Trinken Sie Wasser und ziehen Sie endlich den Schal aus!

Warm ist es. Auch heiß. Was man in dieser Situation sollte und warum es ratsam ist, jetzt nicht mit einer Isolationsjacke aus Daunen mittags spazieren zu gehen, erfahren Sie nur bei uns!

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Sonne, Hitze
Àìná – TheSymbyatCC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Nun gut, stimmt nicht. Das ist gelogen. Sie erfahren das nicht nur bei uns – die Tagesschau bot online jüngst wertvolle Tipps an, wie man durch einen heißen Sommertag kommt. Der Spiegel zog dann, ebenfalls online, nach. Erstaunliches erfährt man auf diese Weise – Dinge, die recht eindeutig machen, wie diffizil die Recherche zuweilen sein kann.

Wussten Sie etwa, dass es sich bei einem solchen Wetter schickt, eher den Schatten zu suchen? Und noch ein besonders warmer Ratschlag: Wasser! Trinken Sie Wasser! Reichlich, wenn es möglich ist. Wenn die Flasche leer ist, dann muss das nicht das Ende sein – köpfen Sie gerne noch eine! Überhaupt scheint Wasser ein grandioses Hilfsmittel zu sein, denn man kann es auch äußerlich anwenden. Mittels einer Dusche etwa. Oder eines Badesees. Mittags ist es übrigens besonders heiß. Man sieht es Ihnen an: Das wussten Sie auch nicht!

Ratschlage für Dummies

Außerdem sollten Sie sich luftig anziehen. Nun wissen Sie auch, warum Sie immer schier in Ohnmacht gefallen sind, wenn sie mittags am Kiosk an der Ecke in der Sonne standen, die Isolationsjacke aus feinsten Daunen bis Kinn zugezogen und einige Klare in sich schüttend. Sie haben alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Aber Vorwürfe darf man Ihnen freilich nicht machen: Denn woher hätten Sie es denn wissen sollen? Jahrelang hat der deutsche Journalismus nichts zu diesem wichtigen Thema gemacht, die Bürger nicht informiert.

Wenn überhaupt, dann könnte man von einer Unterlassung, ja einer schrecklichen Fehlleistung des Journalismus sprechen. Der weiß doch, wie dumm die Bürger in der Tat sind. Und er hat sie einfach auf sie selbst gestellt belassen. Hat sie ignoriert und damit der Gefahr ausgesetzt, zu Schaden zu kommen. Wo war da das Verantwortungsgefühl?

Gut ist, dass der Journalismus das Thema jetzt endlich anpackt und mittels tiefschürfender Recherchen wissenschaftliche Thesen verbreitet. Endlich gibt er dem absolut blöden Rezipienten und Bürger mal was an die Hand, damit der besser durch die Hitze kommt. Das jahrelange leiden hat nun ein Ende. Jetzt kann geholfen werden – man muss die Dummköpfe doch an die Hand nehmen. Diese ahnungslosen Leute, die aus Versehen verbrutzeln, wenn man ihnen nicht explizit erklärt, dass sie mal rausgehen sollen aus der Sonne. Eigentlich sollten überall Präventionsblätter angebracht werden, die jedem jederzeit vor Augen führen, wie man sich schützen kann.

Recherchiertes Geheimwissen

Endlich sehen es die studierten Schreibtischbewohner aus den Redaktionen ein: Der Pöbel braucht immer, wirklich in allen Bereichen des Lebens, eine anleitende Hand. Denn er ist unsäglich dumm, ist in keiner Lage überlebensfähig. Deutsche Journalisten hingegen sind für alle Situationen gewappnet. Sie können nämlich recherchieren – und wissen, wie man Wikipedia bedient. Und sie haben Zugänge zu Experten, die wissen, dass man Wasser trinken soll, wenn man wegen der Hitze viel schwitzt. Wussten Sie eigentlich, dass man bei großer Wärme schwitzt? Sehen Sie!

Dass Journalisten hierzulande der Macht auf die Finger schauen, die Regierung auf Herz und Nieren prüfen sollen: Dafür ist doch keine Zeit. Denn Journalisten sind Ratgeber, die den geistigen Tieffliegern – auch Bürger genannt – grundlegende Dinge vermitteln müssen. Und da wollen wir nicht nachstehen, auch wir haben natürlich Bürgerstunde und erklären gerne, was jetzt auch sinnvoll sein könnte: Wussten Sie, dass es hilfreich sein kann, die Heizung abzudrehen, wenn draußen 30 Grad und mehr sind? Da haben Sie schon wieder was gelernt! Nebenher: Sie sparen sich sogar Geld. Geld, das Sie einem Online-Magazin zur Verfügung stellen könnten, damit dieses weiter knallhart für Sie recherchiert.

Gut, wir wissen natürlich, dass es einige Leser gibt, die jetzt einwenden: Wie hat denn die Menschheit bislang ohne solche existenziellen Ratschläge überlebt? Und einige werden nachlegen und an ihre Oma erinnern, die während der Hitze immer den Schatten suchte und selten Anorak trug. Ja, okay, kann ja sein, dass manche schon früher über ganz spezielles Geheimwissen verfügten. So eine Exklusivität darf es aber nicht mehr geben. Alle sollten das Recht haben, der Hitze ein Schnippchen zu schlagen.

Roberto De Lapuente

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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