Elon, du alter Räuberbaron!

Eine Internationale autoritärer Milliardäre will einen autoritären Kapitalismus erschaffen? Das ist jedenfalls die aktuelle Räuberpistole aus Berlin Mitte – voller Übertreibungen, Ausblendungen und Weglassungen. 

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Elon Musk zu Gast beim indischen Premierminister Modi
Prime Minister’s Office (GODL-India)GODL-India, via Wikimedia Commons

Hat Elon Musk etwas getan, was noch nie ein reicher Mensch vor ihm tat? Eingemischt soll er sich haben. Speziell in Deutschland. Weil er Werbung für die AfD macht und Alice Weidel seine Plattform X für ein Gespräch mit ihr zur Verfügung stellte. Falsch ist das nicht. Elon Musk nimmt in der Tat Einfluss – und ja, das ist mit Vorsicht zu genießen. Allerdings ist Musk eine Kreatur, die sich aus einer internationalen Wirtschafts- und Sozialpolitik speist, die eben auch in Deutschland seit Jahrzehnten in Unwesen treibt.

Und nebenher betrachtet ist dieser Elon Musk auch nicht der einzige milliardenschwere Protagonist, der sich in die Belange internationaler Politik einmischt. Überhaupt gehört dieses Unwesen superreicher Herrschaften zur bitteren Normalität des ungezügelten Kapitalismus. Früher nannte man diese Gestalten robber barons, Räuberbarone. Das waren die ersten Kapitalisten, die so viel Reichtum horteten, dass ihnen keine irdische Macht mehr etwas antun konnte. Sie standen aber nicht nur über der Politik – sie machten sie. Und sie wurden zu ihr.

Sie machten Politik – sie waren Politik!

Ob nun John Jacob Astor, Andrew Carnegie, John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbilt oder Edward Henry Harriman: Diese Männer erlangten durch ihr Geschäft unbeschreiblichen Wohlstand. Rockefeller soll 1913 durch sein Unternehmen Standard Oil beispielsweise 900 Millionen Dollar an Vermögen zusammengetragen haben. Das waren in etwa 2,3 Prozent des damaligen amerikanischen Bruttoinlandsproduktes. Saisonbereinigt sollen das 370 Milliarden Dollar sein. In etwa die Größenordnung, die Elon Musk heute aufbringt: Er soll Ende letzten Jahres die 400-Milliarden-Dollar-Marke erreicht haben.

Die robber barons waren im Grunde gar keine Räuber dem eigentlichen Sinne nach. Räuber sind ja an sich arme Schlucker. Ihr Geschäft geht schleppend, die Überfallenen sind nicht immer vermögend und daher unter Umständen ein wenig effizientes Unterfangen – ein Räuber lebt also im Großen und Ganzen von der Hand im Mund. Die illustre Herrenriege tat das jedoch nicht. Sie stahlen wohl, wie es Ganoven auch taten – aber daraus wurde immer ein gutes Geschäft. Und ihre Raubzüge verliefen auch nicht nachts, irgendwo in einem versteckten Straßenwinkel, sondern ganz offen zur Schau getragen. Die US-Politik ermunterte diese Leute geradewegs dazu, ihr Business immer weiter auszubauen – ohne die immensen Gelder dieser Macher wäre das weite Land niemals elektrifiziert und mit der Eisenbahn erschlossen worden. Letzteres setzte einen gigantischen Landraub in Gang. Wehrten sich die Enteigneten, so wurden staatliche Truppen entsendet.

Die Räuberbarone hatten nicht nur einen guten Draht nach Washington: Sie machten Politik. Sie gaben deren Leitlinien vor. Ende des 19. Jahrhunderts gab es besonders an der amerikanischen Ostküste schwerwiegende Korruptionsskandale: Die reichen Herren steuerten von hier aus das ganze Land. Sie waren für die Volksvertreter unkontrollierbar geworden – anders gesagt: Sie kontrollierten die Politiker. Und sie ließen sich das was kosten, bestachen lokale Regierungen ebenso wie die Washingtoner Administration – und sie schöpften öffentliche Gelder ab, der Credit-Mobilier-Skandal ist der vielleicht bekannteste Vorfall dieser Art.

Die Räuberbarone werden international

Es ist den amerikanischen Superreichen also in die Wiege gelegt, die Politik zu beeinflussen und zu steuern. Bereits in den frühen Jahren der Vereinigten Staaten kristallisierte sich das heraus. Schon vor dem Bürgerkrieg agierten die robber barons auf diese Weise. Amerikanische Unternehmer »berieten« die US-Regierung auch nach dem Zweiten Weltkrieg, in jener Phase also, in der die USA endgültig zur globalen Wirtschaftsmacht wurden – was sie schon vor dem Krieg waren – und sich ein Weltwirtschaftssystem nach eigenen Bedürfnissen schufen.

Bei all der heutigen Folklore um John F. Kennedy wird gerne vergessen: Bei Konzernen war der Mann nicht sonderlich beliebt. Als er seine politische Macht kurz einsetzte, um die amerikanische Stahlindustrie zu entmachten, seinen Bruder Robert anwies, Kartellverfahren zu eröffnen, galt das in Augen superreicher Amerikaner als Affront gegen ihre Klasse – die Klasse der Staatslenker. Sie waren es doch, die die Politik führten – und nicht etwa andersherum. Franklin D. Roosevelt erging es ähnlich, denn er hat die Superreichen für einige Jahre gebändigt – dazu brauchte er aber eine Kriegsbeteiligung, die zugleich ein gutes Geschäft für diese Kaste bedeutete. Von seiner Interpretation föderaler Macht ging man nach ihm mehr und mehr ab, die US-Regierung wurde wieder kleiner Partner des Big Business.

Hatten die Barone in der Hochzeit des entfesselten Kapitalismus, einen fast nur nationalen Einfluss, so war die Beeinflussung und Manipulation der US-Regierung nach dem Krieg gegen Deutschland und Japan immer auch Weltpolitik. Wer den US-Präsidenten in der Hand hatte, der hatte auch die NATO und die westlichen Partner im Griff. Insofern ist Elon Musk nicht der erste Superreiche aus den USA, der den Zugriff wagt. Amerikanische Superreiche haben stets starken Einfluss auf die Politik gehabt – erst auf die in Washington, dann auf die in der westlichen Hemisphäre, später auch auf die neuen Politiken des Ostblocks. In Moskau dämmte man nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach und nach die Oligarchen ein – Putins Verdienst: Amerika war den Russen offenbar ein warnendes Beispiel eines Landes, in der Milliardäre Politik machen und nicht die gewählten Vertreter des Volkes.

Der brave Kapitalist

Nun also Musks Agieren zu einem singulären Ereignis umzudeuten, ist schon einigermaßen geschichtsvergessen und klittert die Geschichte der Vereinigten Staaten und seines politischen Systems, das immer auch ein oligarchisches System war. Man müsste ja noch nicht mal so weit zurückblicken. Es reichte, nur vier, fünf Jahre in die Vergangenheit zu schauen. Bill Gates mischte sich extrem in die Angelegenheiten einiger Länder ein – noch nicht mal über den Umweg des US-Präsidenten, sondern ganz unmittelbar mittels seiner Bill & Melinda Gates Stiftung. Am 12. April 2020 trat er in der Tagesschau auf warb schon mal für eine Impfung – so sah der große Gesundheitsmäzen Gates Gesundheitspolitik immer: Statt einer nachhaltigen Verbesserung der Strukturen der Gesundheitssysteme, sprach er sich stets für schnelle Lösungen aus. Der Medizintechnokrat nutzte in jenen Jahren seinen gigantischen Reichtum, um seine Vorstellungen der Gesundheitsfürsorge durchzusetzen. Dazu schmierte er auch Zeitungen und Influencer.

Seine Programme nahmen von jeher Einfluss auf die Arbeit fremder Regierungen. So unterstützt er die Landwirtschaft in Entwicklungsländern, wollte und will noch immer dort die Produktivität steigern, setzte sich nebenher aber für die Verbreitung von genmanipulierten Organismen ein und investierte auch in solche Projekte. Ihm schwebt also vor, die ärmsten Länder auf Erden von Saatgut abhängig zu machen, das in großen Chemiekonzernen des Westens produziert wird. Eine umfassende Studie ergab, dass die versprochene Produktivitätssteigerung durch Gates‘ Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA) ausblieb und Bauern in die Schuldenfalle gerieten, weil sie teure Produkte großer Agrarkonzerne kaufen mussten (Tufts University).

Doch über Gates spricht dieser Tage kaum jemand: Denn Bill Gates gilt als Gönner, als braver Kapitalist – Elon Musk hingegen ist ein Störenfried, auch weil er die Deutungshoheit der Mainstreammedien angreift. Der Medienwissenschaftler und Philosoph Joseph Vogl lässt sich in der Welt sogar dazu hinreißen, von einem neuen System sprechen zu wollen. Er sagte unter anderem: »Am Horizont taucht so etwas wie ein autoritärer Kapitalismus auf.« Diese Einschätzung blendet manches aus: War der Kapitalismus bis eben liberal? Man frage mal jene, die nach Auslagerungen keinen Job mehr fanden und dann auch noch drangsaliert wurden von der Arbeitslosenverwaltung. Liberalisiert wurden in den vergangenen Dekaden die Möglichkeiten für Unternehmer – Arbeitnehmerrechte wurde aber geschliffen. Für die Menschen, die am kürzeren Hebel im Wirtschaftsleben stehen, fühlt sich das System längst autoritär an – dabei sei an das Interview mit Hans Harald Gabbe erinnert, der erklärte, dass die Ostdeutschen die bundesdeutsche Arbeitswelt als autoritär empfinden, weil selbst der vermeintliche Unrechtsstaat DDR Arbeit nicht hierarchisch organisierte.

Musk ist die konsequente Folge der neoliberalen Revolution

Wenn heute Berlin-Mitte aus seiner Blase heraus Kritik am Verhalten Elon Musks übt, übersieht es die eigene Rolle: Die letzten 30 Jahre in Deutschland bestanden aus einem unglaublichen Raubzug. Das Land wurde einer Wirtschaftsordnung unterordnet, die eben genau das ist, was der Philosoph Vogl der Welt erzählte: Eine autoritäre Weltordnung. Eine, die sich liberal nennt und im Laufe ihrer Existenz auf die Idee kam, eine kostengünstige Form »des Sozialen« anbieten zu müssen: Man adaptierte die Identitätspolitik – die Soziologin Nancy Faser nennt das »progressiven Neoliberalismus« und sprach von einer Instrumentalisierung emanzipativer Bewegungen.

Doch das nur am Rande, zurück zum Wirtschaftssystem. In den letzten Jahrzehnten erklärte man den persönlichen Reichtum zum Ziel, der eigene Profit sei der Antrieb aller Leistungsbereitschaft – ja, dieses Denken mauserte sich zum Fetisch. Dass reiche Menschen viel Steuern zu entrichten hätten, wurde der Öffentlichkeit von Politik und einem Großteil der bürgerlichen Medien als Ungerechtigkeit erklärt. Denn wer etwas leiste, sollte nicht bestraft werden. Als ob Steuer ein Bestrafungsinstrument ist! Das oligarchische System der USA zog um den Planeten – nicht, dass es vormals hier in Deutschland keine hierarchischen Strukturen gab. Natürlich waren die vorhanden. Aber der gravierende Unterschied zwischen Reichtum und Armut war bei weitem nicht so sehr ausgeprägt. Die neoliberale Revolution hat die oligarchische Omnipotenz befördert – und Elon Musk ist ein Produkt dieses Systems.

In diesem System gehörte es »zum guten Ton«, dass jene die politischen Belange bedienen, die mit horrendem Reichtum aufwarten konnten. Hätte Rockefeller schon X zur Verfügung gestanden, er hätte dort über all die vielen Geschäfte gesprochen, die er macht und die die Politik unterstützen sollte. Er hätte via X Druck auf die Leute im Weißen Haus gemacht. Und Harriman hätte dort erklärt, dass die Eisenbahn schmerzhaften Landraub notwendig macht – aber solange er das Unternehmen leite, würde es doch gerecht zugehen. Musk ist ein Oligarch – da gibt es nichts schönzureden. Aber er ist kein Novum. Er ist das Kind einer Wirtschaft, die in den USA seit Generationen genau so funktioniert – und die die westliche Welt erfasst und dem Zugriff der Milliardäre ausgeliefert hat. Und die, die heute darüber jammern, hängen immer noch einer Ökonomie an, die diese Exzesse nicht als Kollateralschaden fabriziert, sondern mit purer Absicht.

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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