Fast ein Viertel der Bundesbürger misstraut der Regierung und dem Parlament

  • POLITIK
  • März 31, 2024
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In Deutschland gibt es eine „große Gruppe von misstrauischen Bürgern“, haben Sozialforscher festgestellt. Sie schreiben in einer aktuellen Analyse, dass die Krisen der vergangenen Jahre in Deutschland zu einem erheblichen Vertrauensverlust der Bürger in die Politik geführt haben. Die Forscher sehen die misstrauischen Bürger als ambivalentes Phänomen und als Anlass zu Sorge um die Demokratie.

Tilo Gräser: Demosntration gegen die Corona-Politik am 18. November 2020

Mindestens jede und jeder Fünfte der erwachsenen Bundesbürger sind gegenüber den politischen Institutionen wie Regierung und Parlament misstrauisch eingestellt. Das berichtet das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) in einem Beitrag der aktuellen Ausgabe seiner WZB-Mitteilungen. Neue Umfragen würden zeigen, dass die Krisen der letzten Jahre in Deutschland zu einem „erheblichen Vertrauensverlust“ der Bürger in die politisch Verantwortlichen geführt haben.

Laut den Erkenntnissen der beiden WZB-Forscher Edgar Grande und Daniel Saldivia Gonzatti hat sogar ein Viertel der Bundesbürger „sehr geringes“ bis gar kein Vertrauen in Regierung und Parlament. Das betreffe die „beiden Kerninstitutionen der repräsentativen Demokratie“ und werde systematisch unterschätzt.

Die beiden Autoren beziehen sich insbesondere auf die „Corona-Proteste“ im Winter 2021/2022 und die Proteste gegen die Energiepolitik im Winter 2022/2023. Sie würden zu den „neuen sozialen Bewegungen“ gehören, die im letzten Jahrzehnt entstanden seien. Zudem seien sie „durch große Heterogenität gekennzeichnet“, was für ihre Themen ebenso gelte wie für ihre Organisation, ihre soziale Zusammensetzung und nicht zuletzt die politischen Orientierungen der Teilnehmenden.

Die beiden WZB-Forscher heben hervor, die „erhebliche Vertrauenslücke“ in Deutschland sei „kein Corona-Effekt“. Das Vertrauensdefizit sei auch nicht auf den Regierungswechsel im Dezember 2021 zurückzuführen. Es habe sich schon unter Bundeskanzlerin Angela Merkel und deren Pandemiepolitik gezeigt.

Zu den misstrauischen Bürgern gehöre den repräsentativen Umfragen nach jede und jeder fünfte Befragte. Die Proteste wie die gegen die Corona-Politik und die gegen die Energie-Politik könnten als „Aufstand der Misstrauischen“ interpretiert werden, heißt es.

Laut den Autoren führt das politische Misstrauen nicht zu einem Rückzug der Bürger von der Politik und zu politischer Apathie, wie die Theorie der Postdemokratie annehme. „Die misstrauischen Bürgerinnen und Bürger besitzen, ganz im Gegenteil, eine deutlich überdurchschnittliche Protestbereitschaft.“

Dabei gehe es den kritischen und misstrauischen Bürgern nicht um die Demokratie an sich, sondern um deren Zustand und das ausgemachte Defizit dabei. Ihr wichtigstes politisches Ziel sei es nicht, die Demokratie durch ein autoritäres System zu ersetzen, sondern durch eine andere Form der Demokratie.

Trotz dieser Erkenntnisse sehen die WZB-Forscher in dem ausgemachten Misstrauen und der Protestbereitschaft „Anlass zur Sorge um die Demokratie in Deutschland“. Sie schreiben, es gebe Grund, „den misstrauischen Bürgern gegenüber misstrauisch zu sein“.

Sie könnten zwar „ein erhebliches Potenzial für fortschrittliche politische Reformen in Deutschland“ darstellen, aber sie würden sich „deutlich von den Eigenschaften aufgeklärter Postmaterialisten“ unterscheiden. Und sich selbst zwar „überwiegend in der politischen Mitte“ verorten, aber „mit einigen ihrer politischen Positionen finden sie sich bei regressiven und illiberalen Bewegungen wieder“. Die Sozialforscher sortieren die misstrauischen Bürger denn auch „politisch vor allem bei der AfD“ ein.

Am Ende stellen die beiden Autoren fest, die Tatsache, dass 20 bis 25 Prozent der Bürger kein Vertrauen in Regierung und Parlament haben, sei „eine denkbar schlechte Voraussetzung für jedes ambitionierte Regieren“. Darauf, dass die Inhalte dieses Regierens und die Frage, wessen Interessen es dient, zu den Quellen des ausgemachten Misstrauens gehören, gehen sie nicht ein.

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