Den Niedergang schönreden

Von der Leyen beging in Schottland Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Die Führungen im politischen Westen sind verfangen in ihrem Freund-Feind-Denken. (West-)Europas Feinde sind Russland und China, der Freund ist Amerika (gemeint sind die USA, Anm. d. Red.). Doch braucht überhaupt Feinde, wer solche Freunde hat?

Ein Kommentar von Rüdiger Rauls

US-Präsident Donald Trump spricht während einer Veranstaltung zur Ankündigung neuer Zölle im Rosengarten des Weißen Hauses. dpa

Der Blutzoll der West-Europäer

Trump führt die Verbündeten im politischen Westen auf die Schlachtbank. Er erhöht ihnen die Zölle, während er im Gegenzug Zollsenkungen für US-amerikanische Produkte durchsetzt. Er droht ihnen mit dem Entzug des atomaren Schutzschirms, wenn sie nicht ihre Zahlungen für die NATO erhöhen und damit das US-amerikanische Militärbudget entlasten. Und schon weiten die (West-)Europäer ihre Rüstungshaushalte aus und treiben die eigene Verschuldung in die Höhe. Darüber hinaus sollen 600 Milliarden investiert werden, wobei es sich in erster Linie um Waffenkäufe bei der US-amerikanischen Rüstungsindustrie handelt. 

Die Rahmenvereinbarung, auf die sich Kommissionspräsidentin von der Leyen am letzten Wochenende in Schottland eingelassen hat, beinhaltet einen allgemeinen Zoll von 15 Prozent auf fast alle Waren, die von der Europäischen Union (EU) in die USA exportiert werden. Dagegen werden die westeuropäischen Zölle auf die meisten US-Waren auf Null gestellt werden. Wenn es schlecht läuft, wandern unter diesen Bedingungen einheimische Unternehmen in die USA ab und verringern damit die westeuropäischen Steuereinnahmen. Gleichzeitig haben sich die (West-)Europäer verpflichtet, Energieträger von den USA in Höhe von 750 Milliarden Euro zu beziehen. Trump lässt die Freunde im politischen Westen ausbluten zugunsten des eigenen Landes.  

Mit den Waffenkäufen wandert ein großer Teil der Milliarden, mit denen sich die EU und ihre Einzelstaaten zusätzlich verschuldet haben, um die westeuropäische Aufrüstung zu finanzieren, in den Kassen der US-Konzerne. Dafür zahlen die westeuropäischen Steuerzahler. Diese Waffenkäufe werden nicht zu unrecht von den Franzosen und der westeuropäischen Waffenlobby kritisiert. Frankreich als größter Waffenproduzent in Westeuropa drängt schon seit längerem auf Ausbau und Integration der westeuropäischen Waffenindustrie, um längerfristig von US-amerikanischen Konzernen unabhängig zu werden. Die nun getroffenen Vereinbarung arbeitet diesem Ziel der Stärkung der eigenen westeuropäischen Rüstungsindustrie entgegen. 

Die Auftragsvergabe an westeuropäische Waffenschmieden dürfte unter der Vereinbarung zwischen Trump und von der Leyen leiden. Damit fehlt nicht nur das Geld für die geplanten eigenständigen Entwicklungen im Bereich der Raketenabwehr, der Drohnenentwicklung und anderen Rüstungsvorhaben, die sich auf Grund der Erfahrungen des Ukrainekriegs als notwendig für die moderne Kriegsführung herausgestellt haben. Die Unabhängigkeit Westeuropas von US-amerikanischen Waffensystemen rückt damit nicht nur in immer weitere Ferne, diese Abhängigkeit von den USA droht, sich sogar zu verfestigen. 

Das ist besonders Frankreich ein Dorn im Auge, das mit mehr Aufträgen für die eigenen Unternehmen gerechnet hatte. Damit trägt die Einigung mit den USA zu weiteren Spannungen in der Europäischen Union bei. Die Schulden wandern als Gewinne in die Kassen US-amerikanischer Rüstungsschmieden. Die Zinskosten aber tragen die Westeuropäer und reißen damit immer größere Löcher in die westeuropäischen Haushalte. Aus Angst vor einer eingebildeten Invasion durch ein feindliches Russland lässt sich Westeuropa von den US-amerikanischen Freunden finanziell und wirtschaftlich erdrosseln.

Die Leiden der Westeuropäer

Noch können Auswirkungen und Ausmaß dieses Deals für die Westeuropäer nicht abgeschätzt werden. Es handelt sich um eine Rahmenvereinbarung. Das bedeutet, dass es weitere Verhandlungen geben muss, um Einzelheiten zu klären und auszuarbeiten. Offen ist beispielsweise noch, auf welche speziellen Produkte beide Seiten die Zölle abschaffen wollen. Klar ist aber schon jetzt, dass der neue Zollsatz besonders die deutsche Automobilindustrie, die sich ohnehin im Umbruch befindet und erheblichen Belastungen ausgesetzt ist, jährlich weitere Milliarden kosten wird.

Je nach Berechnung dürfte der durchschnittliche US-amerikanische Zollsatz für westeuropäische Güter zwischen zehn bis 13 Prozentpunkte steigen. Das trifft die westeuropäischen Exporteure hart, weil die USA deren wichtigster Absatzmarkt sind. Mehr als 500 Milliarden Euro oder etwa 20 Prozent westeuropäischen Exports gehen dorthin. Dementsprechend groß ist der Unmut in den Reihen der Wirtschaft. Die Deutsche Industrie-und Handelskammer sieht die Notwendigkeit für weitere Verhandlungen und fordert ein „umfassendes, faires und zukunftsgerichtetes Handelsabkommen“(1). 

Zwar herrscht Erleichterung darüber, dass eine Eskalation im Handelsstreit abgewendet werden konnte. Doch ging diese Einigung in erster Linie zu Lasten der Westeuropäer. Dieses Ungleichgewicht bei den Zöllen birgt zudem die Gefahr, dass westeuropäische Unternehmen abwandern. Wenn sie für Exporte aus den USA nach Westeuropa keine Zölle zahlen müssen, bei der Einfuhr von der EU in die USA aber mehr als zehn Prozent Aufschläge fällig werden, wird sicherlich das eine oder andere Unternehmen allein aus Gründen der Existenzsicherung diesen Schritt über den Atlantik in Betracht ziehen.

Dass weitere Einzelheiten der Vereinbarung noch verhandelt werden müssen, bedeutet aber auch, dass von der US-amerikanischen Seite noch weitere Forderungen erwartet werden dürften. So stellt schon jetzt das Wall Street Journal Verhandlungsfehler bei Trump fest. „Das Abkommen verlangt von den (West-)Europäern auch keine höheren Medikamentenpreise“(2). Das macht deutlich, dass es auch in den USA Kräfte gibt, denen die Ergebnisse des Deals zwischen Trump und von der Leyen nicht weit genug gehen. In der Ausgestaltung des Abkommens ist das letzte Wort offensichtlich noch nicht gesprochen.

Da lässt sich  sicherlich noch mehr aus der westeuropäischen Zitrone herauspressen und wieso sollte man die Westeuropäer jetzt von Haken lassen, wo sie doch anscheinend jeden Köder schlucken, den Trump ihnen vor die Nase hält. Das scheinen auch Vertreter der deutschen Wirtschaft so zu sehen. Die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung, Monika Schnitzer, vergleicht das Vorgehen Trumps mit dem Verhalten eines Rabauken auf dem Pausenhof, der sich fürs erste mit dem Pausenbrot des Schwächeren zufrieden gibt. „Bald könnte er aber das Fahrrad und das Smartphone fordern. Würde die EU dann froh sein, nur das Fahrrad abgeben zu müssen?“ (3)

Die Ängste der Westeuropäer

Die nachgiebige, eigentlich schon unterwürfige Haltung der westeuropäischen Führungskräfte gegenüber Trump erklärt sich aus dem Standpunkt von Clemens Fuest, dem Präsidenten des Münchener Ifo-Instituts: „Solange die EU-Staaten militärisch von den USA abhängig sind, können sie mit den USA nicht wirklich hart verhandeln.“(4) Das bedeutet aber auch, dass sie alles daran setzen, den (US-)amerikanischen Schutz nicht zu verlieren, selbst  unter Aufgabe der eigenen Interessen. Und gerade unter dem unnachgiebigen neuen US-Präsidenten erscheint ihnen diese Haltung notwendiger denn je. 

Als sich nach Trumps Wahlsieg das Verhältnis der USA zu Russland und dessen Präsidenten entspannte, befürchteten die westeuropäischen Meinungsmacher, alleine einem aggressiven Russland gegenüber zu stehen. Die Angst in den westeuropäischen Führungsebenen geht um, die Russen könnten die Schwäche der Westeuropäer ähnlich ausnutzen wie seinerzeit die Westeuropäer, als sie nach dem Untergang der Sowjetunion die NATO immer weiter bis an die russischen Grenzen ausgewalzt hatten. 

Man redet sich ein, kriegstüchtig werden zu müssen. Wie sonst als durch Aufrüstung sollte man dem eingebildeten Durchmarsch der Russen nach Westeuropa begegnen, mit dem man sich selbst in Angst und Schrecken versetzt? Für ihre Rüstungsanstrengungen treiben die Westeuropäer ihre Verschuldung in die Höhe. Bereitwillig stimmte sie auch Trumps Forderungen zu, die eigenen Militärausgaben auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Darüber hinaus erklärte man sich bereit, auf eigene Kosten weitere Patriot-Systeme und andere Waffen in den USA zu erwerben, um diese an die Ukraine weiter zu reichen. 

Die US-Amerikaner wurden weitgehend von den Kosten des Krieges im Osten Europas freigestellt durch die Leistungen der Westeuropäer. All das geschah, um Trump und die USA bei Laune zu halten und eine Annäherung zwischen Russland und den USA zu hintertreiben. Denn ohne US-amerikanische Hilfe und Unterstützung befürchtete man, die Kampffähigkeit Ukraine nicht lange aufrecht erhalten zu können und damit die eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen.

Als Präsident Trump in seiner gekränkten Eitelkeit begann, zu seinem Kollegen Putin auf Distanz zu gehen, weil dieser nicht den Trump’schen Forderungen in Bezug auf den Frieden in der Ukraine nachkam, sahen sich die Westeuropäer auf der Zielgeraden. Nun durfte nichts mehr schief gehen und diese Entwicklung behindern, damit Trump nicht wieder seine Pläne zum Nachteil der Westeuropäer änderte. Als dieser nun das ursprüngliche Ultimatum von 50 Tagen an Putin auf nur wenige Tage verkürzte, wollte man vermutlich diesen Erfolg nicht durch eine unnachgiebige Haltung in der Zollfrage gefährden.

In diesem Zusammenhang dürfte auch das wenig entgegenkommende Verhalten der Kommissionspräsidentin in China gesehen werden. Die Forderungen von der Leyens konnten eigentlich nur auf Ablehnung bei den Chinesen stoßen. Vermutlich ging es bei diesem Besuch nicht mehr so sehr darum, eine Vereinbarung mit China zu treffen, als vielmehr Donald Trump zu zeigen, dass die Westeuropäer loyal zu den USA stehen. Man wollte wohl zu verstehen geben, dass man auf keinen Fall bereit war, ein Abkommen mit dem größten Feind der USA zu treffen, lieber verzichtete man auf eigene Vorteile. 

Die Hirngespinste der Westeuropäer

Trump schien diesen Wink verstanden zu haben. Aber er reagierte anders, als die Westeuropäer vielleicht erhofft hatten. Von Entgegenkommen gegenüber den Interessen von Freunden war nichts zu festzustellen. Vielmehr erkannte er, dass sich die Westeuropäer mit ihrem kompromisslosen Auftreten in China das letzte Druckmittel gegenüber den USA selbst aus der Hand geschlagen hatten. Dementsprechend nahm er sie ordentlich in den Schwitzkasten. Er gab ihnen nichts und nahm, was er bekommen konnte. Als wenige Wochen zuvor die Briten zehn Prozent mit Trump ausgehandelt hatten, hörte man aus Brüssel hämische Worte, „das sei der Preis für den Brexit, die EU werde besser verhandeln“ (5).

Nun sind die Westeuropäer Opfer ihrer eigenen Überheblichkeit und Hirngespinste geworden, in denen die USA auf immer und ewig der Freund, Chinesen und Russen dagegen natürliche Feinde sind. Aber die Brüsseler Bürokraten sind halt eben keine Chinesen, die ihre Interessen auch gegenüber den USA und ihrem irrlichternden Präsidenten zu wahren wissen. Nun geben sich die Meinungsmacher alle Mühe, den für die eigenen Interessen verheerenden Deal gesund zu beten und ihm gute Seiten abzugewinnen. Man stellt es als Erfolg dar, einen Handelskrieg verhindert und der Wirtschaft nun Planungssicherheit verschafft zu haben.  

Teilweise ist sogar die Einschätzung zu hören, die höheren Zölle könnten „als Produktivitätspeitsche wirken, so wie früher die Aufwertung der D-Mark“ (6). Die polnische Tageszeitung „Rzeczpospolita“ versucht ihren Lesern das Abkommen schmackhaft zu machen: „In dieser Situation müssen die wirtschaftlichen Interessen in den Hintergrund treten. Die Sicherheit ist wichtiger“(7). Und Manfred Weber, der Chef der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, will den Bürgern sogar einreden, mit diesem Ergebnis sei auch „die Souveränität (West-)Europas verteidigt worden“(8). Mehr Selbsttäuschung geht wohl kaum noch.

(1) FAZ vom 29.7.2025 „Die deutsche Wirtschaft kann damit leben“

(2) FAZ vom 29.7.2025: Die Stimmen der anderen

(3) FAZ vom 29.7.2025 „Die deutsche Wirtschaft kann damit leben“

(4) ebenda

(5) FAZ vom 29.7.2025 „Amerika sitzt eben am längeren Hebel

(6) ebenda

(7) FAZ vom 29.7.2025: Die Stimmen der anderen

(8) FAZ vom 29.7.2025 „Amerika sitzt eben am längeren Hebel

Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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