Ein kompromissloser Staatsideologe – Chef beim Verfassungsschutz

  • POLITIK
  • Dezember 30, 2024
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In Thüringen soll der oberste Verfassungsschützer einen Alleingang bei der Einordnung der AfD hingelegt haben. Doch im Grunde wurde er für Haltung ins Amt berufen – nicht, weil er die Verfassung so gut kennt. Musste und sollte es nicht so kommen?

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Stephan Kramer
Wolfram SchubertCC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Stephan Kramer, Präsident des thüringischen Verfassungsschutzes, ist in aller Munde – oder müsste er eigentlich sein. Denn Apollo News deckte letzte Woche einen Skandal auf: Kramer soll interne Gutachten unterdrückt, Mitarbeiter eingeschüchtert und sensible Informationen an Journalisten weitergegeben haben.

Die großen Medienhäuser übten sich viele Tage lang, nachdem Apollo News damit an die Öffentlichkeit ging, in Schweigen. Mit großer Verspätung griffen einige Mainstreammedien das Thema doch auf – jedoch zögerlich und sehr ausgewählt. So berichtete die Tagesschau nur in einem einzigen Artikel von der Causa – und auch nur, weil ein Untersuchungsausschuss beabsichtigt ist und man offenbar nicht mehr an der Angelegenheit vorbeikam. Es ist aber auch peinlich für die Berliner Blase, dass in Thüringen ganz offenbar der Verfassungsschutz zur Prätorianergarde einer stark dem Zeitgeist unterworfenen Landesregierung umfunktioniert wurde.

Bikermethoden?

Bevor Stephan Kramer sich in politische Sphären wagte, war er in der Biker-Szene unterwegs. Er war Mitglied der Euro-Biker – später wurde er Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. 2015 etablierte die rot-rot-grüne Landesregierung unter Bodo Ramelow Kramer als Chef des thüringischen Verfassungsschutzes. Seine Ernennung war von Beginn an umstritten. Welche Tätigkeit, welche Leistung oder Qualifikation sollte den Sozialpädagogen mit Masterabschluss für das Amt befähigen? Welche Kompetenzen habe er der Öffentlichkeit bewiesen? Einige Kritiker monierten schon damals, dass die Entscheidung für Kramer eine politische Besetzung gewesen sei.

Apollo News berichtete nun, dass Kramer ein internes Gutachten unterdrückt haben soll, das die Einstufung des thüringischen Landesverbandes der AfD als »gesichert rechtsextrem« anzweifelte. Das besagte Gutachten, verfasst von einem seiner Mitarbeiter, war ihm offenbar zu unbequem. Laut Apollo News wollte Kramer keine Debatte zulassen, die seinem Kurs widerspricht. Er kassierte das Gutachten ein und hielt es von der Öffentlichkeit verborgen. Kramer soll 2018 die thüringische AfD eigenmächtig als Prüffall eingestuft haben, ohne das zuständige Fachreferat mit einzubeziehen. Intern soll man im Amt von Kramers »Privatentscheidung« gesprochen haben.

Weitere Vorwürfe, die im Raum stehen: Der Verfassungsschutzchef soll dem Mitarbeiter außerdem physische Gewalt angedroht haben, um ihn zum Schweigen zu bringen. Kramer wird überdies auch beschuldigt, unliebsame Mitarbeiter gezielt gemobbt und vertrauliche Informationen an Medien, gezielt an zwei MDR-Journalisten, weitergegeben zu haben.

Alleingang oder Freifahrtschein?

Als Verfassungsschutzchef in Thüringen ist Kramer direkt dem thüringischen Innenministerium unterstellt, aktuell – auch im neuen Kabinett von Mario Vogt – geführt vom Sozialdemokraten Georg Maier. Der Verfassungsschutz ist weisungsgebunden. Das bedeutet, Kramer darf nicht einfach machen, wonach ihm ist. Zumindest auf dem Papier. Bei großen Entscheidungen – etwa der Einstufung der AfD – muss das Ministerium letztlich Vorgaben machen, mindestens aber miteinbezogen werden. Diese Vorgaben haben den juristischen Standards zu entsprechen. Zumindest auf dem Papier.

Wird Stephan Kramer jetzt vielleicht zum Bauernopfer? Man hat den Mann seinerzeit ja nicht wegen seiner Expertise in entscheidender Stelle ins Amt geholt. Qualifikationen dafür hatte er nicht. Einen Motorradführerschein zu besitzen, macht noch keinen Verfassungsschützer. Er kam dorthin, weil man davon ausging, dass er Haltung zeigt, wie man das heute gerne nennt. Man glaubte, sich auf ihn verlassen zu können, was den Kampf gegen rechts betrifft.

Es soll laut Apollo News ein internes Schreiben des thüringischen Innenministeriums geben, in dem der Verdacht geäußert wird, dass Kramers Geheimnisverrat gegenüber Journalisten als ein »schweres Dienstvergehen« bezeichnet. Und auch: Kramer sei ein »ernsthaftes Sicherheitsrisiko«.

Vorgehen, das man der AfD unterstellen würde

Ist es möglich, dass man sich in der Landesregierung sorgte, dass Kramer das, was er machen sollte und weswegen man ihn per »Haltungsberufung« berief, nicht diskret genug abwickelte und man sich deshalb sorgte? Bei einem Mitarbeiter, der einem Ministerium weisungsgebunden ist und der derlei weitreichende Entscheidungen getroffen haben soll, ohne auf Zuständigkeiten zu achten, muss man sich diese Frage durchaus stellen: Was wusste die Politik davon? Und was goutierte sie?

Kramer wurde ganz offensichtlich als »ein Mann fürs Grobe« eingestellt. Die Landesregierung präsentierte nie eine befriedigende Erklärung für ihre Personalentscheidung. Man versprach sich von ihm vermutlich einen klaren Kurs gegen rechts. Und das, obwohl – oder besser gesagt: weil? – er keine juristische Ausbildung genossen hat. Mit einem Juristen hätte man es vermutlich viel schwieriger gehabt, den politischen Konkurrenten einzudämmen und zu schaden. Seine Fachexpertise hätte ihn vielleicht befangener gemacht. Kramer ist insofern der fleischgewordene Haltungsfetisch, der unsere Zeit prägt: Qualifikation ist zweitrangig, die richtige Einstellung und Weltanschauung zählt. Das dürfte eine der größten Gefahren sein, die das Gemeinwesen bedrohen – der Fall Kramer scheint das zu belegen.

Man muss nun wirklich kein Freund oder Sympathisant der Alternative für Deutschland sein: Aber im Bundesland Thüringen hat sich unter der Regierung von Bodo Ramelow etwas zusammengebraut, das das Zeug hat, noch mehr Bürger misstrauisch gegenüber Staat, Politik und Gemeinwesen zu machen. Bislang – und vielleicht bloß dieses eine Mal in der Geschichte der Bundesrepublik – hat nur ein Ministerpräsident der Linkspartei regiert: Jener Bodo Ramelow eben. Dass sich ausgerechnet in seiner Zeit als Ministerpräsident so ein Vorfall ereignete, wirft Fragen über die Demokratietauglichkeit jener Restpartei und staatlicher Dienste auf. Warum gingen Dinge in seiner Zeit im Amt vor sich, die man gemeinhin einer AfD-Regierung unterstellen würde?

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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