Das Los der Korruption

Einmal das große Los ziehen: Diese Redensart bekommt unter Umständen eine ganz neue Bedeutung. Denn wer zum Wehrdienst muss, entscheidet vielleicht bald das Glück – wenn man dann an Glück und Pech noch glaubt.

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Bundeswehrsoldaten
Dr. Frank GaethCC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Kommenden Januar geht es los: Junge Männer bekommen Staatspost. Sie sollen einen Fragebogen ausfüllen und sich für die Bundeswehr transparent machen. Wohlgemerkt: Junge Männer! Nicht junge Frauen! Es ist eine Schande, dass die Gleichstellung der Geschlechter noch immer nicht überall greift – eine Schande ist indes auch, dass keine Frauenbeauftragte manns genug ist, diese zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit anzuprangern. Wieso sollte eine Frau nicht genauso gut marschieren, Gepäck schultern und Waffen laden können, wie es Männer immer schon mussten?

Sie verpassen wirklich was, wenn sie sich nicht auch in dieser Frage emanzipieren. Nämlich eine große Verlosung. Eine solche hat die Bundesregierung notfalls in Aussicht gestellt, wenn es an die Wehrpflicht gehen soll. Wann ein solcher Notfall greift, ist nicht überliefert. Vielleicht geht die Bundeswehr ja von dem Fall aus, dass die jungen Männer ihr die Türen einrennen werden – und man dann eine Art von Triage leisten muss. Naheliegender scheint jedoch, dass man die Fragebögen sondiert und aus dem Pool wehrfähiger Männer eine Auswahl treffen muss – falls keinem ein besserer Einfall in den Sinn kommt, zur Not auch per Losentscheid.

Lostrommel voller Namen?

Natürlich hat das bei etlichen Bürgern mit Restverstand Befremden ausgelöst. Lose für die Rekrutierung? Was schluckt diese Berliner Blase eigentlich zur Berauschung? Woher nimmt diese Psychogruppe nur so abwegige Ideen her? Wollen die wirklich das Glück entscheiden lassen? Und damit auch das Pech für jene, die eben kein Glück haben werden? Wehrpflicht als Glücksspiel? Und wer zieht das ganz große Los? Einer, der die Niete zieht natürlich! Wobei, die muss er wohl gar nicht ziehen – so wie der Pechvogel, der einen Gewinn zieht, auch nicht selbst zieht.

Und an dieser Stelle muss man doch skeptisch werden. Denn diese Verlosung wird sicherlich kein öffentlicher Akt, keine Ziehung im herkömmlichen Sinne sein. Das übernimmt irgendein grauer Herr der hiesigen Bürokratie für die jungen Männer. Was macht eigentlich Karin Tietze-Ludwig?

Die Öffentlichkeit wird wohl kaum damit behelligt werden. Was mehr als schade ist, denn es wäre geradezu ein Akt höchster Transparenz, wenn man dabei zusehen könnte. Aber Datenschutz, wir wissen ja: Schon alleine daran wird es scheitern. Und wer sagt eigentlich, dass alle Namen, die für eine solche Verlosung wehrtüchtig relevant sind, in der Lostrommel zu finden sind? Weniger herumdrucksend gesagt: Diese Idee von einem Losverfahren dürfte gar kein Notfallplan sein, als der er hier ausgestellt wird – und auch kein Glücksspiel. Ganz im Gegenteil, es ist ein Spiel mit dem Pech der Vielen – zuungunsten der Wenigen, die bitte nicht in die Verlegenheit geraten sollen, ausgerechnet jetzt in dieser heißen Phase zum Bund zu müssen.

Das große Los: Elitekinder in Sicherheit bringen

Wir kennen doch die korrupte Energie, die in dieser Berliner Republik steckt und die in Institutionen und Ministerien ihre Wirkmächtigkeit entfalten. Sicher, vor etwas mehr als einem Jahrzehnt hat man noch den Griechen diese »Superkraft« nachgesagt und so getan, als gäbe es solcherlei Prozesse nur dort, vielleicht noch im europäischen Süden generell. Aber nicht in den leistungsfähigen EU-Staaten, schon gar nicht in Deutschland. Korruption ist ein Wort, das nur für das Ausland vorkommt. Hierzulande sei man dagegen gefeit. Das war freilich schon damals eine Lüge – wahr war nur, dass Bittsteller in Deutschland eher keine Kuverts voller Bargeld mit zum Termin bringen. In der Berliner Republik hat man die Methoden sublimiert und perfektioniert. Bittsteller schicken Botschafter nach Berlin, Lobbyisten genannt, die Anschlussverwendungen im Gepäck haben – wenn man in der freien Wirtschaft nichts findet, gibt es auch noch »Nichtregierungsorganisationen«, die einige passende Stellenangebote – oft auch für Familienmitglieder – feilbieten.

Man kennt sich, man schätzt sich, ist bereit die Öffentlichkeit zu betrügen. Wenn ein Regierungsvertreter auftritt und kundtut, man könne sich vorstellen, die Wehrpflicht notfalls auch zu verlosen, dann sollte man schon hellhörig werden und ein wenig auf sein Bauchgefühl achten: Das ist doch keine Hilflosigkeit, Leute! Kein Notfall-Prozedere! Da geht es nicht um Glück und Pech, sondern um eine Möglichkeit, die Kindern der besseren Leute aus der Schusslinie zu halten. So eine Verlosung erlaubt doch Gemauschel in Reinkultur. Denn wer prüft schon, wer namentlich in der Trommel landet? Ein staatlich berufener Notar? Echt jetzt?

So weit kommt es gar nicht, weil die Auslosung nicht transparent und öffentlich zugänglich sein wird. Da handeln hinter verschlossenen Türen irgendwelche Büttel aus, wen sie einen Einberufungsbefehl zusenden werden und wem nicht. Und am Ende haben die Kinder der Bessergestellten einfach nur unerhörtes Glück, dass es sie weitaus seltener trifft mit dem Wehrdienst, der heute ganz schnell im Kriegsdienst aufgehen könnte. Verlost wird da gar nichts – davon muss man ausgehen, nach allem was man über diese Berliner Polit- und Medienblase so weiß. Dass eine Regierung so einen Kirmesvorschlag machen kann, ohne dass die Medienschaffenden hierzulande aufbegehren und sich überschlagen, sagt wohl alles über diese mal in den Raum geworfene Methode aus. Eliten, die verlosen, bringen ihren Nachwuchs in Sicherheit – und möchten, dass die Kinder der Anderen das Glücksspiel namens Krieg ausbaden.

Roberto De Lapuente

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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