Aus Kuwait kamen einst Bundeswehr-Soldaten zurück, für die der Krieg auch nach ihrer Rückkehr noch weiterging. Soll der unvergängliche Krieg zum Modell für eine ganze Generation werden?
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Der Krieg geht weiter – so lautete ein Artikel aus NEON, den Tobias Zick und Birthe Dannenberg vor vielen Jahren verfasst hatten. Er befasst sich mit Christian Bernhardt, einem ehemaligen Soldaten der Bundeswehr, der 2003 Einsatzzeiten in Kuwait hatte. Er beschreibt den Alltag eines Soldaten im Kriegseinsatz – ohne in unmittelbare Gefechte verwickelt gewesen zu sein. Immer wieder musste er seine Gasmaske aufsetzen, um sich gegen etwaige Giftgasraketeneinschläge zu wappnen. Bernhardt war voller Angst und nahm diese Angst mit zurück nach Hause.
NEON war ein Ableger des Stern, eine monatliche Zeitschrift für junge Erwachsene – von 2003 bis 2018 erschien es. Der oben kurz angerissene Artikel erschien im Jahr 2018 – in der August-Ausgabe. Auf sechs Seiten wird das Schicksal von Kriegsrückkehrern beschrieben. Für sie geht der Krieg – und so lautet ja auch der Titel des Artikels – immer weiter. Bernhardt erlaubt tiefe Einblicke in seinen Alltag: Zu einem normalen Alltagsleben war er damals, fünf Jahre nach seinen Erfahrungen, immer noch nicht so ohne weiteres fähig. Beziehungen zu anderen Menschen fallen ihm schwer. Nach Angstattacken schmerzen ihm »die Muskeln am ganzen Körper«, wie er selbst es beschreibt.
Wider den Geist der Bundesregierung
Seine Dienstzeit war nach dem Einsatz beendet. Damit war auch für die Bundeswehr das Schicksal des Christian Bernhardt irrelevant geworden. Er beantragte, dass die Bundeswehr die Folgen des Auslandseinsatzes als Wehrdienstbeschädigung anerkennt – aber Fehlanzeige. Die Antragsphase, so erklärt der ehemalige Soldat, sei schlimmer gewesen, als die Zeit in Kuwait. Denn immer wieder sollte er Beweise erbringen, die darlegen, dass seine psychischen Beeinträchtigungen aus dem Einsatz stammten und nicht schon vorher angelegt waren. Ein Psychiater, bei dem der Antragsteller nie persönlich war, attestierte nach Aktenlage, dass es sich bei dem Erscheinungsbild der Angstattacken »vielmehr um eine Anpassungsstörung, die durch eine zuvor gegebene schwere neurotische Disposition induziert ist« handle.
Vorher gab es bei Christian Bernhardt aber keine Auffälligkeiten. Immer wieder fühlt er sich in das damalige Szenario zurückgeworfen. Bilder aus irakischen Folterkellern lassen ihn überdies kalt: So sei halt mal der Krieg, denkt er für sich. Mit Mitgefühl tut er sich schwer. Der Artikel beschreibt, wie die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Herrin über seinen Alltag und seine Gefühle wurde. Amokläufe von Betroffenen, so sagte er damals in dem Bericht, würden ihn nicht weiter wundern.
Aufhänger für NEON war damals, dass neue deutsche Kontingente nach Afghanistan geschickt werden sollten. Die Zeitschrift schien es für eine gute Idee gehalten zu haben, über die Erfahrungen von Soldaten zu berichten, die schon einen Auslandseinsatz hinter sich hatten. Antizyklisch quasi: Wenn die Bundesregierung diesen Schritt erwägt, so dachte man sich in der Redaktion dieses Mainstreammediums womöglich, müsse man diese Absichten kritisch begleiten und auch mal aufzeigen, was so eine Entscheidung für die Betroffenen bedeutet. Damals war längst nicht alles in Ordnung in der deutschen Medienlandschaft, Kampagnen gab es in jenen Tagen auch reichlich – man denke nur an die Agenda-Politik und wie der Medienbetrieb sie begrüßte und stützte – und natürlich unterwarfen sich gewissen Medien auch dem Geist der jeweils amtierenden Bundesregierung. Aber in diesem Falle, in dem mit dem Leben junger Männer gespielt wurde, gebot das Berufsethos durchaus, über die Folgen und Konsequenzen aufzuklären.
PTBS und andere Versehrtheiten
Man darf diesen Bericht von 2008 mit dem vergleichen, was 15 Jahre später den knappen Debattenraum, diese beengte Debattenbesenkammer, bestimmt: Das Leben junger Männer (und Frauen) bemüßigt den journalistischen Berufsstand nicht sonderlich, über die bitteren Anschlussfolgen eines Waffenganges zu berichten oder wenigstens zu recherchieren. Man könnte getrost von Verrohung der Branche sprechen, von fehlender Empathie und zunehmender Ignoranz. Heute auf die Folgen hinzuweisen, ohne allzu pathetisch auf die Notwendigkeit der Kriegsführung zu pochen, wird eher als liebesdienerische Arbeit für den Kreml eingeordnet, denn als journalistische Sorgfalt. Soldaten zu Wort kommen zu lassen, die an den Folgen eines Kriegseinsatzes leiden: Ein Stück weit gilt das heute schon als Defätismus und Schwarzmalerei – und als aufmüpfiger Akt, den man bestenfalls ahnden sollte.
Dabei zeigt der Bericht von damals noch nicht mal die volle Härte eines Krieges wieder, der noch viel brutaler wüten kann. Sicher, was Christian Bernhardt widerfuhr, ist kein Klacks. Aber malen wir uns nur mal kurz einen Waffengang gegen Russland aus – einer Armee, die aus regulären Einheiten besteht und deren Waffenarsenal durchaus beeindrucken kann, wenn es auch weitaus »übersichtlicher« ist, als das Arsenal der NATO-Verbündeten. Das unterscheidet sich schon drastisch von den Erlebnissen, die Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan, im Irak oder in Kuwait hatten. PTBS ist als Diagnose schon niederschmetternd, denn der Krieg endet nie – er bleibt treuer Begleiter, Zick und Dannenberg arbeiteten das in ihrem Stück sehr bildlich heraus. Übrigens ohne auch nur an einer Stelle über die Alternativlosigkeit solcher Einsätze zu sprechen zu kommen. Ihr Bericht bleibt neutral, lässt dem Leid des Soldaten Raum und beleuchtet die Rolle von Gesellschaft und Bundeswehr. Pathos ist jedoch keiner zu finden.
PTBS ist also, wie bereits angerissen, eine niederschmetternde Diagnose. Aber vielleicht im Angesicht eines regulären Krieges, der heute mehr denn je gewollt scheint – von den Europäern gewollt scheint wohlgemerkt! –, ist PTBS noch die am wenigsten schädliche Folgeerscheinung, die sich ein Soldat wünschen kann. Für Zivilisten gilt dasselbe – die Einsätze im Mittleren Osten tangierten die Zivilbevölkerung so gut wie gar nicht. Das Geschehen ließ sich leicht ausblenden. Das wird aber bei dem, was dräut, anders aussehen. Das Leid wird mitten in der Gesellschaft ankommen. Auch die Verwundungen werden sich dramatischer erweisen als damals. Der Krieg wird für viele nicht mehr aufhören – nie wieder. Auch noch Jahre danach wird er ihnen präsent sein, bei Angstattacken oder wenn sie auf den Stumpf äugen, der mal Bein war. Und wenn sie Anträge stellen, die ihre Verwundung als Kriegsbeschädigung anerkennen soll – wie Helden werden Opfer des Krieges nie gefeiert, eher wie lästige Verfügungsmasse, die Geld kostet und keines mehr einspielt. Dann wird ihnen erst so richtig gewahr, wie schrecklich ihnen das Leben mitspielte – und sie werden sich empören, dass da einst niemand war, der über das berichtete, was Menschen im Kriegseinsatz geschieht und wie einem solche Erlebnisse nachhängen.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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