss abgehen. Der Proll darf AfD. Soll ruhig. Macht nix. Der Mitspieler in der politischen Klasse darf *andererseits nicht. Wer bei den 15 Prozent 1984-Elite ist, darf bezüglich AfD kein Wässerchen trüben. Wenn sie die AfD nicht hätten, müsste der Große Bruder die erfinden. Als Ersatz von Politik. Denn: 

Wer die Macht ausübt, ist nicht wichtig, vorausgesetzt, daß die hierarchische Struktur immer dieselbe bleibt. 

Also, würde ich meinem umtriebigen politischen Freund sagen, der mich mit meinem Politik-Fasten für geisteskrank hält: Es gibt von mir aus nichts Politischeres, als unpolitisch zu sein. 

Recht hat er, der Orwell, mit seiner Einsicht über die absolute gesellschaftliche Mehrheit: „Sie haben keinen Geist.“ Und ich geselle mich gedanklich zu ihnen. Und so lese ich auch meinen Jesus. Hebt er doch in der benannten Bergpredigt mit den Armen im Geiste genau so an: 

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

In dem Sinne: Frohes Weihnachten urbi et orbi und ein tolles sich anschließendes Neues Jahr 1984 wünscht

Hans der Kleingärtner

Quelle: https://www.freie-medienakademie.de/medien-plus/politik-fasten

BildbeschreibungBild: Kalenderkarte 1984. In Orwells Roman hießt der Projektor Televisor.

Hans der Kleingärtner macht einen auf Atheist. Er glaubt nicht an Weihnachten. Jesus nimmt er sich aber gerne zur Brust. Er will geradezu mit dem was anfangen. Seit August versucht er aber erstmal, durch monatliche Spaßbeiträge auf dieser Seite Heiterkeit einzupflegen.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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