Der überraschende Tod eines Rechtsradikalen in Odessa – Spekulationen über die Täter

Am 14. März um 10:30 wurde in Odessa auf dem belebten Aleksandrow-Prospekt der stadtbekannte Rechtsradikale Demian Hanul mit zwei Kopfschüssen getötet. 

Ein Bericht von Ulrich Heyden, Moskau

Demjan Ganul beim Schaschlik-Essen vor dem Gewerkschaftshaus von Odessa, Quelle fishki.net.jpeg

Das Opfer

Hanul war 31 Jahre alt. Er wurde 2014 – zu Beginn des ukrainischen Bürgerkrieges – Mitglied des „Rechten Sektors“. Er war beteiligt am Brand-Angriff auf das Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014. Bei dem Massaker starben 42 Menschen. 200 wurden verletzt.

Der „Rechte Sektor“ war eine Sammelorganisation rechtsradikaler und ultranationalistischer Organisationen mit überwiegend jüngeren Mitgliedern. Er trat das erste Mal während der Maidan-Bewegung im November 2013 in Kiew in Erscheinung und machte sich einen Namen als militanter Flügel des Maidan.  

Demian Hanul verlies später den „Rechten Sektor“, gründete die Organisation „Straßen-Front“ und verdiente nach Informationen russischsprachiger Internet-Portale Geld mit Schutzgelderpressung. Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine sammelte Hanul Geld für die ukrainische Armee. In den letzten Jahren war er an der gewaltsamen Mobilisierung von ukrainischen Männern für die Front beteiligt. 

Der Verdächtige

Der Mann, der Hanul nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen umgebracht haben soll, heißt Sergej Kotschu https://life.ru/p/1735307. Er ist 53 Jahre alt und stammt aus dem zentralukrainischen Gebiet Kirowogradsk. In dem gleichen Gebiet wuchs auch der Getötete auf. Auf einem Video ist sehen, wie der vermutliche Täter von ukrainischen Sicherheitskräften verhört Задержание киллера расстрелявшегорадикала в Одессе wird.

Der angebliche Moerder von Demjan Ganul umringt von ukrainischen Sicherheitskraeften Quelle M24 ru.jpeg

Und so spielte sich die Tat ab: Nach einem Augenzeugenbericht war Hanul von dem Täter angeschossen worden und hingefallen. Wie auf dem Video einer Überwachungskamera https://ya.ru/video/preview/11644167723509351617 zu sehen ist, trat der Schütze dann – ohne Eile – an Hanul heran, der auf dem Asphalt lag und tötete ihn mit zwei Kontrollschüssen.  

Nach Meldungen in russischsprachigen sozialen Netzwerken äußerten Bürger von Odessa Verständnis, manche sogar Begeisterung für den Mordanschlag. Der Getötete hatte in der Stadt keinen guten Ruf. Hanul war beteiligt am Abriss russischer und sowjetischer Gedenktafeln und Denkmäler. 

Der Präsident der Ukraine, Wladimir Selenski, ordnete an, dass „alle nötigen Kräfte“ zur Aufklärung des Verbrechens eingesetzt werden sollen. Wie Selenski in seinem Telegram-Kanal mitteilte, seien zahlreiche Ermittler und Kriminalisten verschiedener Sicherheitsstrukturen damit beauftragt worden, „alle Fakten“ zu ermitteln. 

Kiew spricht von „russischer Spur“

Deutsche Medien griffen die These der ukrainischen Behörden auf, dass es bei dem Mord an Demian Hanul „eine russische Spur“ gibt. Mit Fakten konnte diese Behauptung aber nicht untermauert werden. Von einer „russischen Spur“ fabulierten ukrainische Medien schon 2014, nach dem Brandanschlag auf das Gewerkschaftshaus, obwohl alle Opfer damals ukrainische Staatsbürger waren und auch unter den festgenommenen Anti-Maidan-Aktivisten aus Odessa keine russischen Staatsbürger waren (zu den Ereignissen am 2. Mai 2014 siehe mein Dokumentar-Film „Lauffeuer“ https://youtu.be/tm0ydR6ESjA?si=smyFPZkh2_s_jWzQ). 

Der Mord geschah einen Tag nach dem Urteil des Europäischen Gerichts

Zu dem Mord an Demian Hanul gibt es viele Fragen. War es Zufall, dass der stadtbekannte Rechtsradikale einen Tag nach dem Urteil des Europäischen Gerichts erschossen wurde? Nach dem Urteilsspruch des Europäischen Gerichts für Menschenrechte haben die Angehörigen derjenigen, die am 2. Mai 2014 im Gewerkschaftshaus von Odessa starben, Anspruch auf eine Entschädigung durch den ukrainischen Staat. Außerdem stellte das Gericht fest, dass die ukrainischen Behörden Mitschuld an der Tragödie im Gewerkschaftshaus haben, weil die Polizei und die Feuerwehr nicht ordnungsgemäß agierten.

Rache-Aktion aus dem Umfeld des Anti-Maidan?

Der Mord an dem bekannten Rechtsradikalen sieht aus, wie eine Racheaktion aus dem Umfeld des Anti-Maidan in Odessa. 

Der Anti-Maidan ist ein Sammelbegriff für verschiedenste Organisationen und Bewegungen, die sich im Frühjahr 2014 im zentralen Teil und im Südosten der Ukraine bildeten. Der Anti-Maidan bildete sich in scharfer Opposition zur Staatsstreich-Regierung in Kiew, welche die Ukraine in einen antirussischen Staat umwandeln wollte. Eines der ersten Gesetze, welches die Werchowna Rada im Februar 2014 beschloss, war die Aberkennung der russischen Sprache als offizielle zweite Sprache in den Gebieten mit einem großen Anteil russischsprachiger Bürger. 

In Donezk und Lugansk war die Anti-Maidan-Bewegung am stärksten. Dort wurden im April 2014 „Volksrepubliken“ ausgerufen. Im Mai 2014 fanden in den Volksrepubliken Referenden statt, in denen sich die Bürger für eine Autonomie von der Zentralregierung in Kiew aussprachen. 

Führt die Spur des Mordes nach Kiew?

Der russische Journalist Armen Gasparjan meinte, https://rutube.ru/video/50446fc4e1a05d5225aad81cc6defb78/?utm_source=embed&utm_medium=referral&utm_campaign=50446fc4e1a05d5225aad81cc6defb78&utm_content=ukraina.ru&utm_referrer=https%3A%2F%2Frutube.ru%2Fplay%2Fembed%2F50446fc4e1a05d5225aad81cc6defb78%2Fman könne nicht ausschließen, dass Kiew selbst hinter dem Mord an Hanul steckt. Kiew fürchte einen neuen Maidan und sei nicht daran interessiert, dass Rechtsradikale – wie Hanul – bei einer Erhebung gegen Selenski eine führende Rolle spielen. 

Der Journalist Gasparjan will auch nicht ausschließen, dass noch auf weitere bekannte Rechtsradikale aus Odessa Anschläge verübt werden, etwa Sergej Sternenko, gegen den wegen eines Mordes und einer Entführung ermittelt wurde (zum Fall Sternenko sieh hier: Unrechtsstaat Ukraine). 

Meiner Meinung nach spricht etwas für die These, dass die politische Führung in Kiew selbst hinter dem Mord an Hanul steckt. Denn sollten die USA einen Machtwechsel in Kiew durchsetzen, werden viele hohe Beamte und Politiker in Kiew alles tun, um ihre Haut zu retten und Menschenrechtsverletzungen und die Förderung von Rechtsradikalismus in der Ukraine zu vertuschen. 

Rache wegen Gewalt gegen Wehrunwillige?

Nach Meinung der russischen Journalistin Viktoria Titowa ist es aber auch möglich, dass Hanul ermordet wurde, weil Verwandte eines zwangsweise eingezogenen Soldaten, den Mord in Auftrag gegeben haben. 

Hanul war durch Gewalt gegen Ukrainer aufgefallen, die sich einer zwangsweisen Mobilisierung widersetzten. In seiner Eigenschaft als Mitarbeiter eines ukrainischen Territorialkommandos, das Männer gewaltsam für die Front mobilisierte – hatte Hanul einem Fittnes-Trainer, der sich kritisch über die ukrainische Armee geäußert haben soll, das Gesicht blutig geschlagen und den Mann dann in einem Mini-Bus abtransportieren lassen. 

Demjan Ganul – ganz links mit Freunden Quelle MK RU.jpeg

Später tauchte im Internet ein Video auf, in dem man sieht, wie der Fitness-Trainer nachts festgebunden an einem Baum steht. Der Festgebundene sagt – offenbar unter Zwang – „ich bin ein Pedi (Schwuler). Ich bin vergewaltigt worden. Ich werde der ukrainischen Armee dienen.“ (Video https://vk.com/wall-28658784_10037232?ysclid=m8aeu04p7w74324108) Was mit dem Fitness-Trainer weiter passierte, ist nicht bekannt. 

Provokatives Schaschlik-Essen am Gewerkschaftshaus

Deutsche Medien berichteten zwar, dass Hanul am Angriff auf das Gewerkschaftshaus von Odessa beteiligt und ein Rechtsradikaler war. Aber wichtige Details zur Person des Ermordeten wurden nicht berichtet. 

Hanul wurde 1993 im Dorf Nowoselizkoje geboren. Nach dem Schulabschluss zog er nach Odessa um. In der Stadt am Schwarzen Meer studierte er an der historischen Fakultät der Pädagogischen Universität, verkaufte Souvenirs an Touristen und war nach Angaben des Portals bloknot-odessa https://bloknot-odessa.ru/news/odessity-prazdnuyut-neozhidannyy-povorot-v-ubiystv-1836176 auch als Erzieher im Jugend-Ferien-Zentrum „Artek“ auf der Krim tätig.

Im Internet gibt es eine Vielzahl von Fotos und Videos, die zeigen, dass Demian Hanul rechtsradikales Outfit liebte. Auf einer Veranstaltung sieht man ihn in einem T-Shirt, mit dem Wort „Nachtigall“ in Fraktur. „Nachtigall“ hieß ein Wehrmachts-Bataillon, welches von ukrainischen Nationalisten gebildet wurde und dass sich im Juni 1941 während der Besetzung der westukrainischen Stadt Lwow (heute Lviv) an einem Pogrom gegen Juden beteiligte.

Der Getötete liebte Provokationen. Am 2. Mai 2018 – als sich Angehörige der am 2. Mai 2014 im Gewerkschaftshaus Umgekommenen vor dem Gebäude versammelten, um zu gedenken – gab Hanul direkt vor dem Gebäude in Heldenpose Interviews für Journalisten. 

An einem anderen Gedenktag ließ sich Hanul mit Gesinnungsfreunden in Sichtweite des Gewerkschaftshauses demonstrativ beim Schaschlik-Essen ablichten. 

Einiges spricht dafür, dass sich die Bedingungen für die Aufklärung rechtsradikaler Verbrechen in der Ukraine verbessern werden. Das neueste Urteil des Europäischen Gerichts für Menschenrechte zu dem Massaker in Odessa am 2. Mai 2014 und die scharfe Kritik der US-Führung an Selenski öffnen in den westlichen Medien vielleicht ein stückweit die Tür zur Wahrheit über das Massaker in Odessa am 2. Mai 2014. 

Ulrich Heyden wurde 1954 in Hamburg geboren. Er ist gelernter Metallflugzeugbauer und hat sechs Jahre in Hamburger Metallbetrieben gearbeitet. Er studierte auf dem Zweiten Bildungsweg Volkswirtschaft und danach Neuere und Mittlere Geschichte. Seit 1992 lebt und arbeitet er in Moskau. Er ist mit einer Russin verheiratet. Ab 1992 arbeitete er als freier Journalist für den „Deutschlandfunk“, „die tageszeitung“, „der Freitag“, „Sächsische Zeitung“, „Die Wochenzeitung“ (Zürich) und „Die Presse“ (Wien). Nachdem Mainstream- und auch linke Medien ab 2014 die Zusammenarbeit mit ihm beendeten, ist er nun tätig für „Nachdenkseiten“, „Globalbridge.ch“, „Overton-Magazin“, „Junge Welt“ und „RT DE“. Er macht auch Filme, die man auf seiner Website findet (ulrich-heyden.de).

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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