Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht in diesem Jahr an den Historiker Karl Schlögel. In den letzten Jahren tat er sich als Lautsprecher der Kriegstüchtigkeit hervor.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Wieder mal ein Preis, der verliehen werden will. Diese Republik hat viele davon. Und in den letzten Jahren gehen sie an Leute, die – sagen wir mal – eine recht erotische Verbindung zur Kriegstüchtigkeit bei gleichzeitiger Verhandlungs- und Diplomatieunterlassung an den Tag legen. Überraschend ist das freilich nicht, denn Preisvergaben sind im Korsett der Staatsarchitektur als Ereignisse angelegt, die dem jeweiligen Staats- und Regierungskurs die nötige Legitimität verleihen wollen. Sie sind somit ein softer Überbau, mit dem die Eliten den Popanz aufzubauen versuchen, hinter dem sie ihr eigenes – oft moralisch verlottertes – Treiben verstecken können. Sie sind der ethische Anstrich auf einem völlig korrodierten Grund.
In diesem Sinne sind gewisse kuriose Preisvergaben der letzten Zeit zu verstehen. Sie dienen nicht etwa dem Zwecke der Prämierung, sondern sollen ein Scheinbild ausstaffieren, in dem der Prämierte eben nicht für sich, seine Leistung, sein Können, seine Schaffenskraft und sein Wirken steht, sondern als camouflierter Stellvertreter für elitäre Machenschaften und damit für den Kurs eines gekaperten Staatsschiffes.
Historiker im zeitgenössischen Deutschland
Nun darf sich also der Historiker Karl Schlögel als Preisträger eines Friedenspreises betrachten. Dabei ist der Mann in den letzten drei Jahren immer wieder als Vertreter der Kriegstüchtigkeit aufgefallen. Schon im Februar 2022 erklärte er dem Deutschlandradio, dass Putin imperial denke, die Ukraine nicht kenne und man Kiew dringend militärisch stützen solle. Kein Wort zur Vorgeschichte, keines zur Osterweiterung des westlichen Militärbündnisses. Schlögel hat damit früh die Argumentationslinie vorgegeben, die später oft in dieser Republik Gebrauch fand, wenn mal wieder Debatten zum Ukrainekrieg losgetreten wurden. Er tat als Historiker damit genau das, was sein US-Kollege Marc Trachtenberg an dieser Stelle kritisierte: Er moralisierte – und betrachtete das Ereignis nicht mit der nötigen Leidenschaftslosigkeit, die einen zurücktreten und besser erkennen ließe.
Im November letzten Jahres erklärte Schlögel dem Spiegel dann so allerlei – allen voran, dass Russland der Feind sei. Deutschland müsse verteidigungsfähig werden und die Menschen müssten ein Bewusstsein dafür entwickeln. Überhaupt sei Russland drauf und dran, die »EU zu zerlegen«, wie er sich ausdrückte. Betrachtet man von der Leyens »Deal« mit dem US-Präsidenten und die Sanktionswut der EU in den letzten Jahren, fragt man sich wirklich, wovon der Mann spricht: Die Europäische Union zerlegt sich selbst – von innen heraus. Die Kommissionspräsidentin scheint einst in Brüssel angetreten zu sein, um die EU auszuhöhlen und zu einem bald bedeutungslosen Spielball im Weltgeschehen zu degradieren. Die zentrale Frage ist daher: Wem dient Ursula von der Leyen?
Ist das überhaupt die Aufgabe eines Historikers, die Gegenwart so gegeneinander aufzuhetzen, dass all jene, die sich noch für Verhandlungsfähigkeit und Diplomatie aussprechen, diskreditiert und zu Schmuddelkindern erklärt werden? Ein anderer dieser deutschen Historikerzunft ist Ilko-Sascha Kowalczuk. Ein Blick auf seinen X-Account lohnt – oder lohnt besser gesagt nicht, belegt aber, wie der Historiker vorgeht. Jeder Ansatz von »Dialog mit Russland« oder auch nur »mit Russen« wird dort verunglimpft. Seine Applausjünger fungieren als Gehhilfe, sie simulieren eine Wichtigkeit, die er an sich nicht hätte. Wer hat den Historikern dieses Landes gesteckt, dass sie Experten für moralische Außenpolitik seien? Wann wurde es üblich, dass die Schuster von ihren Leisten ließen?
Ein entehrter Friedenspreis?
Im Januar 2023 erklärte Schlögel dem Tagesspiegel (im Print), dass die Rufe nach Verhandlungen in völliger Unkenntnis der Lage verhallten. Damit war auch etwas Anderes ausformuliert: Kenntnis von der Lage hat er. Nicht er ausschließlich, sondern die Bundesregierung, die NATO – das im Westen offizielle Bild der Lage spiegele die Realität wider und alle anderen Stimmen, die diesem Bild – einem Narrativ eigentlich! – entgegenstehen, könne man gewissermaßen nur als Dummköpfe einordnen. Denn sie wüssten nichts, forderten aber viel. Schlögel hat ein gerütteltes Maß das Klima im Lande geprägt: Er beeinflusste durch »seine Expertisen« die Stimmung gegen diejenigen, die später als Lumpenpazifisten und »gefallene Engel aus der Hölle« tituliert wurden.
Nun also hat es sich für Karl Schlögel gelohnt: Er bekommt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Damit ist der Preis nicht entehrt – denn das ist den Initiatoren schon vorher gelungen. So erhielt 2022 der ukrainische Schriftsteller Serhij Schadan diesen Preis. Er nannte die Russen unter anderem: »Horde« oder »Barbaren« – dies waren noch die freundlicheren Betitelungen. Preiswürdiger waren offenbar: »Schweine«, »Abschaum« und »Unrat«. Man ordne das bitte richtig ein: Schadan hat als Schriftsteller künstlerische Freiheit, er soll das in literarischen Texten schreiben dürfen. Und aus seiner Perspektive mag das auch Berechtigung haben, er braucht die Russen nicht lieben. Aber muss man dergleichen mit einem Friedenspreis küren? Sollte man sich als Initiator eines solchen Preises wirklich gemeinmachen mit solchen Auswürfen?
Schlimmer war die Auszeichnung 2024. Anne Applebaum erhielt den Friedenspreis des letzten Jahres. Die Journalistin ist die Gattin jenes polnischen Außenministers, der nach der Sprengung der Ostsee-Pipelines den Amerikanern für die Aktion dankte. Einerseits brachte er damit Licht in die Dunkelheit und adressierte den Anschlag womöglich treffender als die deutsche Medienlandschaft, die es irrational wie eh und je den Russen in die Schuhe schieben wollte. Andererseits bejubelte er damit die Zerstörung wichtiger Infrastruktur der Bundesrepublik. Offenbar geht man in Europa unter Partnern mittlerweile so um. Applebaum selbst hält jeden Ansatz zu Friedensverhandlungen für »objektiv prorussisch«. Sie leugnet die NATO-Osterweiterung nicht, nein, sie verteidigt sie und setzt auf einen Regimewechsel in Russland.
Dieter Zurwehme: Freiheitspreis posthum?
Man erkennt schon, dass der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels nicht zwingend etwas mit Friedfertigkeit oder zumindest Engagement für Frieden zu tun haben muss. Das Ding hat nun mal einen Namen, so wie viele andere Phänomene auch, die das nicht halten, was sie namentlich versprechen. Schließlich wird man auch nicht fitter, wenn man viele Fitnessriegel mampft – und Freundschaftsanfragen bringen einem auch nicht mehr Freunde ins Leben. Begriffe sind eben unempfindlich – und Namen für Preise machen da keine Ausnahme. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels mag ein Etikettenschwindel sein – aber nur ein Schuss Naivität lässt einen so denken. Denn Preise sind, wie oben erwähnt, dazu da, um die politisch verbrochenen Missstände zu verbrämen und den Beteiligten den Anstrich von Legitimation zu verleihen. Sie sind gewissermaßen das Gegenteil von jener berüchtigten »Delegitimierung des Staates«, die jedem angehängt wird, der seine Kritik nicht bieder und brav vorträgt, sondern mit dem Selbstbewusstsein eines Souveräns. Preisvergaben dienen dem Zweck, dem staatlich organisierten Totalversagen eine schöne Abendgala zu schenken, die Eindruck schinden soll.
Das trifft für so gut wie alle politisch konnotierten Preise in Deutschland zu. Man denke nur an Ursula von der Leyen und wie man ihr in Aachen in jene Körperpartie schlüpfte, an die gewöhnlich wenig Licht kommt. Welche Idee von Europa hat die Frau? Wie hält sie die Union zusammen? Ist ihr Auftreten in irgendeiner Weise preiswürdig? Auf einer Metaebene würde man sagen: Niemals! Denn jener Karlspreis will doch Menschen belobigen, die Europa voranbringen und nicht zu einem wirtschaftlich ausgebluteten Vasallen degradieren. Aber diese Ebene ist bedeutungslos, denn Preise sind zugleich immer eine Art Orden, also eine vom Gemeinwesen ersonnene Belobigung, die die staatliche Truman Show kaschieren und ihr den Anschein von Berechtigung verleihen sollen. Vielleicht ist es damit vergleichbar: So wie Liebespaare an ihrem Jahrestag immer in dieses eine kleine Lokal gehen, weil er ihr dort damals die Liebe gestanden hat, ist es im Grunde auch mit der Preisvergabe hierzulande. Für die Liebenden hat der Besuch des Lokals eine Bedeutung – für die Außenstehenden schon weniger, aber ihr Erscheinen lässt die Beobachter annehmen, dass die beiden sich immer noch lieben. Dass er längst ihre beste Freundin vögelt, nun ja, an diesem Abend blendet er es aus.
Eine andere Preisvergabe der letzten Zeit, die das dokumentiert: Marie-Agnes Strack-Zimmermann erhielt den Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit. Dass man den Namen dieser Dame und das Wort »Menschlichkeit« überhaupt in einem Satz schreiben kann, ohne auf der Stelle tot umzufallen, wussten viele von uns gar nicht. Als die ersten es so ausformulierten und sich der Erdboden nicht gleich öffnete, realisierte man erst, was da geschehen war. Ausgerechnet Strack-Zimmermann! Die Frau, die so freundlich ist wie Klaus Kinski vor der Morgentoilette, wird für ihre Menschlichkeit ausgezeichnet. Nun gut, Wut, Zorn, Beleidigung und Niedertracht: All das ist auch menschlich und demnach wahrscheinlich auch Menschlichkeit. Aber ob der Janusz-Korczak-Preis dafür gedacht war, als er das Licht der Welt erblickte? Schade eigentlich, dass Dieter Zurwehme schon tot ist, denn sein Gefängnisausbruch von 1998 – er kam vom Freigang nicht zurück – wäre doch ein schönes Beispiel für einen menschlichen Geist, der bedingungslos nach Freiheit strebt.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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