Vor einigen Tagen jährte sich der Beschluss, die einrichtungsbezogene Impfpflicht einzuführen – sie setzte der systematischen Entrechtung von Arbeitnehmern in Krankenhäusern die Krone auf. Ein Bericht.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente
Als im Frühjahr 2020 ein Virus aus einem Wuhaner Labor in die Welt hinauszog – so der aktuell letzte Stand der Expertisen, siehe Report des US-Repräsentantenhauses, damals aber noch Verschwörungstheorie –, verdiente ich einen Teil meines Lebensunterhaltes noch in der Verwaltung eines Krankenhauses. Es waren zu Beginn der Krise schöne Tage, ruhige und fast erholsame Arbeitstage. Der alltägliche Stress schien wie weggeblasen; endlich fiel die Unterbesetzung nicht mehr ins Gewicht, denn kaum war klar, dass die Bundesregierung mit einer Stilllegung des öffentlichen Lebens reagieren würde – Lockdown, so sagt man heute, als habe es das Wort im Deutschen schon immer gegeben –, traute sich keiner mehr in ärztliche Behandlung.
Geahnt hatte man es damals schon, später aber erst deutlich formuliert: Das hat einigen das Leben gekostet. Im Krankenhaus bereitete man sich auf einen Notstand vor, der aus dem Film Contagion entlehnt schien – und tatsächlich war jener Streifen von Steven Soderbergh in der Anfangszeit auch in aller Munde: Den müsse man gesehen haben, dann wisse man mehr, vernahm man an verschiedenen Stellen. Es geht darin, wenig überraschend, um eine Pandemie. In dem Film starben 25 Prozent derer, die sich mit dem Virus infizierten. Das Virus aus Wuhan kam nicht annähernd auf solche Zahlen, Contagion war also ein schlechtes, weil völlig überzogenes Beispiel – aber viele im Lande ließen sich dadurch auf eine falsche Fährte locken. Wir im Krankenhaus hatten es – Szenario hin, Szenario her – einige Zeit richtig gut: Wenig Betrieb und phasenweise schickte man uns heim.
Äpfel, Schokolädchen – dann Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen
Das muss man sich mal vorstellen: Da kündigte man die größte Gesundheitskrise des Jahrhunderts an – und die Mitarbeitervertretung des Krankenhauses sollte eine Regelung für Kurzarbeit entwerfen helfen. Die ersten Kollegen schickte man bereits in Minusstunden. Der wenigen Patienten, die noch kamen, wurde man auch Herr, wenn ein Teil der Belegschaft nicht mehr zum Dienst erschien. In jenen Tagen kamen proportional mehr Privat- als Kassenpatienten. Manche Fachabteilung wurde in jenen Tagen sogar dafür kritisiert, dass sie noch zu viele Einbestellungen zuließ. Hermetisch wurde der Betrieb abgeriegelt, die Mitarbeiter schlichen sich fortan durch einen schmuddeligen Hintereingang ins Haus. Anfangs wog man die Mühen, den Einsatz und die sich anbahnenden Erschwernisse noch mit kleinen Anerkennungen auf. Im Eingangsbereich stand Obst bereit, manchmal auch Schokolade, ein Schild ließ Dank und Grüße von der Geschäftsführung ausrichten – jeder Mitarbeiter konnte sich eine Packung Klopapier im Warenlager abholen. Das war damals der Goldstandard.
Es schien, als hielt man in dieser extremen Situation zusammen: Als wollte man die schweren Tage, die drohten, etwas erleichtern und endlich mal das auffahren, was im betrieblichen Alltag stets zu kurz kam – oder was man auch mit Kalkül nicht mehr aufbrachte: Nämlich die Wertschätzung derer, die sich oft an den Rand ihrer Gesundheit brachten, um den Gesundheitsbetrieb am Laufen zu halten. Draußen gab es Applaus für die, die nicht auf dem Sofa bleiben konnten und es Homeoffice nannten. Drinnen wartete man mit Süßem und warmen Worten auf.
Lange hielt das nicht an. Zur Kurzarbeit kam es nicht, denn langsam drängten die Kranken doch wieder in die Krankenhäuser. Jedes Betreten des Hauses wurde nun dokumentiert, die Begleitung von Angehörigen nur noch in Ausnahmefällen gestattet – etliche Senioren im Rollstuhl wurden am Haupteingang von Ihren Lieben getrennt. Schwerhörige Alte alleingelassen. Oft orientierungslos, nicht in der Lage, Auskunft über sich zu geben. Jeder, der das Haus betrat, war bereits auf einer Liste gemeldet – es musste nun natürlich geprüft werden, ob Liste und Realität deckungsgleich waren. Für die Kollegen am Empfang bedeutete das viel Arbeit – und viel Beschimpfungen seitens der Patienten und Angehörigen. Kurze Zeit später kamen Testungen hinzu, die elektive Patienten vor Ort machen konnten. Wie am Fließband wurden von nun an Abstriche gemacht; personelle Kapazitäten dazu gab es jedoch kaum. Von der ersten Stimmung des Zusammenhaltes blieb: Nichts. Der Arbeitsaufwand wuchs beträchtlich – und zwar für fast alle Berufsgruppen im Haus. Und aus den warmen Worten der Anfangszeit wurden strikte Anweisungen, die neuen Regeln einzuhalten und sie auch bei Patienten zu exekutieren.
Maßnahmen als schwarze Pädagogik
Jetzt galt es ohne Ausnahme: Abstände einhalten, durchgehend Masken tragen – später auch FFP-Arbeitsschutzmasken. Auf Nachfrage der Mitarbeitervertretung, wie das mit den Pausenzeiten beim Tragen einer FFP-Maske geregelt ist, bekam man zur Antwort, alle vier Stunden sei das möglich – das Gesundheitsministerium hatte das so beschlossen. Bevor man die FFP-Maske zur Virusschutzmaske ernannte, war sie für andere Zwecke gedacht. Man trug sie zum Beispiel, wenn man mit dem Winkelschleifer flexte. Alle 75 Minuten waren Pausenzeiten von 15 Minuten vorgesehen: So regelte es der Arbeitsschutz, der darlegte, dass die erschwerten Atembedingungen das notwendig machten. Nun wurden sie im Krankenhausbetrieb eingesetzt – zunächst auf der Intensivstation, später überall im Haus. Ob es indes realistische Möglichkeiten gab, alle vier Stunden in eine Ruhezeit zu gehen, durfte fröhlich angezweifelt werden. Die Mitarbeiter sollten nun diese Pflicht auch gegenüber Patienten durchsetzen: Jedes Großmütterlein, welches sich die Maske kurz runterzog, musste demnach ermahnt werden.
Die Neigung es durchzusetzen, war sehr ausgeprägt. Denn tat man es nicht, konnte das strikte arbeitsrechtliche Konsequenzen mit sich bringen. Mittlerweile wurde jede neue Maßnahme, jede neu ersonnene Regelung mit klarer Androhung arbeitsrechtlicher Schritte begründet – der Ton der Anordnungen wurde herrischer, Schokolade gab es schon lange keine mehr. Bleiben Sie gesund: Anfangs sagten das etliche aus Überzeugung, als Herzenswunsch – jetzt war es eine Anordnung, der Folge zu leisten war. Die Mitarbeitervertretung war im häuslichen Ausschuss vertreten. Mahnende Worte, nicht in Panik zu verfallen, nicht zu strikt vorzugehen, waren nicht vorgesehen. Wer es doch mal wagte, wurde rüde abgekanzelt und als Gefährder abqualifiziert. Freigeistige Mitarbeiter hatten es zunehmend schwer. Krankenhäuser sind zuweilen hierarchisch gegliederte Unternehmen – die Ärzteschaft ist in jedem Falle hierarchisch aufgestellt –, schon in Normalzeiten war es für manchen Mitarbeiter, der sich nicht der absoluten Gefolgschaft verschreiben wollte, mehr als schwierig, »unversehrt« durch die Tage zu kommen. Wer fehlende Kollegen monierte, Ruhezeiten einforderte: Der spürte den Argwohn deutlich. Aber nun war es regelrecht unmöglich, sich noch kritisch zu äußern. Denn alles war Ausnahmezustand – warum machten die kritischen Köpfe nicht auch mal eine Ausnahme und sind mal nicht kritisch? Die Maßnahmen dienten dazu, ohnehin unliebsame Mitarbeiter zu dressieren – alles konnte mehr oder weniger so ausgelegt werden, als nähme man die Situation nicht ernst.
Essen und Trinken wurden moniert – selbst erlebt! –, denn dazu war man gesichtsfrei. Und irgendwann informierte man dann die Mitarbeiter auch per Mail, dass sie ihre (unbezahlten) Pausenzeiten alleine verbringen sollten – sich mit einem Kollegen zum Mittagessen zu treffen, galt fortan als unerwünscht und wurde auch genau beobachtet. Ebenso wie sich Raucher draußen trafen – im Regelfall auch unbezahlt, da sie auschecken mussten – und dort kurze Gespräche führten, die eine Zigarette dauerte. Der Arbeitsalltag sollte strikt durchgetaktet sein – war er für viele ohnehin immer gewesen. Nun kamen aber hygienische Auflagen hinzu, die den Mitarbeiter dazu zwangen, Automat zu werden, sein Menschliches auszublenden – sie sollten Hygienebürokraten sein.
Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Das Ende selbstbewusster Arbeitnehmer
Die Stimmen wurden auch im Krankenhaus lauter: Die Impfpflicht müsse kommen, sagten nun viele Kollegen. Für sie war das längst Realität, fast die gesamte Belegschaft hatte sich bei mehreren Fließbandimpfaktionen impfen und auffrischen lassen. Kritische Nachfragen betreffs Impfstoffhersteller während der Impfaktion sollen – so wurde später mittels Flurfunk kolportiert – rüde abgeschmettert worden sein. Nur wenige scheuten den Schritt und reihten sich nicht ein, um den sogenannten Piks zu erhalten, der die Verabreichung des mRNA-Serums verniedlichen sollte. Der Druck auf diese Leute wurde zunehmend größer. Ab dem Sommer 2021 wurde man gar übergriffig – jedenfalls so weit es zulässig war. Ein gesetzlicher Rahmen war noch nicht geschaffen. Eine Impfpflicht, besonders auch eine einrichtungsbezogene für medizinische Betriebe, würde so einen Gesetzesrahmen schaffen: Man könnte alle Mitarbeiter zur Aufdeckung ihres Impfstatus zwingen. Vorher wandte man andere Methoden an, arbeitete mit schlechtem Gewissen, forderte alle Mitarbeiter auf, eine vom Gesundheitsministerium angefertigte Broschüre online zu lesen und zu bestätigen, es auch wirklich gelesen zu haben. Ungeimpfte mussten jeden zweiten, später jeden Tag getestet werden.
Zum Dienst zu kommen war für ungeimpfte Kollegen schon schwierig genug geworden. Der öffentliche Nahverkehr setzte eine Testung voraus. Wer die nicht hatte, fuhr schwarz zum Dienst. Für viele bedeutete das, mit der Angst ertappt zu werden in die Bahnen zu steigen, sich immer umzusehen, einen regelrechten Verfolgungswahn zu entwickeln. Am 10. Dezember 2021 wurde die einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen. Schon im Vorfeld monierten auch Mitarbeitervertreter, dass man gegen Unwillige kaum eine Handhabe hätte – die Leute, die einen vertreten sollten, hätten nun gerne gesehen, dass Ungeimpfte ihren Arbeitsplatz verlieren sollten. Es gab keinen Fürsprecher mehr. Nur unter vier Augen sagten einem Kollegen, dass sie diese Behandlung ungeimpfter Kollegen zum Kotzen fanden. Der soziale Druck am Arbeitsplatz wuchs jedoch gravierend. Selbstbewusste Arbeitnehmer, die sich nicht immer wegduckten, wenn es zu Problemen mit Vorgesetzten kam, gab es so gut wie keine mehr. Die, die vormals so waren, trafen sich nun heimlich und bekräftigten sich gegenseitig ihre Fassungslosigkeit. Sie waren wir gelähmt.
Schnell ging man nach dem Beschluss jener Impfpflicht dazu über, den Impfstatus zu erfragen. Ab dem 16. März 2022 sollte sie gelten. Indes waren die krankheitsbedingten Ausfälle insbesondere auch der geimpften Mitarbeiter nicht rückläufig. Sie steckten sich weiterhin mit der Atemwegserkrankung an. In Phasen, in denen zu viel Personal ausfiel, sollten auch positiv getestete Mitarbeiter der Pflege dennoch arbeiten – aber gesunde Ungeimpfte waren unerwünscht. Später wurde bekannt, dass die Stadt kaum Betretungsverbote ausgesprochen hatte. Das Krankenhaus verbot aber manchem Kollegen die Rückkehr an den Arbeitsplatz. So auch mir, es sei denn, ich legte meinen Impfstatus vor – ich hatte mich nie dazu geäußert, was vorher nicht rechtens war, konnte es auch jetzt nicht sein. Die Jahre zuvor waren schwer und belastend. Sie raubten einem die Substanz – das Pensum war zudem stark angewachsen, regelrechte Akkordarbeit war nicht selten geworden. Dabei hatte dieser Notstand so ruhig begonnen. Mit Einführung der partiellen Impfpflicht entlud sich die volle Übergriffigkeit des Arbeitgebers, der sich nun als Gesundheitsbeauftragter seiner Bediensteten aufspielte. Die Impfdebatte und die Impfpflicht in einzelnen Bereichen waren ein massives Programm zur Domestizierung von Arbeitnehmern – Aufarbeitung hieße im Übrigen auch, die Geschehnisse unter dem Aspekt der Beschneidung von Arbeitnehmerrechten zu analysieren. Denn die Maßnahmen hatten unglaubliches Potenzial, um Belegschaften kleinzuhalten und zu schleifen.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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