Endlich würde dem sozialistischen Projekt namens Ampelkoalition der Garaus gemacht, vernahm man nach dem Ampel-Aus. Sozialistisch? Das ist doch total verblendet.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente
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Der real existierende Sozialismus hat verloren. Vorwärts nimmer, rückwärts immer. Und das nicht etwa schon 1989/90, sondern erst neulich: Als der Bundeskanzler im November vor die Presse trat und mit Christian Lindner – stellvertretend für sein eigenes Versagen – hart ins Gericht ging, war das mal wieder eine Zeitenwende. Für viele im Land war klar, dass dieser Moment eine Zäsur darstellt: Denn jetzt habe die Neuauflage des Sozialismus auf deutschem Boden endgültig ein Ende gefunden. Dabei war der letzte Sozialismus gar nicht so lange her: Der Lockdown und die Maßnahmen waren für manchen der reinste Corona-Sozialismus gewesen – unter anderem für Christian Lindner oder Markus Krall. Schon damals war der Begriff für das, was im Land vor sich ging, äußerst seltsam gewählt – aber sicher nicht ohne Bedacht.
Lange Zeit rätselte man, wie man aus der Pandemie herauskomme. Für viele sollte es die Impfpflicht richten. Aber am Ende hat Wladimir Putin die Pandemie beendet. Und aus dem Pandemiesozialismus, von dem manche sprachen, stolperte man in den Kriegssozialismus – gemacht von zwei linken, zwei sozialistischen Parteien: Sozialdemokraten und Grüne. Es ist schon auch ein gutes Stück witzig, wie salopp man mit dem Begriff umgeht auf liberaler und libertärer Seite. Wenn sich da zwei Schüler am Pausenhof ein Butterbrot teilen, sehen diese Leute schon sozialistische Umtriebe heraufziehen und schreien nach der Reinheit marktwirtschaftlicher Rücksichtslosigkeit.
Ampelkoalition: Ihre größten sozialistischen Erfolge
Es gab mal eine Sendung im italienischen Fernsehen, Rockpolitik hieß sie. Moderiert von Adriano Celentano und Roberto Benigni – das muss um das Jahr 2005 gewesen sein. Silvio Berlusconi war damals gerade mal wieder italienischer Ministerpräsident – sehr zum Missfallen des liberalen Italien, zu dem sich die Künstler Celentano und Benigni zählten. In einer Ausgabe berieten die beiden darüber, was Berlusconi in seiner aktuellen Amtszeit Nennenswertes gelungen sei. Sie liefen die Bühne auf und ab, schweigend, dann wieder »Ach ja!« ausrufend, nur um dann doch abzuwinken und zu sagen: »Nein, doch nicht!« Dieses Schweigen soll mehrere Minuten gedauert haben, einige Quelle geben eine Länge von 16 Minuten an. In Italien ist diese Szene legendär.
Ein wenig fühlt man sich an Rockpolitik erinnert, wenn man damit beginnt, über die sozialstaatlichen Qualitäten der Ampelregierung zu sinnieren. Was hat die Ampelkoalition also für die Menschen im Lande geleistet? Gut, klar: Da kommt einem nach einer Weile das Deutschlandticket in den Sinn: handwerklich schlecht um- und zu günstig angesetzt, womit es 2026 wohl zu keiner Neuauflage mehr kommen dürfte. Dann wurde oft und sehr intensiv über die Kindergrundsicherung gesprochen. Bis klar war, dass die nötigen Gelder in die Ukraine transferiert wurden und dort auch nicht für Kinder gedacht war, sondern für die Etablierung einer Szenerie, die ganz und gar nichts für Kinder ist.
Klar, den Mindestlohn hat man erhöht. Dass er vorher über Jahre zu niedrig angesetzt wurde, darüber bereiten wir den Mantel des Schweigens. Aber gut, die Sozialdemokraten waren in den Jahren vorher auch nie Regierungspartei – aus stilistischen Gründen setzen wir in Artikel übrigens keine Zwinker-Smileys. Nicht zu vergessen: das Bürgergeld, das das Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV, ablösen und alles für die Leistungsbezieher verbessern sollte. Am Ende war es nur eine Namensreform und man debattierte im Zuge eines radikalisierte Klassismus‘, ob Arbeitslose nicht auch Angebote annehmen sollten, die ihnen endlose Stunden des Pendelns bereiteten, einfache Fahrt: Zwei Stunden etwa. Und zwar mit dem öffentlichen Nahverkehr – der bekannt ist für seine Zuverlässigkeit: Ausfälle betreffend.
Der Container als sozialistische Gleichmacherei
Auch in dieser Richtung ist wenig geschehen in den Ampeljahren. Man versuchte zwar die Waggons vollzubekommen, aber pünktlicher lief gar nichts. Eher im Gegenteil. Auch das wäre ein Stück sozialstaatlicher Ansatz gewesen: Den Menschen eine pünktliche Bahn ermöglichen – eine, die man auch preislich überblicken kann. Aber die Schiene hatten manche in dieser Koalition nur als Nachschublinie für osteuropäische Abenteuer im Blick. Und die Kinder nur als Kanonenfutter, während sie weiterhin in Schulgebäuden sitzen, die marode sind und in denen man oft nicht mal die Sanitäranlagen aufsuchen kann, weil die nicht mehr funktionstüchtig sind.
Halt, es gibt doch etwas, was die Ampel gerissen hat: Menschen dürfen nun straffrei in Müllcontainern wühlen, die hinter Supermärkten stehen. Die dort entsorgte Ware darf jetzt mitgenommen werden. Zwar ist das, wenn man es genauer durchdenkt, auch nicht unbedingt Sozialstaat, weil das darbende Großmütterlein wohl eher nicht über die massiven Stahlwände des Containers ins Innenleben desselbigen steigen wird, sondern eher irgendein Hipster-Pärchen – sie mit Vollbart, er im kleinen Schwarzen – das aus Leidenschaft auf Nachhaltigkeit setzt. Aber immerhin übte sich die Ampel, ganz besonders die Liberalen und die Grünen, in dem Versuch, Umverteilung stattfinden zu lassen: Wenn auch nicht aus menschlichen, wenn auch nur aus Nachhaltigkeitsgründen.
Es gibt nur ein Problem: Das Containern ist gar nicht erlaubt. Man glaubt das nur, weil man medial so tat, als sei die Sache längst beschlossen. Das wurde während der Ampelzeit nur eine Weile lang kolportiert und medienwirksam in jede Kamera posaunt – besonders die Grünen zeigten sich stolz. Ein Sozialstaat, der nichts kostet: Da konnten Liberale und Grünen schnell und ergiebig zusammenfinden. Aber nach wie vor gilt das Containern als Diebstahl und ist oftmals mit dem Eindringen auf Privatgelände verbunden: Nicht mal der Container taugt also als sozialistische Gleichmacherei, deren man die Ampelkoalition bezichtigen könnte. Nichts, aber wirklich gar nichts eignet sich dazu, dieser krachend gescheiterten Koalition irgendwas in die Schuhe zu schieben, das mit Sozialismus zu tun haben könnte. Den Menschen geht es jedenfalls keinen Deut besser – sie sollen es sich nur bitte einreden, der Herr Wirtschaftsminister würde sich freuen, seien Sie doch so nett!
Sozialismus ist die Nazikeule der Libertären
Klar, würden jetzt die bösen Zungen der Libertären rufen: Dass es Menschen im Sozialismus bessergehen soll, ist der größte Irrtum überhaupt. Es ging ihnen im real existierenden Solchen ja auch wirtschaftlich gar nicht mal so gut. Darüber könnte man freilich streiten, auch wenn es sicher keine Reichtümer zu verteilen gab, so fühlten sich zumindest in Deutschland jene erst wirklich verarmt, als sie in der Marktwirtschaft angelangt waren. Eines kann man nun wahrlich nicht abstreiten: Das Wenige, das man hatte, an alle zu verteilen, das hat man in der sozialistischen Wirklichkeit tatsächlich versucht. Nicht immer zufriedenstellend, oft nicht zielführend, gar keine Frage – aber dass man von vorneherein gar nicht erst ins Auge fasste, die Bevölkerung am Volksvermögen zu beteiligen: Das gab es im real existierenden Teufelszeug nicht.
Und genau das kann man der Ampelkoalition zum Vorwurf machen: Sie hat es nicht mal ernstlich probiert, weil sie auf einem ganz anderen Trip war, irgendwo in den Kornkammern Osteuropas. Sozialstaat und eine Verbesserung der Infrastruktur lassen sich nicht machen, wenn man Unsummen an die Front und in die Rüstung steckt. Die Zeit nach 16 Jahren Merkel – »Danke, Merkel!« – wäre reif gewesen, das Land wieder positiv aufzuladen: Und zwar mit einer Politik der Fairness und des Respektes. Olaf Scholz hantierte sogar mit dem Respektsbegriff – begriff ihn aber nicht. Und am Ende machte man die Unterlassungen, die sich Frau Bundeskanzler in anderthalb Dekaden leistete, noch schlimmer, indem man einfach weiter unterließ. Die fünf reichsten Deutschen hatten im Jahr 2020 zusammen 89 Milliarden Euro auf der hohen Kante – 2023 wuchs deren Vermögen auf 155 Milliarden Euro an: Das nur exemplarisch für den Trend, den auch diese Bundesregierung nicht durchbrach – oder durchbrechen wollte.
Dennoch wittern die Liberalen nun den Sozialismus, vermutlich auch deshalb, weil viel umerzieherischer Eifer und Meinungskontrolle die Zeit der Ampelkoalition dominierten. Das kann man tatsächlich nicht leugnen: Aber gegeben hat es das im Sozialismus wie im Faschismus. Wieso spricht denn kaum einer der Liberalen aus, dass die Ampel faschistisch agierte? Ganz einfach, weil die Nazikeule der Liberalen und Libertären das reflexhafte Ausrufen von »Sozialismus! Sozialismus! Sozialismus!« ist. Den wittern sie überall – auch dort, wo er gar nicht stattfand. Und nebenher ist das natürlich der Kniff, der notwendig ist, um den Sozialstaat weiter auszuhöhlen. Denn wenn man den Sozialstaatsgedanken mit »Sozialismus« labelt und ihn mit dem Zorn auf die Ampelkoalition verbindet, gelingt es vielleicht ja doch, jeden Gedanken an gesellschaftlicher Umverteilung und Gerechtigkeit zu diskreditieren.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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